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© picture alliance / photothek | Thomas Imo

Ein demoskopischer Rückblick auf die vergangene Legislaturperiode Wahlsieg auf den letzten Metern

Die Bundestagswahl 2021 hatte einen auf vorherige Wahlen nicht übertragbaren Ausgangspunkt. Die Amtsinhaberin ging nicht noch einmal ins Rennen und konnte also auch ihren Amtsbonus nicht in die Waagschale werfen. Insofern war im Vorfeld der Wahl nicht klar auszumachen, welche der gängigen Faktoren der Wahlforschung eine dominierende Rolle für die Wahlentscheidung spielen würden. Auch für die Parteien und ihre Kampagnen war nicht klar, wie ausschlaggebend die Inhalte der Parteien, Kontextthemen oder die Kandidat/innen für die Stimmabgabe sein würden. Von Kontextfaktoren wie der COVID-Pandemie, dem Klimawandel oder der Flutkatastrophe in Teilen Deutschlands ganz abgesehen.

Mit diesen vielen Fragenzeichen im Vorfeld des Wahlkampfes hat es die SPD nach einem langen tiefen Tal geschafft, bei der Bundestagswahl mit 1,6 Prozentpunkten Vorsprung vor der Union stärkste Partei zu werden. Woran hat das im Einzelnen gelegen? Die gelungene Kampagne der SPD (und die Kampagnenfehler von Union und Grünen), die einen wesentlichen Teil des Erfolges ausmachte, wurde bereits an anderen Stellen detailliert analysiert. Diese demoskopische Betrachtung hier fokussiert die politische Stimmung vor der Wahl und die Bewertungen der Personen und Parteien, die zum Wahlerfolg der SPD geführt haben.

Die Legislaturperiode 2017 bis 2021 war von unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten geprägt und die politische Stimmung war in diesen vier Jahren so volatil wie lange nicht mehr. Die Gewinne und Verluste der Parteien bei der Bundestagswahl 2021 verschleiern das hohe Ausmaß an Bewegung bei der Wahlabsicht in den vergangenen vier Jahren. Besonders die Union und die Grünen erlebten Höhenflüge aber auch Tiefpunkte.

Die SPD war die meiste Zeit im Tief. Seit September 2018 lag die SPD – übrigens nach der »Causa Maaßen« (Andrea Nahles hatte sich mit Merkel und Seehofer verständigt, den rechts Grenzen überschreitenden Verfassungsschutzpräsidenten zum Innenstaatssekretär zu machen – und verlor damit viel Glaubwürdigkeit) in der Projektion der Forschungsgruppe Wahlen durchgängig unter 20 %. Zu diesem Zeitpunkt galt die Flüchtlingskrise noch als wichtigstes Thema in Deutschland. Im Vorfeld der Europawahl 2019 wurde es abgelöst von einer erhöhten Aufmerksamkeit für den Klimaschutz und die Fridays-for-Future-Bewegung, welche den Grünen einen starken Zulauf und in der Sonntagsfrage Werte gleichauf mit der Union bescherten.

Anfang 2020 kam dann erneut Bewegung in die Wahlabsicht. Im März 2020 begann die Coronapandemie und die Zeit der Exekutive brach an. Kanzlerin Merkel erhielt Bestnoten und die Union stieg in der Sonntagsfrage auf Werte zwischen 35 und 40 %. Die SPD, als Teil der Exekutive, konnte davon nicht profitieren. Zwischen März und Mai 2021 war die politische Stimmung von einer klaren Unzufriedenheit mit dem Coronamanagement der Regierung, den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg als auch von der Nominierung von Annalena Baerbock und Armin Laschet geprägt. Die Union rutschte bei der Frage nach der Wahlabsicht deutlich ab und wurde im Mai knapp von den Grünen überholt. Die SPD verharrte bei ca. 15 %.

Ab Mai 2021 war die politische Stimmung dann wesentlich von den Kampagnen- und Kandidat/innenfehlern von Union und Grünen geprägt. Zum Nominierungszeitpunkt wurde Annalena Baerbock noch von 43 % aller Befragten (und von über 50 % der jüngeren Befragten) im Politbarometer als kanzlertauglich erachtet, gleichauf mit Olaf Scholz (42 %). Armin Laschet trauten hingegen nur 37 % zu, für eine Kanzlerschaft geeignet zu sein. Markus Söder war unter allen möglichen Anwärtern auf die Kanzlerkandidatur der mit Abstand beliebteste gewesen. Nach Söders Scheitern innerhalb der Union blieben drei lediglich mittelmäßig beurteilte Kandidat/innen im Rennen. Unstimmigkeiten in Baerbocks Lebenslauf und Plagiatsvorwürfe ließen die Werte in der Kanzler/innenfrage und der Grünen in der Sonntagsfrage ab Ende Mai/Anfang Juni deutlich sinken.

Was sich zu diesem Zeitpunkt auch veränderte, war der Wunsch nach einer schwarz-grünen Koalition. Ein Bündnis aus Union und Grünen war die komplette Legislaturperiode über das einzige mehrheitlich favorisierte Koalitionsmodell gewesen. Nach der Nominierung der schwarz-grünen Kandidat/innen war eine solche Zusammenarbeit lediglich noch bei knapp einem Drittel der Befragten beliebt und keine Koalition war bis zum Wahltermin mehrheitlich erwünscht. Nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt war der Höhenflug der Grünen und ihrer vormals aussichtsreichen Kandidatin gestoppt. Die Werte der Union bei der Wahlabsichtsfrage erholten sich bis Mitte Juli wieder bis auf 30 %, die Grünen rutschten auf 20 %ab, die SPD verharrte bei 15 %.

Dann wurden Teile Deutschlands von einer Flutkatastrophe heimgesucht und ein Pressefoto des lachenden Unionskandidaten beim Besuch im Krisengebiet stoppte auch seine Aussicht auf das Kanzleramt. Die Werte zur Kanzlertauglichkeit von Armin Laschet nahmen rapide ab, die Union verlor auch in der Sonntagsfrage. Olaf Scholz, der als Kandidat schon immer etwas besser als Armin Laschet bewertet wurde, zog an beiden Herausforderern vorbei und eine große Mehrheit hielt seit Ende Juli den Sozialdemokraten für kanzlertauglich und bis zum Wahltag blieb er klar führend in der Frage, wen die Befragten lieber im Kanzleramt sähen.

Der Wiederaufstieg der Sozialdemokratie

Im August verloren Union und Grüne in der Sonntagsfrage und die SPD kam langsam nach oben. Doch erst Ende August waren SPD und CDU/CSU das erste Mal gleichauf (jeweils 23 % bei 20 % für die Grünen). Zu diesem Zeitpunkt begann auch die Phase der Plakatierung, Olaf Scholz wurde sichtbar, und Anfang September überholte die SPD nach 19 Jahren wieder die Union in der Sonntagsfrage. Die SPD konnte den ganzen Sommer über nicht aus eigener Kraft punkten, sondern profitierte kurz vor der Wahl von den Fehlern der anderen. Die SPD konnte erst ihr 15-%-Tief überwinden, als beide personellen Alternativen verbraucht waren und zu einer Last für ihre Parteien wurden. Nicht zuletzt Olaf Scholz, der auch über Parteigrenzen hinweg ein hohes Ansehen genoss, zog auf den letzten Metern des Wahlkampfes seine Partei mit nach oben. Wenige Tage vor der Wahl wünschten sich 55 % der Befragten eine SPD-geführte und lediglich 36 % eine CDU/CSU-geführte Regierung.

Die Kandidat/innen und ihre Parteien wurden in beiden Teilen Deutschlands laut Politbarometer-Extra vom September 2021 durchaus unterschiedlich bewertet. Nur die SPD wurde als Partei in West- wie auch Ostdeutschland ähnlich und am besten beurteilt (Mittelwert auf einer Skala von –5 bis +5: 1,3 im Westen und 1,2 im Osten). Die Union wurde mit 0,8 im Westen etwas besser bewertet als mit 0,4 im Osten. Den deutlichsten Unterschied gab es bei der Beurteilung der Grünen, die im Westen mit 0,7 fast gleichauf mit der Union lagen, jedoch im Osten mit –0,9 deutlich schlechter bewertet wurden.

Olaf Scholz war kurz vor der Wahl nach Angela Merkel der am besten bewertete Politiker und das in beiden Teilen Deutschlands fast gleichermaßen, im Westen kam er auf einen Mittelwert von 1,5 und im Osten auf 1,1. Armin Laschet und Annalena Baerbock waren in beiden Landesteilen im Minusbereich, schnitten aber in Ostdeutschland noch deutlich schlechter ab. Der Spitzenkandidat der Union kam in Westdeutschland auf –0,4 und im Osten auf –1,0. Die Kandidatin der Grünen kam im Westen auf –0,1 und im Osten auf –1,2. Das Personal von Union und Grünen wurde also noch schlechter beurteilt als ihre Parteien selbst. Die SPD konnte in beiden Bereichen punkten.

Bei den unterschiedlichen Altersgruppen war Annalena Baerbock bei der Frage, wen man lieber als Kanzler/in hätte, lediglich bei den Befragten unter 30 Jahren mit Olaf Scholz auf Augenhöhe (je 32 %, 26 % wollten Laschet). Noch kurz nach ihrer Nominierung hatte Baerbock einen deutlichen Vorsprung unter jungen Befragten. In allen weiteren Altersgruppen lag Olaf Scholz kurz vor der Wahl deutlich vor seiner Konkurrenz. Nicht nur die SPD war im Vergleich zur Wahl 2017 deutlich besser bewertet, auch Olaf Scholz war im Vergleich zu Baerbock und Laschet eindeutig beliebter, vor allem in Ostdeutschland. Dass die Wahl mit Markus Söder für die Union besser gelaufen wäre, findet eine überragende Mehrheit der Befragten und auch die Mehrheit der Unionsanhänger/innen. Auch dass die Grünen mit Robert Habeck besser abgeschnitten hätten, meint eine klare Mehrheit, allerdings im Westen deutlich mehr als im Osten.

Bei der Wahlentscheidung in soziodemografischen Gruppen gab es laut einer Befragung der Forschungsgruppe Wahlen am Wahltag einige Veränderungen im Vergleich zu 2017. Die Union wird gleichermaßen von Männern (23 %) und Frauen (24 %) gewählt, verliert aber im Vergleich zu 2017 bei den Frauen (–13 Prozentpunkte) viel deutlicher als bei den Männern (–6). Die SPD schnitt bei Frauen (27 %, +7) geringfügig besser ab als bei Männern (24 %, +4) und legte im Vergleich zu 2017 bei Frauen etwas mehr zu.

Die AfD (12 % bei Männern, 8 % bei Frauen) und die FDP (13 % bei Männern, 10 % bei Frauen) waren bei Männern etwas beliebter als bei Frauen, bei den Grünen war es umgekehrt (14 % bei Männern, 17 % bei Frauen). In Ostdeutschland ist die AfD mit 25 % bei Männern die stärkste Partei. Bei den ostdeutschen Frauen schneidet die AfD mit 17 % deutlich schlechter ab. Bei der Linken gab es keinen Geschlechtsunterschied.

Bei der Wahlentscheidung in den Altersgruppen gibt es deutliche Unterschiede. Die SPD schneidet bei den Wähler/innen ab 60 Jahren mit 35 % am besten ab (CDU/CSU 34 %, –7) und bei den jüngeren Wählerinnen unter 30 Jahren mit 17 % am zweitschlechtesten (CDU/CSU 11 %, –13). Während die SPD in der ältesten Gruppe im Vergleich zur Vorwahl 10 Prozentpunkte zulegen kann, verliert sie in der jüngsten Gruppe zwei Prozentpunkte.

Der SPD- wie auch der Unionsanteil nimmt mit dem Alter zu und unterscheidet sich lediglich bei den Jungen. Bei den unter 30-Jährigen wurden die Grünen mit 22 % stärkste Partei, gefolgt von der FDP mit 19 %. Die Anteile von Grünen und FDP nehmen mit zunehmendem Alter deutlich ab. AfD und Linke haben weniger Schwankungen in den Altersgruppen. Es gibt einen deutlichen Unterschied in der gesamtdeutschen Verteilung im Vergleich zu der Wahlentscheidung in den Altersgruppen in Ostdeutschland. Die AfD wurde im Osten in den Gruppen der unter 30-Jährigen (19 %), bei den 30- bis 44-Jährigen (25 %) und den 45- bis 49-Jährigen (25 %) jeweils die stärkste Partei.

Nur bei den über 60-Jährigen ist sie mit 15 % deutlich schwächer und die SPD landete mit 35 % auf Platz 1 (+18). Die CDU verliert im Osten am stärksten bei den unter 30-Jährigen (–13) und erhält nur 7 % der Stimmen. Ihr Anteil nimmt mit dem Alter zu und bei den über 60-Jährigen kommt die CDU auf 24 % (–10). Die Grünen und die FDP kommen auch in Ostdeutschland bei unter 30-Jährigen mit jeweils 16 % auf ihre besten Ergebnisse, die mit steigendem Alter deutlich abnehmen. In der Gruppe der über 60-Jährigen erhalten sie lediglich 4 % bzw. 5 %. Die Linke hat im Osten nur geringe Altersunterschiede.

Die größten geschlechtsspezifischen Unterschiede gibt es in der jüngsten Altersgruppe. Betrachtet man die Wähler/innen von 18 bis 24 Jahren getrennt nach Geschlecht, kommt die FDP mit 26 % bei den jungen Männern auf das beste Ergebnis, gefolgt von den Grünen mit 21 %. Die SPD schneidet bei jungen Männern mit 15 % und die Union mit 10 % deutlich schlechter ab (AfD und Linke je 7 %). Bei jungen Frauen zwischen 18 und 24 Jahren kommt die FDP nur auf 15 % und die Grünen sind mit 26 % auf Platz 1. Die SPD landet mit 18 % bei jungen Frauen auf Platz 2, die Union kommt nur auf 11 % (AfD 6 %, Linke 10 %).

Die Wähler/innen über 60 Jahre stützten deutlich den Wahlerfolg der SPD. Und vor allem in Ostdeutschland konnte sie in dieser Gruppe stark dazugewinnen. Dennoch bleibt auch bei dieser Bundestagswahl das relativ schwache Abschneiden der SPD bei jungen Wähler/innen bestehen bzw. nimmt sogar noch etwas zu. Bei CDU/CSU ist dies jedoch noch deutlich stärker der Fall. Die jungen Wähler/innen favorisierten deutlich mehr die Grünen und die FDP und in Ostdeutschland die AfD.

Die Stärke des Kandidaten Olaf Scholz

Die hohe Volatilität im Elektorat brachte Schwankungen der politischen Stimmung mit sich, die es in diesem Ausmaß noch selten gab. Ebenso gab es eine im Vergleich zu vier Jahren zuvor stark gestiegenen Unsicherheit (82 %; 2017: 55 %), wie die Wahl ausgehen würde. Diese unbeständige Ausgangslage, die geringe Bindung an Parteien sowie der dominierende Personenfaktor ermöglichten den knappen Wahlsieg der SPD. Die Stärke des Kandidaten hat der SPD vor allem wieder eine personelle Sichtbarkeit verschafft, welche die Partei seit dem Abgang von Andrea Nahles nicht mehr hatte. Nach ihrem Rücktritt war zum ersten Mal überhaupt die/der Parteivorsitzende der SPD nicht mehr unter den wichtigsten zehn Politiker/innen im Politbarometer vertreten.

Die Sonntagsfrage war während des Wahlkampfes wesentlich davon beeinflusst, wie stark das Ansehen von Baerbock und Laschet in die eine oder andere Richtung schwankte. Olaf Scholz konnte am Ende die schlechte Performance seiner Herausforderer für sich nutzen und hatte eine gelungene Wahlkampfstrategie im Rücken. Die SPD konnte als Partei deutlich von seinem positiven Image profitieren und gewann auf den letzten Metern die Wahl.

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