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Warum es sich lohnt, SPD zu wählen

Immer mal wieder gegen Ende einer Legislaturperiode legt Hans-Joachim Schabedoth, Politikwissenschaftler aus den Thinktanks der Gewerkschaften und seit 2013 SPD-Bundestagsabgeordneter, eine kritische Chronik der vergangenen Regierungsjahre vor. Diesmal ergänzt er diese verdienstvolle Fleißarbeit gegen das Vergessen in schnelllebigen Zeiten um die wichtigsten Themen des Regierungshandelns »in turbulenten Zeiten« und fragt, wie es nach der »Vernunftehe« mit Merkel weitergehen könnte. Um die Pointe gleich vorwegzunehmen, eine Liebesheirat ist nicht in Sicht, auch gegen R2G oder ein Bündnis mit der Lindner-FDP führt der hessische MdB starke Vorbehalte ins Feld. Doch es blieben mehr als genug offene Reformvorhaben übrig, für die es nach der Bundestagswahl im Herbst, in welcher Koalition auch immer, einer möglichst starken SPD bedürfe. Dabei treiben den Autor nicht große Utopien um, sondern die schlichte Selbstverpflichtung aus den Gründungstagen der SPD, »das Leben und Arbeiten der Menschen zu verbessern«.

Natürlich kommt es im Wahlkampf auf die Stimmigkeit von Person, Programmatik und Performance an. Doch eigentlich gehört ein viertes »P« dazu, denn auch das Geleistete will geschätzt werden, die bisherige Politik zählt durchaus. Steht das Land wegen der SPD-Regierungserfolge (»Gesagt, getan«) nicht eigentlich gut da, oder läuft etwas grundlegend falsch, wie Oliver Nachtwey in seinem letzten Buch Die Abstiegsgesellschaft konstatiert? Soll man eigentlich SPD wählen, um einen erfolgreichen Weg fortzusetzen oder um den längst überfälligen Politikwechsel durchzusetzen? Manche Antworten auf diese Frage ergaben weder ein konsistentes noch ein überzeugendes Bild von der Situation in Deutschland und Europa.

Das scheint mir die eigentliche Leistung des Bandes von Schabedoth zu sein: in einer plausiblen Erzählung Regierungshandeln und Zukunftsverantwortung zusammenzubringen. Einerseits wird die eindrucksvolle Bilanz geschildert, vom Start weg bestimmte die SPD den Takt der Regierungsarbeit: Mütterrente, abschlagsfreiere Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren, Mindestlohn, modernes Staatsbürgerrecht, Fundierung der Energiewende, Besserungen für Familien und bei der Pflege, Mietpreisbremse, Frauenquote usw. Andererseits wird deutlich, wie begrenzt doch, durch den Koalitionsvertrag und mangelnden Willen der Union, die Möglichkeiten waren. Dies gilt vor allem für die Stellschrauben des Steuerrechts, die Erbschaftsteuer und beim Abgabensystem des Sozialstaates gegen eine weitere Konzentration privater Vermögen; aber auch für den Investitionsstau bei öffentlichen Gütern von der Bildung bis zu den Straßen, für eine bessere Innovationspolitik für die Industrie 4.0 und zukunftsfähige Elektromobilität, für die Mindestrente als gesellschaftlich garantierte Solidar- oder Lebensleistungsrente, für die wirkliche Begrenzung von Leiharbeit und Werkverträgen. Da war zwar das ElterngeldPlus mit der Union möglich, doch der große Wurf wie der Ausbau der Ganztagsschulen oder die Einführung der Familienarbeitszeit war mit ihr nicht zu machen: »Viele Dinge gerieten in die Sackgasse. So zum Beispiel weitere Verbesserungen bei der Alterssicherung, die Gleichstellungs- und Integrationspolitik und der Klimaschutz.« Besonders bleibt es »sozialdemokratischer Dauerauftrag« den Spaltungstendenzen entgegenzuwirken – Nachsorge reicht dort nicht, es geht darum die »Entstehungsgründe für soziale Spaltungen (unfaire Arbeitsmarktstrukturen, Bildungsverweigerung, Ungerechtigkeiten im Steuersystem)« anzugehen.

Jetzt kommt es auf den Endspurt an. Die präzisen Formulierungen des SPD-Wahlprogramms kann der Band noch nicht enthalten. Wohl aber Leitbotschaften einer SPD, die für Freiheit, Vielfalt und Weltoffenheit steht, die Partei der Arbeit bleibt und ein gutes Leben für alle will, die an den Alltagssorgen der Menschen anknüpft, sowie wirtschaftlichen Erfolg und soziale Gerechtigkeit miteinander verbindet. Und es bleibt für Schabedoth eine, durch die letzten Landtagswahlen schmerzhaft bestätigte Botschaft, dass ein sympathischer Spitzenkandidat alleine nicht reicht. Es kommt eben auch darauf an, auf der Basis der eigenen Leistungsbilanz die Reformideen für die nächsten vier Jahre zu präzisieren und diese in den alten und neuen Medien wie im Tür-zu-Tür-Wahlkampf selbstbewusst zu vertreten. Nur so hat der von Manuela Schwesig jüngst formulierte Satz die Chance, endlich der allgemeinen Stimmungslage des Landes zu entsprechen: »Frau Merkel hat sicher Verdienste für die Vergangenheit, sie steht aber nicht mehr für die Zukunft«.

Hans-Joachim Schabedoth: SPD und Merkel – Vernunftehe vor der Scheidung. Schüren, Marburg 2017, 128 S., 12,90 €.

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