Bei der Nachricht, dass Deutschland sein Klimaziel, bis 2020 40 % weniger Treibhausgase gegenüber 1990 auszustoßen, nicht einhalten wird, blieb der große Aufschrei aus. Viele scheinen sich einerseits daran gewöhnt zu haben, dass beim Thema Klimawandel und Umweltschutz eine Schreckensmeldung die nächste jagt. Andererseits wirkt hier das Energiewende-Paradox: Der als große Erfolgsgeschichte vermarktete massive Ausbau erneuerbarer Energien lässt Deutschland weiterhin als Klimavorreiter dastehen. Diese Wahrnehmung reduziert den Druck auf deutsche Politiker/innen, ernsthaft ambitionierte Klimapolitik zu betreiben. Dass Deutschland in der Reduktion der tatsächlichen Emissionen deutlich hinter seinen selbst gesteckten Zielen zurückbleibt und Länder wie Großbritannien eine weitaus ambitioniertere Klimapolitik betreiben, wird kaum wahrgenommen.
Klimawandel und Umweltverschmutzung bleiben, trotz unzähliger Krisenherde in der Welt, in der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger als globales Problem eine der größten Herausforderungen für die Zukunft. Das Eurobarometer 2017 zeigt, dass der Klimawandel nach den Kategorien »Armut, Hunger und Wassermangel« und »internationaler Terrorismus« als drittgrößte Herausforderung gesehen wird. Es sind aber nicht nur die Sorgen der Bevölkerung, die Motivation für politische Akteure sein sollten, neue Bewegung in die Klimapolitik zu bringen. Neben den Zielvereinbarungen des Pariser Abkommens sind es insbesondere wissenschaftliche Erkenntnisse, die z. B. im 1,5 °C-Sonderbericht des Weltklimarats zusammengefasst sind, die eine ambitioniertere und vor allem effektivere Klimapolitik erfordern.
Ökologische Probleme sind soziale Probleme
Darüber hinaus sind ökologische Probleme häufig auch soziale Probleme: Schäden, die durch Umweltkatastrophen entstehen, betreffen in erster Linie Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status. Es sind die Armen und Schwachen, die von schlechter Luft, Hitze oder Wasserknappheit am stärksten betroffen sind. Daher ist es umso erstaunlicher, dass von der (europäischen) Sozialdemokratie kaum innovative Ideen und Vorschläge zum Themenkomplex Klima- und Umweltschutz zu hören sind.
Wie die zitierte Umfrage zeigt, machen sich viele Menschen über die immer deutlicher werdenden Veränderungen Sorgen. Umweltschutz und Ökologie betreffen uns alle und sind nicht mehr nur Themen des bürgerlichen Milieus der Grünen-Wählerschaft. Ein kluges Zusammendenken von Sozial- und Klimapolitik hätte also das Potenzial Wähler/innen zu binden. Gerade die junge Generation verlangt nach Lösungen. Für eine Gesellschaft, in der auch in Zukunft noch Wohlstand und Frieden möglich sind, brauchen wir jetzt Antworten auf die Herausforderungen des Klimawandels. Die Themenfelder sind längst bekannt: Mobilität, Energiewende, Kreislaufwirtschaft, Nahrungsmittel. Wird Umwelt- und Klimaschutz weiterhin als Randthema einer großstädtischen Mittelschicht abgetan oder gar als Bedrohung für die wirtschaftliche Entwicklung verstanden, verschenken wir eine Chance, soziale und ökologische Themen zu verbinden. Von den katastrophalen Folgen für Gesellschaft und Umwelt ganz zu schweigen.
Für die Sozialdemokratie bieten sich hier – sowohl auf nationaler, europäischer als auch internationaler Ebene – zahlreiche Handlungsfelder:
Auf nationaler Ebene kann ein langfristig gedachtes, sektorübergreifendes Klimaschutzgesetz ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Nachdem die SPD dieses Ziel im Koalitionsvertrag unterbringen konnte, zeigen die nächsten Jahre, ob sich daraus tatsächlich politische Reformvorhaben entwickeln lassen, mit denen auch substanzielle Emissionsreduzierungen erreicht werden können. Beispielhaft ist hier Großbritannien, das mit dem im Jahr 2008 verabschiedeten »Climate Change Act« ein rechtlich verbindliches, einheitliches und sektorübergreifendes Klimaschutzgesetz geschaffen hat. Die Zahlen sprechen für sich: Während Deutschland seine Emissionen seit 1990 um 27,34 % reduzieren konnte, erreichte Großbritannien eine Reduktion von 39,39 %.
Sollte sich kein effektives Klimaschutzgesetz umsetzen lassen, bietet die europäische Ebene Handlungsspielraum. Zum Ende des Jahres erscheint die Langfriststrategie 2050 der Europäischen Kommission. Mit der Aktualisierung der Strategie aus dem Jahr 2011 möchte die Kommission ihre Ziele auf Linie mit den Vereinbarungen von Paris bringen. Neben den inhaltlichen Forderungen sollte diese Strategie über die nächste Europawahl im Jahr 2019 gerettet werden. Je nach Konstellation des neuen Europaparlaments und der Kommission ist es denkbar, dass Klimapolitik noch weiter an Relevanz verliert. Die Sozialdemokratie sollte es als Bedingung für die Wahl der/s Kommissionspräsident/in und den Kommissar/innen machen, dass an einer ambitionierten Klimapolitik festgehalten wird. Schließlich kann auf EU-Ebene rechtlich verbindliche und sanktionsbasierte Klimapolitik verabschiedet werden – wie die für Deutschland ab 2020 durch verfehlte Ziele im Landwirtschafts-, Gebäude- und Verkehrssektor fälligen Zahlungen anschaulich zeigen.
Auf internationaler Ebene muss zunächst die Umsetzung des Paris-Abkommens vorangetrieben werden: Klare Bekenntnisse zu den Zielen und der Rolle als Klimavorreiter sind nötig, um die multilaterale Übereinkunft aus 2015 am Leben zu erhalten und ab 2020 wirksam werden zu lassen. Zusätzlich zu den diplomatischen Herausforderungen im Kontext der Klimarahmenkonvention bieten die Schnittstellen zu anderen Politikfeldern Möglichkeiten, das Erreichen der Klimaziele zu unterstützen. Eine engere Verflechtung der Handelspolitik mit dem Klimaabkommen und den Nachhaltigkeitszielen beispielsweise böte der Sozialdemokratie die Möglichkeit, international ausgerichtete progressive Politik zu betreiben. Würden in die Verhandlungen zu Freihandelsabkommen wirksame klimapolitische Vorgaben integriert, könnten internationale Handelsströme an den klimapolitischen Zielvorgaben ausgerichtet werden. Das voraussichtlich infolge des Brexit verhandelte Freihandelsabkommen böte eine Gelegenheit für eine progressive Partnerschaft zwischen der EU und Großbritannien – zweier selbsterklärter Klimavorreiter. Somit könnte die Vorreiterrolle weitergedacht und Klimaziele dadurch konsequent umgesetzt werden. Hinsichtlich der Handelspolitik besteht des Weiteren die Chance, neue, progressivere Abkommen zu verhandeln. Insbesondere in Zeiten eines zunehmend eskalierenden Handelskriegs sind derartige Abkommen wichtige Bestandteile internationaler Kooperationen.
Die Vergangenheit zeigt, dass eine weitsichtige und umweltfreundliche Industriepolitik mittel- und langfristig gewinnbringend ist. Beispiele sind strenge Emissions- und Recyclingvorschriften aus den 70er Jahren. Diese haben zur Folge, dass der deutsche Anlagenbau und die deutsche Recyclingindustrie heute aufgrund ihrer Effizienz weltmarktführend sind. Die Rücksicht auf Industrieinteressen und eine daraus resultierende kurzsichtige Förderpolitik haben dagegen der Automobilindustrie die Probleme beschert, auf die sie heute blickt. Ebenso haben Subventionen für den Kohleabbau im Ruhrgebiet Milliarden verschlugen und einen Strukturwandel um Jahrzehnte verzögert. Ein ähnliches Szenario zeichnet sich – mit SPD-Unterstützung – in den verbliebenen Braunkohletagebaugebieten ab. Mit verheerenden Folgen für Anwohner und Ökosysteme.
Auf die Fragen, wie sich die Wirtschaft und mit ihr verschiedene gesellschaftliche Bereiche an die neu entstehenden Bedingungen anpassen kann und wie in einer Welt mit endlichen Ressourcen immer mehr Wachstum möglich sein soll, bekommen die Menschen von der Sozialdemokratie bisher keine befriedigenden Antworten. Die SPD sollte die Zusammenhänge ökologischer und sozialer Herausforderungen deshalb in Zukunft stärker in den Blick nehmen und innovative Reformvorschläge für diese Schnittstelle erarbeiten.
Nimmt die Sozialdemokratie ihre traditionell internationale Ausrichtung ernst, müssen die multilateralen Einigungen aus dem Paris-Abkommen und die Nachhaltigkeitsziele die Grundlage ihrer Politik sein. Die Umsetzung dieser Abkommen fängt zu Hause, und damit mit der Arbeit an Mehrheiten für progressive Klimapolitik, an.
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