Menü

© picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Kahnert

Positive Wachstumsdaten dämpfen die Pandemiebelastung für Staatshaushalt und Volkswirtschaft Was Corona kostet

  • Auf die Frage‚ was uns Corona eigentlich kostet, hat es viele vorläufige Antworten gegeben. Der damalige SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sagte dem ZDF im August 2021, Corona dürfte den deutschen Staat wohl 500 Milliarden Euro kosten. Damit waren alle staatlichen Haushalte gemeint. Das Handelsblatt berichtete im März 2021, dass Deutschland Verpflichtungen in Höhe von 1,32 Billionen Euro wegen Corona eingegangenen sei, darunter ein großer Anteil an Garantien, die aber nicht unbedingt kassenwirksam werden müssten. Und das ifo Institut legte bereits im April 2020 verschiedene Szenarien vor, wonach der Lockdown jede Woche Einbußen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 25 bis 57 Milliarden Euro auslösen werde, was einem Wachstumsverlust von 0,7 bis 1,6 Prozentpunkten entspreche.

Die Wirklichkeit sah etwas anders aus. Es überlagerten sich nämlich zwei Effekte. Zum einen dauerte die Coronakrise viel länger als anfangs gedacht (und sie hält bei der Abfassung des Artikels – wenn auch abklingend – an). Zum anderen fielen aber die Wohlstandseinbußen geringer aus als ursprünglich befürchtet. Den Wirtschaftssubjekten und den Verwaltungen gelang es vergleichsweise gut und im Zeitablauf zunehmend besser, wirtschaftliche Aktivitäten zu sichern oder wieder zu starten oder in andere Sektoren zu verlagern. Antizyklisches Handeln über die staatlichen Ebenen hinweg leistete zudem erkennbar einen wichtigen Beitrag, Krisenfolgen zu begrenzen und Neustarts zu ermöglichen.

Die staatliche Neuverschuldung, die Steuerschätzung und damit zusammenhängend die staatlichen Einnahmen sowie die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts geben einen guten Überblick darüber, wie sich der gesamtgesellschaftliche Wohlstand im Zeitablauf veränderte. Viele europäische Länder haben Anfang 2022 noch nicht wieder das BIP-Niveau von 2019 erreicht. Deutschland lag in der BIP-Betrachtung zum Jahreswechsel 2021/2022 noch 1,1 Prozent unter dem Vorkrisenniveau, während beispielsweise Frankreich nach gut eineinhalb Jahren wieder seinen Vorkrisenwert erreichen konnte. Insgesamt zeigt sich aber, dass Staaten durch Krisen ärmer werden – was sicher auch durch den russischen Krieg gegen die Ukraine und die nachfolgenden Neujustierungen der deutschen Politik wieder so sein wird.

Standen hinsichtlich Corona im ersten Halbjahr 2020 im Wesentlichen lediglich Szenario-Rechnungen zur Verfügung, so liegt mittlerweile eine Reihe von Ist-Zahlen vor. In der jährlichen Pressekonferenz des Statistischen Bundesamts im Januar wurde die Neuverschuldung auf jeweils 4,3 Prozent des BIP in 2020 und 2021 beziffert. Ende Februar senkte DEStatis den Wert für 2021 auf 3,7. Diese deutliche Korrektur der sogenannten Schnellmeldung ist zumindest teilweise der starken Volatilität in Krisenzeiten geschuldet.

Durch die stark in Anspruch genommenen Corona-Bundesprogramme wird die Neuverschuldung von insgesamt 133 Milliarden Euro in 2021 ausschließlich vom Bund mit 143 Milliarden getragen, während die Länder insgesamt mit fünf Milliarden, die Gemeinden mit einer Milliarde und die Sozialversicherungen mit vier Milliarden Euro sogar leichte Überschüsse ausweisen. Das Land Berlin, der größte Empfänger im Länderfinanzausgleich, hatte einen Nachtragshaushalt für 2021 aufgestellt, der vorsichtig von einem Defizit in Höhe von 3,8 Milliarden Euro ausging; am Jahresende waren es aber lediglich 0,2 Milliarden. Das Land Rheinland-Pfalz erzielte laut BMF-Monatsbericht Februar 2022 einen Überschuss von 2,3 Milliarden und stach vermutlich wegen eines besonders erfolgreichen Impfstoff-Unternehmens hervor.

Neben dem Engagement des Bundes mit Corona-Hilfsprogrammen und seiner Beteiligung an dem Aufbau der Impf- und Teststruktur spielte insgesamt das Anspringen der Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Neue Arbeitsplätze wurden geschaffen, viele Betriebe und Selbstständige beendeten die von ihnen beantragte Phase der Steuerstundungen und nahmen gleichzeitig die Steuerzahlungen wieder auf, was bei Ländern und Kommunen die Einnahmen höher ausfallen ließ als die Ausgaben.

Wirtschaftliche Erholung

Diese Ist-Zahlen sprechen dafür, dass 2022 allenfalls noch eine geringe Neuverschuldung wegen Corona erforderlich sein wird und 2023 nach heutigem Erkenntnisstand sicher nicht mehr. Die – vor dem Ukraine-Krieg – für 2022 vorhergesagte weitere wirtschaftliche Erholung würde das möglich machen. Schaut man also auf die Neuverschuldung, so liegt diese 2020 bei 145 Milliarden Euro (4,3 Prozent des BIP) sowie 2021 bei 133 Milliarden Euro (3,7 Prozent BIP). Inklusive 2022 und ohne Ukraine-Folgen läge die coronabedingte Neuverschuldung also voraussichtlich nicht über 290 Milliarden Euro für drei Jahre und alle staatlichen Ebenen.

Schaut man aber in die Haushalte von Bund und Ländern, ergibt sich ein anderes Bild. Für 2021 wird einschließlich des im Januar 2022 für 2021 beschlossenen Nachtragshaushalts des Bundes eine Neuverschuldung von bis zu 215 Milliarden Euro allein für den Bund angegeben (siehe Grafik); viele Länder sind ähnlich entweder bereits in die Notfallkreditaufnahme oberhalb ihres Coronabedarfs gegangen (wie Berlin, das deshalb auf eine Rücklage von über fünf Milliarden Euro zurückgreifen kann) oder verfügen über entsprechende haushälterische Genehmigungen (wie NRW mit einer Genehmigung für eine Neuverschuldung von bis zu 50 Milliarden Euro). In Hessen war die Konstruktion eines Sondervermögens gewählt worden. Dessen Nutzung über Coronamaßnahmen hinaus hat das dortige Verfassungsgericht auf Klage der SPD und anderer Oppositionsparteien verworfen und entschieden, dass die Schuldenbremsenregelung in der hessischen Verfassung eine Kreditaufnahme in außergewöhnlichen Notsituationen nur insoweit gestatte, »als dies zur unmittelbaren Bekämpfung dieser Notsituation erforderlich ist. Zwischen dem auslösenden Ereignis und der erhöhten Kreditaufnahme muss folglich ein Veranlassungszusammenhang bestehen« (Urteil vom 27.10.2021).

Auch Gutachter anderer Bundesländer – wie etwa Stefan Korioth im September 2020 für Bremen – verfolgen eine ähnliche Linie. Gerade bei mehrjährigen Krisen gelte es, reguläre Haushaltsmittel einzusetzen und neben Einsparmaßnahmen auch vorrangig vor Neuverschuldung Rücklagen aufzulösen. Es sei unzulässig, auf eine bewusst zu hoch angesetzte Notfall-Kreditaufnahme zur Gewinnung von Spielräumen für die Folgejahre zu setzen.

Es ist davon auszugehen, dass sich diejenige Interpretation der Schuldenbremse durchsetzt, die bei in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren beschlossenen Notfallkrediten zumindest ab dem zweiten Jahr einen direkten Zusammenhang zum auslösenden Ereignis des Notfalls erfordert. Für die Fragestellung, was Corona kostet, bedeutet das: Soweit die nicht ausgeschöpften Kreditrahmen auf Bundesebene etwa für zukünftige Klimainvestitionen eingesetzt werden, sind das keine Coronakosten.

Trotz knapp vier Monaten Lockdown beziehungsweise Soft-Lockdown im Jahr 2020 und nur geringfügig weniger in 2021 fiel die Entwicklung des BIP deutlich besser aus, als in den Szenarien-Rechnungen ursprünglich befürchtet. Das Wachstum betrug im letzten Vorkrisenjahr 2019 1,1 Prozent nach Abzug der Inflation, 2020 kam es zu einem Einbruch von 4,6 Prozent, 2021 zu einer Erholung um 2,9 Prozent, wobei die Erholung im vierten Quartal durch die vierte Coronawelle gebremst wurde – und vermutlich im ersten Quartal 2022 durch die fünfte Welle weiter gebremst wird. Selbst im günstigsten Szenario entspricht der BIP-Einbruch von 2020 eher zwei Monaten Lockdown und fällt halb so hoch aus wie befürchtet bei tatsächlich vier Monaten Lockdown.

Antizyklische staatliche Steuerung

Diese Entwicklung ist ein Erfolg der staatlichen Stützungsprogramme, von denen insbesondere die Kurzarbeit auf Bundesebene und die kleinteiligen Programme auf Länderebene für Kleinunternehmen und Selbstständige rasch wirkten, bevor es zu einem Strukturbruch mit einer massiven Insolvenz- und Entlassungswelle kam. Daneben unterschätzten die anfänglich negativeren Szenarien den Veränderungs- und Anpassungswillen der Wirtschaft. Es wurden in der Krise überfällige neue Konzepte umgesetzt – nicht zuletzt mit flexibleren Arbeitsformen (wie dem Homeoffice). Der Digitalisierungsschub schuf neue qualifizierte Arbeitsplätze. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) schätzt den in den Krisenjahren 2020 und 2021 eingetretenen Wertschöpfungsverlust insgesamt auf 350 Milliarden Euro, davon 60 Milliarden an unterlassenen Investitionen. Das bedeutet in jedem der Krisenjahre in etwa einen Wertschöpfungsverlust von fünf Prozent des BIP.

In Deutschland und den meisten anderen Ländern hat sich rasch ein breiter Konsens dahingehend gebildet, dass es sinnvoll ist, in der Krise antizyklisch zu steuern und Coronahilfen sowie Unterstützung für Zukunftsinvestitionen staatlicherseits anzubieten. Dieser Konsens war nicht selbstverständlich in einem Land, in dem die wirtschaftswissenschaftliche Zunft mehrheitlich neoliberalem Gedankengut anhängt. Umgekehrt war er aber naheliegend, weil es eine Krise war, die durch die staatlich geförderte gleichzeitige Unterdrückung von Angebot und Nachfrage zustande kam und nicht durch Fehlallokation von Wirtschaftsakteuren.

Dass über antizyklische Maßnahmen nicht nur geredet wurde, sondern dass sie auch tatsächlich ergriffen wurden, zeigt sich zum Beispiel an der Staatsquote. Präziser als Staatsausgabenquote beschrieben, zeigt sie das Verhältnis der gesamten Staatsausgaben als Anteil des BIP. Antizyklisches Verhalten sollte sich als kräftiger Anstieg der Staatsquote zeigen, die nach einer gewissen Zeit wieder absinkt. Es sei darauf hingewiesen, dass die Staatsquote insoweit eine unechte Quote darstellt, als sie auch staatliche Transfers enthält, die wiederum ihrerseits von den Transferempfängern in Konsum umgesetzt werden. Die Staatsquote und die private Ausgabenquote können sich also zu über 100 Prozent addieren.

Die vorläufigen Angaben zeigen für 2019 eine Staatsquote von 45 Prozent (seit 2011 im Rahmen zwischen 44 und 45 Prozent), die 2020 aber 50,8 und 2021 51,6 Prozent erreichte. Es ist zu erwarten, dass die Staatsquote bis 2023, spätestens 2024 wieder absinkt. Unterstützt wird das Absinken durch die Mechanismen der Schuldenbremse, die für 2023 in den mehrheitlich angewendeten Konjunkturverfahren Tilgungen der Staatsschuld statt weitere konjunkturbedingte Kreditaufnahmemöglichkeiten vorsehen.

Schließlich gibt es noch eine andere spannende Kennzahl im Zusammenhang mit den Coronakosten: die auf jeweils fünf Jahre im Voraus prognostizierten Steuereinnahmen, aus denen sich ergibt, welches Ausgabenpotenzial durch die Coronakrise nicht zur Verfügung stand. Im letzten Vorkrisenjahr wuchs das BIP in Deutschland nominal um 2,8 Prozent, die Steuereinnahmen stiegen um 2,6 Prozent. Neue Schulden wurden nicht aufgenommen. Gegenüber der Steuerschätzung vom November 2019 wurden in 2020 etwa 78 Milliarden Steuern weniger eingenommen als ursprünglich geschätzt, 2021 waren es nach der Schätzung vom November 2021 etwa 33 Milliarden. Für 2022 wird ein Einnahmeverlust in Höhe von 26 Milliarden geschätzt, für 2023 23 und für 2024 noch 16 Milliarden.

Wichtig ist, dass auch hier die Optimisten Recht zu bekommen scheinen, die von keiner dauerhaften Wachstumseinbuße und dem Einschwenken auf einen niedrigeren Wachstumspfad ausgehen. Auch wenn noch keine endgültigen Zahlen vorliegen, schien sich Anfang 2022 die Rückkehr auf den alten Wachstumspfad eher früher als später zu ergeben – bis zum Ukrainekrieg, dessen wirtschaftliche Effekte noch nicht zu beziffern sind.

Jedenfalls lagen die realen Steuereinnahmen für Bund und Länder Ende 2021 so hoch, dass die verbleibende Finanzierungslücke bereits zur Hälfte geschlossen war. Nimmt man die Differenz der beiden Steuerschätzungen von 2019 und 2021 (mit Prognosen für die jeweils fünf folgenden Jahre), dann ergibt sich ein »Steuereinnahmeloch« von insgesamt 176 Milliarden Euro. Diese Einnahmen hätten ohne Corona zur Verfügung gestanden und hätten – soweit auf Tilgungen der Staatsschuld verzichtet worden wäre – im günstigsten Fall für öffentliche Klimaschutzinvestitionen zur Verfügung gestanden.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben