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Lehren aus der Hochwasserkatastrophe 2021 Was in der Frühwarnung verbessert werden muss

Die Flutkatastrophe im Juli 2021 hat weite Teile von Nordrhein-Westfalen (NRW) und Rheinland-Pfalz (RLP) betroffen und dort massive Schäden mit mehr als 180 Todesfällen verursacht. Damit stellt sie das tödlichste wasserbezogene Katastrophenereignis seit der Hamburger Sturmflut 1962 mit 340 Toten dar. Besonders stark vom Hochwasser betroffen war das Ahrtal, in dem auch ein Großteil der Opfer zu beklagen ist.

In den Medien und öffentlichen Diskussionen kamen Fragen auf, warum die Katastrophe trotz vorhandener Frühwarnsysteme so viele Opfer fordern konnte und wie die Frühwarnung für ähnliche Ereignisse in der Zukunft verbessert werden kann.

Um diese Fragen beantworten zu können, ist es notwendig, zu verstehen, wie Frühwarnsysteme funktionieren, was sie leisten können und wo mögliche Schwachstellen liegen. In diesem Artikel sollen daher auch zentrale Grundlagen dargestellt und Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Eine umfassende Aufarbeitung des partiellen Versagens der Frühwarnung für die Hochwasserkatastrophe in NRW und RLP kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht erbracht werden. Hierfür sind weitere Analysen notwendig, welche u. a. derzeit von der Wissenschaft und der Justiz durchgeführt werden.

Frühwarnsysteme sollen vor einem potenziell schadenbringenden Naturereignis eine Warnung bereitstellen, um damit adäquate und risikominimierende Reaktionen zu ermöglichen. Sie stellen somit ein effektives Werkzeug des Risikomanagements dar. Frühwarnungen können aber nur bedingt monetäre Schäden verhindern, da sie keinen direkten Einfluss auf das schadenbringende Ereignis haben. Warnungen ermöglichen, Menschen zu evakuieren und je nach Vorwarnzeit auch mobile Werte in Sicherheit zu bringen. Die Vorwarnzeit, also der Zeitraum zwischen einer Prognose des schadenbringenden Ereignisses und einer Warnung sowie dem Auftreten des Ereignisses, variiert je nach Naturgefahrenprozess stark und kann zwischen Sekunden (z. B. bei einem Erdbeben) und Monaten (z. B. bei Dürren) liegen.

In der Bevölkerung, aber auch unter vielen Expert:innen, ist die Ansicht verbreitet, dass Frühwarnsysteme in erster Linie auf technischen Systemen beruhen. Hierbei geht man vereinfacht davon aus, dass auf Grundlage einer Naturgefahrenmodellierung ein Alarm (etwa ein optisches oder ein akustisches Signal) ab einem bestimmten Schwellenwert ausgelöst wird und damit die Frühwarnung erfolgreich abgeschlossen sei.

Erfahrungen mit Frühwarnsystemen und fehlgeschlagenen Warnungen verdeutlichen aber, dass Frühwarnsysteme auch soziale Prozesse berücksichtigen müssen und dass die Kommunikation von Warnungen durch die beteiligten Akteure erfolgt und das Steuern des Verhaltens der Gewarnten von Beginn an mitgedacht werden muss. Diese als last mile bezeichneten Prozesse nach einer Warnung sollten demnach in das Zentrum gerückt werden und als first mile betrachtet werden.

Effektive Frühwarnsysteme basieren laut der International Strategy for Disaster Reduction (ISDR) der Vereinten Nationen auf vier grundlegenden Elementen, welche ineinandergreifen müssen, um eine effektive Frühwarnkette zu ermöglichen:

Erstens: Risikowissen. Risiken müssen systematisch untersucht werden. Dazu gehören die Identifizierung und umfassende Analyse (inkl. raum-zeitlicher Veränderung) von Gefahren, Exponiertheiten und Verwundbarkeiten.

Zweitens: Überwachungs- und Warndienst. Mithilfe von technischen Monitoringsystemen müssen die für die Naturgefahren relevanten Parameter überwacht und über eine verlässliche Vorhersagemethodik Prognosen erstellt werden. Liegen die vorhergesagten Prognosen über zuvor festgelegten Schwellenwerten, wird eine Frühwarnung generiert.

Drittens: Verbreitung und Kommunikation. Risiken und Warnungen müssen effektiv verbreitet werden. Warnungen müssen klar verständlich formuliert sein und mit konkreten Handlungsanweisungen verknüpft werden.

Viertens: Reaktionsfähigkeit. Evakuierungs- und Notfallpläne müssen vorhanden und den verantwortlichen Akteuren bekannt sein.

Schwachstellen in der Frühwarnkette

Im Bereich des Risikowissens lassen sich in Bezug auf die Flutkatastrophe 2021 bereits einige Schwachstellen der Frühwarnkette identifizieren. So scheinen die vorhandenen Hochwassergefahrenkarten – selbst für ein Extremereignis (»HQ-Extrem«) – die Überflutungsgefahren zumindest teilweise zu unterschätzen. Für das Wohnheim Lebenshilfehaus in Sinzig, in dem zwölf Menschen starben, wurde eine Überflutung von weniger als 50 cm erwartet; in Wirklichkeit stand das gesamte Erdgeschoss unter Wasser. Auch an anderen Orten im Ahrtal wurde die mögliche Hochwasserhöhe stark unterschätzt.

Zum jetzigen Zeitpunkt kann nicht eindeutig festgestellt werden, warum die Modellierungen die Hochwassergefahren falsch eingeschätzt haben. Ein Grund dafür könnte in den verwendeten Modellen bzw. an der Vereinfachung von Modellen liegen. Hydrologische Modelle fokussieren auf den Abfluss von Wasser im Gerinne und können nur bedingt lokale Sonderbedingungen berücksichtigen. Im Falle des Ahrtals wurden jedoch viele Brücken durch Totholz und weggeschwemmte Gegenstände versperrt, wodurch sie nicht mehr als Durchlässe, sondern wie Staudämme fungierten. Dies hat lokal zu einem beträchtlichen Ansteigen der Überflutungshöhen beigetragen und beim Durchbruch zu weiteren Flutwellen.

Aber auch in der Bevölkerung müssen Hochwasserrisiken bekannt sein. Im Falle des Ahrtals wurde das Hochwasserereignis 2016 als »Jahrhunderthochwasser« ausgewiesen und kommuniziert. Diese Jährlichkeit beruht auf einer Extremwertstatistik der vorhandenen Messreihen, welche seit den 50er Jahren kontinuierlich erhoben werden. Nach einer Analyse einer Forschungsgruppe in Potsdam ergibt sich unter Einbeziehung der gut dokumentierten großen Hochwasserereignisse von 1804 und 1910 jedoch eine Jährlichkeit von nur noch 30 Jahren. Dementsprechend konnte die Bevölkerung kaum eine Vorstellung davon haben, dass ein Hochwasser lokal einen im Vergleich zum Ereignis von 2016 einen über dreimal höheren Wasserstand erzeugen kann. Unter solchen Umständen ist ein risikoangepasstes Verhalten kaum erwartbar.

Auch im Bereich der technischen Überwachung und der Bekanntgabe einer Warnung sind im Katastrophenfall Probleme aufgetreten. So haben die steigenden Wasserstände im Verlauf des Hochwassers die Messpegel zerstört. Dennoch konnten weitere Prognosen erstellt werden. Wie die Hochwasserrisikokarten basieren auch die Vorhersagen des Abflusses auf Modellen. Neben den aktuellen Pegelwerten fließen insbesondere Niederschlagsmessungen und -vorhersagen in die Modelle ein. Niederschlagsvorhersagen sind mit Unsicherheiten verbunden und Institutionen wie der Deutsche Wetterdienst stellen eine Reihe von kurzfristigen Vorhersagen zur Verfügung. Diese werden in verschiedenen Modellläufen in die Hochwasservorhersage integriert, woraus dann jedoch voneinander abweichende Pegelstände resultieren. Die Unsicherheiten werden in den meisten Fällen nicht weiter kommuniziert, da dies die Entscheidungsfindung erschweren könnte.

Wenn die Modelle mit ausreichender Sicherheit ein Übersteigen der Meldehöhe, also dem für eine Warnung definierten Schwellenwert, erreichen, obliegt die Warnung der Bevölkerung und gegebenenfalls die Einleitung von Evakuierungsaktivitäten der Kreisverwaltung, bzw. im Fall des Ahrtals dem Krisenstab unter Leitung des Landrats. Ob hier im Fall der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal ein Fehlverhalten vorlag, wird derzeit vom Landeskriminalamt untersucht und soll daher an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden.

Die Verbreitung und Kommunikation der Warnungen stellte bei der Hochwasserkatastrophe eine große Herausforderung dar. Teilweise konnte aufgrund von Strom- und Netzausfällen keine Warnung übermittelt werden. Eine auf Sirenen basierende Warnung der Bevölkerung ist flächendeckend nicht mehr möglich, da die Sireneninfrastruktur nach dem Ende des Kalten Krieges sukzessive abgebaut wurde. Aber auch an Orten, an denen Sirenen im Einsatz waren, wurde von der Bevölkerung teilweise berichtet, dass diese aufgrund der tosenden Wassermassen nicht mehr gehört werden konnten.

Eine Warnung alleine generiert noch kein risikoangepasstes Verhalten; hierzu bedarf es klarer Handlungsanweisungen, idealerweise auf Grundlage von eingeübten Notfall- und Evakuierungsplänen. Eine der Anweisungen in der Katastrophennacht war, dass die Bereiche 50 Meter um die Ahr evakuiert werden sollen. Im Nachhinein wurde deutlich, dass diese Distanz bei Weitem zu gering gewählt war und sich nicht an den Hochwassergefahrenkarten orientierte; wobei auch diese, wie oben beschrieben, die Überflutungsflächen und -höhen unterschätzen. Weiterhin ist anzumerken, dass Evakuierungsübungen in Deutschland nicht allgemein üblich sind und nicht mit der Bevölkerung trainiert werden.

Die hier dargestellte Zusammenstellung von Schwierigkeiten und Problemen bei der Frühwarnung vor und während der Flut verdeutlicht, dass die Frühwarnkette an mehreren Stellen keineswegs optimal funktionierte. Es ist daher auch nicht sinnvoll auf eine einzelne Schwachstelle zu verweisen, um dort ein Fehlverhalten zu verorten. Stattdessen wird deutlich, dass Frühwarnung nur effektiv funktionieren kann, wenn alle beschriebenen notwendigen Elemente ineinandergreifen und aufeinander abgestimmt sind.

Wie kann die Frühwarnung verbessert werden?

Die Hochwasserkatastrophe 2021 zeigt auf besonders tragische Weise wie wichtig es ist, notwendige Lehren aus den Fehlern und Versäumnissen zu ziehen und für künftige Extremereignisse besser vorzusorgen. Eine verbesserte Katastrophenvorsorge muss in den Wiederaufbau integriert werden. Hierzu gehören vielfältige Maßnahmen, die u. a. von der verbesserten Erfassung der Pegelstände (auch der Zuflüsse), über raumplanerische Maßnahmen (Rückhalteflächen und -becken, Entlastungskanäle etc.), bis hin zu effizienten Frühwarnsystemen unter Einbindung der Bevölkerung reichen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine umfassende und abschließende Bewertung noch nicht möglich, es lassen sich aber bereits einige gewonnene Erkenntnisse skizzieren.

Hierzu gehört, dass Gefahren- und Risikokarten für Extremereignisse verbessert werden müssen, insbesondere im Hinblick auf lokale Effekte. Zudem müssen diese Karten effizienter kommuniziert und der Bevölkerung vermittelt werden. Dies umfasst auch historische Flutereignisse, welche oftmals nach einigen Jahren oder Jahrzehnten in Vergessenheit geraten oder gar nicht zur Kenntnis genommen werden. Gerade am Beispiel der Ahr sind die katastrophalen Flutereignisse von 1804 und 1910 gut dokumentiert und rekonstruiert. Thomas Roggenkamp und Jürgen Herget weisen 2014 in ihrer Publikation über historische Hochwasser der Ahr u. a. auf historische Spitzenabflüsse hin, die deutlich über dem 100-jährlichen Bemessungsereignis liegen.

Im Sinne eines positiven und progressiven Umgangs mit Risiken sollte die Aufarbeitung gesamtgesellschaftlich stattfinden. Neben einer stärkeren Einbindung von Themen der Katastrophenvorsorge in der Bildung (Kindergarten, Schulen, Universitäten) kann handlungsorientiertes Wissen z. B. auf Dorf- und Stadtfesten vermittelt werden.

Frühwarnsysteme brauchen klare Verantwortlichkeiten aber auch ausfallsichere und redundante Strukturen, um sicherzustellen, dass Warnungen rechtzeitig erfolgen und alle potenziell Betroffenen erreicht werden können. Es ist daher erforderlich – auch im Sinne eines verantwortlichen und resilienten Wiederaufbaus – zu prüfen, an welchen Stellen der Meldekette Schwächen und Lücken aufgetreten sind und wie diese in Zukunft vermieden werden können.

Auch in der Verbreitung der Warnungen gibt es Verbesserungspotenzial. Inzwischen wurde hierzu beschlossen, dass die Sireneninfrastruktur in Deutschland ausgebaut und zudem mit Cell-Broadcasting eine in anderen Ländern erfolgreiche Technologie zur ortsabhängigen Warnung und Information der Bevölkerung etabliert werden soll. Damit ergibt sich eine umfassende Mischung von Warnmethoden, mit der größere Teile der Bevölkerung erreicht werden können.

Neben der Vermittlung von Risikoinformationen müssen zukünftig auch Notfall- und Evakuierungspläne erstellt und effektiv verbreitet werden. Diese Pläne müssen regelmäßig geübt werden und größere Bevölkerungsanteile miteinschließen. Hier können wir von anderen Ländern wie Japan oder Neuseeland lernen; dort werden Katastrophenschutzübungen u. a. für Erdbeben und Tsunamis regelmäßig in Bildungseinrichtungen durchgeführt.

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