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Porträt der Theaterregisseurin Susanne Kennedy Was ist der Mensch?

Auf die Frage, was denn der größte Unterschied zwischen Frank Castorf und ihrem Theater sei, hält Susanne Kennedy im Interview »ohne Worte« mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung keck zwei Mini-Masken in die Kamera. Das ist natürlich ein Witz, denn das Theater des Volksbühnen-Veteranen Castorf und das der 1977 geborenen Susanne Kennedy trennen Welten. Bühnenwelten, aber auch mentale Welten. Während bei ihm der Text in all seinen Tiefenschichten und Konnotationen in Form exaltierter Schauspieler die Rampe stürmt, verfremdet sie Mensch und Sprache, bis nicht mehr zu sagen ist, was für Figuren die Bühne bevölkern. Avatare? Cyborgs? Monster?

Ihren Durchbruch feierte Susanne Kennedy 2013 mit Fegefeuer in Ingolstadt, an den Münchner Kammerspielen unter der Intendanz von Johan Simons entstanden. Schon diese Inszenierung zeichnet all das aus, für das Susanne Kennedy zu Recht berühmt ist: das Puppenhafte ihrer Figuren, ihr Gespür für den Sound, ihre kompromisslose Ausstattung. Kurz: die Eigenwilligkeit des inszenatorischen Zugriffs. Die Schrecken der Gemeinschaft, welche die Autorin Marieluise Fleißer 1924 für ihr Erstlingswerk in ihr bigottes Personal eingeschrieben hat, verbildlicht Kennedy mit Figuren wie aus dem Horrorfilm, die in einem schuhschachtelartigen Guckkasten gefangen sind. Ein Gespensterballett. Die Schauspieler und Schauspielerinnen bewegen sich darin wie Marionetten, sprechen auch nicht selbst, sondern bewegen ihre Münder zum Playback, was die Unheimlichkeit des Ganzen noch steigert. Ein Coup. Mit dieser Arbeit wurde Susanne Kennedy schlagartig bekannt und zum ersten Mal zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

Ein Jahr später erhält sie ihre zweite Einladung. Diesmal hat sie sich Warum läuft Herr R. Amok, nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder und Michael Fengler vorgenommen. Wieder kommt alles, was die Figuren auf der Bühne sagen vom Band. Doch diesmal tragen alle Latexmasken, was ihre Gesichter noch unnatürlicher und statuarischer wirken lässt. Das Spiel mit den Masken sowie das Trans- oder Posthumane wird zu Kennedys Markenkern. 2017 erhält sie den europäischen Theaterpreis für neue Realitäten. In der Jurybegründung heißt es, ihr gelinge es, »die Verbindung zwischen Theater und anderen Kunstformen zu erforschen«. Und: »Sie schafft es, Schauspieler*innen, Wörter und Ideen in Bewegung zu bringen und in ihren Arbeiten miteinander zu verflechten. Dabei sind die Orte ihrer Aufführungen zu gleicher Zeit Bühne und visuelle Kunst-Installationen.«

Deswegen war sie wohl auch gern dabei, als die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin mit der Spielzeit 2017/18 und dem neuen Intendanten Chris Dercon einen Neuanfang wagte. Nach nicht einmal einem Jahr gab er auf. Susanne Kennedy gehörte von Beginn an zum künstlerischen Leitungsteam. Das bot sich an, changieren ihre Arbeiten doch zwischen bildender Kunst und Theater und lösen damit ein, was Dercon für das ganze Haus vorschwebte: ein Transitraum zwischen den Künsten. Wobei Susanne Kennedy klar sagt: »Ich mache Theater.« Die Nachfolge von Dercon ist immer noch nicht geregelt, in der Diskussion fällt immer wieder auch Kennedys Name, womöglich als Teil einer kollektiven Intendanz. Sie, die mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in Berlin-Neukölln lebt, kann sich das vorstellen, wenn auch nicht im Moment.

Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, hält Susanne Kennedy für die bislang wichtigste Theaterregisseurin des digitalen Zeitalters. Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Berliner Theatertreffens, zählt sie gar zu den wenigen Regisseurinnen, »die durch herausragende, eigenwillige ästhetische, formal-inhaltlich bemerkenswerte Handschriften heraus stechen«. Ganz sicher gehört Susanne Kennedy zu den wenigen Frauen, die es im deutschen Theaterbetrieb ganz nach oben geschafft haben, was in ihrem Fall bedeutet, dass sie regelmäßig auf großen Bühnen des Landes inszeniert, momentan an der Volksbühne und an den Münchner Kammerspielen. Damit bildet sie eine Ausnahme, denn wie der 2017 gegründete Verein Pro Quote Bühne mitteilt, würden auf den großen Bühnen knapp 80 % aller Inszenierungen von Männern verantwortet.

Zum Theater kam Susanne Kennedy dabei eher zufällig, wie sie erzählt. Geboren wurde sie in Friedrichshafen am Bodensee als Tochter einer Deutschen und eines Engländers, was ihren Nachnamen erklärt. Sie studierte dann Regie an der Hogeschool voor de Kunsten in Amsterdam und verdingte sich im Anschluss als Regieassistentin und inszenierte am Nationaltheater in Den Haag.

»Ich hatte schon früh ein besonderes Formbewusstsein«, resümiert sie ihre Zeit als Regieanfängerin. Und sie verhehlt nicht, dass es in diesem Geschäft hilft, eine radikal eigene Handschrift zu entwickeln. Die hat sie entwickelt und sie entwickelt sie weiter. In ihrem Stück Die Selbstmord-Schwestern (The Virgin Suicides), 2017 an den Münchner Kammerspielen entstanden, knallt sie gemeinsam mit ihrer Bühnenbildnerin Lena Newton und ihrer Kostümdesignerin Teresa Vergho eine spektakulär bunte Welt auf die Bühne, die als Mischung aus Flügelaltar und Flipperautomat daherkommt. Ausgangspunkt für diese Arbeit ist Jeffrey Eugenides 1993 entstandener Roman Die Selbstmord-Schwestern, den Sofia Coppola 1999 verfilmt hat. Doch Susanne Kennedy interessiert sich weniger für die fünf Todesfälle im Hause Lisbon und ihre Beweggründe als vielmehr für das Nachleben der ungewöhnlichen Schwestern und ihren möglichen Übergang in andere Zustände. Dazu bedient sie sich des Tibetanischen Totenbuchs, das den Sterbenden und der Inszenierung Anleitung für ihre womöglich letzte Reise gibt, sowie bewusstseinserweiternder Texte des LSD-Gurus Timothy Leary. Wie sooft in den Arbeiten von Susanne Kennedy stehen Frauen im Vordergrund und wie sooft spielt der Tod eine herausragende Rolle. Susanne Kennedy »nutzt das Theater, um die Erfahrung von Sterblichkeit unter den Vorzeichen einer transhumanen Kultur neu zu betrachten«, sagt Thomas Oberender. Eine Geschichte, die den Zuschauer bloß von A nach B führt, gibt es bei ihr nicht. Kennedys unbedingter Formwillen lebt sich auch in Die Selbstmord-Schwestern auf der Grenze zwischen bildender Kunst, Theater, Installation und Performance aus. Heraus kommt ein Abend, der nicht zuletzt durch seine hohen Schauwerte besticht. Drei Schauspieler stecken in bodenlangen weißen Nachthemden; sie tragen zauberhafte mangamäßige Mädchenschädel auf ihren Köpfen und staunen immer wieder mit ozeanblauen Augen in den Zuschauerraum. Mädchenträume werden wahr, wie überhaupt an diesem Abend das Mädchensein in all seinen schönen und unschönen Ausformungen zur Sprache kommt, wie sonst nie im Theater.

Der Abend wurde hitzig diskutiert, wobei wie meist bei Kennedy besonders die Frage nach den Schauspielern, der Art der Darstellung für Aufregung sorgt. Würden die Schauspieler, deren wahre Gesichter man erst beim Schlussapplaus sieht, hier nicht ihrem eigentlichen Handwerkszeug (Mimik, Körpersprache) beraubt? Würden sie nicht von der Regisseurin zu bloßen Puppen degradiert? Die Frage nach der Arbeit der Schauspieler ist untrennbar mit den Arbeiten von Susanne Kennedy verbunden. »Theater von Individuen interessiert mich nicht«, hat sie einmal gesagt. Wie könnte es auch anders sein, bei jemandem, der sich auf der Bühne nicht für individuelle Beziehungen, sondern für den Gesamtzusammenhang interessiert. Dass ihre Darsteller Masken tragen, immerhin eines der ältesten Theatermittel überhaupt, sorgt immer wieder für Gesprächsstoff. Natürlich reagiere auch manch ein Schauspieler zuerst unwirsch, irritiert, manchmal sogar verärgert auf ihre Spielideen, erzählt sie. »Bei dir darf ich ja gar nichts machen!«, heißt es dann. Auch Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele, spricht von der narzisstischen Verletzung, die solch ein Umgang für manchen Schauspieler bedeuten könne.

Doch nicht nur ihre Akteure scheint Kennedy bisweilen zu überfordern, auch Teile des Publikums reagieren mit Unverständnis, wenn nicht gar mit einer Verweigerungshaltung. Das mag auch daran liegen, dass Kennedys Werke autonome Zuschauer fordern und fördern. In ihrer jüngsten Arbeit für die Volksbühne Coming Society lautet das Motto »You are the player«, auch wenn viele den Handlungsspielraum als eher gering einstuften. Zu dem gemeinsam mit ihrem Mann, dem bildenden Künstler Markus Selg, erdachten Spiel, betreten die Zuschauer, nachdem sie erst im Parkett Platz genommen haben, die Bühne durch eine Art Himmelspforte. Mehrere Kammern, Schreine und Gemächer, unterschiedlich groß und bewohnt, gliedern die kreischend bunte Drehbühne. Stationen im Spiel des Lebens. Dort warten menschenähnliche Wesen, bei denen es sich um die Zukunftsvision unserer Gattung, post- oder zumindest transhumane Persönlichkeiten handeln könnte, deren Gesichter wie aus dem Katalog ausgeschnitten scheinen und die Sätze sprechen wie Roboter. Voraufgezeichnete Meldungen, die wie aus der Zukunft oder aus dem Jenseits tönen. Die wüste Textcollage vereint Zitate von Friedrich Nietzsche, Entdeckungen auf Airbnb und anderes.

Was ist der Mensch? Diese Frage steht in Kennedys Werk im Mittelpunkt. Dabei irritiert sie immer wieder mit freigeistigen Aussagen, die in der Überwindung des Individuums eine Chance sehen: das eigene Selbst loswerden als Akt der Befreiung. Der gerade in Theaterkreisen beliebten Technikfeindlichkeit kann sie nichts abgewinnen. So wäre es auch ein Missverständnis, ihre neueren Abende als dystopisch zu interpretieren. Sie glühen vielmehr vor Vertrauen auf das, was da kommen mag. Eine Welt, in der womöglich andere Regeln gelten als jene, nach denen wir gewohnt sind zu leben. Die Suche, von der viele ihrer Arbeiten künden, ist dabei zentral für ihr Theaterverständnis und ihre Einstellung zum Leben. Ende April hat sie an den Münchner Kammerspielen Drei Schwestern von Anton Tschechow inszeniert. Diese wahrhaft unverwüstlichen Schwestern, die buchstäblich hängen bleiben, scheinen wie gemacht für das Theater von Susanne Kennedy, die den Loop und die Wiederholung souverän zu nutzen versteht – als Stilmittel und als Sinnbild für das Leben.

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