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Nur mit einer Abkehr vom Wachstumsgedanken ist die Umwelt noch zu retten Was können wir wissen, was dürfen wir hoffen?

»Mehr Fortschritt wagen«, mit dieser optimistischen Losung startete die Ampelkoalition in ihre erste Regierungsperiode. Heute, anderthalb Jahre später, wirkt das freilich merkwürdig anachronistisch. Und das liegt nicht nur an dem Krieg, den der russische Präsident Putin unter Missachtung aller völkerrechtlichen Prinzipien vom Zaun gebrochen hat. Denn die neue Koalition suggerierte bei allem Reformeifer im Detail mit diesem Slogan doch auch ein unhaltbares Versprechen der wirtschaftlichen und sozialen Kontinuität, indem sie ihr ambitioniertes Reformprogramm vor allem auf ein höchst fragwürdiges Heilsversprechen gründete, das vom »grünen Wachstum«.

Das heißt, dass der Fortschritt im Sinne einer stetigen Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als des entscheidenden Wohlfahrtsindikators weitergehen kann und soll, während gleichzeitig durch technische und organisatorische Innovationen die Beschädigung der Ökosysteme gestoppt und so Nachhaltigkeit gesichert werden kann. Wenn es denn tatsächlich stimmte, dass immer mehr BIP pro Kopf der Bevölkerung gleichbedeutend mit immer mehr erfahrbarem Wohlstand für alle wäre und wirtschaftliches Wachstum in Kombination mit technischen Innovationen einen Königsweg in die Nachhaltigkeit eröffnete, wäre dies in der Tat eine elegante Lösung all unserer sozialen und ökologischen Probleme, weil sie uns die kritische Betrachtung unseres Wirtschaftssystems und unseres Lebensstils ersparte.

Im Grunde bräuchten wir nur auf dem Pfad voranzuschreiten, den die industrielle Entwicklung inklusive einiger spektakulärer Um- und Einbrüche in den letzten zwei, drei Jahrhunderten vor uns gegangen war. Nur dass jetzt halt der Aspekt der Nachhaltigkeit dem alten Fortschritt hinzugefügt würde. Die unsere Wirtschafts- und Lebensweise prägende Steigerungslogik aber würde genauso wenig infrage gestellt wie die skandalös ungerechte Verteilung, der geplante Verschleiß, die Wegwerfmentalität und die laut Schumpeter angeblich so segensreiche »schöpferische Zerstörung«.

Dabei klang der Begriff der Zeitenwende, den Olaf Scholz in Umlauf brachte, so, als stünden wir vor einem Epochenwechsel, der etwa dem der Aufklärung vergleichbar wäre. Inzwischen wird immer deutlicher, dass die Zeitenwende allenfalls für die Bündnis- und Verteidigungspolitik gelten soll, nicht aber für die fragwürdigen ökonomischen und anthropologischen Grundannahmen unseres Wirtschaftssystems und für unseren Konsum- und Lebensstil.

Einfluss der Lobbygruppen

Zwar gibt es inzwischen auch Projekte wie die Wiedervernässung von Mooren, den Umbau von Wäldern, die Ausweisung und Erweiterung von Schutzgebieten zu Lande und auf dem Meer, Maßnahmen zur Förderung der ökologischen Landwirtschaft und zur Respektierung des Tierwohls, die der industriellen Steigerungslogik entgegen wirken.

Aber immer noch werden längst als notwendig erkannte Maßnahmen zur Verhinderung des Umweltkollapses wie die Verkehrswende, selbst wenn eindeutige Mehrheiten dafür sind, von kleinen, aber mächtigen Lobbygruppen und ihren politischen Handlangern in der Regierung verhindert.

Kein Wunder, dass immer öfter manche Menschen nicht länger zusehen wollen, wie ihre und unsere Zukunft blockiert wird, und zu zivilem Widerstand greifen. Kein Wunder auch, dass viele Menschen zunehmend den Eindruck bekommen, dass mehr Fortschritt wagen für die regierenden Grünen ebenso wie für die regierende SPD letzten Endes doch nichts anderes heißt als ein vages wirtschaftspolitisches Weiter-so, das vorgibt, den drohenden Kollaps der Biosphäre im Wesentlichen durch eine Mischung aus technischen Innovationen und beschleunigtem Wirtschaftswachstum verhindern zu können, während es für den dritten Koalitionspartner, die FDP, offenbar dabei bleibt, dass alle Probleme sich gewissermaßen von selbst lösen, wenn – unsere! – Wirtschaft nur ungehindert weiterwachsen kann.

Das »grüne Wachstum«, das wird immer deutlicher, ist eine Mogelpackung, mit der wir in den reichen Ländern uns selbst um die unangenehme Erkenntnis meinen herumdrücken zu können, dass die Zerstörung der Lebensbasis der Menschheit nur verhindert werden kann, wenn vor allem wir in den reichen Ländern unser Verhalten, unsere Wirtschafts- und Lebensweise grundlegend verändern und unserem Expansionsdrang Grenzen setzen.

Mehr als 800 Millionen Menschen leiden weltweit an Hunger, ihnen fehlt es an den elementarsten Voraussetzungen für ein würdevolles Leben. Der steigende Meeresspiegel und die Ausbreitung der Wüsten vertreiben immer mehr Menschen aus ihren angestammten Lebensräumen. Selbst in den reichen Ländern gibt es viele Millionen Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze und in prekären Verhältnissen leben. Was wenn all diese Menschen auch nur annähernd so leben würden wie die Mehrheit in den reichen Ländern? Können wir den Menschen in Indien, in Bangladesch, in Afrika und in Lateinamerika das Recht absprechen, sich zu »entwickeln« und damit die natürliche Umwelt in ähnlicher Weise zu belasten, wie wir es tun?

»Zur Entwicklung der armen Länder«, schreibt Reiner Klingholz in seinem Buch Zu viel ist zu viel. Wege aus der doppelten Überbevölkerung, »gibt es keine Alternative«. Gleichzeitig sei aber kaum zu leugnen, dass die Lebensweise des reichen Nordens keine Blaupause für den Rest der Welt sein könne, weil eine Entwicklung im Sinne der Nachahmung unserer westlichen Wirtschaftsweise und unseres Lebensstils durch die Länder der vormals sogenannten »Dritten Welt« die globalen Ökosysteme endgültig ruinieren würde.

Was können wir also in dieser Lage tun, um den Kollaps der Biosphäre doch noch zu verhindern? Kienholz bietet drei Szenarien an: Die erste Variante wäre »der nachhaltige und grüne Weg in die Zukunft«, den er allerdings nicht im Detail beschreibt, Variante zwei ein »Weiter-so« mit all den Halbheiten und nie eingelösten Versprechen und Variante drei eine dauerhafte Spaltung der Welt in Arm und Reich, die von Deglobalisierung, nationalen Egoismen, Abschottung und einer drastischen Zunahme von Flüchtlingsdramen, Aufständen und Kriegen geprägt wäre.

Eine konsequente Politik der Nachhaltigkeit hält der Autor für ebenso unwahrscheinlich wie ein bloßes Weiter-so. Die wahrscheinlichste Variante ist für ihn offenbar tatsächlich die Variante drei, die allerdings den offenen Bruch mit dem Universalismus der Menschenrechte und die Negation der Entwicklungsziele der UN bedeutete. Um den Leser nicht mit dieser deprimierenden Auskunft zu entlassen, erwägt der Autor als letzte Möglichkeit auch noch eine Kombination aus den Varianten eins und zwei. Aber selbst ein solcher halbherziger Kompromiss käme nach seiner Meinung nicht darum herum, die Schrumpfung des BIP in Kauf zu nehmen.

Andere Autoren sind bezüglich der Frage, welche Verhaltensänderungen uns um der Rettung der Biosphäre willen abverlangt werden müssen, sehr viel deutlicher. Dies gilt vor allem für die bunte Degrowth-Bewegung, zu deren in Deutschland bekanntesten Sprechern Niko Paech gehört. In seinem Vorwort zu dem Buch Degrowth. Handbuch für eine neue Ära plädiert er für eine drastische Reduktion des Umfangs von Produktion und Konsum: »Die nötigen Konzepte und Umsetzungsschritte zu einer Wirtschaft ohne Wachstum müssen 1. nicht neu erfunden werden, sondern sind längst bekannt, [und] sind 2. erschreckend einfach, nämlich technisch und ökonomisch voraussetzungslos(...)« Dennoch sei drittens eine solche Umorientierung bezüglich des Konsum- und Mobilitätswohlstands mühsam, weil sie auch und gerade für die Mehrheit der Bevölkerung in den reichen Ländern zumeist mit Verhaltensänderungen und Einschränkungen einhergehe, die allzu viele als lästig, wenn nicht gar als unzumutbar empfänden.

In ähnlicher Weise wie Paech argumentiert auch Bruno Kern in seinem Buch Das Märchen vom grünen Wachstum. Für ihn steht fest: »Ein geplanter Rückbau der Industriegesellschaft, ein gesellschaftlich ausgehandelter industrieller Abrüstungsprozess ist (…) die humane Alternative zu Zusammenbruch und Chaos.« Niko Paech fügt dem warnend hinzu: »Wenn wir den Rückbau (…) nicht selbst vornehmen, werden schicksalhafte Umstände den Job übernehmen, aber nicht mit Samthandschuhen.« Was allerdings bei beiden Autoren fehlt, sind glaubwürdige Vorschläge für ein gutes Leben nach der Ära des selbstzerstörerischen Wachstums.

Wenn die ökologische Wende demokratisch erfolgen soll, dann bleibt die entscheidende Frage: Welche halbwegs realistische Vorstellung von einem guten, womöglich gar einem besseren Leben können wir den Menschen anbieten, wenn die bisherige Wirtschafts- und Lebensweise nicht mehr haltbar ist? Die Hoffnung, es könne eine zur Vermeidung der Klimakatastrophe ausreichende Entkoppelung des wirtschaftlichen Wachstums vom Ressourcen- und Energieverbrauch und damit von der Zerstörung der Biosphäre geben, ist eine Illusion. Das bedeutet aber auch, dass die sich abzeichnende ökologische Katastrophe nicht durch eine Politik verhindert werden kann, die im Namen eines »grünen Wachstums« zugleich immer mehr Möglichkeiten zu profitabler Investition schaffen muss, damit die kapitalistische Wachstumsdynamik nicht erlahmt.

Klimaneutralität durch Konsumverzicht

Das ist auch der Punkt, an dem sich für Ulrike Herrmann in ihrem jüngst erschienenen Buch Das Ende des Kapitalismus das zentrale Dilemma der gegenwärtigen Klimapolitik ergibt: »Die Wirtschaft kann nur klimaneutral werden, wenn sie schrumpft, aber genau dieses Schrumpfen würde es fast unmöglich machen, den grünen Umbau zu finanzieren.« Die Lösung, die sie anbietet, ist ein politisch organisierter allgemeiner Konsumverzicht, wie er von den Briten beispielhaft in der Kriegswirtschaft der 40er Jahre vorgemacht wurde. Wie seinerzeit im Zweiten Weltkrieg die Briten durch verordneten Konsumverzicht möglichst viele Ressourcen für die Kriegswirtschaft freimachten, müsse auch heute die ökologische Wende durch Konsumverzicht ermöglicht werden. Das bedeute zwar das Ende des Kapitalismus, aber einen anderen Weg, die ökologische Katastrophe abzuwenden, gebe es nicht.

Dass die große Mehrheit der Menschen auch bei einem insgesamt schrumpfenden BIP gut, wenn nicht gar besser leben könnte, wenn wir zum Beispiel eine konsequente Politik der Gleichheit verfolgten, erwägt sie nicht. Wenn es gelänge, die horrend ungleiche Verteilung von Einkommen und Besitz Schritt für Schritt abzubauen, könnten wir tatsächlich allen Bürgern auch ohne Wachstum eine sichere Basis für ihren Lebensunterhalt garantieren. Zugleich, das wissen wir seit den Untersuchungen von Kate Pickett und Richard Wilkinson, die unter dem Titel Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind bereits im Jahr 2008 erschienen, dass eine gerechtere Verteilung der irdischen Güter auch ein Königsweg zu mehr Lebensfreude und Zufriedenheit ist, eine Botschaft, die gerade Sozialdemokraten zusätzlich ermuntern könnte, sich nicht länger in Geiselhaft von Wachstumsfetischisten nehmen zu lassen.

Ein entscheidender Faktor einer Politik der Abkehr vom Wachstumszwang könnte aber auch die entschlossene Revitalisierung der Nahbereiche, der Städte und Stadtquartiere, der ländlichen Räume und der Dörfer, durch Dezentralisierung von Produktion und Verwaltung im Sinne des Subsidiaritätsprinzips bei gleichzeitiger regionaler Vernetzung und überregionalem, auch internationalem Erfahrungsaustausch sein. Für die Stromversorgung könnte das zum Beispiel bedeuten, dass Solarenergie auf dem Dach, Erdwärme im Garten, Wasserkraft am nahen Bach oder Fluss bevorzugt gefördert werden und so Leitungsverluste minimiert und im Falle von Störungen die Schäden begrenzt werden.

Statt etwa die Ansiedlung riesiger Einkaufszentren im Umland zu fördern, die zur Versiegelung der Landschaft beitragen, zu mehr Autoverkehr und zur Verödung der Innenstädte führen, könnten Gemeindeverwaltungen dafür sorgen, dass Geschäfte in der Innenstadt und im Dorf überleben können, umweltfreundliche Arbeitsplätze aus den Gewerbegebieten in die Wohnbereiche zurückverlagert werden und das Kleingewerbe bevorzugt gefördert wird.

Gesellschaften, die in hohem Maße dezentral organisiert sind, machen nicht nur viele Transportleistungen überflüssig und erhöhen die Resilienz, sie können sich bei Naturkatastrophen oder Unfällen auch weitgehend auf die Selbsthilfekompetenz der Menschen verlassen, sodass ein Großteil des heutigen Sicherheitsaufwands wegfallen kann. Wir könnten für längere Haltbarkeit und Reparierbarkeit von Gütern sorgen und so den Anfall von Schrott und Müll reduzieren.

Es gibt also durchaus denkbare Alternativen zum vorherrschenden System der Wachstumswirtschaft, die nicht nur Verzicht bedeuten, die demokratisch organisierbar sind und aus guten pragmatischen Gründen die Vorteile des Marktnexus nicht preisgeben, und die ausreichend Geld und andere Kapazitäten freimachen würden, um die unter ökologischen Gesichtspunkten erforderlichen technischen und infrastrukturellen Innovationen zum Beispiel im Energie- und Verkehrssektor zu finanzieren. Sie beruhen zu einem Teil auf einer Mischung aus entmaterialisierten Dienstleistungen und flächendeckender Bereitstellung öffentlicher Güter und Infrastrukturleistungen, zum anderen auf weitgehend dezentralisierter Produktion materieller Güter und gesamtgesellschaftlich organisierter Forschung und Entwicklung. Die Digitalisierung könnte bei der Dezentralisierung in vieler Hinsicht hilfreich sein, vor allem, worauf Jeremy Rifkin schon vor 30 Jahren hingewiesen hat, der bisher in Deutschland nur sporadisch eingesetzte 3D-Druck.

Statt der einseitigen Fixierung auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität als Output pro Arbeitsstunde könnte die Konzentration auf die soziale Produktivität der Arbeit, die außer Rationalisierung und Digitalisierung der Arbeitsabläufe auch die Humanisierung der Arbeit und ihre Einbettung in die Lebenswelt berücksichtigt, eine wichtige Rolle spielen. Konvivialität im Sinne Ivan Illichs, also eine gemeinschaftliches Verhalten fördernde Grundhaltung, könnte so das zentrale Merkmal bei der Gestaltung ländlicher und städtischer Lebensräume im Rahmen eines wirklich neuen Fortschritts werden. Ob dies dann, wie Ulrike Herrmann meint, das Ende des Kapitalismus bedeutet, wird sich zeigen. Das Ende der Marktwirtschaft wäre es sicher nicht.

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