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Ein Gespräch mit Arbeitsminister Hubertus Heil über die Zukunft der Arbeitswelt nach Corona »Weckrufe sind noch kein Fortschritt«

 

NG|FH:Herr Heil, wie viel Homeoffice kann sich ein Arbeitsminister erlauben?

Heil: In der Coronazeit habe auch ich Homeoffice machen müssen, zumal an meinen Quarantänetagen. Es gab natürlich auch viele digitale Konferenzen abends, da all die sonst üblichen öffentlichen Veranstaltungen ausfielen. Ich muss aber auch sagen, dass ich in diesen Zeiten die Begegnung mit Menschen vermisst habe. Die lässt sich digital nicht ersetzen.

Haben viele sich nicht auch ganz gerne daran gewöhnt und sagen heute: Das wird ein Teil des Lebens bleiben?

Es war eine Art ungeplanter Großversuch des digitalen Arbeitens – mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen. Technisch geht viel mehr, als früher behauptet. Wobei man immer dazu sagen muss, dass es viele Menschen gibt, die das nie nutzen konnten und es nie werden nutzen können. Der Job am Hochofen oder in der Bäckerei lässt sich nicht an den Schreibtisch zu Hause verlegen. Aber bei vielen Tätigkeiten ist es eben eine Option.

Die Erfahrungen der Menschen damit ist zwiespältig, Homeoffice und Homeschooling zum Beispiel passen überhaupt nicht zusammen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwarten nicht, dass sie jetzt dauerhaft nur im Homeoffice sitzen. Wenn es für ein paar Tage möglich ist, sehen viele das auch nach der Pandemie positiv. Aber sie erwarten auch, dass Homeoffice dann nicht zur vollständigen Entgrenzung des Privaten führt. Es muss auch da mal Feierabend sein.

Die Gewerkschaften wollen das dauerhafte Recht auf Homeoffice. Ein Thema für den Minister?

Man muss diese Debatte differenziert betrachten. Ich will, dass wir den Beschäftigten – wo immer möglich – rechtlich den Rücken stärken, damit sie mobil arbeiten können, wenn sie es wollen. Unser Vorbild sind da die Niederlande. Seit 2015 können die Leute dort in ihren Firmen mobiles Arbeiten anmelden. Die Betriebe können das ablehnen, wenn es aus ihrer Sicht nicht geht. Aber sie müssen die betrieblichen Gründe darlegen. Wenn sie das nicht können oder wollen, gibt es das Recht auf mobiles Arbeiten.

Projektbezogen oder dauerhaft?

Ich will dauerhaft die individuellen Rechte stärken, auch über betriebliche Pauschalregelungen hinaus. Aber ich setze natürlich auch auf Betriebsvereinbarungen in diesem Sinne. Wir als Ampelkoalition werden einen modernen Rechtsrahmen schaffen – im Sinne der Beschäftigten, weil Arbeit besser zum Leben passen muss und wir die neuen technischen Möglichkeiten ja für sozialen Fortschritt nutzen wollen.

Bringt das eine neue Spaltung – zwischen den digitalfähigen Jobs und den anderen? Sozusagen zwischen dem Maschinenraum der Gesellschaft und dem Sonnendeck?

Fairerweise sollte man nicht etwas verwehren, nur weil es anderswo unmöglich ist. Man muss Ungleiches manchmal auch ungleich behandeln. Aus der Pandemie haben wir Daten, wonach schon jetzt 30 bis 40 Prozent der Beschäftigten die digitalen Möglichkeiten von zu Hause aus nutzen konnten. Das ist viel mehr als gedacht – und manche Vorurteile auf Arbeitgeberseite hat das auch zertrümmert. Im Jogginganzug auf dem Sofa sitzen und nicht richtig arbeiten: Diese Unterstellung ist zumindest seltener geworden. Die Produktivität hat, nach allem was wir wissen, nicht gelitten.

Und die Begegnungskultur? Die Erreichbarkeit? Der Zusammenhalt?

Auch da gibt es zwei Seiten. Individuell ist es für viele eine Option, die man gut nutzen kann. Um sich den täglichen Stau zu ersparen. Um Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren. Flexibilität also mal aus Beschäftigtensicht und nicht immer nur aus Unternehmenssicht zu denken. Auf der anderen Seite bleibt bei vielen das Bedürfnis, im Team zu arbeiten, nicht zu vereinsamen in der Arbeit. Die Entgrenzung von Arbeit und Privatleben ist ein Problem – bis hin zu Fragen der psychischen Gesundheit.

Wie berechtigt ist das Argument, dass diejenigen, die zusammenarbeiten, sich direkt begegnen sollten? Ist auch das ein Wert?

Ja, das ist es – aber es bleibt individuell und nach Berufsfeldern sehr unterschiedlich, was es bedeutet. Die Mehrheit will ja nicht dauerhaft Telearbeit machen und nur noch von zu Hause aus arbeiten. Es geht darum, Hybride zu schaffen. Mal vom Arbeitsplatz aus, mal von unterwegs oder von zu Hause. Das ist der Wunsch der großen Mehrheit.

Vor der Erfindung des Internet gab es den Begriff Heimarbeit und die prekären Umstände dabei, vor allem für Frauen. Einfache Arbeiten zu Hause, qualifiziertere und besser bezahlte im Betrieb…

Es gibt immer noch das Heimarbeitsgesetz, das Schutz bieten sollte bei bestimmten Formen der prekären Selbstständigkeit, die es im Zusammenhang mit dieser alten Heimarbeit gegeben hat. Der Schutz vor prekärer Selbstständigkeit ist speziell im Dienstleistungsbereich bis heute sehr aktuell. Aber beim digitalen Arbeiten heute geht es um etwas anderes. Wir wollen die Möglichkeiten ausweiten und zugleich klare Regeln schaffen. Das schwebt mir vor für ein Mobile-Arbeit-Gesetz.

Wer kontrolliert im Homeoffice, dass die Leute sich nicht selbst überfordern und am Ende doch rund um die Uhr arbeiten?

Ganz aus der Selbstverantwortung entlassen kann man die Menschen nie. Die Schutzverordnung für die Arbeitsplätze eins zu eins zu Hause umsetzen zu wollen, wäre lebensfremd und würde übrigens auch die Unverletzlichkeit der Wohnung durch staatliche Eingriffe berühren. Aber so etwas wie digitale Arbeitszeitaufzeichnung kann ich mir schon vorstellen…

…eine Art Stechuhr zu Hause?

Keine Stechuhr, sondern eine App.

Der Landessportbund in Berlin hat festgestellt, dass unter den Abmeldungen aus Vereinen während der Pandemie neben vielen Kindern auch viele Frauen waren. Werden es die Frauen sein, die mehr oder weniger freiwillig im Homeoffice sitzen – und wir alle fallen nebenbei in sehr traditionelle Familienbilder zurück?

Es gab diese Debatte schon während der Coronapandemie. Die Gefahr ist da. Im Klischee gesprochen: Frauen machen im Homeoffice Erwerbs- und Sorgearbeit nebeneinander; Männer schließen die Tür des Arbeitszimmers, wenn sie mal zu Hause arbeiten. Was wir in der Pandemie erlebt haben, soll natürlich nicht der Normalfall für mobiles Arbeiten sein. Besonders Kinder, die es ohnehin nicht leicht haben, hatten in dieser Zeit nicht nur technische Probleme. Bei ihnen haben zu Hause die Hilfslehrer nicht zur Verfügung gestanden.

Hier greifen für die Zukunft die Themen ineinander. Wir brauchen das Umsetzen des Rechts auf Ganztagsbetreuung an den Grundschulen dringend. Um Kinder besser zu fördern und um Gleichstellung voranzubringen. Wir setzen das mit viel Engagement von Bund und Ländern um. Es geht da um Baumaßnahmen, aber vor allem um Personal an den Kitas, damit der Rechtsanspruch in diesem Jahrzehnt überall Realität wird.

Nun hat Corona eine Digitalisierung beschleunigt, die sowieso gekommen wäre: hilfreicher Druck für ein Stück Fortschritt?

Corona hat die Defizite und die Chancen offengelegt. Die Gesundheitsämter waren nicht digitalisiert, das hat früher niemanden interessiert und war plötzlich ein Riesenproblem. Nach Putins Überfall auf die Ukraine stoßen wir an einer anderen Stelle schon wieder auf die gleiche Problematik – wenn es um die Registrierung der Geflüchteten geht und die Ausländerämter nicht digitalisiert sind. Das alles sind Weckrufe in Richtung Digitalisierung, aber die alleine ist noch kein Fortschritt. Technik braucht immer Gestaltung durch Menschen, damit aus technischem Fortschritt sozialer Fortschritt wird.

Bedeutet: Die neue Art, zu arbeiten, ist in Wahrheit ein sehr breites Gesellschaftsthema. Vom Verhältnis Stadt-Land bis hin zu der Frage, wie die Organisiertheit in Zukunft aussieht, wie Kommunikation noch funktioniert?

Von guten Beispielen kann man immer lernen – wie ich finde: mehr als von abschreckenden Beispielen. Für ländliche Räume ist mobiles Arbeiten eine Riesenchance. Die wenigsten Menschen haben zu Hause ein Arbeitszimmer, bei dem man auch mal die Tür zu machen kann. Da gibt es nun eine Bewegung hin zu Co-Working-Spaces. Man mietet oder kauft Häuser im ländlichen Raum, richtet dort Büroarbeitsplätze ein für Menschen, die sonst täglich weit pendeln müssten.

Eine der spannenden Fragen dabei ist: Wer finanziert diese flexiblen Möglichkeiten? Üblicherweise wäre es Aufgabe der Arbeitgeber. Die könnten viel Geld sparen, denn in den Innenstädten sind die Mieten weitaus höher, und ihren Fachkräftemangel durch Leute mindern, die gerne in ländlichen Gegenden wohnen. Aber die Kosten dann einfach auf die Beschäftigten zu Hause verlagern? Das positive Beispiel: Eine genossenschaftliche Bewegung versucht, die Firmen zur Mitfinanzierung solcher Angebote zu bewegen.

Aber die Büroarbeitenden kommen dann aus ihrer ländlichen Gegend auch nicht mehr raus?

Wir sollten Respekt haben vor jeder Art von Lebenswunsch. Und wir dürfen keine Spaltung zulassen zwischen denen, die in der ganzen Welt unterwegs sind und den anderen, die fest an ihren gewohnten Orten bleiben. In Großbritannien hat diese Frage in der Brexit-Debatte eine große Rolle gespielt. Wenn beide Gruppen einander nicht mehr begegnen, ist das keine gute Vision. Die Wahrheit ist ja auch: Da gibt es Mischformen. Ich bin selbst so eine. Groß geworden in einer Kleinstadt, Abgeordneter eines ländlichen Wahlkreises, Minister in der Großstadt Berlin…

… somit nicht gefesselt an die Provinz.

Die sogenannte Provinz sollte niemand verachten – denn sie ist für viele vor allem eins: Heimat. Die Abwanderung vom Land in die Städte hat nicht zuletzt dort die Mietpreise hochgetrieben. Jetzt aus einem größeren räumlichen Abstand zu den Städten heraus interessante digitale Arbeiten erledigen zu können, kann die Lebensqualität auf dem Land wieder steigern. Es wird da nie alles gleich sein. Schon heute gibt es sehr attraktive und weniger attraktive kleine Städte im Land. Wenn wir es vernünftig gestalten, ist ortsflexibles Arbeiten eine Perspektive, die wir nutzen müssen.

Welche Bedeutung hat da der Faktor Familie? Aus fortschrittlicher Sicht lange als antiquiert betrachtet, jetzt plötzlich wieder zentrales Argument?

Peter Glotz, der ja auch Chefredakteur der Neuen Gesellschaft|Frankfurter Hefte war, hat es sehr früh sehr weise in einem Buch über den digitalen Kapitalismus benannt. Fast schon prophetisch hat er sich Gedanken darüber gemacht, dass wir keine gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen Be- und Entschleunigten haben sollten. Dass insbesondere diejenigen, die Beschleunigung eigentlich gut finden, Orte brauchen, an denen sie Kraft und Zugehörigkeit erleben können. Das kann immer noch ein Verein sein, eine Familie, eine dörfliche Gemeinschaft, ein Wohnumfeld. Es ist eine zentrale Aufgabe jeder guten Politik, solche Orte zu stärken, an denen sie Gemeinschaft erleben können.

Heute wird das Problem unter dem Begriff »dritter Orte« diskutiert, die zu verschwinden drohen. Weder Familie noch Arbeit, auch nicht Co-Working-Space. Was muss die Politik anpacken, damit Begegnungsorte wieder zahlreicher werden?

Ich persönlich will und brauche beides, Außenaktivität und Rückzugsraum. Ich bin gerne in der Welt unterwegs, bin gerne in Berlin und anderen großen Städten, aber ich bin gerne auch in meiner niedersächsischen Heimat und meine Familie wohnt in einem Ort in Brandenburg. Es ist nicht nur so, dass die einen nur das eine wollen und die anderen nur das andere. Gerade in dieser Zeit der Digitalisierung brauchen wir auch Orte, an denen wir Kraft tanken, Freunde und Gemeinschaft erleben können. Diese Orte können wir als Politik nicht vorgeben. Wir müssen es aber möglichst leicht machen, sie für sich zu finden oder neu zu entwickeln. Denn andere zerfallen im Wandel, das stimmt. Bestimmte Vereine mit Nachwuchsproblemen zum Beispiel. Doch es gibt auch die Gegenbewegungen.

Die Gewerkschaften tun sich am klassischen Begegnungsort Arbeit schon lange schwer mit der rasanten Beschleunigung, europaweit. Ist das Zerfallen von Betriebsgemeinschaften in den digitalen Zeiten nicht wirklich ein schwerer Verlust?

Man kann das nur beklagen oder man kann nach neuen Wegen der Organisation suchen.

Wie schaffen wir die Betriebsgemeinschaft im Co-Working-Space?

Indem wir immer beides ermöglichen, digitales und analoges Treffen. Bis hin zur Betriebsverfassung. In der Pandemie haben wir aus der Not heraus die Möglichkeit geschaffen, dass Betriebsräte auch mal digital tagen können. Ich will nicht, dass die Arbeitgeberseite nun sagen kann: Es bleibt bei digitalen Sitzungen, was zudem Kosten spart. Es muss eine Frage der Autonomie bleiben, dass Betriebsräte selbst entscheiden, ob sie digital oder analog tagen wollen. Und wir werden ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften schaffen.

Vielleicht sind sie so bequem geworden, dass sie gerne beim Digitalen bleiben und das alte Gefühl der Gemeinschaftlichkeit gar nicht mehr vermissen?

Das Problembewusstsein ist nach meinem Eindruck vorhanden. Einerseits spart es viel Zeit, für kurze Sitzungen nicht ständig große Reisen machen zu müssen. Andererseits ist der Wunsch da, die Kolleginnen und Kollegen zu treffen. Und über manches kann man nun wirklich nicht gut am Bildschirm verhandeln. Beides muss es geben und die Menschen werden sich darauf einstellen. Wobei es für die gewerkschaftliche Organisation insgesamt natürlich eine riesige Herausforderung ist, dass die Menschen vielfältigere kulturelle Zugänge haben als früher und auch nicht mehr in den alten Formen denken.

Wie erlebt man dann in den digitalen Zeiten noch Solidarität?

Zunächst mal, indem es die tief verwurzelte Motivation der Menschen gibt, solidarisch zu sein. Und dann, indem sich dies in neuen Formen auch organisiert. Es gibt sehr gute und moderne Beispiele. Was bedeutet, neue Arten der Zusammenarbeit auszuprobieren und alte Rituale abzulegen. Inklusive intensiver digitaler Kontakte untereinander. Unsere Aufgabe ist es nicht, uns vor fahrende Züge des technischen Fortschritts zu werfen, sondern dafür zu sorgen, dass die Weichen richtig gestellt werden. Ich bin da nicht kulturpessimistisch.

Ist Partizipation digital vielleicht nur formal leichter? Letztlich setzen sich in Videositzungen umso leichter die jeweiligen Vorstände durch und Widerspruch wird generell leiser…

Ich weiß nicht, ob das wirklich so ist. Jede gesellschaftliche Bruchlinie führt dazu, dass sich Konflikte neu sortieren. Kapital und Arbeit standen seit Beginn der Arbeiterbewegung gegeneinander. Mit der ökologischen Frage kamen weitere Dimensionen dazu – bis hin zur Neugründung von Parteien. Unter dem Druck der Beschleunigung wird in Zukunft verstärkt über zwei Bruchlinien zu reden sein. Sozioökonomische Auseinandersetzungen, materielle Fragen, bleiben zentral. Da hat der Sozialstaat seine Ausgleichsfunktion, aber es muss gerade in der digitalen Welt auch jenseits des Staates Ausgleichsmechanismen geben. Wir haben dann aber auch die soziokulturellen Konflikte. Stadt–Land, Gruppen die nicht mehr miteinander kommunizieren. Deshalb ist reale Begegnung so wichtig, nicht zuletzt für die Demokratie.

Wird diese neue, immer unterschiedlicher werdende Arbeitnehmerschaft 2050 überhaupt noch gemeinsam kampffähig sein?

Ja. Wir erleben immer wieder, welche Pendelausschläge es gibt, wenn von Modernität die Rede ist. Da wird schnell behauptet, alles Gewohnte sei nur noch von gestern. So ist das nicht. Fast 20 Jahre ist es schon her, als behauptet wurde, in der modernen Arbeitsgesellschaft würden sich die Interessengegensätze auflösen, zum Beispiel die zwischen Kapital und Arbeit. Die Wahrheit ist: Auch 2050 wird es noch unterschiedliche Interessen in der Arbeitswelt geben. Das ist auch vollkommen legitim. Mich beschäftigt eher, welche Mechanismen wir dann für den Interessenausgleich haben können.

Falls es bis dahin noch hinreichend starke Arbeitsorganisationen gibt. Steht das Modell der Tarifbindung in manchen Branchen nicht schon jetzt vor dem Kollaps?

Der Rückgang der Tarifbindung auf nur noch 48 Prozent der Beschäftigten ist tatsächlich ein Problem der vergangenen Jahre, mit deutlichen Unterschieden regional sowie zwischen den alten Großbetrieben und dem Dienstleistungsbereich. Gleichzeitig gibt es neue Interessensgegensätze untereinander auf der Arbeitgeberseite. Beide Tarifpartner haben es nicht geschafft, den Trend umzukehren. Was können wir tun? Erstens eine klare Erwartungshaltung gegenüber beiden haben, zweitens als Staat den Rahmen für mehr Tarifbindung setzen. Wir haben nicht nur den Mindestlohn erhöht. Wir werden endlich auch dafür sorgen, dass öffentliche Aufträge des Bundes – wie bei vielen Ländern – nur noch an Unternehmen gehen, die nach Tarif bezahlen. Das ist ein klarer Anreiz. Aber ich erwarte von Arbeitgebern und Gewerkschaften auch, dass sie selbst uns Vorschläge machen, wie wir die Tarifbindung und damit auch modernere Formen von Interessensausgleich stärken.

Das alles sind gesellschaftlich betrachtet ziemlich große Fragen. Zu kompliziert neben all dem ständigen aktuellen Krisenmodus?

Es stimmt, eine Krise folgt auf die andere. Seit ich im Bundestag bin: Kosovo-Krieg, 9/11, Finanzkrise, Fluchtbewegungen, Corona, Ukraine. Die neue Frage dazu ist nun: Wie resilient, wie widerstandsfähig ist unsere Gesellschaft? Die akute Herausforderung für uns, die wir eine Fortschrittskoalition sein wollen, lautet: Ist das überhaupt eine Zeit für Fortschritt oder müssen wir alle Kraft ins Krisenmanagement stecken? Es ist eine sehr akute Frage – bezogen auf Kapazitäten, Finanzen, Vorhabenplanung.

Auch der Krieg ist jetzt wieder so ein neues Brennglas. Wir diskutieren über die Beschleunigung der Energiewende. Wir diskutieren über die Versorgung der Geflüchteten, über die Anerkennung von Qualifikationen für den Arbeitsmarkt. Da waren wir seit 20 Jahren nicht schnell genug. Jetzt müssen wir schnell werden – im eigenen Interesse übrigens. Krise meistern und Fortschritt machen ist die doppelte Aufgabe.

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