Stellen wir uns dazu einmal folgendes Zukunftsszenario vor (vielleicht für das Jahr 2040): Fast alle Autos fahren elektrisch, der Strom kommt aus erneuerbaren Energien. Auch die meisten Lkw sind elektrisch unterwegs (mit Batterie, Brennstoffzelle oder Oberleitung). Die Klimaschutzziele wurden erreicht, und die Schadstoffimmissionen in den Städten deutlich reduziert. Und sonst? Hat sich wenig bis gar nichts verändert. Es gibt 50 Millionen Autos in Deutschland, die überall in den Städten am Straßenrand oder auf den Gehwegen herumstehen. In ländlichen Regionen gibt es keine wirkliche Alternative zum eigenen Auto, weil der öffentliche Verkehr nur wenige Male pro Tag oder gar nicht fährt. Immer noch sterben Jahr für Jahr viele Menschen im Straßenverkehr durch hohe Geschwindigkeiten auf Autobahnen oder als Radfahrer und Fußgänger in Städten. Manche Haushalte können sich drei Autos leisten – andere gehen zu Fuß, weil ihnen das Ticket für den öffentlichen Verkehr zu teuer ist. Vom Straßenverkehrslärm sind vor allem die einkommensschwächeren Haushalte betroffen, die öfter an stark befahrenen Straßen wohnen. Dieses Zukunftsszenario ist nicht weit hergeholt, sondern beschreibt eine Fortschreibung des Status quo – nur ohne den Verbrennungsmotor. Es soll deutlich machen: Wenn man Klimaschutzpolitik im Verkehr isoliert betreibt, dann können soziale Ziele aus dem Blickfeld geraten. Denn Mobilität und damit die Erreichbarkeit von alltäglichen Zielen ist eine wesentliche Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Sie sollte möglichst unabhängig von Wohnort, Geschlecht, Einkommen und gesundheitlichen Einschränkungen gewährleistet werden. Ein Austausch von klimaschädlichen durch klimafreundliche Technologien allein reicht nicht aus, wenn die Verkehrswende auch sozial gerecht sein soll.
Klimaschutzpolitik im Status quo
Bisher werden Klimaschutzinstrumente bei der Erstellung von Klimaschutzprogrammen meist nur nach ihrem CO2-Minderungsbeitrag bewertet. Je mehr CO2 ein Politikinstrument einspart, desto »besser« ist es. Wer von den Instrumenten profitiert und was das für die gesellschaftliche Teilhabe bedeutet, wird eher selten berücksichtigt. Wenn überhaupt, dann wird betont, dass »Mobilität nicht eingeschränkt« werden darf. In dieses Bild passt auch die Klimaschutzpolitik der letzten Jahre unter dem Motto »Fördern statt Fordern«. Es wurden viele Milliarden Euro in Kaufprämien für Pkw und Lkw gesteckt, auch der öffentliche Verkehr und die Schiene wurden unterstützt. Privilegien für den Pkw wurden jedoch kaum eingeschränkt. Dabei ist eigentlich klar: Fördern ohne Fordern ist nicht besonders effektiv, und langfristig sind diese Förderprogramme kaum finanzierbar. Und der weiter starke Fokus auf den Pkw als das zentrale Verkehrsmittel vernachlässigt die Realität vieler Menschen, die sich kein Auto leisten können oder aus Gründen wie Alter und Gesundheit auf die Nutzung von Fußverkehr und öffentlichem Verkehr angewiesen sind. Immer mehr Menschen möchten auch bewusst ihren ökologischen Fußabdruck verringern, scheitern aber an den Rahmenbedingungen.
Eine fundierte wissenschaftliche Bewertung sozialer Wirkungen kann dazu beitragen, die öffentliche Debatte zu versachlichen, anstatt Soziales und Klimaschutz mittels verkürzter Darstellungen oder Einzelbeispielen gegeneinander auszuspielen. So wurde in den Medien bei der Diskussion um die Einführung von CO2-Preisen im Verkehr das Bild der »alleinerziehenden Pendlerin auf dem Land« herangezogen, die von steigenden Kraftstoffkosten besonders betroffen wäre. Tatsächlich kann die Verteuerung des Autofahrens auf dem Land bei einigen Haushalten zu sozialen Härten führen, wenn es nicht genug Alternativen zum Pkw gibt. Für solche Fälle müssen Härtefallregelungen getroffen werden. Allerdings ist der durchschnittliche Pendlerhaushalt tendenziell besserverdienend und überdurchschnittlich groß. Die kürzlich beschlossene Erhöhung der Entfernungspauschale hilft zwar auch der alleinerziehenden Pendlerin auf dem Land – vor allem aber einer großen Menge von ohnehin gutverdienenden Haushalten. Die Entfernungspauschale ist dabei nicht das einzige Beispiel für eine ökologisch kontraproduktive Subvention, von der vor allem einkommensstarke Haushalte profitieren. Noch regressiver ist die niedrige Besteuerung von Dienstwagen, denn fast die Hälfte aller privat genutzten Dienstwagen gehört den einkommensstärksten 20 % der Haushalte. Auch vom vergünstigten Dieselsteuersatz profitieren diese Haushalte besonders, denn sie verbrauchen etwa dreimal so viel Diesel wie die einkommensschwächsten 20 %. Auch die E‑Pkw-Kaufprämien kommen vor allem besserverdienenden Neuwagenkäufern zugute.
Diese Beispiele zeigen, dass soziale Gerechtigkeit als Kriterium bei der Bewertung von Klimaschutzinstrumenten stärkere Relevanz bekommen sollte. Damit Klimaschutzpolitik zukunftsfähig ist, muss sie auch soziale Ziele mit im Blick haben (ohne dass sie Sozialpolitik ersetzen kann und sollte!).
Politikinstrumente
Wie also könnte eine sozial gerechte und finanzierbare Verkehrswende aussehen? Zwei zentrale Hebel sind dafür wichtig: Zum einen sollten unökologische und unsoziale Privilegien abgebaut werden. Zum anderen sollte die Teilhabe an einer ökologischen Verkehrswende für alle durch einen verbesserten Zugang zu umweltfreundlichen Mobilitätsoptionen ermöglicht werden. Durch eine solche Kombination von Fördern und Fordern ergibt sich ein effektiver und auch langfristig finanziell tragbarer Politikmix.
An unökologischen und unsozialen Privilegien im Verkehrssektor mangelt es nicht. Drei Instrumente mit hohem Verbesserungsbedarf sind die Besteuerung von Dienstwagen, die Kfz-Steuer und die Entfernungspauschale. Ihre Umgestaltung kann mehr Klimaschutz und mehr soziale Gerechtigkeit gut miteinander kombinieren.
Dienstwagen werden über die 1 %-Regel pauschal besteuert. Hinzu kommt, dass vom Unternehmen Tankkarten zur Verfügung gestellt werden, d. h. die Dienstwagenbesitzer zahlen auch bei privater Nutzung keine Betriebskosten. Die Steuern für die private Nutzung von Dienstwagen sollten so erhöht werden, dass sie den wahren Wert der Nutzung widerspiegeln – z. B. indem die private Fahrleistung besteuert wird oder der Steuersatz von 1 % auf 1,5 % erhöht wird. Aus Klimaschutzsicht ist die Förderung von Plug-in-Hybriden im Rahmen der Dienstwagenbesteuerung kontraproduktiv, da es kaum einen Anreiz zum Laden gibt, wenn die Kraftstoffkosten vom Arbeitgeber übernommen werden, und daher die tatsächlichen CO2-Emissionen der Fahrzeuge sehr viel höher sind als nach dem offiziellen Testzyklus. Diese Förderung sollte daher so schnell wie möglich beendet oder zumindest an einen hohen elektrischen Fahranteil gekoppelt werden.
Die Kfz-Steuer in Deutschland ist im europäischen Vergleich niedrig; eine Neuzulassungssteuer, wie es sie in vielen anderen Ländern gibt, fehlt ganz. Die Kfz-Steuer wird in Deutschland seit Januar 2021 stärker nach dem CO2-Ausstoß gespreizt, wobei vor allem hoch emittierende Fahrzeuge mehr zahlen müssen. Das Niveau ist aber weiterhin viel zu gering. Ein SUV mit 200 g CO2/km zahlt in Deutschland ab 2021 pro Jahr 70 Euro mehr Kfz-Steuer (280 statt 210 Euro für die CO2-Komponente). In den Niederlanden würden für so ein Auto zunächst einmal mehr als 10.000 Euro Neuzulassungssteuer fällig werden, für einen Diesel sogar mehr als 20.000 Euro. Wenn man die CO2-Komponente in Deutschland um einen Faktor 5–10 erhöhen würde, gäbe es für Neuwagenkäufer einen Anreiz, sich anders zu entscheiden. Mit den zusätzlichen Steuereinnahmen könnte dann die Kaufprämie für Elektroautos gegenfinanziert werden.
Auch die Entfernungspauschale könnte ökologisch umgestaltet werden. Beispielsweise könnte für die Nutzung des Pkw nur noch die Hälfte der Pauschale gezahlt werden – es sei denn, die Nutzung des öffentlichen Verkehrs ist keine zumutbare Alternative und würde die Fahrtzeit um mindestens 30 oder 45 Minuten verlängern.
Umweltfreundliche Mobilitätsoptionen für alle
Wesentlicher Pfeiler für eine Verkehrswende ist ein gutes Angebot an öffentlichem Verkehr sowie gute Infrastrukturen für den Fuß- und Radverkehr. Dass die Mittel dafür in letzter Zeit deutlich aufgestockt wurden, ist ein wichtiges Signal. Aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen geändert werden, um umfassende Veränderungen überhaupt zu ermöglichen. In der Straßenverkehrsordnung und im Straßenverkehrsgesetz sollten anstelle der bisherigen Ausrichtung an der »Flüssigkeit des Verkehrs« der Umweltschutz, die städtebauliche Entwicklung und die Reduktion von Gefahren als Ziele verankert werden. Die Gemeinden werden bisher durch die engen Vorschriften der Straßenverkehrsgesetzgebung in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt. Sie sollten mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten bei Entscheidungen über Parkraumbewirtschaftung, Vorrangregelungen für den ÖPNV und bei der Einführung von verkehrsberuhigten und autofreien Zonen bekommen. Außerdem sollten einheitliche Mindestkriterien für die Anbindung an den öffentlichen Verkehr entwickelt werden, die auch im ländlichen Raum ein verbessertes Angebot sicherstellen. Ansätze, wie ein verbesserter öffentlicher Verkehr im ländlichen Raum aussehen könnte, gibt es bereits – von sogenannten »Plusbussen«, die in guter Taktung die zentralen Orte verbinden, bis zu On-Demand-Systemen für den Verkehr in der Fläche.
Um auch für Menschen mit niedrigem Einkommen ein Mindestmaß an Mobilität sicherzustellen, sollten flächendeckend Sozialtickets zu einem Preis von unter einem Euro pro Tag angeboten werden. Bisher liegen die Preise für Sozialtickets teilweise oberhalb des ALG‑II-Regelsatzes für öffentlichen Verkehr, sie gelten nur zu bestimmten Uhrzeiten oder schließen bestimmte Verkehrsmittel wie S-Bahnen aus.
Infrastrukturausbau, Elektrifizierung des Fahrzeugbestands und sozialer Wandel sind Prozesse, die nicht von heute auf morgen gelingen können. Um in den nächsten zehn Jahren den notwendigen Klimaschutzbeitrag im Verkehrsbereich zu erreichen und gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen durch gute, umweltfreundliche Mobilitätsoptionen zu verbessern, sind jedoch die Weichenstellungen in den nächsten zwei bis vier Jahren entscheidend.
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