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Über Beharrungskräfte und den Kampf der Frauen Weil nichts unmöglich ist …

 

»Glaube nicht, es muss so sein, weil es nie anders war.

Unmöglichkeiten sind Ausflüchte für sterile Gehirne.

Schaffe Möglichkeiten!«

(Hedwig Dohm, 1831–1919)

 

Füge dich nicht, denke nach und dann handle. Oder, um es weniger brav zu sagen: Kämpfe! Es gibt wohl kaum einen schöneren Satz als den oben zitierten von Hedwig Dohm aus dem Jahr 1910, um uns zu ermutigen. Uns klar zu machen, dass wir uns nicht abfinden dürfen mit den Verhältnissen, sondern für unsere Rechte aufstehen müssen. Es ist ein emanzipatorischer Auftrag, den uns die frühe Frauenrechtlerin hinterlassen hat. Und eine Botschaft, die als Motto über all dem stehen könnte, was Frauen in über 100 Jahren bewegt haben.

Im Kern geht es hier um eine noch immer geltende Erkenntnis: Noch nie wurden Frauen Rechte zugestanden, die sie nicht einforderten. Noch nie wurden ihnen Freiheiten geschenkt, höchstens gewährt. Und stets wurde ihnen nur so viel an Chancen eingeräumt, wie sie mit aller Macht beanspruchten – und wofür sie bereit waren, zu streiten. Oder sogar zu sterben, wie Olymp de Gouges. Im Zuge der Französischen Revolution versuchte es die erste Kämpferin für Gleichberechtigung mit einer »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin«. Das kostete die 45-Jährige den Kopf.

Für die Frauenrechtlerinnen, die sich im 19. Jahrhundert engagierten, die für Wahlrecht, Bildung und Berufsarbeit eintraten, ging es nicht ganz so lebensbedrohlich zu. Doch auch sie wurden unendlich angefeindet, als unweiblich verhöhnt und immer wieder körperlich attackiert. Zugegeben: Auch ihnen waren viele Mittel und unterschiedliche Strategien recht, um ihrem Ziel näherzukommen. Mal waren sie diplomatisch, mal lautstark, mal militant. Sie wollten sich von Objekten der Geschichte zu Subjekten wandeln.

Also sammelten sie Unterschriften und übten sich im Lobbyismus, sie organisierten Straßenproteste und Demonstrationen, sie riefen zum Steuerboykott auf, verprügelten Abgeordnete und warfen Schaufenster ein. Viele dieser Kämpferinnen waren mutig, einige kompromisslos bis zum Hungerstreik. Bis Frauen das Recht eingeräumt wurde, zu wählen und gewählt zu werden – in Deutschland im Jahre 1918 – hatten die despektierlich als »Blaustrümpfe« bezeichneten Frauen die traditionelle weibliche Rolle bereits kräftig erschüttert und viele Gefechte hinter sich.

Folgt man den historischen Linien von der ersten Frauenbewegung bis hin zum heutigen Tag, dann lässt sich zweifellos feststellen: Seitdem sich Frauen auf den Weg gemacht haben, um ihre Hälfte der Welt zu erobern, haben sie die Erde bereits mehrfach umrundet. Männer hingegen, so der Eindruck, stehen noch immer an der Haltestelle und warten auf den Bus, der sie wieder in die alten Zeiten zurückbringt.

Frauen waren bislang also sehr erfolgreich bei ihrem Streben nach Emanzipation. Dies scheint ein hoffnungsvoller Befund zu sein. Doch er kann auch über die noch immer immense Ungleichheit zwischen den Geschlechtern hinwegtäuschen. Ein Ungleichgewicht, das brutal ausgeprägt in archaisch-patriarchalen Gesellschaften herrscht, in abgeschwächter Form aber auch in männlich dominierten Strukturen. Denn so viel an weiblicher Freiheit und Selbstbestimmung im vergangenen Jahrhundert hinzugewonnen wurde, so wenig ist es gemessen an dem, was noch aussteht. Und dass die männliche Welt ihren Machtanspruch weiterhin mit unglaublichen Beharrungskräften verteidigt – mal mehr, mal weniger gewalttätig – macht die Aussichten keineswegs besser.

Was ist mit all den Mädchen in Asien, deren Leben nicht halb so viel wert ist, wie das ihrer Brüder? Die gar nicht erst zur Welt kommen dürfen oder nach der Geburt vernachlässigt werden bis hin zum Tod. Was ist mit den afrikanischen Mädchen, die beschnitten und ihrer Sexualität beraubt werden? Was mit den Mädchen und Frauen in muslimischen Ländern, die im Namen der Mannesehre eingesperrt, verschachert, gesteinigt werden? Was passiert mit all den Mädchen und Frauen in Kriegsgebieten, die die ersten Opfer von Siegern und Besiegten sind? Mit all denen, die von Bildung und Gesundheitsvorsorge ferngehalten werden? Mit denen, die im häuslichen Umfeld körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt sind? Und muss noch betont werden, dass Frauen weltweit nach wie vor als Sexobjekte betrachtet werden – Vergewaltigungen und alltägliche sexuelle Belästigung inbegriffen?

Sexismus ist ein Seismograf für weibliche Selbstbestimmung, ein Indikator, wie viel Ichsein den Frauen in einer Gesellschaft zugestanden wird. Dazu zwei aktuelle Schlaglichter über den jämmerlichen Bewusstseinsstand in Sachen Sexismus hierzulande. Denn auch in einer sogenannten aufgeklärten Gesellschaft gibt es keinen Konsens, dass sexistische Einstellungen das Leben von Frauen beeinträchtigen, bedrohen oder gar auslöschen. Seit im Oktober vergangenen Jahres die #MeToo-Kampagne in den USA startete, seit in den darauffolgenden Monaten in verschiedensten Ländern prominente Männer der sexuellen Belästigung, Nötigung oder Vergewaltigung bezichtigt wurden, schien ein Ruck durch die globalisierte Öffentlichkeit zu gehen. Bis dahin, dass eine marokkanische Bloggerin die Bekenntnisfrage auf die Spitze trieb: Sie forderte die Frauen in ihrem Land netzöffentlich auf sich zu outen – doch nicht die Vielen waren gemeint, die sexuelle Gewalt erlitten hatten, sondern die Wenigen, die diese Erfahrung noch nie gemacht hatten.

Über Jahrzehnte war die Sexismus-Debatte ein konjunkturelles Phänomen. Sie kam immer mal wieder auf, wurde mehr oder weniger heftig geführt, um dann erstaunlich schnell zu versanden. So geschehen mit der hiesigen #aufschrei-Kampagne, die auf Vorwürfe gegen den FDP-Politiker Rainer Brüderle folgte. So geschehen mit der Empörung französischer Frauen nach der Festnahme des IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn, dessen sexuelle Übergriffe über Jahrzehnte hinweg durch sein politisches und mediales Umfeld gedeckt worden waren.

#MeToo hält sich zäher. Die Verleihung der Grammys in diesem Jahr war ebenso wie die der Golden Globes ein starkes Statement gegen Frauenfeindlichkeit – von der nicht nur die Musik- und Filmbranche ein hässliches Lied zu singen weiß. Seit Monaten melden sich aus fast allen Teilen der Welt die unterschiedlichsten Frauen zu Wort, um über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt zu berichten. Wohl noch nie ist die globale Struktur von Frauenverachtung derart transparent geworden.

Dennoch sagten in einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Allensbach-Instituts mehr als die Hälfte der deutschen Männer, dass »die ganze Debatte über sexuelle Belästigung« übertrieben sei. Bald müssten Männer ja Angst davor haben, Frauen ein Kompliment zu machen. Auch mehr als ein Drittel der Frauen vertraten diese Haltung. Fast noch abstruser erscheint das deutsche Selbstverständnis an anderer Stelle. Mitten hinein in die Debatte über den fatalen Objektcharakter, der Frauen zugeschrieben wird, platzte Ende Januar die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises. Und zwar mit einem sexistischen Statement sondergleichen: Eröffnet wurde die Veranstaltung von einem Ballett fast nackter Frauen, die in Bananenröckchen vollständig bekleidete Männer umtanzten.

Während also Kulturschaffende bei Großveranstaltungen in den USA ganz in Schwarz erscheinen, um sich massenhaft mit #MeToo zu solidarisieren, hat die Branche hierzulande offenbar nichts begriffen. Und dass, obwohl auch einer der bekanntesten deutschen Film- und Fernsehregisseure am Sexismus-Pranger steht. (Fast unnötig zu erwähnen, dass unter den vielen Gewinnern des diesjährigen Fernsehpreises auch diesmal nur ganz wenige Gewinnerinnen waren.)

So wie #MeToo die großen Themen »Weibliche Selbstbestimmung« und »Recht am eigenen Körper« verhandelt, macht die Kampagne darüber hinaus deutlich: Wer die sogenannte Frauenfrage stellt, wer die Verhältnisse auf Gerechtigkeit und Gleichbehandlung der Geschlechter abklopft, untergräbt die herrschende Ordnung in praktisch allen Gesellschaften. Das macht weibliche Emanzipationsbewegungen von jeher so verhasst – und so gefährlich für die Profiteure des Systems, die beileibe nicht nur männlich sind.

Hier werden Beziehungen hinterfragt, die ein soziales System grundlegend prägen: Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen bestimmt die gesellschaftliche Organisation von Arbeit, Macht, Wissen und Reproduktion. Dabei ist dieses Verhältnis keineswegs natürlich vorgegeben, sondern historisch geformt und gesellschaftlich tradiert. Wohl kaum eine Erkenntnis der feministischen Wissenschaft hat sich dermaßen im politischen Raum durchgesetzt wie die Unterscheidung von Sex und Gender: die Differenz zwischen biologischem und sozialem Geschlecht. Es ist die Konstruktion des sozialen Geschlechts, die entscheidet, wie eine Gesellschaft funktioniert und was sie zusammenhält, wie Konflikte gelöst und Ressourcen verteilt werden, welche Potenziale und wie viel individuelle Entfaltungsspielräume es gibt. Dies lässt sich an einem banalen Beispiel wunderbar illustrieren. Frauen streiten seit mehr als 100 Jahren für Gleichheit und scheitern trotz allem noch immer an den scheinbar kleinen Dingen – zum Beispiel der Hausarbeit. Hausarbeit als Maßstab? Und ob! Denn im Haushalt geht es um so wichtige Dinge wie unbezahlte Arbeit, Zeit und Geld für Berufsarbeit, Zahl der täglichen Arbeitsstunden, Verfügung über Freizeit für Erholung, Hobbys, soziales oder politisches Engagement usw.

Und wer sich daraufhin den neuesten Gleichstellungsbericht der Europäischen Union ansieht, weiß nicht, ob er aus Verzweiflung lachen oder in Tränen ausbrechen soll. Denn in Europa kümmert sich nur jeder dritte Mann eine Stunde pro Tag oder mehr ums Kochen und den Haushalt. Jeder dritte! Den Löwenanteil der Arbeit erledigen nach wie vor Frauen – unabhängig davon, wie viel Zeit sie im Beruf verbringen und mit allen Konsequenzen für ihr übriges Leben. Und selbstverständlich werden nicht alle Frauen zu dieser ungerechten Verteilung gezwungen. Die meisten nehmen diese Rolle offenbar an, vielleicht murrend aber offensichtlich ohne wirksame Gegenwehr.

Auch solch schlichte Wahrheiten müssen Frauen im Blick haben, wenn sie – sei es mit Wut oder Bedauern – nach mehr als 100 Jahren Freiheitsbestrebungen feststellen: Männer haben die Macht, das Geld und die Aufmerksamkeit. Noch immer. Männer konstruieren die Uhren, nach denen die Gesellschaften ticken. Sie sitzen an den Hebeln der Wirtschaft, bestimmen die politische Agenda, kontrollieren das Privatleben.

Ob in der Arbeitswelt oder der Kultur, ob in Parlamenten, Gotteshäusern, Universitäten oder Medien – der männliche Teil der Gesellschaft besitzt die Deutungshoheit, dreht das große Rad und häuft die Vermögen an. Das männliche System entscheidet über weibliche Freiheit, Sicherheit, Würde und Unversehrtheit. Weltweit. Und Frauen lassen sich dabei oft zu Komplizinnen einer Ordnung machen, die sie gleichzeitig unterdrückt.

Muss das zu Resignation oder Lähmung führen? Keineswegs! Weibliche Emanzipation auf eine »Noch-nicht«-Erzählung zu verkürzen – noch immer nicht frei, selbstbestimmt, sicher etc. – ist falsch und geht am Lebensgefühl vieler Frauen vorbei. Zudem wird dabei unterschlagen, was aus dem Aufbruch der Frauen geworden ist: Längst dreht es sich nicht mehr nur um die Verbesserung weiblicher Lebensverhältnisse, sondern um eine Bewegung, die interkulturelle und intersektionale Feminismen ebenso im Blick hat wie LGBTTIQ. Mittlerweile sind universelle Zukunftsentwürfe und Antworten auf die Krisen einer globalisierungsgeschüttelten Welt im Blick.

Offenbar geht es auf dem Weg zu Freiheit und Selbstbestimmung nur im Krebsgang voran: mal vorwärts, mal rückwärts oder auch seitwärts. Mal sprunghaft, mal mühselig langsam, mal gänzlich stockend. Dabei war die Geschichte der Geschlechter stets geprägt von Konflikt und Kooperation, Dominanz, Widerstand und Zusammenprall. Daran wird sich sicher nichts ändern. Dennoch ist auch in Zukunft nichts unmöglich, wenn wir es wirklich wollen. An Ausflüchten für sterile Gehirne können wir uns nicht aufhalten.

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