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© picture alliance / Zoonar | Terry Papoulias

Über die notwendige Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Welche Medien braucht die Demokratie?

Freie und unabhängige Medien sind neben freien Wahlen unverzichtbar für unsere Demokratie. Am Anfang aller Überlegungen stehen deshalb für mich die folgenden Fragen: Welche Medien braucht die Demokratie? Brauchen wir in der digitalen Welt noch Zeitungen oder reichen die Schnipsel in den sozialen Netzwerken? Ersetzt die Kurzversion von Nachrichten auf TikTok oder Instagram eine komplette Nachrichtensendung? Welche Rolle hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk? Wie muss sein Auftrag heute und in Zukunft formuliert sein und wie soll er erfüllt werden?

Wo Menschen keine vertrauenswürdigen Qualitätsmedien mehr konsumieren, schwindet die Demokratie. Das wird leider schon jetzt auf unterschiedliche Art und Weise sichtbar, insbesondere in den USA. Wenn die Wahlbeteiligung sinkt, wenn Falschmeldungen ungehindert verbreitet, populistische Parolen nicht mehr auf den Wahrheitsgehalt hinterfragt werden, wenn Diskriminierungen und Diffamierungen niederschwellig Platz greifen, sind dies Signale, die Sorgen bereiten und die wir sehr ernst nehmen sollten. Wenn TV-Teams Personenschutz benötigen, wenn sie über Versammlungen berichten oder wenn Journalistinnen und Journalisten sowie Politikerinnen und Politiker mit Hass und Hetze überzogen werden, müssen wir handeln.

Mit Sorge sehe ich, dass unsere freien Medien immer weiter unter Druck geraten: Bei den Zeitungen ist die Lage, wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Situation und der Preisentwicklung bei Papier, Druckplatten und Zustellung dramatisch. Viele Abonnentinnen und Abonnenten wägen ab, ob sie sich das noch leisten können. Werbekunden sind auf die Plattformen abgewandert. Gerade letzteres gilt auch für die Radiobranche. Das alles führt dazu, dass auch einzelne Politikerinnen und Politiker sowie Regierungen als Institutionen Medien anders nutzen. Es werden eigene Videos und Podcasts über die Plattformen und Netzwerke verbreitet. Querdenker betreiben in geschlossenen Benutzergruppen eigene Channels. Das alles »informiert« zwar auch, aber immer subjektiv und tendenziös, nicht objektiv und verlässlich.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist im dualen Mediensystem eine Säule neben den privaten Medien und steht in einem besonderen Fokus. Dies hat zwei wesentliche Gründe: Zum einen ist sein Auftrag nichts Geringeres, als die gesamte Bevölkerung mit Informationen, Kultur, Bildung, Beratung und Unterhaltung grundzuversorgen. Um diese demokratisch wichtige Funktion frei und unabhängig sicherstellen zu können, muss zum anderen auch die Finanzierung frei von staatlicher oder anderer Einflussnahme gewährleistet sein. Die Höhe der zweckgebundenen Beitragsfinanzierung wird deshalb nicht von der Politik, sondern durch eine unabhängige Expertenkommission, die KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs) errechnet und dann von 16 Landesparlamenten ratifiziert. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Verfahren bisher immer bestätigt. Politisch motivierte Abweichungen wurden als verfassungswidrig verworfen.

In ganz Europa ist der Druck auf die »public service media« spürbar. Die Volksabstimmung zu No-Billag in der Schweiz, die zum Ziel hatte, die Gebühren für Radio und Fernsehen abzuschaffen, oder die Äußerungen des ehemaligen britischen Premierministers Boris Johnson und seines Beraters Dominic Cummings über eine Abonnementfinanzierung der BBC haben Breitenwirkung erzielt. Auch in Deutschland geht es nicht allein um eine zusätzliche Vertrauenskrise, die durch den RBB-Skandal ausgelöst wurde. Es geht um eine breitere, diffuse Kritik. Pauschale Forderungen, nach einer »Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR)« werden in den Raum gestellt, ohne dass die Reformziele klar definiert werden. Für die einen geht es darum, dass der Beitrag nicht weiter steigt, für andere darum, dass sie die Rolle der Medien als »watchdog« lästig bis störend empfinden.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland genießt vielen Studien zufolge allgemein ein hohes Ansehen und viel Vertrauen, dennoch nimmt die Akzeptanz bei Jüngeren deutlich ab. Sie konsumieren zwar einzelne Angebote des Onlineformats FUNK über Drittplattformen, nehmen aber lange nicht mehr die Quelle, also den öffentlich-rechtlichen Ursprung des Angebotes wahr; eine Wahrnehmung, die anfangs sogar zur Strategie bei FUNK gehörte, der man inzwischen aber zunehmend versucht gegenzusteuern.

Auch der Zeitungsmarkt ist betroffen

Diese kurze, kritische Analyse macht deutlich, dass wir in unserer Demokratie auch weiterhin unbedingt freie und unabhängige Medien brauchen. Sie veranschaulicht aber auch, dass Lösungen nicht auf einfache und schnelle Art zu finden sind und wir nicht nur den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Blick nehmen dürfen. So braucht zum Beispiel auch der Zeitungsmarkt unsere Aufmerksamkeit. Die Zeitungen benötigen Zeit, um die Leserschaft an die digitalen Angebote zu gewöhnen. Deshalb muss das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel der Förderung flächendeckender periodischer Presseerzeugnisse schnellstmöglich umgesetzt werden. Dies kann, wie in anderen europäischen Ländern, mit einer Zustellförderung, gekoppelt an Kriterien, rasch passieren. Die Förderung kann degressiv ausgestaltet sein, denn es geht in erster Linie darum, Zeit zu gewinnen, bis sich noch mehr Menschen von Papier auf digitale Abonnements eingestellt haben.

In Deutschland wurde nach den Erfahrungen der Nazidiktatur ein dezentraler und föderaler Rahmen für die Medienpolitik geschaffen. Unser System setzt auf Staatsferne und Selbstregulierung. Selbstbewusst füge ich hinzu: Das duale Mediensystem in Deutschland mit einem starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat für mich trotz mancher Kritik Modellcharakter, weil es das freieste und unabhängigste Mediensystem ist. Dennoch müssen wir mutige Reformschritte gehen, stehenzubleiben wäre eine Option, die die Demokratie schädigen könnte.

Die großen Herausforderungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks können dabei nur gemeinsam durch die Länder, die Anstalten und ihre Gremien, aber vor allem mit den Nutzerinnen und Nutzern, dem Publikum und der Hörerschaft bewältigt werden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk »must be loved and used«. Eine starke, auch emotionale Verankerung in der Gesellschaft ist elementar für ein Angebot, dass »public service« als Teil seiner DNA versteht.

Wie kann dies gelingen? Erstens: Die Mehrheit der Gesellschaft muss die Angebote gerne und selbstverständlich auf allen Verbreitungswegen nutzen. Die gesetzlichen Regelungen im Medienstaatsvertrag schaffen hier Raum für mehr Flexibilität. Diesen Raum müssen die Anstalten im Dialog mit den Aufsichtsgremien nutzen. Qualität muss dabei vor Quantität stehen. Wie viele Spartenkanäle, Hörfunkprogramme, Apps notwendig sind, um den Auftrag zu erfüllen, muss im Sinne der Auffindbarkeit, der tatsächlichen Nutzung und der Wirtschaftlichkeit überprüft und konsolidiert werden.

Zweitens: Der ÖRR muss durch Qualität überzeugen; Inhalte müssen konstruktiv und faktenbasiert den gesellschaftlichen Informationsauftrag erfüllen. Mit einem weltweiten Korrespondentennetzwerk ist eine exquisite Basis für eine globale Einordnung von Ereignissen und Entwicklungen gegeben. Es besteht aber auch die klare Erwartung, Nachrichten und Kommentar klar zu trennen. Haltungs- und Meinungsjournalismus wird abgelehnt. Das wurde von den Menschen in den verschiedenen Beteiligungsverfahren zu den Staatsverträgen der Länder immer wieder eingefordert. Die Interaktion mit dem Publikum muss verstetigt werden, damit solche Anregungen aufgenommen und umgesetzt werden.

Drittens: Die Inhalte müssen die Menschen ohne kommerzielle Datennutzung erreichen. Vor allem bei den Jüngeren löst die digitale On-Demand-Nutzung die lineare Nutzung ab. Zwar werden auch jetzt schon die öffentlich-rechtlichen Inhalte online in den Mediatheken, auf Plattformen und in den sozialen Netzwerken verbreitet – jedoch meist auf US-amerikanischen oder chinesischen Plattformen, die durch die werbefreien Angebote zusätzlichen »Traffic« und damit Werbeeinnahmen erzielen.

Eine Mediathek für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk würde die Sichtbarkeit erhöhen. Die Verlinkung der Mediatheken von ARD und ZDF kann nur ein erster Schritt sein. Mit arte und 3sat gibt es erste Ansätze für eine europäische Plattform, diese sollte in der European Broadcasting Union (EBU) zu einer europaweiten Vernetzung der Angebote der public service media erweitert werden.

Viertens: Der ÖRR muss gerade wegen seiner Beitragsfinanzierung neutral, unabhängig und transparent aufgestellt sein. Dabei müssen für die Verwendung der Mittel hohe Standards bei Transparenz und Regeltreue (Compliance) gewährleistet werden. Hier sind einige Anstalten weiter als andere. Inzwischen bewegt sich die ARD hier in die richtige Richtung. Und auch im Medienstaatsvertrag werden wir hierfür einheitliche Regeln schaffen.

Fünftens: Der ÖRR muss ein fairer Vertragspartner sein. Wer aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, hat eine besondere Verantwortung, das gilt auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Arbeit- oder Auftraggeber.

Sechstens: Die Gremien müssen selbstbewusst und kompetent ihre Aufgaben wahrnehmen. Sie sind die Parlamente der Anstalten und haben eine besondere Verantwortung. Ich bin unbedingt dafür, dies weiterhin im Ehrenamt, aber mit dem hohen Anspruch an die präsente Wahrnehmung der Gremienarbeit und an die eigene Weiterbildung zu tun. Unabhängige Gremiengeschäftsstellen müssen diese Arbeit unterstützen.

Siebtens: Die Organisationsstrukturen im ÖRR müssen schlanker und effizienter zusammenarbeiten. Das gilt für Technik und Verwaltung. Insbesondere die Arbeitsgemeinschaft der ARD-Anstalten mit ihren über 40 Gemeinschaftseinrichtungen muss sich der Überprüfung stellen, ob und welche dieser Einrichtungen fortgeführt werden und ob alle Verwaltungseinheiten wirklich in jeder der neun Anstalten vorgehalten werden müssen.

Diese Punkte könnten ein Kompass auf dem weiteren Reformweg sein, der uns bei all den Debatten, die wir teils über viele – auch trockene – Details werden führen müssen, leiten kann. Und eines ist dabei ebenso gewiss: Eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist immer auch eine Reform des dualen Systems insgesamt. Private und öffentlich-rechtliche Medien müssen frei von politischer oder wirtschaftlicher Einflussnahme arbeiten können, Journalistinnen und Journalisten sicher und geschützt ihre berichtende, investigative oder kreative Arbeit ausüben können – für unsere Demokratie.

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