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© picture alliance / ZB | Sascha Steinach

Über den Umgang mit den Corona-Schulden Wer zahlt die Rechnung?

Die Summen sind gewaltig. Die Corona-Pandemie wird die Wirtschaft in Deutschland 391 Milliarden Euro kosten, schätzte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Dezember 2020. Diese Kosten sind aber lediglich die prognostizierten Wachstumsverluste der Wirtschaft hierzulande. Sie ergeben sich aus der Differenz zwischen der aktuellen Wachstumsprognose des DIW und einer hypothetischen Prognose ohne das Auftreten der Pandemie. Abgesehen von unvermeidlichen Prognoseunsicherheiten ist dies nur eine Art Nettoeffekt, der die Wirkung auf die Schulden des Staates eher kleinrechnet. Schließlich ist in diesem Ergebnis die stabilisierende Wirkung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen bereits eingerechnet. So geht denn auch das Bundesfinanzministerium in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkspartei im Bundestag im Dezember 2020 von einer Summe von knapp 1,5 Billionen Euro aus. Demnach fielen für 2020 etwa 1,3 Billionen an und für 2021 wurden zu diesem Zeitpunkt weitere 185 Milliarden Euro erwartet.

Der Bund trägt demnach das Gros dieser Kosten mit knapp 400 Milliarden für 2020 und den 185 Milliarden Euro für 2021. Die Länder übernehmen gut 80 Milliarden und die Sozialkassen rund 27 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch gut 800 Milliarden an Garantien und Bürgschaften, die im Bundeshaushalt anfallen könnten. In der Gesamtheit summieren sich die Kosten für den Staatssektor durch Corona auf einen Umfang von rund 45 % vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Jahres 2020.

Risiken nach oben wie nach unten

Einige Relativierungen sind angesichts dieser gewaltigen Zahl angebracht. Es gibt Risiken nach oben wie nach unten. Alle genannten Prognosen gehen davon aus, dass die Pandemie 2021 zumindest soweit unter Kontrolle gebracht wird, dass es im Laufe des Jahres zu keinen weiteren nennenswerten Einschränkungen der Wirtschaftstätigkeit kommt. Dies erscheint angesichts der Impfungen wahrscheinlich, bleibt aber dennoch unsicher. Umgekehrt besteht ein Großteil des gesamten Betrags aus Garantien und Bürgschaften, die insbesondere dann, wenn sich die wirtschaftliche Dynamik nach Corona positiv entwickelt, überhaupt nicht anfallen. Ohne diese Summen reduziert sich die Belastung auf rund 700 Milliarden Euro, die gut 20 % des BIP ausmachen. Damit befindet man sich in einer Größenordnung wie nach der Finanzmarktkrise oder der deutschen Vereinigung.

Zwar werden diese Beträge nicht automatisch zu Staatsschulden, da vor der Krise viele Gebietskörperschaften, auch der Bund, Überschüsse zu verzeichnen hatten. So rechnet das ifo Institut in seiner Dezemberprognose mit einer Schuldenstandsquote für Deutschland im Jahre 2022 von rund 70 %. Das ergibt sich in etwa auch aus den Zahlen der EU-Kommission, nimmt man ihre Defizitprognosen zum Maßstab. Demnach dürfte der Schuldenstand in Deutschland von 2020 bis 2022 um etwa 15 Prozentpunkte steigen. Dann landet man bei einem Wert von knapp 75 % für die Schuldenstandsquote. Das wäre immer noch deutlich geringer als nach der Finanzmarktkrise. Gleichwohl stellt sich die Frage, wer diese Schulden bezahlt.

Warum eigentlich Staatsschulden bezahlen?

Bevor man sich dieser Frage stellt, gilt es etwas Grundsätzliches zu klären. Vielfach wird – auch in der SPD – der Irrtum begangen, den Staat als Schuldner genauso zu sehen wie einen Privatschuldner und die Staatstätigkeit zugleich mit einer unternehmerischen Tätigkeit zu vergleichen. Ein Staat ist jedoch weder ein Unternehmer noch ein Privatschuldner. Er unterscheidet sich von diesen in drei wesentlichen Merkmalen. Er ist immobil, quasi unsterblich und trägt kein unternehmerisches Risiko. Ein Staat kann sich nicht ins Ausland absetzen, um seinen Gläubigern zu entgehen, und er entzieht sich ihnen außer im Fall großer historischer Umwälzungen auch nicht durch den Tod. Für seine Tätigkeit trägt er zudem kein unternehmerisches Risiko, da er nicht mit seinem Eigenkapital haftet, sondern sich im Zweifel immer wieder durch Steuern refinanzieren kann.

Diese Eigenschaften des Schuldners Staat bewirken, dass es im Vergleich zu anderen Schuldnern sehr sicher ist, ihm Geld zu leihen. Der Kauf von Staatsanleihen ist also eine sehr sichere Geldanlage. All dies wissen vor allem Finanzanleger, die Risiken scheuen. Sie sind in der Regel bereit, ihr Geld zu sehr niedrigen Zinsen an den Staat zu geben. Ihr Hauptziel ist, den Wert ihres Vermögens soweit als möglich zu sichern. Wenn dann noch eine kleine Rendite in Form von Zinszahlungen dazu kommt, umso besser.

Die Gläubiger erwarten also lediglich, dass sie ihre vereinbarten Zinszahlungen erhalten. Sie erwarten nicht, dass ihnen ihr Vermögen zurückgezahlt wird, das sie ja beim Staat als relativ sicher angelegt sehen. Benötigen sie dennoch einmal das Geld, können sie die Anleihen ja weiterverkaufen. Damit kann der Staat einmal aufgenommene Schulden gleichsam immer weiter vor sich herschieben. Auslaufende Anleihen kann er schlicht durch neue ersetzen. Ob dies wirtschaftlich vernünftig ist, ist eine andere Frage, auf die später eingegangen werden soll. Hier ist wichtig zu wissen, dass sich das Bezahlen der Corona-Schulden auf absehbare Zeit auf das Bezahlen der Zinsverpflichtungen beschränken lässt. Da die derzeitigen Zinsen für den Staat aber bei nahe Null liegen, heißt dies, im Kern kosten die Corona-Schulden den Staat in den kommenden Jahren überhaupt nichts. Die Kosten werden ausschließlich von Gläubigern getragen, indem sie entweder bei Negativzinsen auf einen Teil ihre Vermögens verzichten oder bei niedrigen Zinsen Kaufkraftverluste durch Preissteigerungen hinnehmen. Die Antwort auf die Frage, wer die Corona-Schulden bezahlt, lautet unter diesen Umständen folglich: die Gläubiger.

Die Realität

Eigentlich, hätte man hinzufügen sollen. Denn ein solches Vorgehen wäre rechtlich derzeit nicht zulässig. Mit der Einführung der Schuldenbremse 2009 hat der Gesetzgeber dem Wegschieben von Schulden in die Zukunft einen sogar in der Verfassung verankerten Riegel vorgeschoben. Der Hintergrund war die nachvollziehbare Sorge, dass ein solches Verhalten im politischen Prozess dazu führen würde, einen ständig wachsenden Schuldenberg aufzubauen, dessen finanzielle Lasten bei höheren Zinsen künftige Generationen erdrücken. Diese Sorge wurde allerdings durch die falsche Wahrnehmung über die Rolle des Staates als Schuldner unnötig verschärft.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund sind die Bundesregierung und die Landesregierungen nunmehr gezwungen Tilgungspläne vorzulegen, in denen sie sich auf einen Pfad für die Rückzahlung der Schulden verpflichten. Die Bundesregierung will ab 2023 pro Jahr ein Zwanzigstel der durch Corona verursachten Schulden tilgen. Nimmt man die obigen Berechnungen von10–15 Prozentpunkten vom BIP als Maßstab, dann heißt dies, dass pro Jahr etwa 17–24 Milliarden Euro getilgt werden müssten. Tatsächlich dürfte die Summe im Bundeshaushalt niedriger sein, da die Schulden ja nicht nur dort anfallen, sondern auch in den Ländern und bei der Sozialversicherung. Die Länder wiederum haben unterschiedliche Tilgungspläne, die bis zu 50 Jahren (in NRW) reichen.

Unter diesen Umständen muss tatsächlich jemand für die Schulden zahlen. Wer dies ist, das hängt von der Finanzierung ab. Dabei gibt es im Prinzip drei Möglichkeiten: entweder man erhöht die Steuern oder man senkt die Ausgaben oder man bringt die Wirtschaft auf einen steilen Wachstumskurs. Bei wem die Rechnung dann landet, hängt jeweils von der konkreten Ausgestaltung ab.

Bei Steuererhöhungen kommt es darauf an, welche Steuern um wieviel erhöht werden. Würde man, was technisch relativ einfach wäre, die Mehrwertsteuer erhöhen, würden alle Konsumenten die Corona-Rechnung bezahlen. Da Haushalte mit niedrigen Einkommen einen höheren Anteil ihres Einkommens konsumieren, wären sie relativ stärker belastet als Haushalte mit hohem Einkommen. Angesichts der ohnehin schon hohen Ungleichheit von Einkommen und Vermögen verbietet sich dieser Weg. Sinnvoller wäre es, den Spitzensteuersatz bei der Einkommenssteuer zu erhöhen. Aber dies wird vom Aufkommen her bei Weitem nicht ausreichen. Sinnvoller wäre eine Erhöhung der Erbschaftsteuer, die Wiedereinführung der Vermögensteuer und die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. In diesem Fall werden die Corona-Lasten von jenen Steuerzahlern getragen, die höhere Einkommen und Vermögen haben.

Der Weg über Ausgabenkürzungen ist wesentlich komplizierter. Zwar können alle Ausgaben, die mit der Corona-Krise verbunden sind, zurückgefahren werden. Dies dürfte ausreichen, um die Haushaltsdefizite mehr als auszugleichen. Es dürfte jedoch nicht reichen, um die Tilgungszahlungen leisten zu können. Kürzungen von Investitionen verbieten sich angesichts der Herausforderungen durch Digitalisierung und Umstrukturierungen in Richtung Nachhaltigkeit. Bleiben Kürzungen von konsumtiv wirkenden Subventionen. Viele nennen die Transfers an die Rentenversicherung, die dann ihre Leistungen kürzen müsste. Dass ausgerechnet die Rentner, die von der Pandemie am höchsten gefährdet wurden, die Rechnung bezahlen, erscheint aber nicht nur auf den ersten Blick als ungerecht. Insofern ist sehr zweifelhaft, ob der Weg über Ausgabenkürzungen ohne Verwerfungen beschritten werden kann, zumal diese die Konjunktur sehr stark belasten.

Genau das Gegenteil, ein kräftiger Aufschwung, wäre aber sinnvoll. Dann flössen die Steuereinnahmen auch ohne Steuererhöhungen reichlich. Man könnte einen Teil von ihnen dazu verwenden, die Schulden abzutragen. Auch in diesem Fall würden die Steuerzahler die Rechnung tragen, aber nur in einer relativen Form. Denn ihre Nettoeinkommen würden trotz höherer Steuerzahlungen steigen. Das Problem ist, dass ein solch kräftiger Aufschwung nur mit einem kräftigen Konjunkturimpuls seitens des Staates nach dem Abklingen der akuten Krise erreicht werden dürfte. Aber genau einem solchen Impuls schiebt die Schuldenbremse bei strikter Anwendung einen Riegel vor.

Reform der Schuldenbremse

Der sinnvollste Weg wäre demnach, die Schuldenbremse zu reformieren, um dem Staat wieder angemessene Handlungsspielräume zu verschaffen. Die Einführung von Fiskalregeln war von Anfang an umstritten. Allerdings war die Mehrheit sowohl akademisch als auch politisch für relativ strikte Regeln. Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts haben sich jedoch die Einschätzungen im akademischen Bereich merklich geändert. Zwei Tendenzen haben hierzu beigetragen. Zum einen die negativen Erfahrungen mit der Austeritätspolitik insbesondere in Griechenland während der Eurokrise. Zum zweiten haben die niedrigen, zum Teil negativen Zinsen die Kosten der Verschuldung dramatisch gesenkt, ohne dass dies in den gängigen Fiskalregeln wie der Schuldenbremse berücksichtigt würde.

Damit wird die Schuldenbremse endgültig gesamtwirtschaftlich kostspielig. Unter den aktuellen Bedingungen negativer oder nahe bei Null liegender Zinsen ist es lohnender, sich zu verschulden als die Steuern zu erhöhen oder die Ausgaben zu kürzen. Jede Steuererhöhung wie auch jede Ausgabenkürzung belastet Haushalte, indem entweder mehr gezahlt oder weniger eingenommen wird. Schulden, die faktisch nichts kosten, belasten allenfalls die Gläubiger, wenn sie Negativzinsen in Kauf nehmen. Aber selbst dies sehen sie nicht als Belastung an, da der Staat ihnen für diesen Preis die für sie wertvolle Sicherheit ihrer Anlagen gibt.

Vor diesem Hintergrund erscheint eine grundlegende Reform der Schuldenbremse sinnvoll. Diese müsste die Zinsen in ihrer Wirkungsweise berücksichtigen. Dies würde dazu führen, dass sich der Staat stärker verschulden darf, wenn die Kosten der Verschuldung bei niedrigen Zinsen geringer wären. Umgekehrt würde sein Verschuldungsspielraum eingeschränkt, wenn die Kosten hierfür bei hohen Zinsen ebenfalls hoch wären, sodass kein Freibrief für eine übermäßige Verschuldung ausgestellt wird.

Würde dies geschehen, könnte man die Frage nach dem Bezahlen der Schulden zur Zufriedenheit aller wieder so beantworten wie am Anfang: die Gläubiger. Denn sie wollen sichere Anleihen und die Wirtschaft benötigt den Impuls staatlicher Ausgaben.

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