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Geschlechtlichkeit(en) in der Welt der Ultras-Fankurven Wettkampf auf den Rängen

Als Bayer Leverkusen im April Deutscher Fußballmeister wurde und die Fans auf den Rasen stürmten, sah man plötzlich grün-weiße Rauchschwaden. Am Gästeblock, wo die Fans von Werder Bremen – der Verein trägt diese Farben – standen, gab es dazu ein Spruchband: »Es gibt mehrere Geschlechter, aber nur zwei Farben«. Es handelte sich offenbar um eine kreative Replik auf eine Botschaft von Leverkusener Ultras, die – wohl um die als linksalternativ geltenden Bremer Fans zu provozieren – im Hinspiel ihrerseits ein Spruchband ausgerollt hatten: »Es gibt nur zwei Geschlechter«.

Im Januar verurteilte das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) den Verein deshalb wegen »eines diskriminierenden unsportlichen Verhaltens ihrer Anhänger« zu einer Geldstrafe in Höhe von 18.000 Euro. In dem in gesellschaftspolitischen Fragestellungen traditionell eher konservativen Fußballverband scheint sich zunehmend ein Sinneswandel durchzusetzen. Andererseits unterstützten mancherorts, etwa in Dresden, Cottbus, Chemnitz oder Braunschweig, einige Fans aus Protest gegen das DFB-Urteil die Leverkusener Losung.

Mittel der Auf- und Abwertung

Dass sich Fußballfans mit dem Themenkomplex Geschlecht auseinandersetzen ist einerseits eine neuartige Entwicklung – und andererseits ist es das auch wieder nicht. Denn schon immer ist es von Bedeutung, wie du geschlechtlich wahrgenommen wirst, wenn du die Fankurve betrittst. Und wohl genauso lange sind negativ wie positiv konnotierte geschlechtliche und sexualisierte Anrufungen ein Mittel um das Gegenüber im Stadion ab- oder die eigene Fanidentität aufzuwerten. Doch dass gesellschaftlich relevante Diskurse um das Geschlecht in den Kurven mit einer gewissen Ernsthaftigkeit fortgeführt werden und sich Fangruppen dazu berufen fühlen Stellung zu beziehen, ist eine neue Qualität.

Dabei, so sollte man meinen, ist die Verbindung von Fußballfans und Geschlecht respektive Männlichkeit augenfällig. Noch immer übersteigt der Anteil männlicher Fußballfans den der weiblichen umso deutlicher, je näher man in den Kern der Kurven vordringt. Noch immer tragen und nutzen Fangruppen Begriffe wie »Jungs« oder »Brüder« in ihren Namen oder Gesängen; noch immer ist die Ansprache an Fans von Medien, Vereinen und Verbänden mehrheitlich an Männer gerichtet.

Es ist in dieser Hinsicht aber auch einiges in Bewegung. Immer mehr Frauen und Mädchen sind in den Kurven aktiv und werden szeneintern und öffentlich sichtbar. Selbstbewusst fordern sie ihren Platz im Fanblock ein und erhalten vielerorts Zustimmung und Unterstützung. Ambitionierte Projekte wie etwa die viel beachtete Ausstellung »Fan.tastic Females« verleihen weiblicher Fankultur eine Stimme. Und auch zahlreiche Vereine haben längst damit begonnen, ihre Zielgruppen zu diversifizieren – sei es als Teil einer sozialen Verantwortlichkeit oder aus marktwirtschaftlichen Überlegungen.

Daneben präsentiert sich die geschlechtliche Rahmung des Milieus Fußballfans weitaus schwerfälliger. Praktiken, Organisationsformen und Ausdruck der Fanszenen orientieren sich weithin an männlichen Strukturprinzipien. Männlichkeit ist, mal vermittelt, mal unvermittelt, eine zentrale Kategorie im Mit- und Gegeneinander in den Fankurven und ein Maßstab für die Fanpraxis. In besonderer Weise sticht hier die Jugendkultur der Ultras hervor sowohl als führende und hegemoniale Gruppierung unter den aktiven Fans, als auch als Betätigungsort adoleszenter Männlichkeit (und Ort der Verlängerung eben dieser bis ins fortgeschrittene Erwachsenenalter).

»Die Fankurve ist eine Strukturübung der Männlichkeit.«

Die Ultras-Gruppen unterscheiden sich dabei stark: Während sich die einen Engagement gegen Sexismus auf die Fahnen schreiben und – wenn es gut läuft – ein entsprechendes soziales Engagement an den Tag legen, verstecken andere ihre weltanschauliche Verortung im politisch eher rechten Lager kaum. Die Welt der Fankurven ist durchzogen von hegemonial männlichen Werten und Bezugnahmen. Stärke, Ehre, Disziplin, Hingabe, Standhaftigkeit, Triumph sind zentrale Elemente des Ultras-Kosmos, die zugleich als Grundbegriffe männlicher Sozialisation gelten. Die Fankurve ist, so ließe sich sozialwissenschaftlich formulieren, eine Strukturübung der Männlichkeit.

Die Fans schaffen sich dabei einen eigenen Wettkampf auf den Rängen mit eigenen Gesetzen und Regeln, der von ihnen mit Bedeutung aufgeladen und zu einem identitären Bezugspunkt wird – es sind, wie es der französische Soziologe Pierre Bourdieu einmal formuliert hat, »ernste Spiele«. Wenn die Fans mit Gesängen und Choreografien um die Hoheit im Stadion konkurrieren, wenn sie sich selbst erhöhen und das Gegenüber diskreditieren, wenn sie um Macht und Dominanz kämpfen, ist stets auch das Prinzip Männlichkeit auf dem Tableau.

Die Fankurve (aber auch das Verhältnis von Fangruppen untereinander) ist ein hierarchischer Ort – und die Position darin nicht zuletzt an die Kategorie Geschlecht geknüpft. Wer sich den Anforderungen der Kurve als würdig erweist, erfährt einen Vorteil in Form von Anerkennung und Status. Grenzüberschreitungen ungeachtet des eigenen Befindens damit, der Einsatz des eigenen Körpers in (potenziell) gewaltvollen und risikoreichen Situationen, Härte gegen sich selbst und andere werden durch die anderen Fans goutiert und schärfen zugleich den männlichen Charakter. Nicht zuletzt findet sich hier ein Erklärungsansatz, weshalb Gewalt ein derart zentrales Thema für Fußballfans ist.

»Auch die Fankurve ermöglicht zunehmend die Anerkennung verschiedener Formen geschlechtlichen Ausdrucks.«

Wenn diese Verbindung von Fanidentität und Männlichkeit auch sehr elementar und entsprechend beharrlich erscheint, ist es umso bedeutsamer auch etwaige Gegenbewegungen aufzuzeigen. Denn so wie sich Vorstellungen und Repräsentationen von Männlichkeit gesellschaftlich wandeln, ermöglicht auch die Fankurve zunehmend die Anerkennung verschiedener Formen geschlechtlichen Ausdrucks. Dabei wird das Strukturprinzip nur bedingt berührt, allerdings können auch weniger traditionelle Betätigungsfelder von Männlichkeit, etwa eine kreativ-gestalterische Praxis, und die Abgrenzung etwa von Gewalttätigkeiten, als legitime Männlichkeitspraxen anerkannt werden. In ähnlicher Weise kann sich auch die Beteiligung von Frauen auswirken und möglicherweise die enge Verknüpfung von Männlichkeits- und Ultraspraxis auflockern. Dabei fungierte Weiblichkeit viele Jahre vor allem als abwertender Gegensatz zum Männlichen. Die Abwertung des Gegenübers erfolgt dadurch, dass dieser mit (vermeintlich) weiblichen Attributen bedacht wird, zugleich gilt es selbst einen solchen Anschein entschieden abzuwehren. Ausschluss, Abwertung und Sexualisierung von Frauen sind heute leider immer noch in vielen Kurven weiterhin an der Tagesordnung.

Die Teilhabe von Frauen an der Fankultur ist deshalb oftmals ambivalent: Einerseits sind sie als das Andere der Fankurve markiert und stehen damit unter besonderer Beobachtung. Andererseits gilt auch für sie das Gebot, sich an den männlichen »Überidealen« zu orientieren. Die Fankurve kann so auch zu einem Ort werden, an dem klassischen Rollenbildern entflohen werden kann und neue geschlechtliche Möglichkeitsräume entstehen können.

Vor diesem Hintergrund kann das Spruchband der Leverkusener Ultras nicht überraschen: Tatsächlich scheint das Geschehen in der Fankurve sich vornehmlich zwischen zwei Geschlechtern abzuspielen. Für Geschlechtlichkeit außerhalb dieses Dualismus ist bisher wenig Raum. Allerdings offenbart gerade diese Behauptung der Ultras möglicherweise bereits ihr Gegenteil: dass die Gewissheit darüber ins Wanken geraten ist und Geschlecht auch unter Fußballfans langsam von einer unhinterfragbaren Selbstverständlichkeit zur politischen Verhandlungsmasse wird. Umso wichtiger erscheint es, dass das unsägliche Banner der Leverkusener Fans nicht bloß per DFB-Strafe sanktioniert, sondern auch von den sich als progressiv verstehenden Fans und Gruppen im Fußball kritisiert wird – und alternative Realitäten ermöglicht werden.

Bei der bevorstehenden Europameisterschaft der Männer kann der deutsche Fußball zeigen, wie ernst er sein Engagement für Geschlechtervielfalt und gegen entsprechende Diskriminierungen meint. Auf institutioneller Ebene verbleibt dabei bisher einiges auf einer symbolpolitischen Ebene, kritisieren viele aktive Fans. Es bleibt hier wie dort noch einiges zu tun für einen Fußball, der alle Geschlechter mitnimmt. Die Anfänge sind aber gemacht.

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