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Neue Kulturpolitik zum alten Kulturerbe Wider das Verschwinden, Vergessen und Vernichten

Kulturpolitik ist keine Erfindung der UNESCO. Aber die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur hat nach dem Zweiten Weltkrieg international dazu beigetragen, dieses Politikfeld mit Leben zu füllen. Schon 1954 sorgte die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten für ein kulturpolitisches Abkommen, 1982 erfolgte auf der Generalversammlung in Mexiko die richtungsweisende Definition eines erweiterten Kulturbegriffs und in der Folge waren es neben dem Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen vor allem die Welterbekonventionen, die auch eine konzeptionelle Kulturpolitik in den Vertragsstaaten beförderten. Bereits 1972 widmete sich die Weltgemeinschaft dem Weltkultur- und Weltnaturerbe, 1992 folgte das Weltdokumentenerbe »Memory of the World« und 2006 die Konvention zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes.

Mit diesen Programmen sollten das kulturelle Gedächtnis gestärkt, die künstlerischen Artefakte geschützt und eine transnationale Verständigung initiiert werden. Der internationalen Liste liegen die nationalen Vorschläge und Vorarbeiten zugrunde, immer auch mit dem Ziel, gemeinsam Verantwortung gegenüber kulturellen Phänomenen möglich zu machen. Es geht um Erscheinungsformen in der Welt von außergewöhnlichem universellen Wert, es geht der UNESCO um deren Erfassung, Schutz und Erhaltung, insbesondere um konkrete Maßnahmen gegen die immer stärker drohenden Gefahren des Verschwindens, Vergessens und Vernichtens.

In einem größeren Kontext wird mit all dieser, im besten Sinne der Bürokratie international verwaltenden und national gestaltenden Kulturpolitik auch eine gesellschaftliche Wertschätzung von Kunst, Kultur und Natur impliziert, die ihre Entfaltung nicht nur auf das Konservieren von Identität beschränkt, sondern auf das Inspirieren von Kreativität im Umgang der Menschheit mit ihrer Geschichte.

Das passt doch eigentlich ganz gut mit der Idee einer Neuen Kulturpolitik zusammen, die in der Folge von 1968 zunächst in der alten, aber dann auch in der neuen Bundesrepublik um Zugangschancen in der Kulturlandschaft bemüht war, zur Demokratisierung beitragen wollte und auch Alltagsaktivitäten sowie Lebensweisen in ihr Portfolio einzubinden wusste.

Insbesondere mit dem immateriellen Kulturerbe werden Bräuche, Traditionen und Ausdrucksformen identifiziert, die jenseits der Hochkultur und den auf die Künste reduzierten Kulturbegriff eine sogenannte Breitenkultur zutage fördern, die von weiten Kreisen der Bevölkerung gepflegt wird. Differenziert wird ein Kulturpolitikbegriff zugrunde gelegt, der neben Staat und Markt eben auch die Zivilgesellschaft miteinbezieht. Obwohl die Konvention auf einer außenpolitischen Bundesaufgabe beruht und mit der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK) eine nichtstaatliche Organisation betraut wurde, fokussiert die kulturpolitische Praxis aber vor allem auf die föderale Zuständigkeit der Länder, auch in der Koordination durch die Kultusministerkonferenz.

Das führte in Deutschland bisher eher zu einem quantitativen Wettbewerb, was Nominierung und Aufnahme in die nationale Liste betrifft. Jedes Bundesland hat vom Zugriffsrecht mehr inflationär als integrativ Gebrauch gemacht und schon nach wenigen Jahren eine fast unüberschaubare Vielzahl von kulturellen Erscheinungsformen versammelt; ein einziges Nebeneinander statt Miteinander, ein regionales Ranking, wer mehr Kulturerbe zu präsentieren weiß: Vom Augsburger Hohen Fest bis zu den Zeesbooten in der Mecklenburg-Vorpommerschen Boddenlandschaft, vom Finkenmanöver im Harz bis zum Hebammenwesen, vom Kasperltheater bis zur Krippenkultur; 131 Einträge und Dutzende stehen auf der Warteliste.

Die Umsetzung des Übereinkommens zum immateriellen Kulturerbe scheint aus den Fugen zu geraten. Ja, es geht um von Mensch zu Mensch weitergegebenes Wissen und Können, mithin um Kulturformen mit identitätsstiftender Wirkung. Aber das Kennzeichen des immateriellen Kulturerbes ist doch auch das Prozesshafte und das Veränderliche oder gar Improvisierte. Es geht nicht nur um die Identifizierung und Erhaltung, es geht um die Pflege traditioneller Kulturformen und so stehen oft nur die Praktizierenden mit ihren partikularen Interessen im Mittelpunkt.

Eine kulturpolitische Gesamtkonzeption scheint es nicht zu geben. Eine kritische Auseinandersetzung ist deshalb erforderlich, auch im Hinblick auf den problematischen Begriff der deutschen Tradition, das Fehlen migrantisch geprägter Trägergruppen und ein gelegentlich falsches Verständnis von Denkmalpflege. Mehr und mehr muss es auch um transnationale Nominierungen geben, verbunden mit überregionalen und internationalen Kooperationen, ein Desiderat, das zu einem kulturpolitischen Lernen führen könnte.

Und noch stärker sollte auf kulturelle Teilhabe Wert gelegt werden, denn auch hier gilt: »Wer spricht für wen und mit welcher Legitimation?« Auch bei aller geliebten Tradition gilt die Veränderbarkeit von Kultur und auch das ist ein immerwährender Auftrag von künstlerischer Vermittlung und kultureller Bildung.

Transnationale Kulturarbeit statt nationalstaatlichem Wettbewerb

Mit der Gründung der UNESCO haben es die Vereinten Nationen geschafft, bis heute 199 Mitgliedstaaten unter anderem für den Schutz des Erbes der Menschheit zusammenzubringen. Eine der ersten Initiativen war die Rettung der Tempelanlagen im ägyptischen Abu Simbel, die im neu zu erbauenden Stausee zu versinken drohten. Durch weltweites solidarisches Handeln wurde so 1972 der Grundstein für ein Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt gelegt. 2022 umfasst die Liste 1.154 Welterbestätten in 194 Ländern, davon 51 in Deutschland. Nach 50 Jahre erscheint es sinnvoll, über das Konstrukt des Kulturerbes nachzudenken, es gilt Anspruch und Wirklichkeit zu vergleichen und insbesondere die Rolle Deutschlands bei der Umsetzung zu analysieren.

Die Philosophie einer Kulturpolitik zum Welterbe war, sich nicht mehr nur an nationalstaatlichen Interessen zu orientieren, sondern internationale Verantwortung zu praktizieren. Dahinter steckt die Idee einer transnationalen Kulturpolitik, die der Völkerverständigung dienen soll, das Grenzüberschreitende möglich zu machen und einen internationalen Kulturaustausch zu initiieren; wohlwissend, dass der Begriff des Transnationalen zu hinterfragen ist. Transnationalität orientiert sich nämlich am Nationalen und macht die nationale Identität zu einer Referenzgröße. So werden Defizite einer transnationalen Kulturarbeit offenbar, weil die Schwerpunktsetzung der Universalität dem kulturellen Pluralismus eher gegenübersteht.

Es fehlt zudem die Integration zahlreicher Kulturen, die nicht einbezogen wurden und nicht teilgenommen haben. Über Zugangs- und Partizipationsmöglichkeiten wird aber erst im fünften Jahrzehnt diskutiert. Erst durch das Thematisieren des Nord-Süd-Gefälles der Welterbeliste kamen Themen wie Rassismus und Kolonialismus auf die Tagesordnung. Kritische Stimmen sprechen von einer Politisierung der transnationalen Kulturarbeit in der UNESCO und weisen auch am Beispiel der Bundesrepublik nach, dass die wirtschaftlich mächtigeren Staaten dominieren und eine diesbezügliche Reform auch an der fehlenden Koordination unter den westlichen Partnern zunächst gescheitert sei.

Trotz vieler Bekenntnisse gleichwertiger Partnerschaften klafft eine große Lücke zwischen »Erster Welt« und »Dritter Welt«. Die Anforderungen an eine »faire« Kulturarbeit ist aufgrund unbewusster Traditionen, Verhaltensweisen und Denkmuster auch heute noch eine große Herausforderung für die Auswärtige Kulturpolitik.

Die Kriterien beim Welterbe verändern sich nur langsam, noch lange Zeit galt die Tradition der europäischen Denkmalpflege im humanistischen Verständnis. Offensichtlich galt die Devise, jede deutsche Stadt nominiert erstmal ihren Dom: wie etwa Aachen, Köln, Speyer, Hildesheim und Trier; und ihre Klöster und Schlösser, Rat- und Opernhäuser.

Klerikale und feudale Machtstrukturen lassen grüßen. Und dokumentieren nach wie vor auch die internationale Dominanz der Welterbestätten, sodass von den afrikanischen Staaten immer wieder mal der Eurozentrismus der UNESCO angeprangert wird. Altes wie neues Problem sind die unbändigen und unablässigen Bewerbungen um die Anerkennung weiterer Welterbestätten. Die ursprüngliche Idee von transnationalen Projekten scheint noch immer der Verwirklichung zu harren. Auch Deutschland hat mit dem Muskauer Park und dem polnischen Pendant des Fürst-Pücklerschen Anwesens bis vor Kurzem erst ein bescheidenes Beispiel zu bieten.

Ausnahmen bestätigen die Regel, etwa das architektonische Werk von Le Corbusier in Argentinien, Belgien, Frankreich, Indien, Japan und der Schweiz oder der Titel »Bedeutende Kurstädte Europas« mit elf Städten in Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Österreich, Tschechien und dem Vereinigtem Königreich.

Kulturpolitische Gestaltung statt politischer Instrumentalisierung

Zum Schutz des dokumentarischen Erbes der Menschheit fördert das UNESCO-Programm »Memory of the World« die Bewahrung wertvoller Archivbestände, Bibliothekssammlungen und privater Kompendien auf der ganzen Welt für zukünftige Generationen sowie eine bessere Zugänglichkeit und öffentliche Wahrnehmung dieser Objekte.

In einem internationalen Register sind seit 30 Jahren mittlerweile 427 Einträge zu verzeichnen, davon 24 aus Deutschland, darunter die Gutenbergbibel, Beethovens 9. Sinfonie, der Stummfilm Metropolis von Fritz Lang, die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, das Nibelungenlied, die Himmelsscheibe von Nebra, das Lorscher Arzneibuch, Das Kapital von Karl Marx oder das Autograf der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach.

Die internationale Antragstellung lag vorwiegend in Händen von Experten, bis 2015 ein erinnerungspolitischer Streit zwischen Japan und seinen Nachbarn über japanische Kriegsverbrechen aus der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg entbrannte. China hatte eine Dokumentation zum Nanking-Massaker eingereicht, bei dem Hundertausende Zivilisten und Kriegsgefangene durch japanische Truppen ermordet wurden, und toppte diese Provokation mit Dokumenten zu den sogenannten Trostfrauen, Chinesinnen, die zur Zwangsprostitution in japanischen Armeebordellen versklavt wurden.

»Hinzu kamen Anträge zur Aufnahme der Briefe sibirischer Gulag-Insassen, von zum Teil terrorverherrlichenden Postern zum palästinensischen Befreiungskampf, eine Dokumentation über politische Gewalt in China und schließlich das berühmte Foto des ›Tank Man‹, der 1989 während der Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking die Weiterfahrt eines Panzerkonvois blockiert hatte«, referierte erst kürzlich Jens Streckert von der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der UNESCO bei einem Symposium in Lorsch. »Kurzum: Immer mehr Staaten hatten das Weltdokumentenerbe als Instrument entdeckt, um ihre Nachbarn zur Aufarbeitung ihrer Vergangenheit zu zwingen.«

Durch den dadurch verursachten Druck auf die UNESCO, zumal die betroffenen Staaten auch immer wieder mit ihrem Austritt und der Einstellung der Zahlungen drohten, konnte aber immerhin eine Reformdebatte angestoßen werden. Bei einem mehrjährigen Moratorium ging es um mehr Transparenz bei den Bewerbungen, um die Verpflichtung zum Dialog und um ein lösungsorientiertes Verfahren bei umstrittenen Nominierungen.

In einer Broschüre zum 30-jährigen Jubiläum des umstrittensten Welterbe-Programms schreibt der Vorsitzende des Deutschen Nominierungskomitees der DUK, Joachim-Felix Leonhard, von der Hoffnung auf zukünftig mehr fachwissenschaftliche Diskurse. »Politische Gestaltung durch die Mitgliedstaaten wird dafür nötig sein, politische Instrumentalisierung nicht.« Bislang sei »Memory of the World« in seiner intellektuell-kulturellen Dynamik für eine Bildung kollektiver Erinnerung lebendig. »Schließlich geht es mehr als nur symbolhaft um das Gedächtnis der Menschheit: Es geht um gegenseitigen Respekt und Toleranz, Völkerverständigung und Frieden auf unserem gemeinsamen Planeten.«

Große Worte für kleine Schritte einer neuen Kulturpolitik zum alten Kulturerbe. Auf der Agenda der UNESCO steht weiterhin die Bedrohung der Artefakte durch Kriege, die Repräsentation des Globalen Südens, der Konflikt zwischen ideellem Schutz und ökonomischen Interessen, das transnationale Verständnis und eine konzeptionelle Kooperation sowie ein kulturpolitischer Paradigmenwechsel bei der Welterbevermittlung von einer Angebotsorientierung hin zur Teilhabeermöglichung aller Menschen.

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