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Wie die Demokratie vor dem Klimakollaps gerettet werden kann Wider die Mutlosigkeit

Als Wladimir Putin am 24. Februar 2022 mit einer gewaltigen Kriegsmacht die Ukraine überfiel, sprach der sozialdemokratische Kanzler im Bundestag von einer »Zeitenwende« und kündigte die Einrichtung eines Sondervermögens von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr und verstärkte Hilfeleistungen für die bedrängten ukrainischen Nachbarn an. Ein mutiger Schritt, der nicht nur von den Koalitionspartnern, sondern auch von der Opposition begrüßt wurde. Und siehe da, die Mehrheit der Deutschen stimmte ihm zu, obwohl abzusehen war, dass das Geld für viele andere wichtige Projekte fehlen würde.

»Statt Zeitenwende auch in der Umweltpolitik versprachen sie vor allem business as usual.«

Seitdem haben wir allerdings von diesem politischen Mut so gut wie nichts mehr gesehen. Insbesondere auf dem Feld der Umweltpolitik blieb es durchweg bei Halbheiten. Die Dreierkoalition konnte sich auf so gut wie keine der notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der schnell voranschreitenden Umweltzerstörung einigen, und wenn sie sich einmal geeinigt hatte, ruderte einer der drei Partner alsbald unter dem Druck von Lobbygruppen wieder zurück. Der Kanzler, der die Zeitenwende ausgerufen hatte, fand nicht den Mut, das Notwendige zu tun und die Koalitionäre schienen sich darin einig zu sein, dass der Kampf gegen die Umweltzerstörung möglichst ohne Zumutungen für die Wähler (gemeint waren ihre Wähler) abgehen solle. Statt Zeitenwende auch in der Umweltpolitik versprachen sie vor allem business as usual und akzeptierten dabei ein ums andere Mal die Verfehlung aller selbstgesetzten Ziele in der Umweltpoitik.

Die 2015 in Paris vereinbarten Entwicklungsziele sind längst Makulatur. Dabei sah es damals für einen Moment tatsächlich so aus, als könne es auch in Sachen Umweltpolitik eine wirkliche Zeitenwende geben. Aber was dann tatsächlich geschah, war erbärmlich wenig. »Warum«, fragen Hedwig Richter und Bernd Ulrich in ihrem Buch Demokratie und Revolution, »ist bei all dem Willen, bei all der Selbstreflexion so wenig geschehen«? Eine Antwort, die sie geben, lautet: Die Regierungen in den westlichen Demokratien sind durchweg der Meinung, dass die Abwendung der ökologischen Katastrophe möglichst ohne Zumutungen für die verwöhnten Wähler zu erfolgen habe. »Knapp dreißig Jahre, bevor man ohnehin bei zero emisssion gelandet sein wollte, führte der Angriffskrieg einer fossilen Diktatur nicht dazu, sich schneller als geplant aus der Abhängigkeit von fossilen Energien zu befreien, sondern stattdessen aus der Abhängigkeit eines (von einem?) speziellen Lieferanten. Fossile Autarkie und fossile Diversifizierung wurden in der Bunderepublik Deutschland das Gebot der Stunde.«

Für das Autorenteam Richter und Ulrich ist Olaf Scholz »einer der entschiedensten Vertreter der These, dass Klimapolitik vollkommen zumutungslos sein muss«. Und das ist ihrer Meinung nach der entscheidende Grund dafür, dass die Dreierkoalition in der Umweltpolitik so verzagt agiert. Die ständige Obstruktion durch eine FDP, die panisch auf die Fünfprozenthürde starrt und um die Privilegien ihrer reichen Klientel bangt, halten sie offenbar für weit weniger bedeutend. Dass die Opposition mit ihrer Klage vor dem Verfassungsgericht dem ökologischen Umbau einen Großteil ihrer finanziellen Basis entzog, erwähnen sie gar nicht erst. Und die Grünen haben sich nach dem Urteil der Autoren »schon seit Langem dem in der gesamten westlichen Welt herrschenden Paradigma von der zumutungslosen Klima- und Ökologiepolitik angepasst«.

»Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.« (Ingeborg Bachmann)

»Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.« Der Satz stammt von Ingeborg Bachmann und offenbar lässt sich das sogar in Umfragen belegen. Jedenfalls geht aus einer Eurobarometerumfrage von 2023 hervor, dass 90 Prozent der Deutschen der Meinung sind, dass der Klimawandel »ein ernstes Problem für die Welt« ist. Abgesehen von einer kleinen Gruppe von Klimaleugnern und Verschwörungsgläubigen sind die Menschen in Deutschland und in Europa, was die fortschreitende Umweltzerstörung angeht, insgesamt erstaunlich gut informiert und durchaus realistisch, was ihre Erwartungen für die Zukunft angeht. Und warum sind dann Sozialdemokraten (und mittlerweile selbst Grüne) so ängstlich, wenn es um eine konsequente Umweltpolitik geht?

»Die Ärmeren«, schreiben Richter und Ulrich, »werden in der sich verschärfenden Klimakrise noch mehr leiden; sie werden für eine Klimawende aufgrund ihrer geringeren Emissionen ihr Leben am wenigsten verändern müssen; sie werden in der großen grünen Transformation eher nicht mit dauerhafter Arbeitslosigkeit konfrontiert sein.« In der Tat: Die bildungsbürgerliche Mittelschicht und die reiche Oberschicht hat bei Weitem den größten ökologischen Fußabdruck, sie müssten ihre Lebensweise am drastischsten ändern, wenn mit der Umweltpolitik wirklich ernst gemacht würde. Aber warum fürchten dann gerade sozialdemokratische Politiker, sie könnten mit einer konsequenteren Umweltpolitik ihren letzten Kredit bei den sogenannten »kleinen Leuten« verlieren?

Um diese Frage zu beantworten, greifen Richter und Ulrich auf die traumatische Erfahrung des Scheiterns der Weimarer Republik zurück. »Die Tragödie der Sozialdemokratie«, so die Autoren, »liegt darin, dass die Partei mit der scharfen Abgrenzung zur Revolution sich mehr und mehr auch von jeder Radikalität getrennt hat (…).« Nun sind die beiden Autoren zwar nicht der Meinung, die Sozialdemokraten hätten sich damals mit den Spartakisten zusammentun müssen, aber offenbar meinen sie doch, dass etwas mehr Radikalität bei der Demokratisierung der Gesellschaft, wie etwa von der USPD gefordert, den späteren Triumph der Nazi-Partei womöglich hätte verhindern können.

Die Beispiele, die sie im Folgenden anführen, zeigen jedenfalls, dass es ihnen eher um radikale Reformpolitik als um das geht, was üblicherweise unter Revolution verstanden wird. Die brandtsche Ostpolitik, so ihr Argument, speziell die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie, befürworteten noch 1969 nur zwischen 16 und 30 Prozent der Deutschen. Trotzdem ging die Sozialdemokratie damals entschlossen diesen Weg, und zwar mit Erfolg, wie wir seit Michail Gorbatschow und der Wiedervereinigung wissen. Eine solche Politik nennen die Autoren eine »Revolution«, was vielleicht nicht jedem Leser einleuchtet.

Was sie eigentlich meinen, ist nachvollziehbar: dass eine demokratische Entscheidung »ohne demoskopisch erhobenen Volkswillen von 70, 80 oder jedenfalls weit über 50 Prozent« nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, sondern sich über kurz oder lang als weitsichtig und im besten Interesse des Volkes erweisen kann. In diesem Sinne plädieren sie dafür »Umweltpolitik dem Alltagsgeschäft zu entziehen, damit die Parlamente und Regierungen konsequent und kontinuierlich eine angemessene Expertise für ihr Handeln haben«.

Daher also der auf den ersten Blick befremdliche Titel des Buches: Demokratie und Revolution. »Das drängendste Problem der westlichen Gesellschaften«, schreiben die Autoren, »ist die Resignation. Ist der Verlust an Würde. Ist der schwindende Glaube an die Zukunft. Ist fehlendes Vertrauen in die Selbstwirksamkeit. Ist wachsender Zynismus. Ist selbstzerstörerische Wut. Ist Müdigkeit, ist betäubende Betriebsamkeit.« Dagegen setzen sie eine befreiende Hoffnung, die Hoffnung darauf, dass die grau und träge gewordene Demokratie sich doch noch einmal aufraffen kann. Denn, davon sind sie überzeugt: »Das irrsinnige Tempo der Zerstörung, das vielen Menschen ein Gefühl der Ohnmacht gibt, kann überführt werden in ein revolutionäres Tempo der Demokratie, das den Bürgerinnen und Bürgern den Stolz der Selbstwirksamkeit zurückgibt.«

Am Ende des Buches wird dem Leser dann noch eine »Utopie to go« angedient, die zugleich als »der letzte verbliebene Realismus« firmiert: »(…) die Menschen werden wie Erwachsene angesprochen, nicht wie Konsumkinder und auch nicht wie Monster, sondern auf ihre gartenzaunfreundliche Seite hin. Ökologisch motivierter Verzicht wird zum selbstverständlichen Teil des ganzen Lebens verachselzuckt, Verbote werden zu hundsnormalen Mitteln des Regierens, die Demokratie wird aus ihrer Engführung befreit, ihre konservativen Tugenden und Anforderungen werden zum neuen/alten Standard, das Zeitalter der Nebenfolgen wird als neue Herausforderung angenommen, die alte Normalität wird liebevoll und immer wieder neu verabschiedet, sie wandelt sich vom Anspruch zur Nostalgie (…). Immer weniger von dem, was wir tun, wird Zerstörung, immer mehr Schonung wird Teil des Alltags, das Tier wird zum Partner (…) das Bildungsbürgertum wird demütiger (…).«

»Wäre ein freundliches, geradezu arkadisches Idyll tatsächlich die Lösung oder auch nur Teil der Lösung?«

Ein freundliches, geradezu arkadisches Idyll wird hier dem Leser als Ultima Ratio offeriert. Aber wäre das tatsächlich die Lösung oder auch nur Teil der Lösung? Und wie befremdlich das klingt in einer Zeit, da in Europa ein grauenhafter Krieg wütet und im Nahen Osten der Konflikt zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel alle Fesseln zu sprengen droht. Müsste nicht, selbst wenn sich in Deutschland tatsächlich alles so glücklich wendete, der gescholtene Kanzler, müssten nicht die angeblich so mutlosen Grünen Robert Habeck und Annalena Baerbock trotzdem weiter durch die Welt reisen, um schwelende Brände zu löschen, Verbündete zu suchen und Hilfe und Zusammenarbeit anzubieten, weil in anderen Teilen der Welt die Menschen nicht eine 70-jährige Phase der Wohlstandssteigerung hinter sich haben, die es ihnen womöglich erlaubte, gelassen ein wenig Verzicht zu üben? Und können und dürfen wir milde lächelnd zusehen, wie autoritäre Regime überall auf der Welt Zulauf bekommen, Menschen unterdrücken und Kriege entfesseln?

Richter und Ulrich haben ein Buch geschrieben, dass sich über weite Strecken amüsant und anregend liest, das in vielen Punkten treffend Kritik übt an der Umweltpolitik der Ampelkoalition, aber bei dem Versuch, einen halbwegs realis­tischen Ausweg aus der gegenwärtigen Misere aufzuzeigen, scheitert.

Hedwig Richter/Bernd Ulrich: Demokratie und Revolution. Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024, 368 S., 25 €.

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