Menü

Widerstand beim Klimaschutz – alte Strategien, neue Konfliktlinien

Schon 1982 hatte ExxonMobil erstaunlich zutreffende Erkenntnisse, wie sich das Klima durch den Ausstoß von Treibhausgasen verändern wird. Die Wissenschaftler des Mineralölkonzerns prognostizierten für das Jahr 2019 einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 0,9 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Dem lag die Annahme zugrunde, dass der Verbrauch an fossilen Energieträgern über die Jahre hinweg weiter zunehmen wird. Oder, anders ausgedrückt: dass sich das Marktvolumen für die Produkte des Unternehmens deutlich vergrößert.

Naturgemäß war das gut für das eigene Geschäftsmodell und erklärt, warum Exxon in den folgenden Jahrzehnten enorme Summen investierte, um den menschengemachten Klimawandel mit umfassenden Kampagnen gezielt in Zweifel zu ziehen. Damit ist der Konzern allerdings nur einer unter vielen. Allein in den Jahren zwischen 2003 und 2010 haben Unternehmen jährlich über 900 Millionen Dollar für diesen Zweck zur Verfügung gestellt. Das Geld fließt an Wirtschaftsverbände, Lobbyorganisation und klimawandelskeptische Wissenschaftler/innen, deren Botschaften in den Medien Verbreitung finden.

Auch in Deutschland gibt es eine Szene von Klimaskeptiker/innen. Politische Unterstützung erhält sie allen voran vonseiten der AfD. Nachdem die öffentliche Diskussion über die Migrationspolitik mehr und mehr in den Hintergrund gerückt ist, hat die Partei erst vor kurzem den Kampf gegen den Klimaschutz zu ihrem nächsten großen Thema erklärt. Im Bundestag forderte die AfD-Fraktion bereits die Aufgabe sämtlicher Energie- und Klimaschutzziele. Wiederholt hat sie Wissenschaftler/innen in Anhörungen des Umweltausschusses eingeladen, die den menschlichen Einfluss auf die Erderwärmung in Abrede stellen.

Wenngleich sich der Klimaskeptizismus auf diese Weise politischen Raum verschafft, ist die wissenschaftliche Evidenz inzwischen so überwältigend, dass die gesäten Zweifel zumindest in der breiten deutschen Öffentlichkeit weniger Wirkungsmacht entfalten als noch einige Jahre zuvor. Trotzdem ist der Kampf gegen den Klimawandel keinesfalls einfacher geworden. Im Gegenteil: Die Hauptwiderstände gegen einen ambitionierten Klimaschutz haben sich auf ein neues Spielfeld mit höherer Reichweite verlagert. Statt die naturwissenschaftlichen Grundlagen zu hinterfragen, rücken Kritiker/innen einer engagierten Klimapolitik verstärkt die damit verbundenen sozialen und ökonomische Kosten in den Fokus – oft mit der Absicht, Klimaschutz und Wohlstand gegeneinander auszuspielen.

Im Zentrum der Angriffe steht dabei insbesondere die Energiewende. Zu ineffizient sei sie und zu teuer, für die Industrie genauso wie für die Bevölkerung. Die Energiewende aber ist das Herzstück jeglicher Anstrengungen, wenn Deutschland das Pariser Klimaabkommen einhalten und das ambitionierte Ziel der »Dekarbonisierung«, also der Abkehr von fossilen Brennstoffen, erreichen will. Bis 2050 sollen alle Sektoren CO2-neutral werden: Industrie, Energieerzeugung, Verkehr, Wärme und Landwirtschaft. Niemand bestreitet, dass dies mit großen Anstrengungen verbunden ist. Die Investitionsbedarfe liegen im Billionenbereich und erstrecken sich über einen Zeitraum von 30 Jahren.

Die Umsetzung eines solch langfristigen Projekts kann nur gelingen, wenn es einen politischen und gesellschaftlichen Konsens darüber gibt. Für die Energiewende im engeren und die Dekarbonisierung im weiteren Sinne ist das bis heute ein Problem. Denn beides gehört – anders als beispielsweise die Idee der Sozialen Marktwirtschaft – (noch) nicht zur politischen DNA der Bundesrepublik. Weit in die politische Mitte hinein wird bis heute das Ob und nicht nur das Wie diskutiert. Aber warum eigentlich?

Die Dekarbonisierung führt, wie andere politische Projekte auch, zu Verteilungskonflikten. Sie produziert Gewinner und Verlierer. Ihre Kritiker/innen setzen genau hier an. Statt sich mit der Frage zu beschäftigen, wie die Konflikte moderiert und durch politische Rahmensetzung gelöst werden können, stellen sie die Sinnhaftigkeit und Machbarkeit des gesamten Projektes zur Disposition. Das verstellt den Blick für die eigentlichen Herausforderungen, was sich an einigen prominenten Argumenten gut illustrieren lässt.

Immer wieder heißt es, die Energiewende gefährde die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland und damit Arbeitsplätze. Es lohnt sich, diese Behauptung in den verschiedenen Facetten genauer zu betrachten.

Richtig ist, dass vor allem energieintensive Industrien vor großen Herausforderungen stehen. Da die Energiekosten einen Großteil der Produktionskosten ausmachen, sind sie für die Konkurrenzfähigkeit auf globalen Absatzmärkten entscheidend. In anderen Branchen wiederum ist die Umstellung auf treibhausgasneutrale Produktionsverfahren mit so hohen Investitionen verbunden, dass sie aktuell noch nicht wettbewerbsfähig sind. Ein gutes Beispiel ist der Einsatz von Wasserstoff bei der Stahlerzeugung.

Wahr ist aber auch, dass gerade große Industriebetriebe von verschiedenen Ausnahmetatbeständen profitieren und Strom zu vergünstigten Industrietarifen beziehen. In der Zukunft wird es – abhängig vom internationalen Umfeld – darauf ankommen, die Industrie beim notwendigen Umbau von staatlicher Seite zu unterstützen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Dafür steht eine ganze Palette an Instrumenten und Ideen bereit. Angefangen von einer stärkeren Forschungsförderung über Hilfen beim Aufbau von Pilotanlagen im industriellen Maßstab, bis hin zu handelspolitischen Instrumenten oder einem Grenzsteuerausgleich für CO2-intensive Produkte. Mit Blick auf die Ankündigung eines »European Green Deal« ist zu hoffen, dass für letztgenannte Maßnahmen die neue EU-Kommission als Verbündete bereitsteht.

In anderen Wirtschaftszweigen hingegen sind Energiekosten nur ein Faktor neben anderen. Hier sind für die Standortwahl die Nähe zu großen Absatzmärkten, die Qualität der verfügbaren Infrastruktur sowie die Qualifikation der Arbeitskräfte mindestens ebenso wichtig. Gesamtwirtschaftlich betrachtet, das legen aktuelle Untersuchungen nahe, ist die Dekarbonisierung in Deutschland beschäftigungsneutral zu erreichen. Zwar müssen einige Branchen, etwa die petrochemische Industrie oder die konventionelle Energieerzeugung, mit einem Beschäftigungsabbau rechnen, dafür werden andere Branchen einen stärkeren Beschäftigungsaufwuchs erleben, beispielsweise das Baugewerbe. Und im Bereich der Klimaschutztechnik und -dienstleistungen könnten die Unternehmen bis 2050 gar rund 4,9 % der Gesamterwerbstätigkeit ausmachen – das sind mehr als derzeit in der Automobilindustrie samt abhängiger Branchen beschäftigt sind.

Statt also darüber zu diskutieren, ob wir uns denn nun wirklich auf den Weg der Dekarbonisierung machen, sollten wir besser Antworten auf folgende Fragen geben: Wie können wir sicherstellen, dass die neu entstehenden Arbeitsplätze tarifgebunden sind? Welche Angebote für Qualifizierung und Weiterbildung müssen wir Beschäftigten bieten, deren Branchen vom Wandel betroffen sind? Was ist zu tun, damit die notwendigen Fachkräfte überhaupt zur Verfügung stehen? Denn – das macht die Brisanz der letzten Frage aus – infolge der demografischen Entwicklung werden verschiedene Branchen um Fachkräfte konkurrieren.

Neben den befürchteten Jobverlusten erhitzen vor allem die angenommenen sozialen Kosten die Gemüter. Im Kern geht es um die Befürchtung, dass steigende Energiekosten für fossile Energieträger, beispielsweise durch die Einführung eines CO2-Preises, vor allem für Haushalte mit geringen Einkommen sowie für die untere Mittelschicht zu enormen Belastungen führen könnten. Gerne wird in diesem Zusammenhang auf die französische Gelbwesten-Bewegung verwiesen, obwohl die Ursachen dieses Protests längst nicht nur in gestiegenen Spritpreisen liegen.

Die Debatte ist so alt wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) selbst. Ihren Ursprung hat sie darin, dass die Kosten für den Ausbau der erneuerbaren Energien durch die EEG-Umlage auf den Strompreis von privaten Haushalten getragen werden. Tatsächlich haben sich die Stromkosten für Privathaushalte seit Einführung des EEG im Jahr 2000 bis heute in etwa verdoppelt, auch die EEG-Umlage ist bis 2014 stark gestiegen. Häufiger kommt es zu Stromabschaltungen, weil Haushalte ihre Stromrechnungen nicht begleichen können.

Natürlich verschärfen steigende Kosten die ohnehin schwierige wirtschaftliche Lage vieler Haushalte zusätzlich. Mit Blick auf den Strom ist aber festzustellen, dass er neben Heizen und Benzin in der Regel nur ein Drittel der gesamten Energiekosten eines Haushalts ausmacht. Diese Gesamtenergiekosten sind in den letzten zehn Jahren durchschnittlich lediglich um 3,5 % gestiegen.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auf die EEG-Umlage Mehrwertsteuer anfällt. Zudem wird bei der Diskussion häufig völlig außer Acht gelassen, dass auch die Stromerzeugung aus fossilen Quellen sowie die Atomenergie staatlich subventioniert werden. Dies wird aber ebenso wenig in der Zusammensetzung des Strompreises ausgewiesen wie die Folgekosten von Atom- und Kohlestrom, etwa die durch Umwelteffekte entstehenden oder die Kosten für die Lagerung von Atommüll. Dass ausgerechnet die Kosten für den Ausbau der erneuerbaren Energien transparent in der Stromrechnung erscheinen, hat sicherlich nicht zu deren Akzeptanz beigetragen.

Deswegen nun aber das gesamte Projekt infrage zu stellen, ist abwegig. Das EEG hat den Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich vorangebracht, deshalb wurde es weltweit kopiert. Was die sozialen Verwerfungen angeht, so würde eine Anpassung der Regelsätze im Arbeitslosengeld II einkommensschwachen Haushalten wesentlich wirksamer helfen. Generell sind das nämlich sozialpolitische Probleme, die mit sozialpolitischen Maßnahmen beantwortet werden müssen – und nicht mit energiepolitischen.

Mittelfristig wird die eigentliche Herausforderung zudem darin liegen, das Energiesteuersystem auf die Sektorenkopplung, also den Einsatz von (erneuerbarem) Strom im Mobilitäts- und Wärmesektor, umzustellen. Denn bei den jetzigen Regelungen wird Strom – trotz weiter steigendem Anteil erneuerbarer Energien im Strommix – verglichen mit fossilen Energieträgern verhältnismäßig teuer bleiben. Dann könnte sich tatsächlich die Frage nach der Bezahlbarkeit von Energie stellen. Die Gefahr liegt letztlich also eher darin, dass die notwendigen Reformen – beispielsweise eine Absenkung der Stromsteuer – so lange verschleppt werden, bis das Projekt der Energiewende nachhaltig diskreditiert ist. Die Kritik am EEG ist heute wie das Werfen einer Nebelkerze, um den Fokus der Debatte von den eigentlich relevanten Fragestellungen abzulenken.

Die Beispiele haben deutlich gemacht: Akzeptanz und Erfolg der Energiewende stehen und fallen damit, dass in naher Zukunft die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit sich Wirtschaft und Bevölkerung auf die Umwälzungen im Zuge der Dekarbonisierung einstellen können. Je länger diese eindeutige Rahmensetzung ausbleibt, desto höher werden die wirtschaftlichen und sozialen Anpassungskosten letztendlich ausfallen. Damit wiederum steigt die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Projekt scheitert. Den Gegnern einer ambitionierten Klimapolitik spielt das in die Hände.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben