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Theaterbesuche in Cottbus Wie hast Du's mit der AfD?

Das Szenario könnte einer Fantasie Björn Höckes entsprungen sein: Ein unbekanntes Virus grassiert und mit der Zahl der Infizierten wächst die Angst vor dem Fremden. Grenzen werden abgeriegelt, Theater, Kinos, Bars und Restaurants geschlossen, Grundrechte außer Kraft gesetzt – das öffentliche Leben kommt plötzlich zum Erliegen.

Was das Corona-Virus gerade weltweit auslöst, entspricht in vielerlei Hinsicht dem Schreckensbild, das die AfD heraufbeschwört, sobald es um unsere demokratische, offene Gesellschaft geht. Neben territorialen Grenzen hat die rechtspopulistische Partei die Kultur schon vor Jahren zum »zentralen Feld des politischen Richtungskampfes« erkoren. Häufig verwendet sie dafür Metaphern, die auf Krankheit und Tod verweisen. So spricht der kulturpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Marc Jongen, von der »Entsiffung des Kulturbetriebs« – seine Partei müsse diese vorantreiben, um den Boden für die große Wende in Deutschland zu bereiten. Im Rahmen der vergangenen Bundestagswahl forderte die AfD eine »deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus«. Die Theaterlandschaft sei von der links-grünen Szene kontrolliert, anstatt Vielfalt sehe man »Gesinnungstheater«. AfD-Politiker wettern gegen »propagandahaft-erzieherisches Theater« und gegen »Multi-Kulti-Trallala«, welches »die deutsche Nation in den Dreck ziehe«. Ein Facebook-Eintrag des AfD-Kreisverbandes Rheingau-Taunus vom Sommer 2018 lautet: »Das frühere Land der Dichter und Denker verkommt zum Land der geistig minderbemittelten Gutmenschen«.

Seit die AfD in allen Landtagen vertreten ist, häufen sich Aktionen gegen missliebige Theaterinstitutionen. Dabei fordern die Rechtspopulisten lautstark eine Rückkehr zu den deutschen Klassikern und nationalen Stoffen. Der Bühnenverein hat eine Liste mit Dutzenden Störaktionen, Drohungen, Diffamierungen, Klagen und parlamentarischen Anfragen der AfD seit 2014 erstellt – an der Vervollständigung arbeite man noch. Angefangen bei den Morddrohungen und Klagen gegen den Regisseur Falk Richter, der in seinem AfD-kritischen Stück Fear für die Schaubühne Berlin das Konterfei der AfD-Politikerin Beatrix von Storch verwendete, über das ChaOSTheater Aachen, das in einer Aufführung Gemeinsamkeiten von Islamisten und Rechten thematisierte, worauf die AfD zur Zensur aufrief, über den Antrag der AfD im Kulturausschuss Berlin, dem Deutschen Theater, dem Gorki-Theater und dem Friedrichstadtpalast Zuschüsse zu streichen, bis hin zur Anfrage an das Staatstheater Stuttgart, wie viele ausländische Mitarbeiter es beschäftige.

Immer häufiger bedient sich die Partei dabei legaler, demokratischer Mittel, welche die Kulturbehörden und Stadtverwaltungen endlos beschäftigen. So bietet ausgerechnet die parlamentarische Bühne den Rechtspopulisten ein Forum, um Stimmung gegen Künstler zu machen, die ihr Weltbild nicht teilen.

Um mir selbst einen Eindruck zu verschaffen, reise ich nach Cottbus. In der beschaulichen 100.000-Einwohner-Stadt hinterfragte die AfD im November 2018 die Subventionswürdigkeit des dortigen Kinder- und Jugendtheaters. Neben dem Piccolo-Theater steht Cottbus mit seinem Staatstheater, dem einzigen Vierspartenhaus Brandenburgs, für die vielfältige und exzellente Kultur der Region. Aber Cottbus gilt auch als Hochburg der Neuen Rechten. Bei der vergangenen Landtagswahl avancierte die AfD mit 26,8 % der Stimmen zur stärksten politischen Kraft – und seit Jahren beobachtet der Verfassungsschutz die Vernetzung gewaltbereiter Rechtsextremer in der Stadt.

Im Büro des Piccolo-Theaterleiters Reinhard Drogla und seines Stellvertreters Matthias Heine klicken unmittelbar nach der Begrüßung die Aufnahmegeräte. »Wir kennen uns nicht. Daher müssen wir uns auf ein paar Regeln verständigen: Sie nehmen uns auf, wir nehmen Sie auf. Und mir reicht nicht, dass ich am Ende nur meine Zitate autorisiere, ich möchte Ihren kompletten Text lesen«. Die Skepsis sitzt mit am Tisch. Das Misstrauen gegenüber Teilen der Presse, die nach Meinung des Theaterleiters die AfD angepriesen habe, ist groß. Vielleicht ist es aber auch nur Misstrauen gegenüber einer unbekannten Journalistin aus dem Westen.

Reinhard Drogla hat das Piccolo-Theater 1991 mit vier anderen Theaterbegeisterten gegründet. In der Goldgräberstimmung des wiedervereinigten Deutschlands sah er die Gefahr eines Werteverlusts auf sich zurollen. »Dem wollte ich mit einem kreativen und zugleich geschützten Ort für Kinder und Jugendliche begegnen.« Zu DDR-Zeiten galt der Vater dreier Kinder als unbequemer Liedermacher, der dafür von der Stasi bespitzelt wurde. Heute ist Reinhard Drogla nicht nur Theatermann sondern auch SPD-Vorsitzender des Cottbuser Stadtparlaments.  Seit einigen Jahren leitet er das Haus gemeinsam mit Matthias Heine. Heine ist in Cottbus aufgewachsen, studierter Sozialpädagoge und im Piccolo-Theater nicht nur für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, sondern auch Regisseur etlicher Stücke. Stolz spricht er vom Dreispartenhaus – das nicht nur Schauspiel, Tanz und Figurentheater miteinander verbinde, sondern seine besondere Stärke aus der gemeinsamen Arbeit von Laien und Profis gewinne. »Wir machen Theater für Kinder und Jugendliche, aber vor allem auch mit ihnen«, sagt Heine und stellt mir die verschiedenen Clubs des Theaters vor, in denen Tanz- und Theaterpädagogen mit den Heranwachsenden an Projekten und Stücken arbeiten. »Wir haben eine besondere Verantwortung«, betont Drogla, »sind aber kein Belehrungstheater«. Anlass für die Anfrage der AfD im Brandenburger Landtag war das Stück »KRG – eine Heimatbetrachtung«, mit dem das Piccolo 2018 einen Sonderpreis für Demokratie gewann. »Die wurden so erst auf uns aufmerksam«, sagt Heine und erklärt das Stück als Empathieübung. Jugendliche stellen sich vor, ein erbitterter Krieg in Europa würde sie zur Flucht in den Mittleren Osten zwingen, wo sie als Flüchtlinge in Lagern unterkommen. »In dem Stück geschieht nichts, was die AfD explizit auf oder gegen sich gerichtet lesen könnte. Doch die vertauschten Rollen im Spiel um Flucht und Heimat vermitteln humanistische, demokratische Grundwerte – allein das scheint die AfD anzupissen«, sagt Drogla. Es war die erste Anfrage dieser Art in Brandenburg. Für einen Moment stand das Theater unter Schock. »Plötzlich hinterfragte eine große Parlamentspartei ausgerechnet unsere Arbeit – und das dezidiert politisch. Inwieweit wird das unsere Arbeit beeinflussen, sie gar behindern (…) es ist ja kein großer Schritt von der zweitstärksten politischen Kraft zur regierenden Partei.« Drogla und Heine reagierten nüchtern, den politischen Diskurs klammerten sie bewusst aus. Die Fragen zu Subventionshöhe, Mitarbeitern und Spielplangestaltung beantworteten sie in allen fachlichen Facetten. Ein enormer Zeitaufwand. »Aber wir wollten zeigen, dass wir uns nicht verunsichern lassen. Denn das ist ja die Zermürbungstaktik aller Geheimdienste, so hat die Stasi auch gearbeitet – Angst verbreiten, destabilisieren, angreifen«, sagt Drogla. Dabei nutzten sie die Öffentlichkeit, die ihnen zuteil wurde. Plötzlich fragten die unterschiedlichsten Medien an – auch überregionale wollten Interviews und Stellungnahmen. »Das brachte uns auf die Idee, das Stück, das bereits abgespielt war, nochmal aus der Versenkung zu holen«, sagt Heine, »auch um zu zeigen, wie ein Theater auf solche Anfeindungen zu reagieren hat – indem es weiterspielt«.

Zu den Zusatzvorstellungen luden Drogla und Heine die komplette Landtagsfraktion ein – inklusive der AfD. Gekommen sei niemand. Grüne und Linke hätten zwar ihren Besuch angekündigt, aus Krankheitsgründen aber abgesagt. Die übrigen Vertreter reagierten überhaupt nicht – obwohl sich nach Veröffentlichung der Anfrage die Empörung und Solidaritätsbekundungen überschlagen hatten. »Für die Jugendlichen, die das Stück entwickelt und ihre Gesichter für einen angefeindeten humanistischen Grundsatz hingehalten hatten, ein Signal purer Ignoranz«, beklagt Heine.

Trotzdem fiel die Unterstützung für das Piccolo und ihr Stück KRG mit drei ausverkauften Vorstellungen am Ende überwältigend groß aus. Denn über die Bühne hinaus ist das Theater seit Jahrzehnten beliebter Jugendtreff und Anlaufstation.

Die AfD-Anfrage ließ die Kultureinrichtungen des Landes näher zusammenrücken: Mehr als 30 Brandenburger Institutionen stellten sich hinter das Piccolo und unterzeichneten die »Erklärung der Vielen«, einen bundesweiten Zusammenschluss, in welchem sich Theater und Kunstinstitutionen gemeinsam gegen rassistische und antidemokratische Anfeindungen wehren – inzwischen umfasst er mehr als 500 Institutionen.

Um die Cottbuser enger an sein Ensemble zu binden hat Jo Fabian, Schauspieldirektor des Cottbuser Staatstheaters, vor zwei Jahren einen »Bürgerchor« gegründet. In seinen preisgekrönten Arbeiten verknüpft Fabian Ausdrucksformen unterschiedlicher Genres. Der Chor sei offen »für jede und jeden«, erklärt er. Denn ihm gehe es um echte Anteilnahme. »Es sind ja menschliche Prozesse, die wir auf der Bühne zeigen – und nur wenn wir Zuschauer tatsächlich integrieren, mit ihnen gemeinsam durch Krisen gehen, Wirklichkeit bewältigen, wird auch das Theater zum relevanten Ort.« Inzwischen ist der Bürgerchor fester Bestandteil vieler Inszenierungen, ein eigenes Stück ist geplant. Fabian hofft, dass er unter der neuen Intendanz fortbestehen wird, die das Haus ab Herbst 2020 übernimmt. Mit dem Chor sei der Kreis derer, die ein enges Verhältnis zum Theater hätten, stetig gewachsen. Über dem prächtigen Jugendstilbau prangt in goldenen Lettern »Der deutschen Kunst«. Cottbus sei ein Wunschort gewesen, sagt Fabian, der in Ostberlin aufgewachsen ist. Nicht nur wegen der langen Theatertradition dort. Auch weil die Stadt als Nazi-Hotspot gilt. »Gerade für diese Leute wollte ich Theater machen. Als ›Friedensverseuchter‹ aus dem Osten konnte ich mir nicht vorstellen, wo so eine rassistische, menschenverachtende Haltung herkommt.« Weil in der DDR Antifaschismus Staatsdoktrin war? Und weil Nazismus und Antisemitismus trotzdem weiter köchelten – auch als Gegenwehr zum übermächtigen Staat – und umso heftiger nach der Wende aufloderten? Für Fabian erklärt das den Hass nicht. Um herauszufinden, was die politischen Vertreter vom Theater erwarten und um den eigenen Auftrag besser umreißen zu können, suchte er das Gespräch mit den kulturpolitischen Vertretern aller Fraktionen, auch mit dem Brandenburger AfD-Vorsitzenden Andreas Kalbitz, der als Aushängeschild des rechtsnationalen Flügels seiner Partei gilt. Im persönlichen Gespräch bliebe nur wenig von den aggressiven Slogans, die der AfD-Mann sonst vom Rednerpult abgibt, sagt Fabian. Und er habe aus diesem Gespräch etwas mitgenommen, was ihm vorher nicht bewusst war: »Dass die Verknüpfung von Patriotismus und Heimat ein Grundfehler unseres Denkens ist«.

Den Erfolg der AfD sieht Fabian im permanenten Auslösen und Schüren existenzieller Ängste, die mit Begriffen wie Heimat, Familie und Kultur verknüpft würden. Begriffe, die niemand hinterfrage, die man aber gerne überhöhe. »Dadurch entsteht eine diffuse Verteidigungshaltung, die uns ständig in den Baumarkt fahren und Zaunlatten kaufen lässt«, so Fabian. Die Abwehrhaltung, die die AfD gerne als »Patriotismus« ausstelle, sei lediglich Ausdruck einer existenziellen Angst um etwas, worin man sich auskenne und bessere Überlebenschancen wittere. Jeder könne seine subjektive Definition zu Familie, Heimatort oder Kunst und Kultur haben. »Aber solange wir diese Begriffe wie Grundbesitze ausstellen, die man nach außen verteidigen muss, machen wir uns selbst angreifbar.« Fabian kritisiert den eigenen Theaterbetrieb, der seinerseits mit Ausgrenzungen arbeite und immer noch nach feudalen, hierarchischen Prinzipien funktioniere. »Dadurch lassen wir zu, dass auch unsere freiheitlichen Vorstellungen missbraucht und wieder als Instrument gegen uns eingesetzt werden.«

Dagegen fordert er den analytischen Blick als Arznei gegen die Angst. Ein hehrer Anspruch, den er nicht nur an sich selbst und seine Schauspieler stellt, sondern auch seinem Publikum zumutet.

Mit Goethes Faust wolle er sich auf eine Forschungsreise begeben, erklärt Fabian – ausgelöst durch die AfD-Forderung nach deutschen Klassikern auf der Bühne. Was sagt uns das Werk heute – 250 Jahre nach seiner Entstehung. Taugt es zur Stärkung eines nationalen Bewusstseins? »Nein!«, widerspricht Fabian. »Meine Aufforderung wäre, es zu überwinden.« Dafür hat er das Paradestück der Weimarer Klassik selbst auf einen Sockel gestellt – als interaktive Skulptur im deutschen Pavillon der Biennale in Venedig. Den Betrachter will er einladen, über die Relevanz des Exponats selbst zu entscheiden.

Statisten spielen brave Besucher, die hinter einer Schauspielerin durch den Ausstellungsraum trotten. Als Museumsguide weist sie mit sonorer Stimme auf die folgende Studierzimmerszene hin – während der Originaltext an die Wand projiziert wird. Unter gelangweilten Blicken beginnt Faust-Darsteller Axel Strothmann zu sprechen, zuerst stammelnd, zögernd – wie ein Automat, bei dem noch nicht der richtige Ton programmiert wurde. Für das Publikum eine ungewöhnliche Wahrnehmungsübung – was bleibt, wenn der Vers aus dem Takt des Reims befreit ist und das Publikum gemeinsam mit dem Darsteller jedes Wort auf seinen semantischen Gehalt hin untersucht?

Die Musealisierung von Kunst hält Fabian für gefährlich. Deswegen verlangt er auch von seinen Schauspielern eine ehrliche, persönliche Auseinandersetzung – sie sollen Verse und Begriffe auf deren Bedeutung hin überprüfen, Stücke und Werte auf deren Gültigkeit. Auf der Bühne steigt Faust vom Sockel, als er sich in Gretchen verliebt. Am Ende wird das Publikum Zeuge einer monströsen Egomanie – als er dem Teufel abschwört, um Gretchen zu retten – seiner Menschwerdung.

Goethes Entwurf eines modernen Menschen, egoistisch, skrupellos, eitel bis zum Größenwahn passe sehr gut in den Kapitalismus, in die Brutalität unserer freien Marktwirtschaft, meint Fabian. Passt er auch zur AfD? In Fabians Inszenierung verweist Boris Schwieberts Maske als Mephisto – dämonisch weiß geschminkt, mit steil nach oben gezogenen Brauen – auf den berühmten Vorgänger Gustaf Gründgens. Dieser wurde mit seiner Darstellung nicht nur zur großen Schauspielikone, sondern auch zum Symbol der unheilvollen Allianz von Kunst und Nazismus.

Auch das Piccolo hat Goethes Faust im Repertoire. »Seit 1997«, betont Heine. Fast Faust soll Schülern, die den Klassiker in der Schule durchkauen müssen, eine sinnlich-spaßige Ergänzung zum trockenen Lernstoff sein. Dass das Stück schon seit Jahrzehnten vor vollen Zuschauerreihen laufe, bestärke sie in dessen Aktualität.

»Wir wollen keine Belehrungsklatsche«, sagt Heine, das lustvolle Erlebnis stehe im Vordergrund, die Erkenntnis, Interpretation folge da hinterher. »Etwas, das unserem ernsthaften Kulturverständnis oftmals fehle – im Übrigen auch der AfD«, ergänzt Drogla. Die zeichne sich nicht nur durch »eine verknitterte Freudlosigkeit« aus, sondern auch durch ihre große Unkenntnis des Kulturbetriebs. Ob für ihn ein persönliches Gespräch mit deren Kulturvertreter Sinn mache? Drogla schüttelt den Kopf. Er kenne deren Argumentationsweisen aus dem Stadtparlament – und die seien nie konstruktiv.

Die mediale Aufmerksamkeit, die ihr Theater durch die AfD erfahren habe, sehen Drogla und Heine zwiespältig. Heine spricht vom »AfD-Domino«-Interesse, das sich an einem negativen Anlass entzündet. Zwar hätte sie das in ihrer Arbeit bestätigt, doch Anerkennung und Loyalität – gerade auch für ihren Standort Cottbus, wünschten sie sich vor allem jenseits der AfD.

Wie steht es nun um die Freiheit der Kunst? Wie kann das Theater als künstlerisch freier Ort, der jeden und jede, egal welchen Geschlechts, welcher Couleur, egal mit welchen Geschichten, mit offenen Armen empfängt, geschützt werden?

Etwa durch die Verantwortung jedes einzelnen Theaterschaffenden, durch eine prinzipielle Bereitschaft, überkommene feudale Strukturen zu hinterfragen, sie zu überarbeiten, wie Jo Fabian es fordert – oder durch einen genauen Werteplan, wie es sich Drogla und Heine für das Theater für die Jüngsten wünschen?

Noch nie in den vergangenen Jahrzehnten trat die politische und gesellschaftliche Dimension des Theaters so offensichtlich hervor, wie in dessen Auseinandersetzung mit der AfD. Dass Demokratie tatsächlich auf Theaterbühnen verhandelt wird und diese Seismografen unseres gesellschaftlichen und freiheitlichen Status quo sind, förderten in erschreckender Härte die Angriffe und Verleumdungen der Rechtspopulisten zutage. Die Corona-Pandemie hingegen lässt unser bisheriges kulturelles Leben verstummen. Sie fordert uns heraus, das Theater wieder als Ort der Utopie zu entdecken, es mit frischen Ideen, Formen und Geschichten zu bespielen, die uns mutige Wege für die Zukunft weisen. In der Schockstarre könnten sonst die Rechtspopulisten die Deutungshoheit über die leeren Säle erlangen, in welchen das Wir, die Gemeinsamkeit durch ein Virus ausgelöscht scheint. Doch schon jetzt meldet sich die kreative Wut, die Überlebenskraft vieler Theaterschaffenden in neuen Kanälen, Live-Streams, YouTube-Videos oder spontanen Balkon-Performances.

Gegen COVID-19 wird es irgendwann einen Impfstoff geben, die Theater werden wieder ihre Türen öffnen. Damit sie sich aber auch nach der Pandemie vielfältig zu Wort melden können, brauchen sie die konkrete staatliche Wertschätzung, von welcher nicht nur Staatstheater profitieren. Es bleibt zu hoffen, dass sich der rechtsextreme AfD-Flügel – auch im Sog des Virus – nicht nur symbolisch auflöst, sondern tatsächlich auflösen wird und nicht die Zeit nutzt, sich von Neuem und mit neuer Macht aufzustellen.

Kommentare (1)

  • Alexandra Marschner
    Alexandra Marschner
    am 10.05.2020
    Ganz grundsätzliche Fragen stellen sich hier. Die seit FAUST mögliche Gegenüberstellung von gretchenhafter Gutgläubigkeit einerseits und dem durch sein zersetztes Selbst zur Fremdkontrolle verführten Bürger lotet das Piccolo wohl großartig nach links und rechts, in dt. Vergangenheit (1933) und Zukunft aus. Als Leserin befrage ich mich nach Haltung. Freiheit aber ist keine Frage. Weitermachen!

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