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Wie man Vertrauen verliert – und (zurück)gewinnt

»Es hat sich gezeigt, dass die vier Gesprächspartner keine gemeinsame Vorstellung von der Modernisierung unseres Landes und vor allen Dingen keine gemeinsame Vertrauensbasis entwickeln konnten.« Mit dieser Aussage begründete Christian Lindner am 19. November 2017 kurz vor Mitternacht den Ausstieg der FDP aus den sogenannten Jamaika-Sondierungen. Fehlendes Vertrauen – ein Totschlagargument, das jede weitere inhaltliche Diskussion zunichtemachen kann. Und zugleich ist es so populär wie nie, von fehlendem Vertrauen in »die Politik« oder von einer allgemeinen Vertrauenskrise zu sprechen, schließlich macht es die Bevölkerung den Politikern vor: Ihr fehlt das Vertrauen. Das Edelman Trust Barometer, eine der größten Umfragen zu diesem Thema, konstatiert, dass zwei Drittel der Bevölkerung kein Vertrauen mehr haben, die Eliten aus Politik und Wirtschaft könnten die Herausforderungen unserer Zeit lösen.

In dieses Horn bläst nicht nur der Bundesvorsitzende der FDP. »Ich kämpfe jetzt einfach mal um Ihr Vertrauen«, sagte Martin Schulz häufig im zurückliegenden Bundestagswahlkampf. Und nach der Wahlniederlage der SPD am 24. September heißt es vom Ortsvereinsvorsitzenden bis zur Parteispitze, man müsse verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Es ist erkennbar »in«, von Vertrauen zu reden, und dies nicht zuletzt, so eine These des Artikels, weil wir es hier mit einem Kampfbegriff à la »Gerechtigkeit« oder »Solidarität« zu tun haben, der nicht hinreichend konkretisiert wird und unter dem sich Redner und Zuhörer, Politiker und Bürger verschiedenes vorstellen. Dadurch trägt die Rede vom Vertrauen jedoch gerade zu einer Rhetorik bei, die selbiges ad absurdum führt.

Welches sind die Grundbedingungen von Vertrauen und was könnte speziell die SPD in ihrer aktuellen Situation tun, um Vertrauen erstmals oder wieder neu zu gewinnen?

Was ist Vertrauen?

Bei der Messbarmachung des Begriffs gilt es zunächst zwischen verschiedenen Ebenen des Vertrauens zu differenzieren. So lässt sich das Vertrauen in Personen von dem in Institutionen oder in Prozesse (beispielsweise technische Prozesse) abgrenzen. Aus Umfragen ist bekannt, dass beispielsweise manche Politiker höheres Vertrauen genießen als der Bundestag oder die Parteien als Ganzes. Diese verschiedenen Vertrauensebenen sind jedoch nicht unabhängig voneinander. Forschungen wie die des Kommunikationswissenschaftlers Christian Wiencierz haben gezeigt, dass es Menschen schwerfällt, bei Fragen nach dem Vertrauen in einen Politiker nicht zugleich auch an dessen Partei zu denken und umgekehrt. So beeinflusst auch die Reputation eines Unternehmens das Image, das wir von dessen Management haben – und im besten Fall kann das Management positiv zum Ruf des Unternehmens beitragen. Bei der Nutzung digitaler Technik ist uns wiederum wohler, wenn wir mit dem Anbieter schon gute Erfahrungen gemacht haben.

Grundsätzlich fällt Menschen das Vertrauen in Personen leichter als das in Institutionen. Dies leuchtet intuitiv ein, wenn man eine der ersten menschlichen Vertrauenserfahrungen betrachtet: Kinder machen im Beziehungsverhältnis zu ihren Eltern in dieser Hinsicht eine Urerfahrung. Das hier erworbene Vertrauen wird auch im weiteren Leben leichter auf nahestehende Personen übertragen. Vertrauensforscher weisen darauf hin, dass Vertrauen ein Beziehungs- und Abhängigkeitsverhältnis voraussetzt, wie es zwischen Kindern und Eltern besteht, aber auch zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern oder zwischen Pilot und Fluggast. Nur in solchen Situationen könne man von Vertrauen sprechen, andernfalls ginge es um verwandte Konstrukte wie Zutrauen oder Reputation.

Bleibt man dennoch beim derzeit so populären Vertrauensbegriff, ist dieser noch genauer auszuarbeiten. Das vielzitierte sozialwissenschaftlich begründete Modell von Roger C. Mayer, James H. Davis und F. David Schoorman aus dem Jahr 1995 entwickelt drei Indikatoren für die Vertrauenswürdigkeit einer Person: die Kompetenz, die ihr zugeschrieben wird, ihre Integrität und das Wohlwollen, das sie anderen entgegenbringt.

Kompetenz – Wohlwollen – Integrität

Nach der schweren Niederlage bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 ist auf allen Ebenen in der SPD der Satz zu hören, man müsse nun verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Was würde dies bedeuten, legt man die drei zuvor genannten Indikatoren an?

Die einer Partei zugemessene Kompetenz in einem bestimmten Politikfeld wird in Deutschland regelmäßig erhoben. In den meisten Dimensionen des ZDF-Politbarometers lag die SPD in der Kompetenzzuschreibung vor der Wahl deutlich hinter der Union (einzige Ausnahme: soziale Gerechtigkeit). Hat die SPD also ein Kompetenzproblem? Ja und nein. Natürlich ist es für die Wahlaussichten einer Partei besser, wenn der Wähler Kompetenz erwartet und bei den Wahlsiegen 1998 und 2002 war die Kompetenzverteilung im Politbarometer für die SPD auch deutlich günstiger. Sicherlich ist es gut zu überlegen, wie die SPD Anschluss an wichtige und zukunftsrelevante Diskurse – zum Beispiel über den digitalen Kapitalismus oder die Vielfalt in der Einwanderungsgesellschaft – findet. Dabei u. a. auch den Sachverstand von Experten und Thinktanks einzubeziehen sowie internationale Erfahrungen zu berücksichtigen, würde die Kompetenz steigern und kann langfristig vertrauensbildend wirken.

Andererseits hängt das Antwortverhalten bei dieser Frage auch stark von anderen Faktoren ab. In der Zeit der guten Umfragewerte für die SPD und hoher Beliebtheitswerte für Martin Schulz im Februar 2017, wurde auch die Kompetenz der SPD deutlich besser bewertet – obwohl es zu dem Zeitpunkt ja keinerlei programmatische Kurskorrektur gegeben hat, die eine Verbesserung der Werte sachlich begründen würde. Einmal mehr erkennt man hier die starke Personalisierung in der Politik. Wenn die Kompetenzzuschreibung durch den Wähler aber eher unbeständig ist, wird es schwer sein, in dieser Dimension, z. B. durch programmatische Veränderungen, Vertrauen herstellen zu wollen. Bereits 2013 fanden die zentralen SPD-Forderungen des Wahlkampfes (Mindestlohn, Rente mit 63, bessere Gleichstellung von Mann und Frau) bei den Bürgern Zustimmungswerte von 70 bis über 80 %. Das Wahlergebnis betrug trotzdem nur 25,7 %.

Die Integrität der SPD hat fraglos in den vergangenen Jahren gelitten. Bis heute erinnern sich ehemalige Wähler an das Versprechen der SPD im Wahlkampf 2005, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen (»Merkelsteuer, das wird teuer«), um dann nach dem Eintritt in die Große Koalition den Mehrwertsteuersatz sogar um einen Prozentpunkt mehr zu erhöhen, als es die Union gefordert hatte. Die Gefahr, nach der Wahl etwas anderes zu tun, als es vorher versprochen wurde, besteht aktuell erneut. Man muss kein Prophet sein, um zu prognostizieren, dass die mögliche Bildung einer weiteren Koalition mit der Union nach der klaren und vielbejubelten Absage der Parteispitze am Wahlabend und noch einmal nach dem Scheitern der schwarz-gelb-grünen Sondierungsgespräche die Integrität der SPD beschädigen würde. Unabhängig von der Frage, ob es zum Jahresbeginn 2018 Gründe für einen solchen Sinneswandel gäbe, würde ein solches Manöver nicht gerade vertrauensbildend wirken.

Wohlwollen oder auch Sympathie im Sinne des Mitfühlens ist der dritte Indikator für Vertrauen: Ich vertraue demjenigen, der mir Wohlwollen entgegenbringt. Hier liegt das zentrale Defizit der Sozialdemokratie. Denn viele Bürger glauben der Partei und ihren Vertretern eben nicht mehr, dass sie das Beste für die Menschen wollen. Es gibt die bekannte generelle Politikverdrossenheit, die sich auch in dem Vorwurf äußert, Politiker seien nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Hinzu kommt aber im Fall der SPD die relativ starke räumliche Entflechtung von aktiven Mitgliedern und (ehemaligen) Hochburgen. In einer Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung wurde in Stadtteilen mit ehemals guten SPD-Ergebnissen und heute niedriger Wahlbeteiligung von den Befragten die physische Abwesenheit von SPD-Mitgliedern kritisiert. Interessant ist, dass diese Aussage nicht Spitzenvertretern wie dem Bürgermeister oder dem örtlichen SPD-Bundestagsabgeordneten galt, sondern »normalen« Mitgliedern bzw. kommunal aktiven Sozialdemokraten. Eine Aufgabe der Sozialdemokratie wird somit sein, das ihr entgegengebrachte Wohlwollen gerade im direkten Kontakt mit den Bürgern zu steigern. Initiativen wie die Nachbarschaftskampagne des Parteivorstands 2014 haben auch durchaus positive Resonanz erfahren.

Vertrauen in eine Partei – oder: Wer braucht die SPD?

Meint die Partei es ernst mit dem Ansinnen, verlorenes Vertrauen zurückgewinnen zu wollen, lässt sich dieses also durchaus jenseits der reinen politischen Rhetorik untersuchen. Mehr Kompetenz in den innerparteilichen Entscheidungsprozess einzubeziehen, die Integrität durch die Stimmigkeit von Ankündigung und Umsetzung zu verbessern und das Wohlwollen der Bürger insbesondere im direkten Kontakt zu gewinnen, wären Schritte aus der Vertrauenskrise.

Abschließend noch einmal zurück zu der Forschungserkenntnis, der zufolge Vertrauen vor allem in Abhängigkeitsverhältnissen zum Tragen kommt. Nun sind die meisten Bürger fraglos nicht abhängig von der SPD, und man kann sich die Frage stellen: Wer braucht diese Partei eigentlich? DIE GRÜNEN werden gebraucht für das ökologische Gewissen, die CDU in den Augen vieler für Stabilität und Sicherheit, DIE LINKE, damit Ostdeutschland nicht vergessen wird. Für wen die SPD da ist und Politik macht, konnten viele Wähler im Herbst 2017 nicht erkennen. Hinzu kommt erschwerend die sehr unterschiedliche Stärke der Partei in den einzelnen Regionen. Die Zweitstimmenergebnisse lagen auf Landesebene zwischen 10,5 und 27,4 %. Die inhaltliche Unschärfe ist als einer der Faktoren für das schwache Ergebnis erkannt und vielfach beschrieben worden. Eine Antwort auf die Frage nach der Daseinsberechtigung der Partei zu finden, ist daher von großer Bedeutung, um der SPD eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Auch hierzu hat es in den vergangenen Jahren bereits Ansätze gegeben (Stichwort: »arbeitende Mitte«), auf denen man aufbauen kann. Wer zu denjenigen zählt, die die SPD brauchen könnten, zeigt die Phase der Begeisterung für die Partei Anfang 2017: In den Wochen nach der Nominierung von Martin Schulz als Kanzlerkandidat gewann die SPD in Umfragen in allen Bevölkerungsgruppen hinzu – überdurchschnittlich stark jedoch unter Arbeitern, Angestellten niedriger und mittlerer Einkommen sowie unter Bürgern niedriger und mittlerer formaler Bildung.

Gerade für diese Bevölkerungsgruppen kompetente Politik zu machen, sie nicht nur rhetorisch oder medial, sondern auch im direkten Kontakt anzusprechen, ihre politischen Ziele und Vorschläge zu erfragen und nicht zuletzt Sympathie für sie und ihren Lebensstil zu zeigen und zu empfinden, ist eine zentrale Aufgabe der SPD – die im Interesse der Zukunft der 154 Jahre alten Partei erfüllt werden muss, unabhängig von der Frage, ob sie im Bund wieder Regierungsverantwortung übernimmt oder nicht.

 

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