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Eine politische Stimmungsanalyse vor der Landtagswahl Wie tickt Thüringen?

Das mediale Interesse an Thüringen war in letzter Zeit groß und hält unvermindert an: Dort gibt es den ersten AfD-Landrat in Deutschland und einen AfD-Vorsitzenden, der erwiesen rechtsextrem ist. Zudem wurde mit Unterstützung der AfD 2020 ein Kurzzeit-Ministerpräsident der FDP gewählt, der nach bundesweiten Protesten keine 30 Tage im Amt blieb. Hinzu kommt, dass seit der Landtagswahl 2019 die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen keine eigene parlamentarische Mehrheit haben und bei der Verabschiedung von Gesetzen auf die Enthaltung oder die Zustimmung der Opposition angewiesen sind. Unter diesen Vorzeichen standen und stehen in Thüringen in diesem Jahr Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen.

Die Kommunalwahlen vom 26. Mai 2024 waren von Befürchtungen über einen »Durchmarsch« der erwiesen rechtsextremen AfD Thüringens begleitet. Dieser ist ausgeblieben, was vielfach als »gutes Zeichen für die Demokratie« gewertet wurde. Die Erleichterung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich zum Teil gravierende Veränderungen in der politischen Landschaft Thüringens vollzogen haben. So konnten bei den Kommunalwahlen die Kandidatinnen und Kandidaten der AfD in allen Landkreisen und kreisfreien Städten (mit Ausnahme von Saalfeld-Rudolstadt) ihre Stimmenanteile im Vergleich zu 2019 weit übertreffen. Bemerkenswert ist, dass in neun von dreizehn Landkreisen, in denen eine Landratswahl stattfand, ein Kandidat oder eine Kandidatin der AfD in die Stichwahl gelangt ist. Auffällig ist zudem die Landratswahl in Hildburghausen, wo Tommy Frenck, ein Rechtsextremist und ehemaliger NPD-Funktionär, ein Viertel der abgegebenen Stimmen erhielt und gegen einen Kandidaten der Freien Wähler in der Stichwahl antritt.

Die CDU hingegen konnte nur in der kreisfreien Stadt Suhl mit dem amtierenden Bürgermeister direkt die absolute Mehrheit erzielen. Ähnlich verhielt es sich in Weimar, wo der (von der CDU unterstützte) parteilose Amtsinhaber ebenfalls direkt die absolute Mehrheit erringen konnte. Nur im Landkreis Schmalkalden-Meiningen konnte die derzeit amtierende Landrätin der SPD gegen den Trend die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang erzielen. Mit Blick auf die Kreistags- und Stadtratswahlen zeigt sich, dass insbesondere Die Linke mit Stimmenverlusten konfrontiert ist. Anders als 2019, als sie noch 14,4 Prozent erhielt, erreichte sie 2024 gerade einmal 9,1 Prozent. Auch Grüne und FDP verzeichneten Stimmenverluste und blieben bei den Kreistags- und Stadtratswahlen 2024 (trotz lokaler Erfolge wie in Jena) unter fünf Prozent.

Während SPD und CDU moderate Verluste erlitten, konnte die AfD auch hier ihr Ergebnis um 8,1 Prozentpunkte verbessern und rund ein Viertel der abgegebenen Stimmen gewinnen. Hinzugewonnen haben auch die »Sonstigen Parteien«, also Freie Wähler und das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht, das in vier Landkreisen auf Anhieb zwischen sieben und 14 Prozent erzielte. Hinter dem Label »Sonstige Parteien« verbirgt sich eine Reihe von (Kleinst-)Parteien und Einzelpersonen, die durch rechte Diskursstrategien auffallen und teilweise aus dem Umfeld der NPD hervorgegangen sind, bei den Kommunalwahlen aber zum Teil bemerkenswerte (persönliche) Erfolge erzielen konnten.

Aufgrund der stärkeren Personen- statt Parteienorientierung zeigen sich bei Kommunalwahlen überregionale (Befragungs-)Trends weniger stark. Gleichwohl entsprechen die Wahlergebnisse tendenziell den in der Studie »Wie tickt Thüringen?« festgestellten Trends. Darin werden zudem Antworten auf Fragen zur Lebenszufriedenheit, zur Wahrnehmung regionaler Disparitäten und zu drängenden Problemen präsentiert, die Auskunft darüber geben können, welche Faktoren die individuelle Wahlentscheidung beeinflussen.

Mehrheitlich zufrieden

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Menschen in Thüringen mehrheitlich (65,9 Prozent) mit ihrer derzeitigen Lebenssituation zufrieden sind und gerne dort leben (82,2 Prozent). Etwa ein Drittel der Befragten (35,6 Prozent) stimmt der Aussage zu, dass die Menschen in Thüringen zusammenhalten, während ein knappes Drittel (29 Prozent) dies verneint und ein weiteres Drittel (35,4 Prozent) unentschieden ist.

Markante Unterschiede zeigen sich dann, wenn nach Alter oder Wahlpräferenzen gefragt wird: Insbesondere bei jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren (50,5 Prozent) sowie bei denen, die sich vorstellen können, bei der Landtagswahl die AfD zu wählen (53,7 Prozent), gibt nur rund die Hälfte an, mit der eigenen Lebenssituation zufrieden zu sein. Ob dies Ausdruck sozialer Ungleichheit und struktureller Benachteiligung ist, lässt sich nicht abschließend klären. Ohne der These einer zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung das Wort zu reden, verdeutlichen die Antworten zumindest eine subjektiv wahrgenommene Diskrepanz und Unzufriedenheit und verweisen auf Gestaltungspotenzial, das bislang nur wenig von den politischen Akteuren Thüringens, jenseits der polarisierenden Rhetorik von AfD und CDU, aufgegriffen wird.

Die Wahrnehmung sozialer Probleme ist stark von persönlichen Erfahrungen und dem sozialen Umfeld abhängig. Häufig thematisierte Probleme wie Migration und Bildung, die öffentlich präsent sind, werden als beeinflussend für das eigene Leben empfunden. Zudem beeinflussen Medienberichterstattung und politische Diskurse die Wahrnehmung und Priorisierung sozialer Probleme. Dem entspricht, dass mehr als die Hälfte der Befragten (57,2 Prozent) in Thüringen das Thema Migration, Zuwanderung und Asyl als persönlich größtes Problem wahrnehmen, ungeachtet der Tatsache, dass dies eigentlich kein genuin landespolitisches ist und der Migrantenanteil in Thüringen lediglich 5,4 Prozent beträgt. Anders verhält es sich beim Thema Bildung, das von 35,6 Prozent der Befragten als großes Problem wahrgenommen wird: Aufgrund der föderalen Zuständigkeit ist dies aber landespolitisch aktiv gestaltbar.

Gerade wegen der starken Präsenz dieser Themen, die ein großes Bedürfnis nach politischen Lösungen erkennen lässt, muss sorgfältig zwischen politischen Lösungen und populistischen Gesten unterschieden werden. Dies erfordert eine kritische Analyse von politischen Versprechen, eine Überprüfung ihrer Machbarkeit und ihrer langfristigen Auswirkungen auf die Gesellschaft.

»Die von den Menschen wahrgenommenen Probleme unterscheiden sich innerhalb der ›neuen Bundesländer‹ kaum.«

Die in den hier ausgewählten Ergebnissen zum Ausdruck kommenden Trends und Entwicklungen bleiben nicht auf Thüringen beschränkt, sondern zeigen sich in Abstufungen auch in anderen der sogenannten »neuen Bundesländer«. Studien über den sozialen Zusammenhalt beispielsweise zeigen (wiederholt) ein »klares Ost-West-Gefälle, bei dem die westdeutschen Bundesländer stets einen höheren Grad an Zusammenhalt aufwiesen als die ostdeutschen«, und das, obwohl die Menschen (wie in Thüringen) ihre persönliche Situation positiv bewerten und optimistisch in die Zukunft schauen. Die von den Menschen wahrgenommenen Probleme unterscheiden sich innerhalb der »neuen Bundesländer« kaum; es bestehen gemeinsame Strukturmerkmale vor allem der ländlichen Räume im Osten Deutschlands, die von »traditionellen Facharbeiter- beziehungsweise Mittelstandsmilieu[s] geprägt«, zugleich aber mit fortdauernder Deindustrialisierung, Abwanderung und Überalterung sowie zunehmender sozialer und institutioneller Instabilität konfrontiert sind.

In dieser schwierigen Situation zeigen sich besonders stark antidemokratische und autoritäre Einstellungen, die von zunehmender Skepsis beziehungsweise Ablehnung von Demokratie und demokratischen Institutionen begleitet sind. Besonders beunruhigend ist dabei, dass sich junge Menschen aus benachteiligten Milieus und Regionen stärker distanziert gegenüber demokratischen Partizipationsformen und Praktiken zeigen. Auch wenn es kein Patentrezept auf multiple Problemlagen gibt, die sich in rechtsextremen Formen Ausdruck verleihen, so bedarf es doch einer starken Ausrichtung politischer Entscheidungen zugunsten sozio-ökonomisch benachteiligter junger Menschen und deren Lebenssituation in peripheren Räumen – klassische Felder sozialdemokratischer Lokal- und Landespolitik.

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