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Folgen aus den Massenprotesten gegen die AfD Wie weiter?

Die Großdemonstrationen gegen die AfD, die sich in Reaktion auf die Recherche von CORRECTIV über das Treffen von Rechtsextremen nahe Potsdam Ende des vergangenen Jahres formierten, waren, rein zahlenmäßig, wohl die größte politische Protestmobilisierung seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Bestehen der Bundesrepublik. Inzwischen ist sie aus den Schlagzeilen weitgehend verschwunden – und auch wenn es schwierig ist, eine derartig dynamische politische Entwicklung mit so wenig organisatorischen festen Kernen zeitlich so nah am Geschehen einzuordnen, soll genau das hier versucht werden.

Unter dem Vorbehalt, dass etwas so aus dem Strom der Ereignisse Zusammengesuchtes immer Gefahr läuft, davon mitgerissen oder überspült zu werden, sodass man am Ende wieder genauso überrascht wird, wie alle mir bekannten Beobachter_innen auch schon von der ersten Protestmobilisierung überrascht wurden. Dennoch kann eine Reihe von Beobachtungen so festgehalten werden, dass eventuelle Irrtümer oder Fehldiagnosen zumindest erkenntnisreich sind: Wenn es an diesen Punkten anders kommt, dann müssen einige grundlegende Dinge neu untersucht werden.

Drei Thesen zu den Erfolgsbedingungen der AfD

Es ist der AfD in der vergangenen Dekade gelungen, den Pol der Fundamental­opposition im politischen Feld zu besetzen. Dazu tragen eine Reihe von lose gekoppelten Faktoren bei: erstens der internationale Aufstieg und die spektakulären (Achtungs-)Wahlerfolge der radikalen Rechten vor allem in den USA und Europa; zweitens die verstärkte Wahrnehmung gesellschaftlicher Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik und dem Fehlen einer anderen Kraft, der politische Fundamentalopposition zugetraut wird; sowie drittens der starke Fokus auf Migration als Kernproblem der politischen Debatte.

Die AfD profitiert davon, dass sie in dieser Rolle als die Fundamentalopposition eine Reihe von Abwehrmechanismen des politischen Systems umgehen kann: Ihr ist die Aufmerksamkeit sicher, weil sie nicht zu thematisieren oder einzuladen sogleich als Nicht-Thematisierung ihrer Position oder als Ausschluss wahrgenommen wird; alle anderen politischen Akteure sind ständig gezwungen ihre Position in Beziehung auf die AfD zu bestimmen; und es wird durch diese Abgrenzung immer wieder schwer, die für die politische Debatte zentralen Differenzen zwischen den anderen politischen Parteien herauszustellen – entweder, man arbeitet der Legendenbildung der AfD zu, indem alle irgendwie ununterscheidbar wirken, oder man läuft Gefahr, die Abgrenzung zur AfD zu verwischen. Gerade all diejenigen, die sich von der Politik gar nichts mehr versprechen, nehmen deshalb die AfD oft als ihr Vehikel, um ihre Aggression und Ablehnung zum Ausdruck zu bringen. Die drei herausgestellten Faktoren, die dazu beitragen, dass die AfD sich in dieser Rolle stabilisieren kann, sind deshalb wichtig, um mögliche Bruchstellen und Begrenzungen ihres Erfolgs besser einschätzen zu können.

Zwar liegt der internationale Erfolg der radikalen Rechten noch weiter außerhalb des Gestaltungsspielraums der meisten politischen Akteure in Deutschland als die anderen Faktoren ohnehin schon, aber es ist erstens auch wichtig, diese Begrenzung zur Kenntnis zu nehmen und zweitens unterstreicht dies die Notwendigkeit, auch die internationale Entwicklung im Blick zu haben: Die Konflikte zwischen den verschiedenen nationalen rechtsextremen Bewegungen (manifest zum Beispiel im Ausschluss der AfD aus der ID-Fraktion im EU-Parlament) sowie der relative Erfolg des Front Populaire bei den vergangenen Parlamentswahlen in Frankreich könnten darauf hindeuten, dass sich hier veränderte Bedingungen ergeben – und das sollte umgekehrt auch bei der Beurteilung dieser Wahlerfolge beachtet werden.

»Beim Thema Migration hat die AfD über ihre Radikalposition ein Alleinstellungsmerkmal.«

Der zweite und der dritte Faktor bedingen sich ein stückweit gegenseitig, begrenzen sich aber auch: Zunächst ist es so, dass der Fokus auf Migration in den Debatten die AfD und die Rechtsextremen insgesamt stärkt – metaphorisch lassen sich in diesem Thema eine ganze Reihe von Ängsten vom Souveränitäts- und Kontrollverlust bis zur eigenen Statusangst mitverhandeln, die für Anhänger_innen der Partei wichtig sind, und gerade bei diesem Thema hat die Partei über ihre Radikalposition ein Alleinstellungsmerkmal, bei dem Nähe wie Nachahmung wirkt.

Zugleich ist es aber auch so, dass dieses Thema zumindest kurz- und mittelfristig mitdefiniert, wie weit die Partei überhaupt Wähler_innen mobilisieren kann. Es deutet alles darauf hin, dass in der Gesamtbevölkerung die Zustimmung zu den Positionen der AfD bei diesem Markenkernthema bei höchstens einem Viertel liegt (je nach Umfrage auch darunter, lokal allerdings scheinbar auch wesentlich darüber). Sie kann darüber also nur hinausgreifen, wenn andere Sorgen auch noch mit auf das Ticket geladen werden und in der Wahrnehmung der Wähler_innen dieses Thema überstrahlen – oder wenn andere Parteien über eine Zusammenarbeit mit der AfD oder thematische Nähe die Position der AfD zur Migration enttabuisieren.

»Die AfD ist nicht in der Lage, gegen Massenmobilisierungen öffentlich anzuarbeiten, sie zerfällt aber auch nicht organisatorisch.«

Die Proteste gegen die AfD sind in ihrem Einfluss auf die Mobilisierungsfähigkeit der AfD auch heute noch sehr schwer einzuschätzen. Vorsichtig formuliert scheint die Wahlunterstützung gegenüber dem Hoch Ende 2023 leicht zurückgegangen zu sein, es lässt sich festhalten, dass die öffentliche Kommunikation der Partei von Unsicherheit über den Umgang mit den Protesten geprägt war, während zugleich die verkündeten Rekorde in Neueintritten (so sie sich bewahrheiten) darauf hindeuten, dass es bei den Unterstützer_innen der Partei auch einen gewissen Effekt gab, »die Reihen zu schließen«. Kurz: Erstens: Die gesellschaftliche Brandmauer im Sinne einer breit geteilten Ablehnung der der AfD zugeordneten ethnonationalistischen Politikziele steht. Zweitens: Die AfD und die extreme Rechte arbeiten in ihrer Selbstpräsentation mit gezielten Unschärfen und bekommen Schwierigkeiten, wenn diese Unschärfen thematisch gemacht werden. Drittens: Von ihrer Mobilisierungsstärke her ist die AfD nicht in der Lage, gegen Massenmobilisierungen öffentlich anzuarbeiten, sie zerfällt unter Druck aber auch nicht organisatorisch.

Die Bedeutung der öffentlichkeitswirksam platzierten CORRECTIV-Recherche bestand vor allem darin, wie sie die ersten beiden Faktoren aufgreifen konnte: Es lässt sich festhalten, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung einem Ethnonationalismus als politische Vision ablehnend gegenübersteht und relevante Teile der Zivilgesellschaft, wenn sie mit der Möglichkeit konfrontiert sind, dass solche Maßnahmen umgesetzt werden könnten, durchaus auch dagegen aktiv werden. »Wackelkandidat_innen«, die über solche Fragen vielleicht eher hinwegsehen, wenn sie die AfD wählen, werden davon wohl auch abgeschreckt, allerdings ist dieser Effekt eher klein – wichtiger ist in dieser Hinsicht vermutlich das Signal an andere politische Akteure, dass die in der politischen Öffentlichkeit immer wieder ventilierte Vermutung, die AfD spreche hier den Willen einer stummen Mehrheit aus, nicht zutrifft.

Drei Thesen zum Wie-Weiter

Die Massenproteste gegen die AfD sind – als solche – vorbei. Das liegt in der Natur solcher Mobilisierungen, die erfahrungsgemäß schnell wieder zusammensinken, wenn die Zahl der Protestierenden nicht mehr weiterwächst, die aus ziemlich heterogenen politischen Lagern zusammengesetzt sind und die ja auch aus sehr losen organisatorischen Kernen heraus organisiert wurden. Was sie ohne Frage bewirkt haben, ist eine Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen – in Gewerkschaften, Kirchen und Parteien wurde nicht nur das Bewusstsein für die Gefahren gestärkt, die von der anhaltenden Stärke der Rechtsextremen ausgeht, sondern vor allem auch Hoffnung gefasst, dass man eben doch »etwas« tun könne. Nun ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass dieses »etwas« nicht einfach auszubuchstabieren ist – der Erfolg der Proteste war in vielerlei Hinsicht ein ungeplanter Effekt sich überkreuzender Strategien und Gelegenheiten, die man nicht gezielt herbeiführen kann. Und dennoch lassen sich aus dem bisherigen drei Thesen zu Faktoren ableiten, die es sich im Auge zu behalten lohnt, wenn man über Strategien gegen die AfD nachdenkt.

Kurzfristig: Konflikte suchen und austragen – gerade die, bei denen die AfD nicht stark aufgestellt ist. Mittelfristig: Politik auch jenseits von Wahlstrategien denken und diejenigen stärken, die vor Ort aktiv »gegen Rechts« sind. Langfristig: wirkliche Alternativen aufbauen oder zumindest zulassen.

Die ersten beiden Thesen stehen in Spannung zueinander, müssen aber gerade deshalb zusammengedacht werden. Es gibt in der aktuellen Politik verständlicherweise eine gewisse Angst, dass zu viel Streit als Zeichen von Schwäche verstanden werden könnte, was dann wieder der AfD zuarbeitet. Auch wenn das als ein mögliches Problem nicht außer Acht gelassen werden sollte, muss aber auch klar sein: Die AfD profitiert genauso davon, wenn sie behaupten kann, zwischen den anderen bestünde kein wesentlicher Unterschied. Wo es gelingt, politischen Streit offensiv so auszutragen, dass er mobilisierend wirkt, und das gerade kein Thema ist, bei dem die AfD ein Alleinstellungsmerkmal vorweisen kann, dürfte es ihr das aber vielmehr schaden – weil es ihre Mobilisierung über »ihre« Themen schwächt.

»Es ist von Bedeutung, diejenigen zu stärken, die dort, wo die ex­treme Rechte Erfolge feiert, wirklich etwas entgegensetzen.«

Gerade weil die Konfliktlinien in der Gesellschaft ganz unterschiedlich verlaufen, je nachdem welches Thema im Mittelpunkt steht, ist es nicht nur wichtig, welche Positionen politische Akteure beziehen – sondern auch und gerade wozu sie Position beziehen. Weil das wichtig, im Gelingen aber völlig unsicher ist, ist es zugleich von Bedeutung, diejenigen zu stärken, die im Zweifel dort, wo die extreme Rechte Erfolge feiert, gerade im Alltag, auf der Straße und in den Vereinen, wirklich etwas entgegensetzen – auch wenn die politischen Vorstellungen eventuell auseinandergehen. Das gilt besonders für die vielen lokalen Bündnisse »gegen Rechts« (die mitunter ganz anders heißen), die sich während der Proteste neu gebildet haben oder wiederbelebt wurden.

Der schwierigste und dennoch aus der Perspektive der politischen Soziologie vielleicht zentralste Punkt ist allerdings der letzte: Moderne Politik organisiert sich über Konflikt, der von den Beteiligten als grundlegend verstanden werden muss, um zu funktionieren – denn auch das gehört zu den Lehren aus dem Erfolg der AfD: Ihr Aufstieg hing in den letzten Jahren nicht mehr mit sinkenden Wahlbeteiligungen zusammen, sondern im Gegenteil mit einer erhöhten politischen Mobilisierung: Der Konflikt mit und um die AfD mobilisiert – nicht nur ihre Anhänger, sondern insgesamt. Wenn die AfD und die extreme Rechte langfristig als Problem verschwinden sollen, dann wird das nur möglich sein, wenn in dieser Hinsicht demokratische »Alternativen« die AfD aus dem Spiel drängen – wobei, gerade weil es eben um grundsätzlichen Konflikt geht, klar sein sollte, dass auch eine solche andere Opposition aus Sicht der meisten anderen politischen Akteure nicht unproblematisch oder ungefährlich sein dürfte. Demokratie produziert Frust – daran kann niemand direkt etwas ändern, auch wenn man sich natürlich bemühen kann, ihn nicht zu groß werden zu lassen – entscheidend wird darum sein, in welchen Bahnen sich dieser Frust Ausdruck verschaffen kann.

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