Die Frage danach, welche Fähigkeiten und Kompetenzen wir später für den Arbeitsmarkt benötigen, steht oft im Zentrum der Forschung. Dabei hängt von der Frage nach Bildung so viel mehr ab als nur, wie gut wir in das Arbeitsleben passen.
Welche Bildung wir erlangen (oder eben nicht) hat direkten Einfluss auch auf große soziale Probleme wie die Akzeptanz der Demokratie oder das Miteinander verschiedener Gruppen. Entsprechend relevant ist es, wie wir uns die Bildung der Zukunft vorstellen, etwa in den Filmen oder Romanen der Science-Fiction. Kulturelle Imagination ist ein guter Indikator dafür, welche Sorgen wir uns gesellschaftlich über die Zukunft machen. Das größte Problem in dieser Hinsicht ist jedoch, dass Bildung – von der Schule bis zur Uni, von der beruflichen bis zur lebenslangen – in den seltensten Fällen ein zentrales Thema unserer Science-Fiction ist. Doch auch wenn nur wenige Werke Schule zum »main character« machen, so lassen sich doch einige Aussagen über die Zukunft der Bildung treffen.
Science-Fiction stellt gerne neue Technologien in den Mittelpunkt, was in Bezug auf die Bildung der Zukunft vor allem den Einsatz von Künstlicher Intelligenz oder Metaversen (also virtuellen, erfahrbaren Umgebungen) betrifft. Lernen könnte auf diese Art voll immersiv und komplett auf die individuellen Bedürfnisse angepasst werden. Wie utopisch erscheinen etwa die Simulationsszenarien des Holodecks aus Star Trek, in denen jede noch so gefährliche Situation sicher und wiederholbar erlernt werden kann, oder in denen die Möglichkeit besteht komplexe Probleme tiefgründig mit virtuellen Experten zu wälzen, etwa mit Einstein selbst über seine Relativitätstheorie zu diskutieren.
In StarTrek geschieht dies noch physisch in einem Raum, während Matrix seine Schüler gleich im eigenen Geist unterrichtet. Kampftraining, Hacking, aber auch Geschichte und Politik – für Neo alles greif- und erlebbar gemacht durch die virtuelle Realität seiner Lernumgebung, die sich in seinem Gehirn manifestiert. Risiken werden abgefedert durch Simulationen und Lernen ist immer und überall möglich.
Freiheit der Bildung
Die Freiheit der Bildung, egal ob man im schicken Haus im Vorort wohnt oder einer Wohnwagensiedlung, deutet auch Steven Spielbergs Ready Player One (basierend auf Ernest Clines Roman) an, in dem Protagonist Wade Watts vom Schrottplatz aus per 3D-Brille in der Schule paukt. Zumindest theoretisch können Inklusion und Integration so gelingen, da alle Schüler*innen gleichermaßen die virtuelle Schule besuchen und es keinen Unterschied macht, wo man wohnt.
Doch wo Virtualität und KI positiv auf Gleichberechtigung wirken könnten, da kann so eine technologiebasierte Schule eben auch negative Effekte hervorrufen. Denn Technologien kosten Geld und produzieren Barrieren, wie Ready Player One ebenso deutlich aufzeigt: Teure Hardware kann die virtuelle Erfahrung verbessern. Wer keinen schnellen Zugang hat, oder nicht die allerbesten (und neuesten) Geräte, ist klar im Nachteil – was sich ja in Sachen Homeschooling schon zu Coronazeiten gezeigt hat.
Corporate School
Und damit dreht sich die utopische Idee einer freien, immer zugänglichen und auf die individuelle Lernerfahrung ausgerichteten Bildung schnell in eine dystopische Sicht auf Bildung als Ware, die es im kapitalistischen System zu verdienen gilt. Denn auch das zeigt die SF deutlich: wenn man Bildung dem freien Markt übergibt, dann wird es problematisch. So lernt Titus, der Protagonist aus M.T. Andersons Roman Feed, in seiner »SchoolTM« weder Grundlagen wie Lesen und Schreiben, noch höhere Aufgaben wie etwa kritisches Denken. Stattdessen geht es Corporate America um die Vermittlung der wesentlichen Dinge: »wie wir die Welt nutzen können, also vor allem darum, was wir mit dem Feed machen können«, wie Titus es ausdrückt – die Lektionen sind Konsum und Waren, immer unterbrochen vom neuesten Werbeblock.
Eine ähnliche firmendominierte Welt zeichnet auch Margaret Atwood in ihrer MaddAddam-Trilogie, in dessen erstem Roman Oryx und Crake, das Schulsystem der Firmenenklaven klare Hierarchien für die Ausbildung der Jugend definiert. Wer gut in den MINT-Fächern ist kann auf Förderung, Bildung und Karriere hoffen – hier ist schließlich das Geld zu verdienen. Doch wer eher ein »Wortmensch« ist, oder noch schlimmer, wer künstlerisch veranlagt scheint, dem bleibt nur die Hoffnung in der Werbung für die von den Ingenieuren erfundenen Produkte zu landen. Wozu sonst braucht es Geisteswissenschaftler? Entsprechend sind die Institutionen finanziell versorgt: Genetik-Studierende erhalten rundum Service und Luxus, Literatur-Studierende eine Basisausstattung und einen Klaps auf die Schulter.
Dystopia
Die Bewertung einzelner Fächer und Skills nach einem vermeintlichen gesellschaftlichen Nutzen ist aber nicht nur der Corporate School und damit dem Hyperkapitalismus vorbehalten. Auch in stark dystopischen Zukunftsvisionen des Autokratismus oder in den apokalyptischen Szenarien eines Zusammenbruchs unserer Zivilisation findet sich die Idee, dass Kunst, Literatur, Geschichte und Philosophie eher unpraktisch, unnötig oder gar störend seien. Viele beliebte Jugendbuchreihen (und deren Verfilmungen) wie Die Tribute von Panem oder Die Bestimmung beschreiben deswegen auch eine Bildung, die auf bestimmte Funktionen in der Gesellschaft abzielt.
In der stark segregierten Welt vonPanem etwa erhalten die Kinder des autokratischen Kapitols eine vollumfängliche und elitäre Bildung, wie im Sequel Das Lied von Vogel und Schlange deutlich wird. Coriolanus Snow und seine Mitschüler werden vom System zu zukünftigen Herrschern herangezogen, was politische, soziologische, wissenschaftliche, aber auch philosophische Bildung beinhaltet. Im Gegensatz dazu können die Kinder aus den armen, ländlichen Bezirken einzig darauf hoffen vom System indoktriniert zu werden (etwa durch revisionistische Geschichte oder demonstrativen Gehorsam) und die Fertigkeiten zu erlernen, die für ihre Arbeitskraft notwendig ist. Ungewöhnliche Skills wie Peetas Talent (im ersten Roman der Reihe) zu kunstvoller Tarnung erlangt er nur, weil er als Bäckerssohn Kuchen dekorieren muss – ohne diese »Ausrede« wäre er wohl kaum künstlerisch gefördert worden. Die gewünschte Ausbildung im Distrikt ist klar auf die Arbeit in den Minen ausgelegt und physisches Training steht im Vordergrund.
Und in der Bestimmung-Reihe werden die Kinder einer postapokalyptischen Zivilisation nach ihren Fähigkeiten in Fraktionen aufgeteilt, die unterschiedliche Funktionen erfüllen. Die ersten 16 Jahre ihres Lebens verbringen die Kinder in ihren Geburtsfraktionen und erhalten dort eine Grundlagenbildung gefärbt vom sozialen Bild der Fraktion. So wächst Protagonistin Tris bei den Altruan auf und lernt Philosophie, Selbstaufgabe, soziale Verantwortung und politische Verantwortung, wechselt aber mit dem 16. Lebensjahr in die Ferox-Fraktion und wird dort vor allem körperlichem Training, Waffenkunde, Kampfkunst und ähnlichem ausgesetzt. In der Welt des Romans sind die Fraktionen klar bestimmten gesellschaftlichen Fraktionen zugeordnet: die Altruan regieren und entscheiden für die Gesellschaft, die Ferox beschützen und kämpfen für die Gesellschaft. Bildung hat einen klar benennbaren Wert in der Funktion, die ein gebildeter Mensch für die Gesellschaft erfüllen kann. Und wer in und an der Gesellschaft keine Funktion hat, der wird fraktionslos, fällt aus dem Raster und ist auf sich selbst gestellt.
In einem sind sich die SF-Autor*innen also einig: Bildung ist ein wesentlicher Baustein in unserem gesellschaftlichen Bild und damit etwas, das es für zukünftige Welten zu bedenken gilt. Die SF kann uns helfen, Fragen zu beantworten, wie wir in Zukunft leben wollen. Soll jeder Mensch den gleichen Zugang zu Bildung haben? Ein Grundrecht auf Bildung und Chancengleichheit kann durch Technologie befördert werden. Oder soll Bildung als Ware verstanden werden, die man sich erkaufen kann? Durch Technologie können Barrieren entstehen und kapitalistische Interessen könnten Bildung und Werte verzerren. Und welche Bildung wollen wir befördern? Die Diskussion um den Nutzen von Kunst und Kultur wird hier ebenso verhandelt wie die Frage, ob ich Menschen zu Grundwerten wie Demokratie und Freiheit erziehe oder in ein politisches System indoktriniere. Die Science-Fiction ist eine Leinwand, auf der diese Visionen erscheinen – und damit vielleicht selber ein wenig Bildung in Zukunftskompetenz.
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