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Russland im Zeitalter der Akklamation Wieder Wahl

Er nutzte das retardierende Moment. Einige sahen sich durch den inszenierten Hauch von Spannung sogar zu der Frage verleitet, ob er tatsächlich noch einmal antreten werde. Ende des vergangenen Jahres jedoch sorgte sein von frenetischem Applaus beinahe verschlucktes »Ja, ich werde …« für Gewissheit: Wladimir Putin wird sich um eine weitere Amtszeit von inzwischen sechs Jahren bewerben. Seither lässt sich der amtierende Präsident auf der Wahlkampfseite mit dem Satz zitieren, dass er »eine Sache entweder zu einem logischen Abschluss oder zumindest bis zum maximalen Erfolg« führe. Mit seiner Wiederwahl kann Putin noch in diesem Jahr die Amtszeit Leonid Breschnews übertreffen und kommt dann knapp hinter Josef Stalin auf die zweitlängste Amtszeit im Kreml. Nicht Wenige beschreiben diese Kontinuität als Lähmung, anderen jedoch gilt sie als Ausdruck neuer Stabilität.

Die Redensart, dass politische Konstellationen sich nicht ohne ihre historische Entwicklung verstehen ließen, ist im russischen Fall mehr als ein Gemeinplatz. So wird einem im heutigen Russland sehr häufig zu bedenken gegeben, dass die Menschen an den gesellschaftlichen Schalthebeln doch alle eine Erfahrung teilten: Sie kamen in der UdSSR zur Welt und müssen nun in Russland leben. Die darin liegende Abgeklärtheit verdankt sich vor allem dem Erlebnis, dass buchstäblich von einem Tag auf den anderen alles anders sein kann. Auf eine solche Erfahrung, wie sie der Umschlag von sozialistischer Realität in einen Wildwestkapitalismus darstellte, können wohl nur wenige Menschen verweisen. Und mit diesem Umschlag sind die tieferen Verheerungen der russischen Gesellschaft nicht einmal ansatzweise berührt. Vor dem Hintergrund des zurückliegenden Jahrhunderts der Extreme scheint jedenfalls das allzu menschliche Bedürfnis nach Berechenbarkeit nicht wenige mit dem ungeliebten Bruder, dem Stillstand, versöhnt zu haben.

Warum also, könnte man fragen, stellt sich Putin überhaupt noch zur Wahl? Ist diese ganze Inszenierung für ein erwartbares Ergebnis nicht viel zu aufwendig? Könnte Putin die Abhaltung von Wahlen, gerade nach den Protesterfahrungen der vergangenen Jahre, nicht sogar gefährlich werden?

Schon seit geraumer Zeit sucht man dem Phänomen von Wahlen in autoritären oder diktatorischen Systemen mit der Redewendung vom »elektoralen Autoritarismus« auf die Schliche zu kommen. Mit dieser Bezeichnung wird darauf aufmerksam gemacht, dass auch der Autoritarismus um Legitimität buhlt und sich seine Repräsentanten stets einer Basis jenseits des eigenen Führungszirkels zu versichern suchen. Auch wenn die absurden Blüten dieser Praxis zahllos sind, verzerrt die Sicht auf das Scheitern den Blick für die Langlebigkeit autoritärer Systeme. Gerade diese Beständigkeit nämlich lässt sich – neben dem Mittel der Repression – unter anderem durch Wahlen untermauern. Ein demokratisches Instrument, wie eine Wahl sie darstellt, kann sich auch als Katalysator erweisen – sie kann eine undemokratische Wirklichkeit und einen entsprechenden Widerwillen gegen sie an den Tag bringen. Gleichwohl nehmen autoritäre Herrscher so etwas offenbar in Kauf, weil sie den Nutzen von Wahlen höher einschätzen als andere Varianten der Machtsicherung.

Neben dem Vorteil, dass sich autoritäre Systeme durch Wahlen einen demokratischen Anstrich geben können, dienen sie dem Machthaber nach innen als Mittel, die oppositionellen Kräfte besser einschätzen zu können. Bislang ist es dem System Putin immer wieder gelungen, die Opposition mit einem Gemisch aus Repression und Kooptation zu neutralisieren; so geschehen mit den kritischen Elementen der Unternehmerverbände oder der 2006 gegründeten Partei »Gerechtes Russland«. Als Zusammenschluss von drei Parteien fungierte sie zunächst als größtes Sammelbecken linker Opposition und fiel sogar einige Jahre durch entschiedene Kritik an Putin auf. Mit ihrem Verzicht auf einen eigenen Kandidaten und der jetzigen Unterstützung von Putins Kandidatur scheint allerdings endgültig der Beweis erbracht, dass »Gerechtes Russland« nur eine Partei von Kremls Gnaden ist. Somit lässt sich die Geschichte dieser Partei nicht nur als anschauliches Beispiel der Zermürbung erzählen, sondern auch als Geschichte der Domestizierung und erfolgreichen Eingliederung.

Für einen Hauch von Wahlkampf sind schon seit Jahrzehnten die Kommunistische Partei unter Gennadi Sjuganow, die im rechtsextremen Spektrum angesiedelte Liberal-Demokratische Partei unter Wladimir Schirinowski und die sozialliberale Jabloko-Partei unter Emilia Slabunowa zuständig. Für den offiziell zugelassenen Glamour jedoch sorgt in diesem Wahlkampf vor allem Xenija Sobtschak, eignet sie sich doch für viele Projektionen. Schillernd ist erst einmal der Umstand, dass sie die Tochter von Anatoli Sobtschak ist, dem ehemaligen Bürgermeister von St. Petersburg, aus dessen Einflussbereich Ministerpräsident Dmitri Medwedew und eben auch Putin hervorgingen. Sie kennt also den Präsidenten gut, wollte ihn Ende 2011 sogar wissen lassen, dass sie sich der Protestbewegung anschließen würde, und kündigte ihm im vergangenen Jahr persönlich an, im Wahlkampf gegen ihn antreten zu wollen. Auch wenn ihr Putin als Mensch sehr gefalle, begründete das bekannte Fernsehgesicht Sobtschak ihre Oppositionsrolle damit, dass er ihr als Politiker nicht sympathisch sei. Einen vorläufigen Höhepunkt erfuhr der Wahlkampf, als Sobtschak während einer Pressekonferenz im vergangenen Dezember den Geist Alexei Nawalnys beschwören durfte und Putin mit der Frage konfrontierte, warum die Staatsmacht denn Angst vor ernsthafter Konkurrenz habe. Seit das prominente Oppositionsgesicht Nawalny endgültig vom Wahlkampf ausgeschlossen worden ist, geriert sich Sobtschak als dessen zugelassenes Sprachrohr.

Sie beide stehen für eine Jugend, die nur das Zeitalter Putin kennt. Und so glaubten Beobachter schon häufig zu wissen, dass gerade diese Jugend sich als Totengräber des Systems erweisen könnte. Entsprechend sahen sie den Abgesang angestimmt, als im Dezember 2011 die größten Demonstrationen seit den chaotischen Umbruchjahren der frühen 90er Jahre stattfanden. Die rasch kolportierte Erzählung von einer jungen Generation, die sich durch das herrschende System ihrer Zukunft beraubt sehe und daher auf die Straßen geströmt sei, erwies sich jedoch schnell als unhaltbares Versatzstück argloser Protestromantik. Die Bewegung hatte sich vielmehr aus allen Gesellschaftsschichten und Generationen gespeist. Nun mag man die breite Basis des Protests als klares Indiz für den von vielen Menschen in Russland empfundenen Stillstand deuten; allerdings trifft ebenfalls zu, dass die Generation Putin keinesfalls die Ablehnung der etablierten Ordnung eint.

Die russische Gesellschaft bleibt also gespalten. Während einige in Sobtschak mindestens eine Stimme erkennen wollen, die Probleme offen adressiert und sich womöglich als politisches Gesicht der Zukunft erweist, gilt sie anderen als typisches Produkt aus der Retorte des Kreml. Nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte im System Putin verstummen die Stimmen nicht, dass Sobtschak die Opposition letztlich nur weiter spalten werde und zugleich für eine möglichst hohe Wahlbeteiligung sorgen solle. Eine Theorie, die je nach politischer Vorliebe, als historisch gesättigte Analyse durchgehen oder als Verschwörungstheorie abgetan werden kann. Jedenfalls wird Putin als unabhängiger Kandidat aller Wahrscheinlichkeit nach im Amt bestätigt. Der schwebende Souverän jedoch wird seine Macht nicht so sehr durch fortwährend erhobene Zustimmungsraten als vielmehr durch eine hohe Wahlbeteiligung legitimiert sehen wollen. Zudem wird sich diese für weitere sechs Jahre verliehene Macht wohl nur dann ausbauen lassen, wenn Putin die wiedererlangte Weltmachtrolle für die Überwindung der wirtschaftlichen Probleme im Land wird nutzen können. Sollte er auf die volle Distanz gehen, wird die Amtszeit im Jahr 2024 enden. Dann müsste er wie schon 2008 abermals aussetzen und könnte erst wieder mit 77 Jahren antreten. Ein Blick in andere Länder verrät, dass fortgeschrittenes Alter einen Politiker nicht zwangsläufig von einem erneuten Versuch abhalten muss. Dessen ungeachtet lassen allerdings bereits die nächsten Jahre durchaus Spannung erwarten. Denn die Frage der Nachfolge wird immer drängender und geht in einem solchen System der Akklamation, wie Putin es geschaffen hat, vermutlich nicht ohne gravierende Konflikte über die Bühne.

 

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