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Wilhelm Dröscher zum 100. Geburtstag

Sein Leben war voll, auch voller Spannung; Wilhelm Dröscher wurde nicht einmal 58 Jahre alt. Willy Brandt sprach von der »Kerze, die an zwei Enden brennt«. Viele nannten ihn den »guten Menschen von Kirn«; die meisten meinten das anerkennend.

Wilhelm Dröscher war Bürgermeister – er wurde 1957 direkt in den Bundestag gewählt (der einzige, dem es gelang, der CDU einen Wahlkreis »abzunehmen« in dieser Wahl, die die Union mit absoluter Mehrheit gewann). Die Sprechstunden in Kirn waren Legende – Menschen standen Schlange vor dem kleinen Büro. Sie wussten: Da hört einer zu, greift auf, geht die Dinge praktisch an, will helfen, Probleme lösen – zugewandt und zupackend. Der »Lem« war angetrieben von einem starken Sinn für Gerechtigkeit – und vermochte es, die vielen angeblich kleinen Schicksale und Umstände in die große Idee der Sozialdemokratie einzubetten.

Als Mitglied des Deutschen Bundestages, später auch als Europa-Abgeordneter oder im Landtag von Rheinland-Pfalz – Dröscher hörte nicht auf, seine Erfahrung und Kraft, seine Aufmerksamkeit und seinen Ideenreichtum zu nutzen, um die Verbindung aus großem Ideal und alltäglichem Wirken zu leben, glaubwürdig, engagiert, rastlos.

Dröscher konnte reden, mitreißen, stehen auch gegen lautstarken Widerspruch – ich werde nicht die Hunderte Bauern vergessen, die Sicco Mansholt (den niederländischen Präsidenten der EU-Kommission) und Dröscher niederzubrüllen versuchten – weil Mansholt eine moderne Landwirtschaft im Einklang mit den natürlichen Bedingungen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Zeit formulierte; Dröscher war seiner Zeit voraus. Das trug ihm manchmal Spott, auch aggressiven Hohn ein – zumal der Redner im Parlament ein anderer war als der frei sprechende, Versammlungen überzeugende Mann. Angewiesen auf Manuskripte, ließen ihn manchmal die von Diabetes schon geschwächten Augen im Stich.

Uns, den damals Jungen in der Sozialdemokratie, war »Lem« ein Ansporn, eine Orientierung – seine Skepsis gegenüber der Großen Koalition 1966, seine Ablehnung der Notstandsgesetze, vor allem aber seine Neugier, Offenheit und Aufmerksamkeit – das zog an und überzeugte uns. Im Bundestagswahlkampf 1969, in seinen Wahlkämpfen gegen Helmut Kohl in Rheinland-Pfalz 1971 und 1975 – es brauchte da keine Wählerinitiative, es war einfach anziehend, für und mit diesem Politiker zu streiten.

Denn auch das war dauerhaft angelegt, keine Mode, kein Gag – einfach selbstverständlicher Alltag: die Heimvolkshochschule Dhaun bei Kirn, Ort vieler streitiger Debatten, auf der Suche nach dem Besseren, den großen Wurf durchdenken auch in seinen praktischen, alltäglichen Wirkungen. Das durfte auch mal in Kirn im Wohnzimmer sein mit dem Wein aus der von Dröscher geförderten Winzergenossenschaft. Für alle diese Geschichten ist hier kein Platz, wohl aber für den gemeinsamen Nenner dieses politischen Lebens: Glaubwürdigkeit.

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