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picture alliance/dpa | Jan Woitas

Ein Gespräch mit Jutta Allmendinger über langelebige alte Normalitäten und neue Machtfragen »Wir brauchen auch eine Männerpolitik«

Wie weit ist die Gleichstellungspolitik gekommen – und wie weit nicht? Die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, macht die Antwort daran fest, inwieweit die alten Strukturen in Arbeitswelt und Sozialsystem, die auf Vollzeitarbeit der Männer beruhen, überwunden werden. NG/FH-Chefredakteur Richard Meng sprach mit ihr über Männerbilder, alte und neue Normalität – und die entscheidende Bedeutung von gleichen Karrierechancen für die Lebensläufe der Zukunft.

NG/FH: Frau Allmendinger, wie hat sich Ihr eigenes Bild von den Männern verändert?

Jutta Allmendinger: Es hat sich von einem eher homogenen zu einem sehr heterogenen Männlichkeitsbild verändert. Viele Männer sind sehr viel offener geworden, Arbeit verstehen sie als Tätigkeit und stellen sich damit um von der Konzentration auf Erwerbsarbeit hin auf das Mit- und Nebeneinander bezahlter und unbezahlter Tätigkeiten. Aber es gibt eben auch nach wie vor die sprichwörtlichen Machos. Und es gibt eine Gruppe von Männern, fast noch schlimmer, die nicht mal das Selbstbewusstsein hat, Macho zu sein. Entscheidend ist aber, dass sich insgesamt etwas getan hat, die Diversität unter Männern zugenommen hat. Man könnte fast sagen, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in manchen Bereichen heute geringer sind als die Unterschiede innerhalb der Gruppe der Frauen oder die zwischen den Männern.

Bedeutet das, dass die Trennlinie schon eher kulturell als geschlechtsspezifisch zu ziehen wäre?

Soweit gehe ich nicht. Wir müssen ja auch die Strukturen in den Blick nehmen, nicht nur weil sie ins Kulturelle hineinspielen. Manche Männer ignorieren Strukturen, lassen sich nicht auf sie ein, manche pochen auf sie, liefern sich ihnen aus. Wir müssen deshalb institutionell noch sehr viel mehr tun als bisher.

Die Strukturen, was ist das in diesem Zusammenhang?

Ich verstehe darunter Strukturen, die traditionell männliche beziehungsweise weibliche Lebensverläufe nahelegen und Anreize für diese geben. Welche Anreize setzen wir für die Erwerbstätigkeit von Männern, welche für Frauen? Welche Anreize setzen wir für Nicht-Erwerbstätigkeit? Diesen Anreizen unterliegen Normalitätsvorstellungen für Männer und Frauen und bekräftigen diese auch wieder. Um ein Beispiel unter sehr vielen zu geben: Eine Studie meiner WZB-Kollegin Lena Hipp zeigt ganz aktuell, dass Frauen in Frauenberufen Männern viel attraktiver erscheinen als Frauen in Männerberufen. Umgekehrt gilt das auch. Solche Zuschreibungen zementieren bestehende Unterschiede.

Das passt zu den Statistiken über die Berufswahl: Zeigt sich da nicht, dass Frauen und Männer auch für sich selbst noch sehr starr am Klischee hängen?

Ganz klar, da gibt es noch die alten Normalitätsvorstellungen. Und diese haben natürlich Folgen dafür, wer sich mit welchen Jobs identifiziert und selbst als attraktiv empfindet. Das sind viele kleine Erfahrungen und Erlebnisse. Wir sprachen aber gerade über Strukturen. Nicht zu vergessen sind hier: die geringen Vätermonate im Vergleich zu anderen Ländern, das weltweit einmalige Relikt des Ehegattensplittings, die nicht sozialversicherungspflichtigen geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, die Unzuverlässigkeit der Betreuung in Kindertagesstätten, der Mangel an Pflegeeinrichtungen.

Ist die Bereitschaft zur Familienarbeit dann so etwas wie das Lakmuspapier? 

Eine erste Färbung des Lakmuspapiers sieht man da sicher. Die Bereitschaft, Familienarbeit zu übernehmen, ist heute ja grundsätzlich sehr hoch. 80 Prozent der Männer, selbst in konservativen Milieus, erklären die Bereitschaft zu einer partnerschaftlichen Beziehung. Aber das gilt eben nur für die Frage nach der Bereitschaft. Der Lakmustest selbst ist für mich, ob sich diese Bereitschaft im konkreten Handeln umsetzt. Da sieht es ganz anders aus. Nur die wenigsten Männer tun das, von dem sie sagen, sie wollten es tun.

Mit bewusster Absicht oder aus welchen Gründen sonst?

Nun, das können wir so genau nicht trennen, zu vielfältig ist die Gemengelage an Faktoren: Männer sind oft etwas älter als ihre Partnerinnen und damit schon in gefestigteren Karrierestufen mit höheren Gehältern – solange wir das Elterngeld proportional an die Gehälter anpassen, haben wir hier ein Problem. Zudem verdient es sich in reinen Frauenjobs meist schlechter als in Männerberufen und selbst bei identischen Aufgaben haben wir einen penetranten gender pay gap. Frauen haben automatisch eine geringere Verhandlungsmacht. Das gilt speziell da, wo Männer selbstverständlich noch in einer beruflichen Vollzeitnorm leben und denken – während bei Frauen nach einer Familienpause meistens angenommen wird, dass sie eher Teilzeit arbeiten werden. All das sind strukturelle Themen, die mit kulturellen Zuschreibungen zusammenhängen.

…also letztlich politische Systemfragen?

In der Tat. Unser Sozialsystem, das Bildungssystem, die Steuererleichterungen passen ja immer noch am besten zu einem Ein-Ernährermodell: Es baut darauf auf, dass die eine Person die Erwerbsarbeit macht, die andere die Familienarbeit. Das wirkt sich aus bis in unsere Art hinein, politische Debatten zu führen. Denken Sie an die aktuelle Diskussion über »die arbeitende Mitte«. Wen genau meinen wir mit arbeitend? Erwerbsarbeit. Bei der erwerbstätigen Mitte wird die Familienarbeit aber genauso ignoriert wie bürgerschaftliches Engagement, das ja auch Zeit braucht.

Dann trennen wir mal die strukturellen und die kulturellen Fragen. Bei den strukturellen könnte Politik eingreifen. An Schulen und Hochschulen sind die Abschlüsse ja schon einigermaßen paritätisch zwischen den Geschlechtern verteilt – und doch gibt es bei der Berufswahl doch eindeutige Zuordnungen. Alles umsonst?

Wie meinen Sie das? Die Politik müsste dann ja Frauen und Männer bestimmten Berufen zuordnen. Das ginge nur durch eine andere Sozialisation auch in Kita und Schule, vielleicht auch durch geschlechtergetrennten Unterricht in einigen Fächern.

Reine Mädchenklassen in naturwissenschaftlichen Fächern zum Beispiel?

Die Bereitschaft von Frauen, in technische Berufe zu gehen, würde dann wohl etwas steigen. Wir wissen, dass Studierende in weiblichen Colleges in den USA eher in naturwissenschaftliche Berufe gehen als dort, wo gemischtgeschlechtlich unterrichtet wird.

Ist Trennung wirklich eine gute Nachricht für das Ideal der Gleichheit?

Man behandelt Unterschiedliches unterschiedlich und erreicht mehr Gleichheit. Es wird ein Raum geschaffen, in dem Menschen freier sind vor normativen Zuschreibungen.

Danach kommt die Arbeitswelt mit ihren Aufstiegschancen…

…die sich in vielen Jobs zunächst wenig unterscheiden. Die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen beginnen so richtig erst mit den Kindern. Das ist die Schlüsselsituation. Weil wir es nicht hinbekommen, die Betreuung zwischen Müttern und Vätern gleich aufzuteilen, weil wir es nicht hinbekommen, die Kitas verlässlich aufzustellen – vor allem, weil das Recht auf Betreuung der Unter-Dreijährigen bisher nicht umgesetzt ist. Finanzgründe sind dabei immer eine Frage der Prioritäten. Danach dann die Schule, meist noch immer halbtags, mit Ferien, die nicht zur Erwerbsarbeitswelt passen.

Ihr Ideal ist, beide Eltern arbeiten voll? 

Die Antwort hängt davon ab, wie Sie Arbeit definieren. Ich definiere Arbeit als Tätigkeit, bezahlt und unbezahlt. Von daher arbeiten alle Eltern allemal voll. Ich möchte kein Kind haben, für das ich letztlich keine Zeit habe. Mein Ideal ist, dass sich Mütter und Väter bezahlte Erwerbsarbeit und unbezahlte Erziehungsarbeit teilen, und das auch können, da verlässliche Rahmenstrukturen bestehen.

Die strukturelle Antwort wäre dann Arbeitszeitverkürzung. Geht die überall?

Eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit wohlgemerkt und das auch nur dann, wenn Sie Individuen in den Blick nehmen, nicht Haushalte. Eine Normalerwerbsarbeit von 33 Stunden pro erwerbstätiger Person würde die auf den Haushalt bezogene Erwerbsarbeit ja erhöhen. Väter würden etwas kürzer, Mütter etwas länger erwerbstätig sein. Warum sollte das nicht gehen?

Letztlich aber doch erst mal Karriereverzicht?

Unter den Status-quo-Bedingungen vielleicht. Aber der Status quo muss ja verändert werden. Es geht doch, dass auch Männer für ein halbes Jahr Berufspause machen, ohne dadurch Nachteile haben zu müssen. Der Karriereverzicht ist nur notwendig, wenn gesagt wird, dass Karriere an kontinuierliche Über-Vollzeit gebunden ist und die Arbeitgebenden diese Über-Vollzeit als Produktivitätsgewinn definieren. Ich halte das für eine zu hinterfragende Annahme. Die Produktivität steigt nicht linear mit der Arbeitszeit. Und wir müssen bedenken, dass wir die Produktivität gut ausgebildeter Frauen oft gar nicht nutzen. Wir müssen tatsächlich auch bei Männern ansetzen.

Männerpolitik neben der Frauenpolitik?

Gleichstellungspolitik ist bisher meist Frauenpolitik, aber genau das ist ein Fehler. Wir müssen die Männer mehr hören und mitnehmen. Denn es geht auch um sie, wenn wir über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf reden. Nochmal: Zwei Personen, die je 33 Stunden erwerbstätig sind, sind allemal produktiver als eine Person, die 39 Stunden bezahlt arbeitet.

Wenn wir dann die kulturelle Seite betrachten: Ist es nicht weltweit so, dass Männer vielleicht auch wegen dieser Themen eher nach rechts tendieren, anders als Frauen?

Das sind Untersuchungen, die Männer zwischen 18 und 30 betrachten. Viele dieser Männer befürworten die Gleichstellung grundsätzlich, stehen aber nicht hinter einer Gleichstellungspolitik, weil sie denken, dass diese ihnen etwas wegnimmt. Wegnehmen ist immer das Schlimmste, was man tun kann.

Also müsste eine Männerpolitik sagen: Es geht nicht ums Wegnehmen…

Sie müsste glaubhaft vermitteln können, dass Gleichstellung nicht zulasten der Karriere geht. Bisher sehen da selbst progressive Väter, die für eine hälftige Teilung der Familienarbeit sind, das Problem.

Wie lässt sich verhindern, dass eine rechte Gegenbewegung weiter Zulauf bekommt?

Indem Männer noch sichtbarer werden, die man als »überzeugte Engagierte« und »urbane Mitgestalter« bezeichnet. Das sind inzwischen über 40 Prozent der Männer. Sie müssten sich untereinander viel mehr zusammenschließen, damit die »überzeugten Rollenwahrnehmer« und die »etablierten Konventionellen«, wie die Gegengruppen soziologisch genannt werden, in der Öffentlichkeit nicht so stark wahrgenommen werden. Es geht auch darum, in den sozialen Medien Kampagnen für etwas zu starten, nicht nur gegen etwas. Mit Fakten, aber auch mit Emotionen. Wir Fortschrittlichen dürfen uns nicht klein drücken lassen, sondern müssen viel offensiver über unser Gesellschaftsmodell sprechen.

Nach wie vor mit dem Ideal der Gleichheit?

Bezogen auf die Arbeit, über die wir hier sprechen, macht es keinen Sinn, die Welt nur von der Erwerbstätigkeit her zu betrachten. Wir müssen sagen: Es gibt viele wichtige Tätigkeiten, zu denen auch Kindergeburtstage, die Pflege bei Krankheiten der Kinder, Eltern und Großeltern zählen, Weiterbildung, genauso wie Engagement in und für die Gesellschaft. Da darf sich jetzt niemand vor lautem Faulheitsdiskurs in die Ecke drängen lassen. Sonst erleben wir einen Rollback.

 

 

Gibt es nicht immer noch so etwas wie ein weibliches oder männliches Arbeitsverständnis?

Klar. Es unterscheidet sich nach Alter und Bildung, nach Stadt oder Land und nach migrantischer Herkunft. Das alles sind wichtige Trennungsfaktoren. Aber alle Frauen und alle Männer sagen, im Grundsatz wollen sie Partnerschaftlichkeit. Sie wünschen sich füreinander ein gutes, gesundes und auch finanziell abgesichertes Leben. Das sind doch wunderbare Ansatzpunkte.

Wenn wir den langen Weg zur Gleichstellung insgesamt betrachten: Wieviel der Strecke ist da zurückgelegt?

Bei der Erwerbsarbeit haben wir große Fortschritte gemacht, im häuslichen Bereich sind wir kaum weitergekommen. Das liegt auch daran, dass es im Erwerbsarbeitsleben mittlerweile viele Ansprechpersonen gibt, verbriefte Rechte und Beschwerdemöglichkeiten. Die Erwerbsarbeitsorganisationen haben Halteseile für Frauen aufgezogen. Zu Hause ist das anders, zu Hause sind Frauen meist vollkommen auf sich gestellt, müssen sich nach wie vor rechtfertigen, gleich welche Richtung sie einschlagen. Sie können eigentlich nur zwischen Rabenmutter und Karriereweib wählen.

Ist dies die wirkliche politische Machtfrage der Gegenwart?

Es ist eine von vielen. Auch hier müssen wir dringend reden. Im Moment tendieren wir aus Hysterie vor Demografie und Migration zu einer fast unhinterfragten Vollzeiterwerbstätigkeit aller Menschen im erwerbsfähigen Alter. Das ist nicht nachhaltig. Die Menschen werden keine Zeit haben, Kinder zu bekommen, ihre Fähigkeiten den sich verändernden beruflichen Anforderungen anzupassen, gesund zu leben, die Grundlagen für bürgerschaftliches Engagement, Solidarität und damit auch Respekt zu legen. Wir müssen Lebensverläufe anders denken.

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