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Wider die Mutlosigkeit bei den Öffentlich-Rechtlichen Wir brauchen das System!

In Brandenburg häufen sich die Angriffe Rechtsradikaler auf Migrant:innen, Schüler:innen und andere Menschen. In Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg würde die AfD, wenn im Sommer 2023 Wahlen wären, die stärkste Partei. Im nächsten Jahr finden dort Landtags- bzw. Kommunalwahlen statt. Und die Ministerpräsidenten von Brandenburg und Bayern, Dietmar Woidke und Markus Söder, die bislang im Verwaltungsrat des ZDF für die Kontrolle, aber auch die Entwicklung eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders verantwortlich waren, sind von ihren Ämtern als Verwaltungsräte zurückgetreten – Ämter, in die sich Länderchefs bisher immer gedrängt hatten. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Deutschland, im Sommer 2023: Die AfD tritt für die Abschaffung des Rundfunkbeitrags ein. Öffentlich rufen einige Ministerpräsidenten prompt zu einem Einfrieren desselben auf – die Initiative ergriffen Reiner Haseloff und Dietmar Woidke, die Regierungen von vier Bundesländern (Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen) äußerten sich ebenso –, obwohl für die Beitragsfestsetzung ein kompliziertes Verfahren festgelegt ist, das die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von politischer Einflussnahme sichern soll. Zurzeit treten ARD und ZDF mit ihrer Bedarfsanmeldung in dieses Verfahren ein, in dem dann die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Anstalten (KEF) die zukünftige Höhe des Rundfunkbeitrags ermitteln wird, über die am Ende des Prozesses dann die Länderparlamente befinden – so ist das verfassungsrechtlich vorgegebene Procedere.

Prägt die AfD inzwischen die Rundfunkpolitik mit?

Ein Einfrieren des Rundfunkbeitrags bedeutet de facto eine Kürzung. Der Forderung der AfD, ihn abzuschaffen, derart weit entgegenzukommen, dass man Anpassungen schon von vornherein verunmöglichen will, heißt, sich rundfunkpolitisch auf abschüssiges Terrain zu begeben. Heißt das nicht auch schon, dass die AfD inzwischen die Rundfunkpolitik mitprägt? Und bedeutet die Tatsache, dass die genannten Regierungschefs ihre Aufgaben im ZDF-Verwaltungsrat nicht mehr wahrnehmen mögen, dass sie sich freier in der Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen positionieren können, als wenn sie selbst weiter Verantwortung für den Sender tragen würden?

Wie verteidigt man Institutionen?

Wenn demokratische Institutionen gefährdet werden, so ist es – sollte man zumindest annehmen – die vornehmste Aufgabe eines Demokraten, diesen Gefährdungen entgegenzutreten und die Institutionen zu verteidigen. Oder, wie Timothy Snyder in seiner Schrift Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand argumentiert: Institutionen »stürzen eine nach der anderen, wenn nicht jede von Anfang an verteidigt wird (…) Bisweilen werden Institutionen ihrer Vitalität und Funktion beraubt, sie werden zu einem Scheinbild dessen, was sie einst waren, (…)«.

Dies wirft natürlich die Frage auf: Wie verteidigt man Institutionen? Eine naheliegende Antwort wäre: Indem man sie stärkt und sie dabei unterstützt, dass sie ihre verfassungsgemäße Aufgabe erfüllen können. Bezogen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk heißt das, ihn bei Schärfung seiner öffentlichen Rolle mit den Mitteln auszustatten, die für die Aufgabenerfüllung notwendig sind. Laut Bundesverfassungsgericht soll er als Gegengewicht zu den kommerziellen Rundfunkanbietern Angebote machen, die einer anderen Entscheidungsrationalität als der Gewinnorientierung folgen und so zu inhaltlicher Vielfalt beitragen, wie sie allein über den freien Markt nicht gewährleistet werden kann.

Er soll – und hier sei das Bundesverfassungsgericht aus seinem Urteil zum Staatsvertrag Rundfunkfinanzierung vom Juli 2021 zitiert – »durch eigene Impulse und Perspektiven zur Angebotsvielfalt beitragen und unabhängig von Einschaltquoten und Werbeaufträgen ein Programm anbieten, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen gegenständlicher und meinungsmäßiger Vielfalt entspricht«. Dabei unterstreicht das Gericht die noch gestiegene Bedeutung dieser Aufgaben angesichts des komplexen und teils problematischen Informationsaufkommens im Internet. Die Ressourcen, die zur Erfüllung dieser Aufgaben notwendig sind, sind Maßstab für den Rundfunkbeitrag, nicht (partei-)politische Erwägungen.

Berücksichtigt man die gestiegenen Medienzeitbudgets aufseiten der Nutzer:innen, ihre hohen Ausgaben für Medienkonsum, die bedrohliche Konzentration am Medienmarkt und die Übermacht der US-amerikanischen Tech-Konzerne, so ist die Bedeutung öffentlich-rechtlicher Medien für eine offene, für alle frei zugängliche Versorgung mit qualitätsvollen Inhalten auch in Zukunft nicht zu unterschätzen. Ohne dieses breite Forum für eine lebendige gesellschaftliche Debatte droht eine demokratiegefährdende Vertiefung der Spaltungen in der Gesellschaft.

»Wir unterhöhlen die Zukunftsfähigkeit der Öffentlich-Rechtlichen.«

Eine verzagte Antwort auf die Angriffe gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk lautet offensichtlich derzeit: Wir unterhöhlen seine Zukunftsfähigkeit, halten ihn klein, zeigen Verständnis für alle berechtigte und unberechtigte Kritik, die in der veröffentlichten Meinung (chronisch und erkennbar absichtsvoll nicht zuletzt aus dem breiten Spektrum der konkurrierenden Medien) massiv verbreitet wird. Und wir versuchen immerhin, ihn aus der Schusslinie aggressiver Angriffe zu bringen, indem wir ihm finanziell engere Grenzen setzen.

Ist das eine erfolgversprechende Strategie? Internationale Beispiele lehren, dass ein Entgegenkommen gegenüber den Kritikern den öffentlichen Rundfunk langfristig zugunsten der kommerziellen Wettbewerber geschwächt hat. Das zeigen die Beispiele Kanada, Neuseeland oder Portugal und Griechenland. Auch in Großbritannien, wo die Angriffe auf die vormals so hoch gelobte BBC unter Premierminister Boris Johnson beispiellos wurden, hat das vorsichtige, teils angepasste Agieren der Senderverantwortlichen die Strahlkraft des Senders eher unterminiert, als dass er vehement verteidigt worden wäre.

Aufrechte Demokrat:innen sollten sich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einsetzen. Sie sollten wissen und es gerne öffentlich sagen, dass es sich trotz mancher Mängel und auch nach den massiven Führungsfehlern beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) um eines der besten Rundfunksysteme der Welt handelt; dass finanzielle und politische Unabhängigkeit von wirtschaftlicher und politischer Macht in Deutschland besser organisiert ist als in den meisten anderen pluralistischen Demokratien – von den autoritären Systemen brauchen wir hier nicht zu sprechen.

In einer idealen Welt wäre jedes System noch besser – noch demokratischer, noch effizienter, noch partizipativer, noch qualitätsvoller... Doch ideal ist die Welt nicht – auch nicht in Deutschland. Auch hier wird um Einfluss auf die Sender gerungen, auch hier gibt es manchmal viel Trägheit in den Sendern und mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber Höchststandards von Compliance. Auch hier ist die Verführung da, Zuschauerakzeptanz mit seichter Massenware zu sichern. Aber solche Fehlentwicklungen mit Kürzungen beheben zu wollen, ist absurd. Wer wollte ein Gesundheitssystem, ein Bildungssystem, ein Verkehrssystem oder andere öffentliche Infrastrukturen mit Kürzungen in der Qualität des Angebotes verbessern? Warum soll das ausgerechnet bei einem gesellschaftlichen Kommunikationssystem funktionieren?

Um positiv über den Auftrag und seine Ausfüllung in der digitalen Welt zu reden und dabei auch die Institutionen selbst offener, vielfältiger, transparenter zu definieren, ist es notwendig, von der Gewissheit auszugehen, dass die Elemente der strukturellen Verfasstheit, die Unabhängigkeit garantieren, in keiner Weise angegriffen werden dürfen – auch nicht durch populistische Kürzungsdebatten. Ein leistungsfähiges gemeinwohlorientiertes Kommunikationssystem hat seinen Preis – seine Beschädigung hat einen noch höheren Preis. Nur auf der Grundlage dieser Gewissheit können und müssen dann die Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Medien und ihre legitimen Kosten näher bestimmt werden.

Was sich bei den Öffentlich-Rechtlichen ändern muss

Erst dann müssen auch all die kritischen Fragen auf den Tisch kommen, die so dringend diskutiert werden sollten: Die Informationsangebote müssen Jüngere und jene Gruppen, die den Öffentlich-Rechtlichen eher fernstehen, erreichen; die gesellschaftlichen Debatten müssen aus allen Bereichen und in allen Genres abgebildet werden; Kultur, Bildung und Wissenschaft müssen einen angemessenen Platz im Programm haben und vielfältig vermittelt werden; die Präsenz auf allen Plattformen im Netz muss gesteigert und dazu die Plattformstrategie ausgebaut werden. Diese wiederum braucht starke und europaweite Partner, auch aus der Zivilgesellschaft. Es müssen Transparenz, Kommunikation und Partizipation organisiert werden. Deutlich muss der Unterschied des Angebotes zu den privatwirtschaftlichen Anbietern erkennbar werden.

All diese Aktivitäten und Angebote erfordern kompetente, qualifizierte Mitarbeiter:innen - und die sind in der Breite aller Beschäftigten bei steigendem Fachkräftemangel nur mit gutem Geld zu bekommen. Für die Verbesserung der Aufsicht und ihrer Strukturen wäre es wichtig, mehr Weiterbildung und Expertise für die Gremien zu erreichen, Stärkung der Gremienkontrolle durch besser ausgestattete Gremienbüros und die Vereinheitlichung der Standards der Gremienkontrolle. Vieles davon ist durch den jüngsten Medienänderungs­staatsvertrag schon festgeschrieben worden und in den Anstalten wird intensiv an der Umsetzung gearbeitet. Ob die von den Ländern inzwischen eingesetzte Expertenkommission zur Zukunft des Systems weitere mutige und belastbare Vorschläge macht, ist offen. Wichtig wird jedenfalls werden, nicht auch sie unter dem Einfluss partei- und länderpolitischer Interessen zu zerreden.

»Gegen den Angriff auf das Beitragsfestsetzungsverfahren und damit auf rechtsstaatliche Regelungen reicht zaghaftes Abwarten nicht.«

Gegen den Angriff auf das Beitragsfestsetzungsverfahren und damit auf rechtsstaatliche Regelungen reicht zaghaftes Abwarten nicht. Dieser Angriff ist nicht temporär. Er hat System und er hat ein Ziel, die Schwächung dieses unabhängigen Mediensystems. Er wird – das lehrt die Erfahrung – immer wieder von interessierter Seite, zu der auch die kommerzielle Konkurrenz gehört, angefacht werden. Umso schlimmer, wenn nun Ministerpräsidenten schon vorab erklären, sie interessiere die weitere Debatte nicht mehr, sie lehnten selbst einen Inflationsausgleich ab (denn nur darum handelt es sich ja, wenn von »Beitragserhöhung« die Rede ist).

So geht man nicht nur der AfD auf den Leim, so blockiert man gleichzeitig auch jede konstruktive Reformdebatte. Doch ohne zukunftsweisende Lösungen für die langfristige Sicherung öffentlich-rechtlicher Medien, die angesichts des Erstarkens rechter Einstellungen so wichtig sind wie nie, kapitulieren die Demokrat:innen. Nötig wären Willen und Überzeugungskraft, die Öffentlich-Rechtlichen zu verteidigen und sie durch Reformen zu stärken. Doch woher soll das kommen, wenn wir ARD und ZDF jetzt schlechter reden, als sie sind?

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