Menü

© picture alliance / Westend61 | Francesco Buttitta

Wie die Kultur nach der Pandemie wieder auf die Beine kommen könnte. Ein Gespräch mit Carsten Brosda. Wir müssen die Klebekraft der Couch überwinden.

 

NG|FH:Herr Brosda, was ist ihr größter Wunsch für das Jahr 2022?

Carsten Brosda: Dass diese Pandemie endlich bewältigt ist und wir in der Kultur mal wieder darüber reden können, was wir machen wollen und nicht nur darüber, was wir machen können.

Überraschenderweise ist ja in der neuen Regierung das Staatsministerium für Kultur und Medien an die Grünen gegangen, wo es doch bisher immer an die Partei des Kanzlers bzw. der Kanzlerin gekoppelt war. Was ergibt sich daraus?

Olaf Scholz und Claudia Roth werden ein Interesse daran haben, gemeinsam für Rahmenbedingungen zu sorgen, in denen Kultur- und kreativwirtschaftliche Produktionen gedeihen können. Das ist meine Erwartung und ich denke, es wird auch so kommen.

Wie unterscheidet sich sozialdemokratische von grüner Kulturpolitik?

Ich kann nur sagen, was der Kern sozialdemokratischer Kulturpolitik ist und ich glaube, dass wir an vielen Stellen gar nicht so weit auseinander liegen. Die Koalitionsverhandlungen in der Arbeitsgemeinschaft Kultur haben zumindest gezeigt, dass wir eine ähnliche Zielrichtung haben. Alle drei Parteien wollen der Vielfalt von kulturellen Positionen und Kulturproduktionen ausreichend Gehör verschaffen. Die Grünen gucken vielleicht noch ein wenig stärker auf die freien Strukturen, während wir uns bemühen, freie und institutionelle Strukturen gleichermaßen im Blick zu behalten. Das sind aber eher graduelle Unterschiede. Kulturpolitik ist in der Regierung dann besonders gut, wenn sie nicht einer Parteifarbe zuzuordnen ist, sondern tatsächlich Ausdruck einer umfassenden Anstrengung aller ist, die diese Koalition tragen.

Die SPD hatte traditionell Wert auf Nähe zu Kulturschaffenden und zur Kulturbranche gelegt. Entsteht jetzt nicht doch der Eindruck, mit der Aufgabe des Staatsministeriums für Kultur und Medien hätten die Sozialdemokraten das Interesse ein wenig verloren, die Kultur sei ihnen nicht mehr so wichtig?

Das glaube ich nicht, denn es gilt ja weiterhin, dass Kulturpolitik im Kern in den Ländern und Kommunen gestaltet wird. Insofern haben wir nach wie vor ganz viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die auf allen Ebenen sehr engagiert Kulturpolitik betreiben. Viele sind auch in den entsprechenden Verbänden aktiv und kümmern sich dort um die Rahmenbedingungen von Kultur. Der Bund ist ja für die allermeisten Aspekte kulturpolitischer Gestaltung in Deutschland nicht direkt zuständig. Sehr wohl ist er aber zuständig dafür, gute rechtliche Rahmenbedingungen dadurch zu schaffen, dass die übrige Gesetzgebung des Bundes kulturfreundlich ist.

Es gibt in Bundesregie ein paar große Projekte von nationaler Bedeutung, um die muss man sich besonders kümmern. Da sitzt jetzt zwar keine Sozialdemokratin und kein Sozialdemokrat in der zuständigen Rolle, aber das Parteibuch ist an dieser Stelle nicht entscheidend. Wir müssen gemeinsam schauen, dass wir eine lebendige kulturelle Landschaft im Land erhalten. Ich glaube, dass man auch weiterhin merken wird, dass der Sozialdemokratie die Kultur ausgesprochen wichtig ist und sie im Land für gute kulturelle Rahmenbedingungen sorgt.

Sie erwarten keine wesentliche Veränderung in der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Sachen Kulturpolitik?

Ich hoffe auf eine bessere Zusammenarbeit. Da gibt es etwa die Vereinbarung zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft und den Akteuren gemeinsam in einem »Plenum der Kultur« auszuloten, wie die Rahmenbedingungen für Kultur gestaltet werden müssen. Übrigens ein Vorschlag aus dem sozialdemokratischen Zukunftsprogramm zur Bundestagswahl. Hier müssen wir die Koordination besser hinbekommen als in der Vergangenheit: Förderprogramme aufeinander abstimmen, um nicht gegeneinander zu arbeiten, wie das teilweise in den vergangenen Jahren – nicht aus bösem Willen, sondern unabsichtlich aus Mangel an Kommunikation und Schnittstellenmanagement – das eine oder andere Mal passiert ist.

Dass sich die Länder Mitte 2018 geeinigt haben, unter dem Dach der Kultusministerkonferenz eine Kulturministerkonferenz ins Leben zu rufen, deren erster Vorsitzender ich damals sein durfte, hatte ja auch etwas damit zu tun, dass die Länder mit dem Bund klare Schnittstellen vereinbaren wollen. Denn das Fördervolumen des Bundes in diesem Bereich ist zwar gewachsen, aber es kommen immer noch mehr als vier Fünftel der Kulturausgaben in Deutschland über die Länder und Kommunen. Insofern muss das zueinander passen. Im Ganzen ist in der Kultur nie ausreichend Geld da. Daher haben wir nichts davon, wenn wir zweimal an der gleichen Stelle fördern, dafür an anderer Stelle nicht. Da habe ich schon die Erwartung an den Bund, dass die Bereitschaft zur besseren Abstimmung wächst.

Was haben Sie konkret in Hamburg vor und wofür bräuchten Sie den Bund?

Worauf es bei der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ankommt, will ich an einem Beispiel deutlich machen: einem Programm aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung »Kultur macht stark«. Das war eine schöne Idee. Man fördert Projekte der kulturellen Bildung. Das Programm geht jetzt in die dritte Runde, ist noch vor der Bundestagswahl verlängert worden, und ich finde es gut. Nur: An vielen Ecken und Enden im Land haben sich vorher Kommunen und Länder darum gekümmert, kulturelle Bildungsprojekte zu fördern.

Als dann das neue Bundesprogramm kam, zeigte sich ein vielfach zu beobachtender Mechanismus: Dann kommt eine neue Förderrichtlinie des Bundes, ausgestattet mit viel Geld, die nur neue Projekte als förderwürdig erachtet. Das führt dazu, dass bestehende Projekte sich neu erfinden müssen, Förderung beantragen und plötzlich deutlich mehr Geld bekommen als vorher durch Kommune oder Land. Die Projekte sind dann aber erst einmal befristet auf zwei oder drei Jahre. Danach soll diese Förderung dann weiter durch Land oder Kommune erfolgen. Diese haben aber in der Zwischenzeit nicht das Finanzpolster aufgebaut, um das zu übernehmen, was der Bund zwischenzeitlich da reingesteckt hat. Und dann kommt das Aus. In dieser Ausformung sind Bundeshilfen eher kontraproduktiv. Was wir vor allem brauchen sind strukturell wirksame Antworten auf folgende Fragen: Wie sind Märkte gestaltet? Wie steht es um die Finanzkraft von Kommunen, die nach Corona sicherlich nicht so viel Geld in den Haushalten haben wie zuvor, aber trotzdem in der Verantwortung stehen?

Überall da kann Bundeskulturpolitik verdienstvoll wirken und ich hoffe, dass sie das auch tut. Sie muss sich darum kümmern, dass die Rahmenbedingungen so stimmen, dass diejenigen, die die ursprüngliche Verantwortung tragen auch in der Lage sind diese auszufüllen.

Umreißt das, was schon vor den Koalitionsverhandlungen gesagt wurde: dass wir eine strukturelle Erneuerung der Kulturförderung brauchen?

Darauf haben sich alle drei Parteien in ihren Wahlprogrammen eingelassen, und auch im Koalitionsvertrag haben wir im Kern gesagt, dass wir die durch Corona ja deutlich erhöhten Förderansätzen des Bundes in den einzelnen Programmen nicht überall wieder auf das Vor-Corona-Niveau runterrauschen lassen, sondern sie oberhalb dessen stabilisieren wollen. Über den erhöhten Förderbedarf sind sich alle einig. Gerade deshalb ist es umso wichtiger, dass das abgestimmt ist mit dem, was Länder und Kommunen machen. Dafür setze ich einige Hoffnung in dieses Plenum der Kultur, in dem man genau solche Vereinbarungen wird treffen können.

Claudia Roth hat im Vorfeld das Existenzgeld für Soloselbstständige, die von der Coronapandemie besonders betroffen sind, gefordert. Was halten Sie davon?

Das ist eine Forderung der Grünen, die so nicht in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben worden ist. Im Kern geht es da um eine bessere soziale Absicherung innerhalb der bestehenden Systeme, beziehungsweise die Prüfung eines Sicherungsgeldes, wie das Hubertus Heil vorgeschlagen hat.

Darum wird sich auch in der kommenden Regierung weniger die Kulturstaatsministerin als das Arbeits- und Sozialministerium kümmern. Da wird auch in Zukunft eine ganze Menge von sozialdemokratischer Gestaltung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Kulturschaffenden und Kreativen erfolgen, weil es ja um die Frage geht, wie die Absicherung funktioniert. Wie sorgen wir dafür, dass bei solchen spontanen Einnahmeausfällen, wie sie sich jetzt aufgrund der Pandemiebeschränkungen ergeben haben, nicht Menschen ins Bodenlose fallen. Da sind einige Verbesserungen im Koalitionsvertrag skizziert worden, die jetzt umgesetzt werden müssen. Ein eigenes Instrument wie das Existenzgeld ist aber nicht vereinbart worden und braucht es auch nicht unbedingt.

Geld ist andererseits aber auch nicht alles in der Kultur. Die Gesellschaft muss Kultur auch wollen und Kultur muss in der Lage sein, sich darzustellen. Müssen wir befürchten, dass die Gesellschaft sich in der Pandemie von der Kultur entfremdet hat und am Ende gar nicht mehr so häufig zum Beispiel in die Theater strömt?

Natürlich gibt es die Sorge in allen Bereichen, dass wir nach Corona länger brauchen werden, um Menschen davon zu überzeugen, Kulturerlebnisse wieder zum festen Bestandteil des Alltags zu machen. Ein Intendant fand dafür die schöne Formulierung von der Klebekraft der Couch, die es zu überwinden gelte. Da ist was dran und insofern ist die Frage spannend, wie man dafür sorgt, dass man das Publikum wieder in die Häuser holt. Das wird sich aber weniger auf Bundesebene entscheiden, sondern vielmehr durch die einzelnen Häuser selbst und wie diese vor Ort mit ihrem Publikum umgehen. Wie beackert das Theater, der Club, dass Konzerthaus, die Freie Gruppe die eigene Öffentlichkeit vor Ort? Wie sind sie verankert in der Stadt, in der Region? Sprechen sie die Menschen an, die sie als Publikum haben möchten und wie sorgen sie dafür, dass diese interessiert sind an dem, was man macht und deswegen wiederkommen? Da wird ganz viel grundlegende Basiskommunikation und viel Vermittlungsarbeit nötig sein. Da kann Politik gar nicht viel machen, außer zu zeigen, dass Kulturorte sicher sind und dann auch regelmäßig selber dort wieder hingeht.

Sie sind ja auch Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie. Welche Macht, Energie, Durchschlagskraft hat dieses Forum innerhalb der Partei?

Es ist zunächst einmal gar kein Bestandteil der Partei. Das Kulturforum ist keine klassische Arbeitsgemeinschaft, sondern eher ein loser Zusammenhang von Menschen, die ein Interesse an sozialdemokratisch gestalteter Kulturpolitik haben. Insofern ist es nicht so sehr darauf ausgerichtet, eine administrative Macht nach innen zu entfalten als tatsächlich stärker über Kommunikation, über das Argument und über die Instrumente des Kulturellen politisch nach außen zu wirken. Man muss aber auch festhalten, dass die Grundlagenarbeit des Kulturforums an der kulturpolitischen Programmatik der SPD im letzten Jahr dazu geführt hat, dass der Parteivorstand im März 2021 einen Beschluss zur Kulturpolitik gefasst hat, der auch Teil der Wahlprogrammatik geworden ist. Das zeigt meines Erachtens, dass wir sehr wohl in der Lage sind, mit unserer kulturpolitischen Position auch den Kurs der Partei mitzubestimmen. Denn dieser Beschluss ist einstimmig vom Parteivorstand gefasst worden und war dann auch der erste, der in die Programmmatrix aufgenommen worden ist.

Also arbeitet das Kulturforum auch in Richtung Programmatik.

Natürlich, aber es legt nicht sein Hauptaugenmerk darauf, programmatische Beschlusslagen der Partei herbeizuführen. Unsere Idee ist es eher, ein Forum im eigentlichen Wortsinn zu sein, indem die Kommunikation darüber stattfindet, was auch jenseits der konkreten nächsten politischen Policy Sinnvolles passieren kann. Wir haben wenige Foren, in denen wir grundsätzliche Debatten über das politisch und kulturell Sinnvolle in unserer Gesellschaft organisieren. Das Kulturforum kann ein solches sein und denkt deswegen manchmal auch etwas weiter vor, tut sich deswegen auch zusammen mit der Grundwertekommission der Partei und versucht tatsächlich eher auch mal auf die Debattenstränge einzugehen, die nicht schon morgen in ein Gesetz münden müssen. Eine Partei braucht auch Räume, in denen eine veränderte Vorstellung davon entwickelt wird, was Politik in unserer Gesellschaft in fünf oder zehn Jahren erreichen möchte. Das Kulturforum kann ein solcher Ort sein und wird dafür sehr geschätzt. Und wenn wir dann mal ein konkretes Anliegen haben, sind wir auch in der Lage das durchzusetzen, aber darin erschöpft sich unsere Arbeit nicht.

Könnte die Nichtbesetzung des Staatsministeramtes für Kultur durch die Sozialdemokratie das Kulturforum jetzt sogar aufwerten?

Das Kulturforum agiert unabhängig von der Bundesregierung, in der ja immerhin Olaf Scholz als sozialdemokratischer Bundeskanzler auch der Ressortchef für die Kultur- und Medienpolitik ist. Aber natürlich stimmt es, dass wir uns im Kulturforum jetzt erst recht um Künstlerinnen und Künstler kümmern müssen. Das aber ist ohnehin Kern unserer Arbeit. Wenn die Sozialdemokratie den Anspruch aufrechterhalten will, dass wir eine Kulturbewegung sind, die auf einer bestimmten Vorstellung von gesellschaftlicher und politischer Kultur fußt, dann hat natürlich das Kulturforum immer eine besondere Funktion. Nämlich die, sich genau um diese politisch-kulturelle Verankerung zu kümmern. Das bleibt und das wäre auch geblieben, wenn eine Sozialdemokratin oder ein Sozialdemokrat Staatsminister für Kultur und Medien geworden wäre. Es wäre auch geblieben, wenn die SPD in der Opposition gelandet wäre.

Die SPD wird sich weiterhin stark um die Kultur kümmern. Die Verengung darauf, dass man das nur kann, wenn man ein bestimmtes Amt innehat, ist manchmal der Blick der Hauptstadtbeobachter. Wenn man etwas weiter von Berlin weg geht, relativiert sich das ganz schnell. Ich betreibe Kulturpolitik in Hamburg, der Deutsche Bühnenverein sitzt in Köln und ist, wie auch das Kulturforum der Sozialdemokratie, überall im Land aktiv. Es lässt sich wunderbar Kulturpolitik aus all diesen Positionen heraus machen.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben