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Über Generationengerechtigkeit und die Corona-Pandemie Wir sind jung und brauchen (nicht nur) das Geld

Während ich in diesem Frühling 2021 im Homeoffice festsitze, ist mein Smartphone meine Rettung: Es hilft mir, Kolleginnen per Videokonferenz sehen zu können und per Sprachnachrichten die Stimmen meiner Freunde zu hören. Es ist gut, sich trotz Kontaktbeschränkungen gegenseitig aufbauen zu können, über die bei vielen durch Corona frisch geknickten Biografien und die Schwierigkeiten beim Abschluss der Ausbildung oder beim Berufseinstieg zu sprechen, Sorgen, Hoffnungen und Zukunftsängste zu teilen. Einigen, bei denen die Pandemie die schon vorher schwierige finanzielle Lage und prekäre Wohnsituation noch verschärft hat, machen auch die verlorene Zeit und der Verzicht auf Freizeit und Erholung besonders zu schaffen. Jeder neue Shutdown bedroht ihre Existenz.

Dass die Pandemie als Brennglas für soziale Ungleichheit wirkt, wird bereits durch einige Studien belegt – ein aktuelles Papier des Verbandes von Hilfs- und Entwicklungsorganisationen Oxfam nennt COVID-19 in diesem Zusammenhang sogar das »Ungleichheitsvirus«. Doch auch die Gräben zwischen den Generationen vertiefen sich laut Kommentatoren wie Marcel Fratzscher vom DIW Berlin (ZeitOnline, Mai 2020) durch die Krise. Neben den hohen gesundheitlichen Gefahren für Ältere und Risikogruppen, die es zu schützen gilt, birgt die Pandemie bekanntermaßen soziale und gesellschaftliche Herausforderungen aber auch Potenziale, die insbesondere Menschen betreffen, die heute jung sind oder auch Menschen, die während oder nach der Corona-Krise geboren werden.

Erste Studien, wie die vom Deutschen Jugendinstitut 2020 herausgegebene Analyse zum Thema »Kind sein in Zeiten von Corona«, zeigen, dass hierbei finanzielle Armut als Verstärker wirkt: So sind Kinder und Jugendliche aus ärmeren Milieus von Schulschließungen noch stärker betroffen als andere junge Menschen, die ebenfalls unter den Kontaktbeschränkungen und Einsamkeit leiden und Bildungslücken aufbauen. Die Fragen nach Generationengerechtigkeit während und nach der Pandemie können somit nur verschränkt mit dem Problem sozialer Ungleichheit beantwortet werden.

Bisher werden hierbei in der öffentlichen Debatte vor allem ökonomische Auswirkungen der Krisenbewältigung auf die nachfolgenden Generationen diskutiert, sowie die Gefährdung von psychischer Gesundheit, beruflichen Zukunftsaussichten und Chancengleichheit in Bezug auf Bildung. Auch mehr Nachhaltigkeit der Wirtschaftshilfen hinsichtlich sozialer und ökologischer Bedingungen werden von Initiativen wie der Kampagne »Generationenrettungsschirm« gefordert, um den Bedürfnissen künftiger Generationen Rechnung zu tragen. Wenig im Fokus sind hingegen die Auswirkungen des starken Digitalisierungsschubs, der sich gerade vollzieht und zu wenig kritisch eingeordnet wird, obwohl hierdurch viele einschneidende Veränderungen zu erwarten sind. Neben den vielen positiven Möglichkeiten, die sich durch die zunehmende und durch die Pandemie befeuerte Digitalisierung der Arbeitswelt, der Schulen, des Gesundheitssystems und politischen Beteiligungsformen ergeben, werden zunehmend auch problematische Seiten der verstärkten Nutzung digitaler Dienste und Daten offenbar.

So beklagt der Ende März 2021 erschienene Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten für 2020, dass derzeit Gesetze zur Digitalisierung des Gesundheitswesens verabschiedet werden, in denen Datenschutz und informationelles Selbstbestimmungsrecht zu wenig berücksichtigt werden und dass seiner Behörde kaum Zeit für Stellungnahmen eingeräumt wird. Wozu so ein übereiltes, unsorgfältiges Vorgehen in Bezug auf die Digitalisierung hochsensibler Daten führen kann, zeigen Skandale wie zuletzt in Finnland: Dort wurden 2020 Psychiatriedaten im großen Stil gehackt und Tausende Patienten zu Zahlungen in Bitcoin erpresst.

Solche Szenarien könnte man als Einzelfälle ansehen, dabei sind sie insbesondere vor einem gesellschaftlichen Hintergrund problematisch, in dem Daten und digitale Technologie zunehmend nicht mehr nur dafür genutzt werden, das Kaufverhalten von Individuen durch persönlich zugeschnittene Werbung oder die Kalkulation von Kreditrisiken auf Grundlage von Verhaltensdaten zu beeinflussen. Stattdessen könnten große Datensammlungen künftig vermehrt zum Training von Algorithmen genutzt werden, die wiederum darauf Einfluss haben, welche Bevölkerungsgruppen Zugang zu medizinischen Leistungen, Jobs und Bildungschancen haben – in China oder Venezuela ist dies bereits Realität.

Die Pandemie hat den digitalen Wandel in Deutschland beschleunigt und zugleich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gebunden. Deshalb hält die gesellschaftliche Debatte mit den Maßnahmen kaum Schritt, was langfristig zu grundlegenden Beschneidungen unserer Freiheitsrechte führen kann – mit Auswirkungen für uns junge Menschen und zukünftige Generationen.

Pandemien gelten für einige Soziologen und Historiker, wie Robert Kluth, als Katalysatoren des kulturellen Wandels, weil sie Veränderungsdruck erzeugen. Deren Thesen nach entstand der Buchdruck in Zeiten der Pest und der soziale Wohnungsbau infolge der Cholera-Epidemie. Vielleicht bietet Corona eine ähnliche Möglichkeit, jetzt für eine digitale Transformation, die für eine gerechtere Zukunft mit mehr Teilhabe und Flexibilität genutzt werden kann. Genau das ist es aber, was dank blindem Aktionismus und politischem Profilierungswahn und auch ausbleibender gesellschaftlicher Gegenwehr zu wenig geschieht. Anders als mit den Folgen des Klimawandels oder ökonomischen Auswirkungen der Corona-Krise setzen sich zu wenige junge Menschen öffentlich mit dem einschneidenden digitalen Wandel auseinander. Woran liegt das?

Mangelnde Repräsentation vs. erlernte Hilflosigkeit

Zunächst einmal sind wir es gewohnt, dass Menschen über unsere Zukunft entscheiden, die nicht die ganze Vielfalt der Gesellschaft abbilden. So sind im Deutschen Bundestag Perspektiven von Nichtakademiker*innen, Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und vor allem auch jungen Menschen unterrepräsentiert. Der Bundestag ist im Schnitt deutlich älter als die Bevölkerung: Nur 21 der 709 Abgeordneten sind zwischen 21 und 29 Jahren alt, das entspricht gerade einmal 4,4 %. Dort, wo die Gesetze gemacht werden, kommen also wir jungen Menschen als Korrektiv kaum vor. Natürlich können sich auch Personen für die Interessen anderer einsetzen, die einen anderen Erfahrungshorizont mitbringen und die Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe führt noch lange nicht zu einer einheitlichen Sichtweise – eine solche Vorstellung wäre realitätsferner Essentialismus.

Dennoch kann man nicht wegdiskutieren, dass Menschen meines Alters völlig anders sozialisiert worden sind, als die heute 40- bis 60-Jährigen, die den Großteil der Abgeordneten ausmachen. Alleine was den unterschiedlichen Umgang mit digitalen Möglichkeiten angeht, wird das deutlich. In unserem Alltag trennen wir längst nicht mehr zwischen Online und Offline, die meisten von uns nutzen digitale Tools und Plattformen ganz selbstverständlich, um sich den Alltag zu erleichtern oder auch um sich selbst auszudrücken, darzustellen, zu empowern und kreativ zu sein. Nicht zuletzt nutzen wir sie auch zur Vernetzung oder auch um politische Meinungen und Ideen zu artikulieren — jenseits der Deutungsmacht etablierter Medien oder Parteien. Diese Kompetenzen und Bedürfnisse sollten in wichtige gesellschaftliche Entscheidungen, gerade zum Querschnittsthema Digitalisierung, einfließen.

Für uns Junge ist ein digitalisierter Alltag selbstverständlich. Und vielleicht macht genau das uns blind für Risiken. Viel zu viele von uns glauben, dass sie nichts zu verbergen hätten und teilen ihre sensiblen Daten unhinterfragt mit Diensten und Unternehmen wie WhatsApp oder TikTok, einfach weil es praktisch ist oder auch, weil wir sonst an vielem sozial und beruflich nicht teilhaben könnten. Das unüberschaubare, abstrakte Internet und seine vielen Akteure wissen schon so viel über uns, da ist es doch eigentlich egal, ob dann vielleicht bald auch noch Informationen über das positive Ergebnis des eigenen Corona-Tests, über die Depression oder Unfruchtbarkeit im Netz zu finden sind. Wir haben uns an diesen Kontrollverlust längst gewöhnt und nehmen ihn für mehr Bequemlichkeit im Alltag in Kauf.

Politische Teilhabe für alle

Die ethische Grundfrage danach, ob Politik und Gesellschaft die Interessen künftiger Generationen mitdenken können und müssen und danach, wie Ressourcen zwischen Bevölkerungsgruppen unterschiedlichen Alters verteilt werden sollen, stellt sich immer wieder, etwa bei der Festlegung von Klimazielen, der Umsetzung der Energiewende oder beim Umbau des Gesundheitssystems. In der Corona-Krise wird sie jetzt noch einmal besonders dringlich, da diese als Katalysator für den digitalen Wandel wirkt.

Eigentlich ist es ein Glück, dass Krisen das Potenzial haben, festgefahrene Denkmuster aufzulösen und Innovationen zu erzwingen: Die politischen Einflussmöglichkeiten für junge Menschen und ihre Repräsentation unter Entscheidungsträgern müssen jetzt strukturell verbessert werden. Wir sind jung und brauchen nicht nur ökonomische Sicherheit, sondern auch Macht und Möglichkeiten, die Welt, in der wir und nachfolgende Generationen leben werden, zu gestalten.

Um das zu erreichen, sind wir auch selbst gefordert. Der Digitalisierungsschub, der sich gerade vollzieht, sollte nicht nur bejubelt, sondern auch kritisch begleitet werden, auch wenn das unbequem und wenig glamourös ist. Gerade jetzt sollten wir Jungen uns einmischen, damit unsere Zukunft nicht von anderen geschrieben wird.

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