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Sicherheitszusammenarbeit und Rüstungskontrolle nach der Blockkonfrontation Wir waren schon einmal weiter!

Wer heute den Bericht »Das Überleben sichern« liest, der vor 40 Jahren von der Nord-Süd-Kommission unter dem Vorsitz von Willy Brandt vorgelegt wurde, der sieht die Vision einer »Weltinnenpolitik«, die nach gemeinsamen Interessen und Regeln suchte – und das, als die Welt noch in Blöcke gespalten war!

Zwischenzeitlich ist diese Art der Spaltung und der Dualismus der Macht längst überwunden. Aber die multipolare Welt, die wir jetzt erleben, sucht nicht nach gemeinsamen Interessen und der Umsetzung von Regeln, sie lässt keine Vision einer gemeinsamen Verantwortung erkennen, die das Überleben sichert.

Wir erleben stattdessen wachsende Gewalt und den Verlust globaler Rechtsstaatlichkeit, keine gerechte neue Weltordnung, sondern eine neue Weltunordnung. Es scheint, als ob sich die Auswirkungen des Neoliberalismus mittlerweile auch massiv im Verhalten der Staaten ausdrückten.

Kein größerer Staat fragt noch nach einer Legitimierung durch die Vereinten Nationen, wenn er Krieg führt, wie z. B. Saudi-Arabien im Jemen. Die USA unter Donald Trump brechen internationale Verträge wie das Pariser Klimaabkommen, sie pfeifen auf Vereinbarungen der UN zur Migrationspolitik. Sie brechen das Iranabkommen, das sie selbst mitvereinbart haben. Sie propagieren eine neue nukleare Aufrüstung. Russland versucht unter Wladimir Putin in der Welt wieder neue »Größe« zu gewinnen. Es bricht das Völkerrecht, Stichwort Annexion der Krim, und greift militärisch in den Krieg in Syrien ein.

Gleichzeitig erleben wir den Aufstieg der neuen Weltmacht China, die im Inneren unter vielen Gesichtspunkten noch ein Entwicklungsland ist und Menschenrechte missachtet, die aber z. B. in der Haltung zum Klimawandel mittlerweile ein zentraler Partner geworden ist.

Weltweit erhebt die Missachtung anderer, erheben nationalistische und chauvinistische Vorurteile wieder ihr Haupt. Zwei Lichtblicke in diesen Entwicklungen gibt es: Die Existenz der Europäischen Union als eine Institution, die Frieden durch Zusammenarbeit sichern will und die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs im Rahmen der UN-Generalversammlung des Jahres 2015, die Agenda 2030 und die dazu beschlossenen Nachhaltigkeitsziele. Es handelt sich dabei um sozial-ökologische Regeln für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung, zusammen mir den Pariser Klimavereinbarungen. Wir sollten diese Errungenschaften mit all unseren Möglichkeiten verteidigen, weiterentwickeln, aufwerten und in unserer praktischen Politik umsetzen.

Zwei wichtige äußere Anlässe bieten sich dafür: Die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 und die Mitgliedschaft Deutschlands im UN-Sicherheitsrat ab Januar 2019 für zwei Jahre. Das sollte für die sozialdemokratische Politik endlich Anlass sein, unsere Vision einer internationalen Friedenspolitik und einer gerechteren Welt im Sinne Willy Brandts öffentlich darzustellen. Sie ist unser Leitbild, das endlich wieder sichtbar werden muss. Und es sollte auch deutlich machen: Wir können gestalten und wirkliche Sicherheit vermitteln und damit dem Gefühl des Kontrollverlustes bei den Bürgerinnen und Bürgern entgegenwirken.

Wir müssen endlich darauf pochen, dass jede Form der militärischen Aktion der Legitimation durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bedarf. Sollte er durch das Verhalten einer der Vetomächte in seinen Entscheidungen blockiert sein, muss der Weg in die UN-Generalversammlung gesucht werden. Dies muss nach der Vorgabe »Uniting for peace« erfolgen und braucht natürlich aktive diplomatische Bemühungen, um die erforderlichen Mehrheiten zu erreichen. Wenn »der Westen« diese Legitimation durch die UN nicht mehr sucht, dann werden sich andere daran ein negatives Beispiel nehmen. Wir haben es in der Hand, der »Stärke des Rechts« zum Durchbruch zu verhelfen, statt das »Recht des Stärkeren« stillschweigend zu akzeptieren.

Die weltweite Rüstungsdynamik verschärft sich, die Neubeschaffung von Waffensystemen und der Anstieg der Rüstungsausgaben sind bedrückende Signale. Es sollte deshalb eine vordringliche Aufgabe unserer UN-Politik sein, die Initiative für ein vollständiges Verbot autonomer Waffensysteme zu ergreifen, statt selbst den Kauf bewaffneter Drohnen anzukündigen.

Eine zweite zentrale Aufgabe: Es muss verhindert werden, dass ein Grundpfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur demontiert wird. Es geht um den INF-Vertrag. Dieser bahnbrechende Vertrag von 1987 verbietet die Entwicklung, das Testen und die Herstellung von landgestützten Marschflugkörpern und ballistischen Raketen mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometern. Der Vertrag hatte die nukleare Gefahr in Europa drastisch verringert und das Ende eines gefährlichen Wettrüstens der damaligen Supermächte eingeleitet. Kürzlich hat US-Präsident Trump öffentlich die Kündigung dieses Vertrages bekanntgegeben. Sein Vorwurf: Auf russischer Seite werde der INF-Vertrag verletzt.

Die Europäer müssen alles tun, um ein gefährliches neues nukleares Wettrüsten zu verhindern. Deutschland muss im Interesse der europäischen Sicherheit in dieser Frage aktiv werden. Die Bundesregierung sollte die europäischen NATO-Partner auffordern zu erklären, dass sie diesen Vertrag als zentralen Pfeiler der europäischen Sicherheit erhalten wollen und eine Neustationierung von Atomwaffen und neuer Trägersysteme in Europa ablehnen. Da geht es im wahrsten Sinne um die Selbstbehauptung der Europäer gegen gefährliche US-amerikanische Pläne.

Deutschland sollte in den Vereinten Nationen ein Sondertreffen zur nuklearen Rüstungskontrolle und Abrüstung initiieren. Das wäre ein wichtiger Impuls mit Blick auf die Überprüfungskonferenz zum Nichtweiterverbreitungsvertrag 2020. Die vollständige Abrüstung von Atomwaffen, die ja auch ursprünglich Barack Obama gefordert hatte, muss noch immer unsere Perspektive sein. Gleichzeitig sollte sich Deutschland endlich öffentlich und deutlich zur Umsetzung der Agenda 2030 und der Nachhaltigkeitsziele positionieren. Diese Ziele verlangen eine tiefgreifende sozialökologische Transformation in der Wirtschafts- und Energiepolitik. Man hat allerdings bisweilen den Eindruck, dass diese Ziele von der Bundesregierung wie das bestgehütete Geheimnis behandelt werden.

Verpflichtungen zwischen allen für alle

Aber die Ziele, die im Bericht »Das Überleben sichern« formuliert sind, finden heute ihren Ausdruck in den Nachhaltigkeitszielen, den Sustainable Development Goals. Wir kommen mit ihnen also auch seiner Politik nach! Es geht um die Verpflichtung zur weltweiten Bekämpfung von Armut, Pandemien und dem Klimawandel. Es geht um die Bekämpfung von Ungleichheiten in unseren Ländern, aber auch zwischen ärmeren und reicheren Ländern.

Auch europapolitisch stehen wir jetzt vor dem Schwur. Wir müssen endlich aus den dramatischen Umwälzungen Konsequenzen ziehen. Wir brauchen mehr denn je die Selbstbehauptung Europas, die europäische Souveränität zurückgewinnt, ohne gleichzeitig neue Aufrüstungsimpulse auszulösen.

Wir brauchen eine neue Politik gegenüber Russland, die trotz bestehender Differenzen einen Pfad der gemeinsamen Sicherheitsinteressen, der Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung sucht. Russland muss endlich in seiner Rolle als europäischer Staat wahrgenommen und anerkannt werden.

Europäische Souveränität heißt nicht primär eine europäische Armee und eine europäische Verteidigungspolitik. Aber wenn sie verwirklicht werden, dann nicht als Anhängsel der USA oder der NATO, sondern nach eigenen Überlegungen.

Zuallererst muss der innere Zusammenhalt in der EU gestärkt werden, indem die Entscheidungen zur Weiterentwicklung des Euro zu einer wirklichen Wirtschafts- und Währungsunion vorangetrieben werden. Die Perspektiven, die Emmanuel Macron dazu vorgeschlagen hat, sollten endlich von der Bundesregierung aus politischer Überzeugung unterstützt werden, statt deren Schwung abzubremsen. Und global muss der Euro endlich zu einer wirklichen globalen Leitwährung gemacht werden, um die Abhängigkeit vom Dollar zu verringern.

Dabei sollte zweierlei deutlich werden: Der Euro hat uns in der Finanzmarktkrise von 2008/2009 vor einer Katastrophe geschützt. Und es braucht nach wie vor die Reform der Finanzmärkte, damit diese endlich ihre Funktion des Dienens für reale wirtschaftliche Entwicklungen übernehmen, statt losgelöst von der wirtschaftlichen Realität und den Menschen Blasen zu entwickeln, die die nächsten Katastrophen auslösen könnten.

Eine wichtige Initiative der Bundesregierung sollte in diesem Zusammenhang sein, die Forderung eines »Panel on Systemic Risks« in den Vereinten Nationen umzusetzen, die die UN-Generalversammlung im Juni 2009 aufgestellt hatte, damit eine kontinuierliche öffentliche Berichterstattung über die Entwicklungen der Finanzmärkte gesichert würde.

Ein Vorschlag, der sich an der Institution des UN-Klimarates und seiner öffentlichen Berichterstattung orientiert. Zur Verwirklichung einer gemeinsamen Außenpolitik der Europäischen Union bedarf es aus meiner Sicht eines Übergangs zu Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik, allerdings unter der parlamentarischen Kontrolle des Europaparlaments, besonders bezogen auf EU-Missionen und das Budget der außenpolitischen Aktionen. Das kann auch bedeuten, dass man bisweilen in der Minderheit bleibt!

Gemeinsame Wege suchen – und finden

Es muss Schluss damit sein, dass die Sicherheitszusammenarbeit der EU mit anderen Regionen zulasten der Mittel der Entwicklungszusammenarbeit finanziert wird. Wer eine gemeinsame Außenpolitik verwirklichen will, der muss sie auch finanziell ausstatten! Das gilt insbesondere für die Kooperation mit den Nachbarregionen im Süden, dem Nahen Osten und dem Westbalkan. Hier müssen wir auch politisch mehr Verantwortung übernehmen.

Im Sinne des Denkens von Willy Brandt sollte versucht werden, gemeinsame Interessen zwischen der EU und der Afrikanischen Union zu identifizieren. Beide Nachbarkontinente sollten eine Allianz für den Frieden und den Klimaschutz und für gemeinsame Werte vereinbaren. Statt Afrika nur als Bedrohung und als Verursacher für Flucht und Migration wahrzunehmen, sollte die Europäische Union die enge Kooperation und Unterstützung der Afrikanischen Union suchen, die ihr eigenes Konzept einer Freihandelszone und einer Agenda 2063 vorgelegt hat. Es geht schließlich um die gemeinsame Zukunft der beiden Nachbarkontinente.

Und die EU müsste ihre Handelspolitik gegenüber Afrika grundsätzlich ändern, z. B. durch bessere Exportchancen für afrikanische Produkte. Die Perspektive einer europäischen Armee habe ich schon immer für sinnvoll gehalten. Es ist ja eigentlich auch schwer zu erklären, warum in Europa zwei Millionen Soldaten unter Waffen stehen! Zentral ist aber die Frage, welche Aufgaben eine solche Armee zu leisten hätte. Die Perspektive wäre doch eher Sicherheit in unserem südlichen regionalen Umfeld zu garantieren bzw. UN-Missionen in diesem Bereich zu unterstützen.

Atomwaffen sollten auch national abgerüstet werden. Eine Europäisierung in diesem Bereich ist aus vielerlei Gründen abzulehnen. Spannend sind die möglichen Schritte zu einer europäischen Armee. Eine Möglichkeit könnte die Zuordnung einzelner Truppenteile sein. Und wer die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) und die Rüstungsforschung voranbringen will, der muss auch klar sagen: Es bedarf auch einer restriktiven europäischen Rüstungsexportpolitik, die den bestehenden restriktiven gemeinsamen Verhaltenskodex auch tatsächlich anwendet.

Gleichzeitig müssen aber auch wichtige Schritte zu einer gesamteuropäischen Friedensordnung unternommen werden. Es bedarf der Schaffung neuer ständiger Dialogforen und Foren der sicherheitspolitischen Kooperation.

Auch die konventionelle Rüstungskontrolle in Europa muss wieder aktiviert werden. Und statt gebetsmühlenartig zu wiederholen, warum die Kooperation mit Russland gestört ist, sollten im Sinne Willy Brandts Wege gesucht werden, wo dennoch gemeinsame Interessen verfolgt werden. Eine Möglichkeit, Blockaden zu überwinden, könnte es doch sein, endlich zu Gesprächen zwischen der EU und der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft EurAsEC und damit dem Ziel eines großen gemeinsamen Binnenmarktes näher zu kommen.

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