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picture alliance / ZUMAPRESS.com | Michael Kuenne

Wir sollten Trumps »Zollpolitik« als Nachhaltigkeitspush für Europa nutzen Wirklich fairer Handel

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Die ganz Forschen empfehlen als Antwort eine europäische Digitalsteuer auf alle Produkte der US-Tech-Konzerne. Auf Druck werde der Dealmaker schon reagieren und dann einsehen, wie groß die Vorzüge des freien Welthandels doch für alle seien.

Den zur strammen Gegenwehr Bereiten stehen die Beschwichtiger gegenüber, die Trump mit Entgegenkommen besänftigen wollen. So kursiert in industriefreundlichen Kreisen die Vorstellung, Europa benötige im Zuge der »grünen Transformation« gewaltige Mengen an Flüssiggas (LNG). Und da füge es sich doch vortrefflich, dass die USA reichlich von dem Stoff hätten und ihn auch gerne in alle Welt exportieren wollten. Trumps Argument, Europa importiere zu wenig aus den Vereinigten Staaten, ließe sich so zumindest teilweise ausräumen. Tatsächlich entspricht dieser klimapolitisch äußerst fragwürdige Vorschlag exakt dem, was Trump fordert.

»Ist die starke Idealisierung von bedingungsloser Wachstumsorientierung und globalem Freihandel noch auf der Höhe der Zeit?«

Für beide Formen der Reaktion mögen je spezifische Pro- und Kontraargumente sprechen, worauf auch das tastende »mittlere« Vorgehen der Europäischen Union hindeutet. Aber es fällt doch auf, dass sie implizit oder explizit von der Annahme ausgehen, die gegenwärtige Struktur der Weltwirtschaft und des Welthandels sei alles in allem eine großartige Sache, die es unbedingt zu verteidigen gelte. Aber ist die starke Idealisierung von bedingungsloser Wachstumsorientierung und globalem Freihandel wirklich noch auf der Höhe der Zeit? Die extreme und teils eskalierende Klimaerwärmung, der besorgniserregende Biodiversitätsschwund, die möglicherweise bald eintretende Wasserkrise, die mangelnde Fairness in den Austauschbeziehungen zwischen reichen und armen Staaten und die krasse Ungleichverteilung von Einkommen und Chancen in und zwischen diesen Ländern belegen eher das Gegenteil. Aufregung über den egozentrischen Mann im Weißen Haus und dessen krude Ideologie der »American Supremacy« reicht da keineswegs aus. Es sollte schon etwas grundsätzlicher über das Wirtschaften und den Welthandel der Zukunft nachgedacht werden.

»Sich in Sachen LNG in die Abhängigkeit von den USA zu begeben, verhilft nur dem fossilen Energiesystem zu einer erheblichen Lebensverlängerung.«

Grundsätzlich ist Diversifizierung in den Austauschbeziehungen eine gute Sache. Das haben gerade die Deutschen lange Zeit nicht hinreichend beachtet und tun es auch heute noch nicht wirklich konsequent, Industrie wie Politik gleichermaßen. So stellte der Bezug billiger Energie aus Russland hierzulande lange Zeit eine Art Konsens dar – allen Mahnungen zum Trotz. Haben wir daraus gelernt? Eher nicht. Der Plan, sich nun in Sachen LNG in die einseitige Abhängigkeit von den USA zu begeben, entsprechende Infrastrukturen aufzubauen und neue Pfadabhängigkeiten zu schaffen, verhilft nur dem fossilen Energiesystem mit all seinen zerstörerischen Konsequenzen zu einer erheblichen Lebensverlängerung.

Die Vermeidung solcher »Klumpenrisiken« (Cluster Risks) ist im Wirtschaftsleben und eben auch bei der Wahl von Handelspartnern schlicht vernünftig. Aber es geht bei der Gestaltung der ökonomischen Globalisierung letztlich um viel Grundsätzlicheres. Was soll gehandelt werden, in welchem Ausmaß, unter welchen Standards und Fairnessbedingungen? Wie tief soll die globale Arbeitsteilung gehen, wie lang und komplex dürfen die Lieferketten sein, welches Maß an Abhängigkeit und Verletzbarkeit in diesen Ketten wollen wir in Kauf nehmen? Was sind die Lehren aus den Krisen der Vergangenheit?

Risikominderung durch Deglobalisierung

Eine der zentralen Lehren aus der Coronakrise, der Klimakrise und der Energiekrise im Zuge des Ukraine-Krieges ist, dass wir in manchen Wirtschaftsbereichen in Sachen globaler Arbeitsteilung zu weit gegangen sind und jetzt eine selektive Deglobalisierung, eine aktive Re-Regionalisierung und eine intelligente Risikominimierung brauchen.

Wer etwa Energie einspart, effizient nutzt und auf der Basis erneuerbarer Quellen dezentral erzeugt, wird resilienter und weniger verletzbar gegenüber externen Schocks. Ökonomisch gesprochen substituiert er teure Energieimporte durch inländische Ingenieurs-, Industrie- und Handwerksleistungen.

Wer die Land-, Forst-- und Nahrungsmittelwirtschaft nachhaltig und ökologisch ausrichtet, verbessert die regionale Versorgungssicherheit, Wertschöpfung und Lebensqualität und reduziert Klimarisiken. Wer langlebige und reparaturfreundliche Güter auf den Markt bringt, fördert die Einsparung von Ressourcen und Kosten und schafft eine florierende Kreislaufwirtschaft. Wer ein leistungsfähiges Gesundheitssystem in der Region bereitstellt und die notwendige Medikamentenproduktion im Land oder in der Nähe hält, ist im Krisenfall autonomer und handlungsfähiger als derjenige, der alles ausgelagert oder wegen vermeintlicher ökonomischer Ineffizienz wegrationalisiert und zentralisiert hat.

»Lasst Güter in der Heimat herstellen, wenn immer es sinnvoll und praktisch möglich ist.« (John Maynard Keynes)

Schon John Maynard Keynes, der wohl größte Ökonom des 20. Jahrhunderts, schrieb in seinem Text »National Self-Sufficiency« in den 1930er Jahren: »Ideen, Wissen, Kunst, Gastfreundschaft, Reisen – das sind die Dinge, die ihrer Natur nach international sein sollten, aber lasst Güter in der Heimat herstellen, wenn immer es sinnvoll und praktisch möglich ist. (…) Ich bin nicht überzeugt, dass die wirtschaftlichen Erfolge der internationalen Arbeitsteilung heute noch irgendwie mit den früheren vergleichbar sind.«

Das war wirklich visionär und die Botschaft war eine sehr positive: Weltoffenheit, Freiheit und Freihandel sind nicht das Gleiche, es ist im Grundsatz durchaus legitim, dem Freihandel ökologische, soziale oder auch kulturelle Grenzen zu setzen. Wenn etwa die EU ihren mit grünem Wasserstoff hergestellten Stahl in Zukunft gegen Stahl schützen will, der mit fossiler Energie erzeugt wurde, dann kann sie selbstverständlich einen CO2-Grenzausgleich vornehmen, also gewissermaßen einen Klimazoll erheben. Oder wenn ein Land des Globalen Südens seine im Aufbau befindlichen Branchen vor zerstörerischen Dumpingimporten schützen will, sollte es ebenfalls Einfuhrbeschränkungen über Zölle oder Quoten vornehmen können. Viele Industriestaaten haben das in ihrer Geschichte übrigens lange Zeit wie selbstverständlich getan.

Licht und Schatten der Globalisierung

Die ökologisch-sozialen Folgen einer nicht oder nur schwach geregelten ökonomischen Globalisierung reichen von den gewaltigen Emissionen der stetig wachsenden Luft-, Schiffs- und Landverkehre über das Gefangenhalten von vielen Ländern des Globalen Südens in der einseitigen Rolle von Rohstoffausbeutern bis zur industrialisierten Landwirtschaft bei uns und ihren enormen Futtermittelimporten, die in Tropenländern zur Vernichtung von Regenwäldern und Feuchtgebieten beitragen, um nur wenige Beispiele zu nennen.

In einer asymmetrischen Weltwirtschaftsordnung spezialisieren sich einige aufs Gewinnen, andere aufs Verlieren.

Globalisierung kann aber grundsätzlich auch positive Effekte haben wie die Möglichkeit wechselseitigen Lernens durch Begegnung, Kommunikation und Wissensaustausch oder die schnellere Diffusion nachhaltiger Technologien, Verfahren oder Lebensstile. Es geht nicht darum, dass nun alle ihre Autos, Smartphones und Solarpanele selber bauen. Durch die unterschiedlichen Fähigkeiten und Erfahrungen, Ressourcenausstattungen und Naturbedingungen, politischen, rechtlichen und kulturellen Bedingungen in den Ländern wird es Austausch, Handel und Spezialisierung immer geben, aber sie müssen eben nach fairen Regeln für alle ablaufen. In einer asymmetrischen Weltwirtschaftsordnung spezialisieren sich ansonsten die einen aufs Gewinnen und die anderen aufs Verlieren.

Ein zentraler Gedanke der katholischen Soziallehre ist das sogenannte Subsidiaritätsprinzip, wonach der Regelung auf höherer Ebene nicht bedarf, was auf der unteren Ebene gleich gut oder besser umgesetzt werden kann. Das verträgt sich wunderbar mit dem keynesschen Postulat: Lasst Güter in der Heimat herstellen, wo immer es sinnvoll und praktisch möglich ist – und macht Euch so unabhängiger und resilienter, wobei gilt: Unsere Heimat ist Europa.

Es geht also nicht um Autarkie, sondern um mehr Autonomie, um eine neue Balance von Eigen- und Fremdversorgung, Binnenmarkt und Export, Markt- und Gesellschaftsorientierung, Wettbewerb und Kooperation, Suffizienz und Effizienz, Resilienz und Nachhaltigkeit. Oftmals wird erwidert, Deutschland sei nun einmal eine Exportnation, deren Wohlstand stark von der Güterausfuhr abhänge. Das ist zunächst nicht falsch, aber mindestens zwei Zukunftsentwicklungen sollten konsequent antizipiert werden.

»Wem die Integration von Industrie und Dienstleistungen am besten gelingt, der wird auf den Märkten der Zukunft gute Aussichten haben.«

Zum einen wird sich die Integration von Industrie und Dienstleistungen in Zukunft weiter vertiefen. Wem das am besten gelingt, der wird auf den Märkten der Zukunft gute Aussichten haben. Eine zu starke Fixierung auf die Indus­trieproduktion ist deshalb fragwürdig. Künftig wird es auf integrierte Mobilitätskonzepte ankommen, auf gemeinschaftliche Nutzungsformen von Gebrauchsgütern in der Sharing Economy, den 3D-Druck oder Prosumenten-Netzwerke, in denen die scharfen Grenzen zwischen Produzierenden und Konsumierenden zunehmend überwunden werden und Co-Creation, Co-Making, Co-Working, kollaborativer Konsum und auch das kreative Selbermachen eine zunehmende Rolle spielen.

Zum zweiten entstehen durch eine konsequent am Grundsatz der Zukunftsfähigkeit ausgerichtete Strukturpolitik sehr viele neue Wertschöpfungsaktivitäten und stabile Beschäftigungsfelder: Im Energiebereich mit erneuerbaren Energien und der effizienten Elektrifizierung und Digitalisierung von Gebäuden und Industriebetrieben, der Mobilität und des Heizens. Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft, naturbasiertes Wirtschaften, auch alles, was sich um die menschliche Gesundheit und das menschliche Wohlbefinden rankt, wird enorm an Bedeutung gewinnen. Auch Stadt- und Landschaftsgestaltung, Arbeitsprozesse und Freizeitgestaltung, alles, was die digitale Autonomie Europas erhöht, nicht zuletzt: Bildung, Bildung, Bildung.

Unsere Antwort auf Trump kann deshalb nur Europa lauten. Und von da aus gilt es faire Kooperationen mit den Nachbarkontinenten anzustreben.

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