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Wirtschaft sozial und ökologisch gestalten

Gibt es eigentlich noch Fragen abseits des Corona-Themas? Wir müssen das ansteckende Virus natürlich ernstnehmen. Aber in fünf Jahren wird es vermutlich nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Was aber in fünf Jahren heißer diskutiert werden wird als heute ist das Klima und sind die dramatischen Einbrüche der biologischen Vielfalt.

Was in jedem Jahr mit Recht weit oben auf der Agenda steht, ist die Lage der Wirtschaft. Uns geht es erfreulicherweise gut. Finanzminister Olaf Scholz hat in den guten Jahren sparsam gewirtschaftet, und als die Coronakrise ausbrach, war die Kasse voll. Aber wir wollen sie nach den sehr hohen und sozial nötigen Ausgaben auch wieder auffüllen! Speziell durch Stützung der ins Rutschen gekommenen Wirtschaft.

Die versprochenen Stützungsmaßnahmen der G20-Länder enthalten bisher allerdings etwa 235 Milliarden Dollar an indirekten oder direkten Hilfen für Fossilenergie (Energy Policy Tracker, November 2020). Unter »indirekt« fällt z. B. die Überlebenshilfe für die Lufthansa. Dem Klima ist das nicht zuträglich. Es wäre aber wirklichkeitsfremd, diesen Umstand zu schelten, denn Massenarbeitslosigkeit hilft dem Klima auch nicht. Aber man muss dafür sorgen, dass parallel das entwickelt wird, was die Treibhausgasemissionen senkt. Etwa Schnellbahnen, die den nationalen Flugverkehr sinnlos machen.

Beim Klimaschutz geht es nicht um ökologische Luxusträume, sondern um die Vermeidung grausiger Katastrophen. Der im November 2020 im Fernsehen gezeigte Film Ökozid sieht Deutschland im Jahr 2034 auf der Anklagebank. 31 Länder, die klimabedingte Katastrophen durchmachen, wollen von uns Entschädigung, 60 Milliarden jährlich. Das entspricht 2 % der Katastrophenkosten – weil Deutschland etwa 2 % der weltweiten Treibhausgasemissionen produziert hat. Der Film verschweigt nicht, dass die noch größeren Klimasünder noch viel mehr auf die Anklagebank gehören – aber irgendwo muss man ja anfangen und zeigen, dass es eine Schuld-Kausalität gibt.

Für die Klimasünder gibt es zwei Möglichkeiten: ein zynisches Weiter-so oder ein Umstieg auf Klimaneutralität. Ich bin für den Umstieg. Auch weil er uns große und lukrative technologische Fortschritte verheißt!

Die große Frage ist natürlich das Wie! Können wir ernsthaften Klimaschutz und Wiederbelebung der Biodiversität betreiben, ohne der Wirtschaft zu schaden? Kurzfristig wahrscheinlich nicht. Wenn sich ein Waldbesitzer unter dem Diktat der Vierteljahresabschlüsse genötigt sieht, in jedem Quartal auch nur ein Hundertstel seines Waldes zu roden, steht er nach 25 Jahren leer da, weil die Umtriebszeit der üblichen Waldbäume 60 bis 150 Jahre beträgt. Die zum Dogma erhobene Kurzfrist-Ökonomie ist zynisch und manchmal regelrecht der Feind der Natur.

Die Würdigung der Langfrist-Ökonomie können wir, ja müssen wir uns leisten. Investitionen in die Bildung für Kinder und Heranwachsende sind langfristig gedacht und sind schon lange voll akzeptiert. Auch Investitionen in funktionsfähige Infrastrukturen sowie in die Entwicklung neuer Technologien können Jahrzehnte brauchen, aber sie gehören unbedingt zu einer gesunden, dynamischen Zivilisation.

Es gibt immer wieder einmal technologische Optionen für einen Fortschritt, der die längerfristige Kapitalrendite im Durchschnitt verbessert und zugleich dem Klima und der Biodiversität Entlastung bringt. Ein Vorzeigebeispiel ist die Photovoltaik.

Die Photovoltaik (PV) war anfangs absurd teuer: 76 US‑Dollar pro Watt (Installation) im Jahr 1977, mitten in der Ölkrise. Während der Ölkrise fing man weltweit an, sich ernsthaft für die Sonne als Energiequelle zu interessieren. Zehn Jahre Forschung und Entwicklung machten die PV rasch billiger, aber dann kam eine Stagnationsphase, die wieder etwa zehn Jahre andauerte. 1999 kam das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), mit der kostendeckenden Vergütung für das Einspeisen von Sonnen- und Windstrom ins Netz. Photovoltaik wurde zum Renner. Durch Skaleneffekte erfolgte eine weitere große Preissenkung auf einen Viertel-US-Dollar pro Watt (Installation).

Über 100 Länder haben (mit lokalen Abweichungen) das deutsche Vorgehen kopiert, einschließlich China. Von dort kamen sehr bald massenweise billige Solarzellen auf den Markt. Die Photovoltaik-Kilowattstunde kostet heute, je nach Gegend, zwei bis fünf Eurocent und kann damit Atomstrom und Kohlestrom schlagen. 2019 hat die saudi-arabische Stromfirma ACWA Power vom Staat Äthiopien den Zuschlag für den Bau zweier großer PV-Felder von je 125 Megawatt erhalten, unter der Bedingung, dass die gelieferten Kilowattstunden knapp über 2,5 US‑Dollarcent kosten würden. Selbst wenn man hier einen gewissen Freundschaftspreis annimmt (weil sich Saudi-Arabien strategisch auf die Nach-Öl-Zeit vorbereitet), ist das etwa 40‑fach billiger als die deutsche Solar-Kilowattstunde im Jahr 1999.

Die Photovoltaikdynamik ist ein Sonderfall. Aber sie ist ein Beweis dafür, dass Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz nicht notwendig im Konflikt miteinander sind. Man sollte hierbei festhalten, dass die Auslöser für die dramatische Verbilligung nicht aus der Technologie selbst kamen, sondern zunächst aus der Ölkrise, und dann aus der deutschen Gesetzgebung. Dann allerdings haben die Firmen und Ingenieure ganze Arbeit, großartige Arbeit geleistet.

Mit dieser letzten Bemerkung soll die Notwendigkeit der staatlichen Rahmensetzung betont werden. Daran sollte auch die Wirtschaft Interesse haben. Die Annahme, der Markt und nur der Markt peitsche den technischen Fortschritt nach vorne, ist Ideologie. Die Stärke des Marktes besteht darin, dass er dem Erfindergeist – im Rahmen der Kosten-Nutzen-Rechnung – freie Bahn lässt. Die Stärke des Staates ist die Rahmensetzung.

Die frühe staatliche Umweltgesetzgebung hat vielbändige Vorschriftsbibliotheken hervorgebracht. Das war meistens gesundheitspolitisch richtig. Die frühe Umweltpolitik drehte sich ja vor allem um Schadstoffminderung, die seit den 60er Jahren überaus dringlich wurde. Im Laufe von etwa 150 Jahren hatte sich Deutschland ähnlich wie andere frühe Industrieländer vom vorherigen Zustand »arm und sauber« zum neuen Zustand »reich und schmutzig« entwickelt. Aber nun wurde die Schadstoff-Umweltpolitik zur politischen Priorität. Und innerhalb von etwa 40 Jahren kamen wir zu dem neuen Zustand »reich und sauber«. Das war eine wirkliche Erfolgsstory. Und die deutsche und die japanische Industrie erlebte sogar eine lukrative neue Einkommensquelle: die Umwelt-Industrie wurde zum Exportschlager für diese Länder.

Leider sind wir bei den heutigen großen Umweltproblemen Klimawandel, Verschmutzung der Ozeane und Verlust der Biodiversität noch sehr weit von einer »reich und sauber«-Situation entfernt. In der Nachhaltigkeitsagenda der Vereinten Nationen von 2015 sind das die Ziele 13, 14 und 15. Heute muss man leider sagen, dass die Wohlstandsvermehrung mit der Verschlimmerung dieser drei Krisen Hand in Hand geht.

Um auch hier die »reich und sauber«-Situation zu erreichen, sollte man jedoch nicht allein mit rechtlichen Vorschriften wie einem Verbot von Verbrennungsmotoren vorgehen. Stattdessen sollte man in der Hauptsache ökonomische Steuerungsinstrumente entwickeln und durchsetzen – mit mehr Raum für den Erfindergeist.

Beim Klimaschutz ist das Instrument der Wahl die Besteuerung oder die mengenmäßige Deckelung der Treibhausgasemissionen. Dieses sollte aber wirtschaftsverträglich gestaltet werden. Die UNEP-Broschüre Decoupling 2 schlägt hierfür vor, dass man die Verteuerung der Emissionen in kleinen Schritten in ungefährer Proportion zu den Fortschritten der betreffenden Emissionsverminderung vornimmt, so dass die jährlichen Kosten im Wesentlichen gleichbleiben. Aber jeder Betrieb, jeder Ingenieur, jeder Investor weiß, dass es von Jahr zu Jahr rentabler wird, die Emissionen zu vermindern. Und dieses sogar langfristig, so dass es sich lohnt, in völlig neue Technologiepfade zu investieren. Und diejenigen Länder, die diesen Pfad früh einschlagen, werden dann die Gewinner auf den Weltmärkten sein.

Bei der Meeresverschmutzung sollte man parallel zwei Strategien fahren: 1) durch international zu vereinbarende Kontrollen mit hohen Strafen für die Meeresverschmutzer – zu denen auch die heutige Fischerei gehört, 2) durch aktive Verteuerung von Primärrohstoffen, so dass es richtig rentabel wird, Kunststoffe einzusammeln und neu den Produktionslinien zuzuführen, statt sie achtlos wegzuwerfen. Gegenwärtig wird ja das Kunststoffrecycling völlig ausgebremst, weil das Rohöl wieder unsinnig billig geworden ist.

Bei der Biodiversität muss man sich in erster Linie mit der industrialisierten Landwirtschaft auseinandersetzen. Diese ist heute der mit Abstand größte Verursacher der Waldrodung und der Verwandlung von Wildtierbiotopen in Kuhweiden oder Agrar-Monokulturen. Auch der für die Bodenfauna verheerend hohe Einsatz von Pestiziden ist Ursache für die rapide Biodiversitätsverarmung. In diesem Sektor stehen der Welt die größten und unerfreulichsten Konflikte bevor. Hier muss klassisches Ordnungsrecht endlich durchgesetzt werden, auch gegen den erbitterten Widerstand der Agrarlobby, die in den meisten Ländern der Welt mit der Chemiebranche paktiert.

Die naturverträgliche Landwirtschaft ist zwar teurer, aber machbar, und sie genügt für die Ernährung der Weltbevölkerung. In Entwicklungsländern mit vielen Hungernden ist sogar die Subsistenzwirtschaft hilfreicher als die auf dem enormen Einsatz von chemischen Stoffen basierenden Monokulturen. Im reicheren Norden sehen wir Kundenbereitschaft für ökologisch zertifizierte teurere Lebensmittel sowie eine erneute Hochschätzung der Nebenerwerbslandwirtschaft.

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