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Ein neuer Sammelband skizziert den Stand der Debatte über Gleichheit Wirtschaftlich richtig, politisch notwendig, sozial gerecht

Kurz nach Veröffentlichung des Sammelbandes Gleichheit! wirtschaftlich richtig, politisch notwendig, sozial gerecht attestierte der erste »Weltreport über Ungleichheit« Deutschland eine Vermögenspreizung wie vor 100 Jahren. Das mediale Echo war breit und zustimmend. Vor zehn Jahren wäre das noch anders gewesen. Es bedurfte wohl eines popkulturellen Initiationsritus in Form von Thomas Pikettys Bestseller Das Kapital im 21. Jahrhundert und der desaströsen Austeritätspolitik in Südeuropa, um der Debatte nun zum Durchbruch zu verhelfen.

Auch jenseits der öffentlichen Rezeption hat die ökonomische Ungleichheitsforschung enorme Fortschritte gemacht. Datenquellen wurden erschlossen und international vergleichbar gemacht. Im Unterschied zur verengten Neoklassik ist das neue Forschungsfeld jedoch interdisziplinär aufgestellt. Politologen und Sozialwissenschaftler forschen ebenso wie Ökonomen und Soziologen. Der vorliegende Sammelband zeigt anhand von 27 gut lesbaren Fachbeiträgen überwiegend deutschsprachiger Autoren anschaulich, wie breit und vielschichtig die Debatte gegenwärtig ist.

Viele Beiträge handeln von den Erbschaften. Als zuständige Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion liegt mir das Thema besonders am Herzen. Anita Tiefensee und Markus M. Grabka schätzen das zukünftige Erb- und Schenkungsvolumen auf 400 Milliarden Euro; deutlich mehr als bei früheren Untersuchungen. Sie fordern daher zu Recht, die amtliche Statistik weiter anzupassen, um große Erbschaften endlich besser erfassen zu können. Durch beharrliches Abfragen von Daten beim Finanzministerium gelang es meinem Büro, die sogenannten »Nullfälle« ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Das sind diejenigen Erbfälle, bei denen vor allem aufgrund der Privilegierung des Betriebsvermögens keine Steuer anfällt. Erstmals konnte so vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die effektive Steuerquote berechnet werden. Diese ist regressiv; die Belastung sinkt also mit steigendem Erbe. Mittlerweile sind diese »Nullfälle« Teil der amtlichen Statistik. Ein kleiner Erfolg also.

Würde Sozialpolitik wieder wie früher als umfassende Gesellschaftspolitik betrieben werden, müsste neben der sozialen Sicherheit auch die Verteilungsfrage in den Fokus genommen werden, so Steffen Mau. Der Abbau von Bildungsungleichheiten reiche für den Abbau der Einkommens- und Vermögensungleichheit nicht aus. René Bormann und Achim Truger ist daher nur zuzustimmen, dass Vermögen- wie Erbschaft- und Schenkungsteuer für Verteilungsgerechtigkeit »sehr relevant« bleiben. Deshalb sieht es Ralf Stegner auch als Ziel der SPD an, große Erbschaften stärker zu besteuern, da zwei Drittel ihr Vermögen auf Erbschaften und Schenkungen zurückführen. Zur bitteren Wahrheit gehört jedoch, dass die eigene Fraktions- und Parteispitze in der letzten Legislaturperiode darauf drang, die Erbschaftsteuer ohne Mehrbelastung für Multimillionäre zu novellieren. Um Legendenbildungen vorzugreifen: Ohne Einigung mit der Union hätte das Bundesverfassungsgericht die Privilegierung der Multimillionäre stark eingeschränkt. Frank Bandau, Malte Lübker und Thomas Rixen zeigen auf, dass die Wähler/innen der SPD noch stärker als der Durchschnitt bereit sind, den Wohlfahrtsstaat durch höhere Besteuerung von Unternehmen und Vermögen zu stärken. Finanzierungsvorschläge müssen im Einklang mit einem glaubwürdigen Konzept der Ungleichheitsbekämpfung stehen. Die Gretchenfrage der Sozialdemokratie bleibt daher: Wie halten wir es mit der Umverteilung?

Sigmar Gabriel wünscht sich in seinem Grundsatzbeitrag »Sehnsucht nach Heimat« (DER SPIEGEL vom 16.12.2017) zwar mehr »rot«, hält die Debatte nach mehr Umverteilung aber für »folkloristisch«. Stattdessen gehe es einem großen Teil der Wähler/innen »um eine kulturelle Haltung und Identität«. Gabriel knüpft so an die Debatte an, ob der neue Konflikt zwischen Kosmopolitismus und Kommunitarismus den alten Großkonflikt zwischen links und rechts zunehmend überlagere.

Wolfgang Merkel charakterisiert den idealtypischen Kosmopoliten als überdurchschnittlich gebildeten, tendenziellen Gewinner der Globalisierung: »Kosmopoliten optieren mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Intensitäten für die Öffnung von Grenzen: Der möglichst freie Fluss von Gütern, Dienstleistungen, Kapital, Rechten, Menschen und Maßnahmen gegen Klimawandel.« Nationalstaatliche Souveränitätsrechte sollten auf supranationale Instanzen übertragen werden. Kommunitaristen sind hingegen die Antipoden der Kosmopoliten mit unterdurchschnittlichen Einkommen und geringem Humankapital. Wenig überraschend votieren Menschen in ökonomisch und sozial abgehängten Gebieten überdurchschnittlich häufig für die AfD (zu regionalen Disparitäten sei der Beitrag von Heinrich Tiemann empfohlen). Eine Betonung von Identität und Heimat ohne substanzielle Umverteilung, wie von Gabriel angedacht, wird daher ins Leere laufen.

Naika Foroutan macht für den Aufstieg der Rechtspopulisten hingegen weniger einen möglichen sozialen Abstieg der Unter- und Mittelschichten fest, vielmehr den provozierenden Aufstieg der Migranten. Die »Kulturangst« sei größer als die Abstiegsangst. So sei zu erklären, dass robustere Wohlfahrtsstaaten eher zu rechtsextremen Bewegungen neigten. Diese durch diverse Studien untermauerte kulturelle Dimension müssen wir – gerade in Hinblick auf Österreich – ernst nehmen. Gleiches gilt für die rassistische Pegida-Bewegung, die ohne die oftmals als demütigend empfundenen Brüche der Wendezeit (Entwertung von Lebensleistungen) nicht zu erklären ist.

Dennoch bin ich der Überzeugung, dass kulturelle Konflikte um Einwanderung immer einen starken und letztlich entscheidenden sozialen Kern haben. Betroffen von Kontrollverlusten und Überlastung der Schulen in Problemvierteln ist nicht die Oberschicht, die von billigen personenbezogenen Dienstleistungen profitiert. Sie konkurriert auch nicht um knappen, bezahlbaren Wohnraum in den Ballungsräumen. Julia Friedrich beschreibt anschaulich, wie sich die oberen (kosmopolitischen?) Mittelschichten gerade im Bildungsbereich von den migrantischen Unterschichten abschotten.

Die Sozialdemokratie hätte sich viel früher und deutlicher gegen das naive »Wir schaffen das« der Kanzlerin stellen müssen. Nicht im Sinne xenophober Abschottung, sondern aus der Notwendigkeit heraus, dass massive Einwanderung nur mit einer Stärkung des Staates und seiner sozialstaatlichen Aufgabe funktionieren kann. Die Herausforderung der Stunde wäre gewesen, einen umfassenden, durch Umverteilung ausfinanzierten Integrationsplan vorzulegen, der deutlich macht, dass die Kosten der Einwanderung nicht zu Lasten der unteren Schichten und zu keinem erlebbaren Anstieg von Desintegration führen. Stattdessen war der Sommer 2015 der schräge Augenblick, als »Arbeitgeberfunktionäre davon redeten, die Zuwanderung sei ein Geschenk für den Arbeitsmarkt. Das war schon immer ihre Einwanderungsphilosophie: Mit Herz und Geld für Liberalismus, um die sozialen Kosten durften sich andere kümmern.« (Nils Heisterhagen, FAZ vom 20.11.2017).

Die große Frage, wie sich die starke Zuwanderung auf die Gleichheit (hinsichtlich Renten, Löhnen, Mieten, Bildungschancen) auswirkt und wer die Kosten dafür trägt, wird im Sammelband nicht weiter diskutiert. Allenfalls am Rande wird dieses zentrale Zukunftsthema beleuchtet. Das ist schade, denn nach meiner Überzeugung muss sich die Sozialdemokratie dieser Herausforderung proaktiv stellen. Ohne klares und vor allem glaubwürdiges Bekenntnis für Umverteilung und Interessensvertretungspolitik für die untere Hälfte der Gesellschaft, werden wir nicht zu alter Stärke zurückfinden. Jeremy Corbyn zeigt in Großbritannien, dass dies grundsätzlich möglich ist. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die humane, soziale und offene Gesellschaft.

Der Sammelband sei aber allen empfohlen, die am sozialdemokratischen Grundwert einer gleichen Gesellschaft festhalten und hierfür fundierte Analysen und Handlungsempfehlungen suchen.

Jochen Dahm/Thomas Hartmann/Max Ostermayer (Hg.): Gleichheit! wirtschaftlich richtig, politisch notwendig, sozial gerecht. J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2017, 352 S., 26 €.

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