Menü

Der parlamentarische Kampf der AfD gegen die Geschlechterforschung Wissenschaft im Visier

Er ist vermutlich einer der meistbeachteten Auftritte eines Abgeordneten in einem deutschen Parlament in der Geschichte der Bundesrepublik, der knapp vierminütige Beitrag des AfD-Abgeordneten Steffen Königer im brandenburgischen Landtag im Sommer 2016. Zumindest, wenn die Klickzahlen in den sozialen Medien zugrunde gelegt werden. Bis heute wurde das Video, das die AfD unter dem Titel »Genderwahn« ins Netz stellte, auf Youtube fast 700.000 Mal aufgerufen. Warum?

Am substanziellen Inhalt des Redebeitrags liegt es jedenfalls nicht. Beginnend mit »Sehr geehrte Schwule! Sehr geehrte Lesben! Sehr geehrte Androgyne!«, reihte Königer lediglich endlos unterschiedliche geschlechterspezifische Anreden aneinander. In das veröffentlichte Video des Auftritts wurde dann einge­blendet: »Verstehen Sie den Irrsinn?« Für die AfD war es also »Irrsinn«, für die anderen Parteien ging es um einen »Aktionsplan für Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, für Selbstbestimmung und gegen Homo- und Transphobie in Brandenburg«, den die Fraktionen von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf die Tagesordnung gesetzt hatten. Auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Antrag verzichtete der AfD-Abgeordnete.

Der Vorfall steht beispielhaft für die zentrale Bedeutung, welche die Parlamente und das Feindbild »Gender« für die Propaganda der AfD haben – wie auch für ihre parlamentarische Arbeitsweise. Die Landtage und den Bundestag nutzt die »autoritäre nationalradikale Partei« (Wilhelm Heitmeyer) als Bühne für die Profilierung als Gegner der von ihr so bezeichneten »Altparteien«, die Propagierung ihrer populistischen Themen und die Belustigung der eigenen Blase in den sozialen Medien. »Gender« dient der AfD als Sammelbegriff für x-beliebige Feindbilder, im konkreten Fall zur Diffamierung geschlechtlicher Vielfalt.

Auf Inhalte kommt es der Partei nicht an, das sagt sie selbst. So ist im geleakten Strategiepapier des AfD-Bundesvorstands für das Wahljahr 2017 zu lesen, es gehe nicht darum, zu den zentralen Themen Lösungsmodelle zu präsentieren. »Es ist wichtiger, den Finger in die Wunde der Altparteien zu legen, als sich in einer Expertendiskussion um Lösungsvorschläge zu verheddern.« Konkret empfahl das Papier »sorgfältig geplante Provokationen«.

Provokationen statt Inhalte – das scheint ein genuiner Widerspruch für parlamentarische Arbeit zu sein. Anders als in den sozialen Medien, in denen plakativ mit kurzen Slogans gearbeitet werden kann und die eigene Klientel nach Überspitzungen giert, die die (vorwiegend negativen) Emotionen aufputschen, verlangt das Reglement der Parlamente für Anträge, Kleine und Große Anfragen sachliche Argumente und die Enthaltung von Wertungen. Dienen diese parlamentarischen Eingaben – neben der Profilierung der Abgeordneten – doch der wichtigen Aufgabe der Opposition, der Kontrolle der Regierung. Ein eklatanter Widerspruch zur populistischen Praxis der AfD.

Vorgetäuschte Sachlichkeit

Für die AfD ist das Thema »Gender« ein Etikett für alles, was nicht zum rechtskonservativen, heteronormativen Denken passt, das rückwärtsgewandt jeden Wandel der Geschlechterverhältnisse negiert. Vom »Irremachen schon der Kleinsten im Kindergarten an ihrer geschlechtlichen Identität«, also de facto frühkindlicher Sexualerziehung, der »Gendersprache«, also gendersensibler Sprache, der »Homolobby«, dem verschwörungstheoretischen Terminus für geschlechtliche Vielfalt, bis hin zu diffamierenden Bezeichnungen wie »Gender­ideologie« oder »Gendergaga« für die wissenschaftlichen Gender Studies – das Spektrum ist breit.

Selbst erdacht hat es die AfD nicht, sie bedient sich Ideen, die am rechten politischen Rand, in maskulinistischen und christlich-fundamentalistischen Kreisen national und international spätestens zu Beginn des Jahrtausends aufgekommen sind. Lange bevor sich die AfD gründete. Der Hass gegen alles, was unter das Schlagwort »Gender« gefasst wird, scheint bei Lichte betrachtet wiederum ein Problem für das Agieren auf der parlamentarischen Bühne zu sein. Denn: »Gehasst wird ungenau. Präzise lässt sich nicht gut hassen«, so Carolin Emcke.

»Die Bekämpfung der Geschlechterforschung gehört zum Markenkern der AfD.«

Doch die AfD hat bei aller Feindseligkeit gegen das diffuse Feindbild »Gender« ein konkretes Ziel: die Gender Studies. Die Bekämpfung der Geschlechterforschung gehört zum Markenkern der AfD. In ihrem Grundsatzprogramm hat sie fixiert, dass die Förderung der Gender Studies einzustellen sei, was letztlich ihrer Beseitigung gleichkäme. Die Bedeutung dieser Forderung ist weittragend. Denn die AfD legt die Axt an die Wissenschaftsfreiheit, die grundgesetzlich verankert ist. Die Bekämpfung der Gender Studies kann damit als Teil des Vorhabens gedeutet werden, die bestehende demokratische Ordnung zu beseitigen.

Die Zahl der parlamentarischen Initiativen der AfD gegen die Geschlechterforschung ist schwer zu ermitteln. Denn entsprechende Anfragen beziehungsweise Attacken erscheinen auch unter ganz anderen Fragestellungen. Festzustellen ist, dass die Zahl der explizit wissenschaftsfeindlichen Anträge und Anfragen, die sich gegen die Gender Studies richten, tendenziell steigt.

Eine aussagekräftige Fallstudie liefert die Evaluation der Geschlechterforschung durch den Wissenschaftsrat von 2020 bis 2023. Der Wissenschaftsrat, der die Bundesregierung und die für die Bildung primär zuständigen Regierungen der Länder in Fragen der inhaltlichen und strukturellen Entwicklung der Hochschulen, der Wissenschaft und der Forschung berät, hatte, angeregt durch eine Initiative der Länder unter der Federführung Hamburgs vom November 2019, beschlossen, eine Strukturbegutachtung der Geschlechterforschung durchzuführen. Öffentlich gemacht wurde dies im Januar 2020 im Arbeitsprogramm des Wissenschaftsrates für den Zeitraum Januar bis Juli 2020. Wie üblich erfolgte die Evaluation hinter verschlossenen Türen, der Bericht, den die eingesetzte Arbeitsgruppe zur Evaluation verfasste, wurde vom Wissenschaftsrat Anfang Juli 2023 beraten, verabschiedet, und am 10. Juli 2023 wurden die Empfehlungen zur Geschlechterforschung öffentlich vorgestellt.

Diffamierende Unterstellungen

Die AfD wollte auf die Veröffentlichung der Ergebnisse offensichtlich nicht warten. Vielleicht, weil ihr bei einer positiven Begutachtung der Gender Studies drohte, das Feindbild abhanden zu kommen. (Tatsächlich fiel das Urteil des Wissenschaftsrats sehr positiv aus.) Es galt daher vorzubauen und die altbekannten, gebetsmühlenartig immer wiederholten Vorwürfe – wie die der Unwissenschaftlichkeit, der Ideologie, der Nutzlosigkeit und übertriebenen finanziellen Förderung – schon im Vorfeld in Stellung zu bringen. Bereits im Dezember 2020 ging die AfD aufs Ganze und stellte im Bundestag den Antrag »Wissenschaft von Ideologie befreien – Förderung der Gender-Forschung beenden«.

Verschwörungsideologen sind am Werk.

Sowohl im Plenum als auch im Ausschuss lehnten alle demokratischen Parteien diesen Antrag einhellig und sehr engagiert ab. Ende 2022 versuchte die AfD – ebenfalls erfolglos – direkt in den laufenden Prozess der Evaluation der Geschlechterforschung durch den Wissenschaftsrat hineinzugrätschen. Offenbar waren Mitarbeiter der AfD auf ein Informationsschreiben über die Evaluation an die Kolleg*innen der Gender Studies gestoßen, das im Internet zugänglich ist. Auf dieser schmalen Basis bemühte sich die AfD in einer Kleinen Anfrage im Bundestag (DS 20/5096), eine Verschwörung der Geschlechterforscher*innen zu konstruieren, die angeblich Einfluss auf den Wissenschaftsrat nähmen – was letztlich bedeutete, dass die AfD mit dieser diffamierenden Unterstellung in einem Zug auch das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in der Bundesrepublik desavouierte.

Am 4. Juli 2023 überraschte die AfD die anderen Fraktionen im Bundestag mit einem Antrag, der offensichtlich schon vorbereitet in der Schublade gelegen hatte. Es liegt nahe zu vermuten, dass das Timing im direkten Zusammenhang stand mit der kurz zuvor erfolgten Einladung des Wissenschaftsrats zum Pressegespräch, bei dem am 10. Juli 2023 über die Ergebnisse der Evaluation der Geschlechterforschung informiert werden sollte. Den Abschluss der Evaluation und die Ankündigung der Veröffentlichung der Ergebnisse vollkommen negierend, forderte die AfD in ihrem Antrag, der Wissenschaftsrat solle »umgehend« eine Evaluation der Gender Studies vornehmen sowie auch der Postcolonial Studies, der Disability Studies, der Critical Whiteness Studies und der Queer Studies, alle diffamierend bezeichnet als »sogenannte Agendawissenschaften«.

Deutlicher hätte die AfD mit diesem Timing nicht zeigen können, dass sie sich mit dem Ergebnis der Evaluation der Geschlechterforschung durch den Wissenschaftsrat nicht befassen wollte und gleichzeitig auch den Wissenschaftsrat als Instanz nicht respektiert. Es geht ihr nicht um inhaltliche Auseinandersetzungen, sondern um die stete Wiederholung der immer gleichen diffamierenden Behauptungen. Ihre Methode in den schriftlichen parlamentarischen Eingaben: die Vortäuschung von Sachlichkeit durch Belege, die sie, ein selbstreferenzielles System nutzend, vorwiegend aus Pamphleten aus dem rechtspopulistischen und maskulinistischen Umfeld generiert.

In ihrer Kleinen Anfrage zur Evaluation bringt sie gar den emeritierten FH-Professor für BWL und Consulting Günter Buchholz ins Spiel. Als Kritiker, der die Wissenschaftlichkeit der Gender Studies infrage stellt, wollte die AfD ihn in der Evaluationsarbeit des Wissenschaftsrates berücksichtigt sehen. Seine einzige fachliche Qualifikation: sein öffentlich vielfach zur Schau gestellter Antifeminismus. Charakteristisch daran ist, dass die AfD mit diesem absurden Vorschlag die Arbeitsweise des Wissenschaftsrates vollkommen außer Acht ließ.

Feindselige Anfragen

Ohnehin ist nicht erkennbar, dass die Partei aus Antworten der Bundesregierung auf ihre Kleinen Anfragen einen Lernerfolg erzielt. Wiederholt wurde die AfD darauf hingewiesen, dass es nicht Aufgabe der Bundesregierung ist, Wissenschaft und Forschung zu steuern, weil das Grundgesetz die Wissenschaftsfreiheit garantiert. Aber es geht der AfD nicht um einen Austausch von sachlichen Argumenten, sondern um die Wiederholung immer gleicher Positionen, mit denen die Geschlechterforschung abgewertet werden soll, insofern ist mit Recht in der Forschung von »feindseligen Anfragen« (Mechthild Bereswill und andere) gesprochen worden.

Gefahr der weiteren Diskursverschiebung.

Das absurde Theater, das die AfD im Bundestag zur Evaluation der Geschlechterforschung veranstaltete, erfüllte seinen Zweck. Wieder wurden ihre verqueren »Argumente« diskutiert. Tendenziell zeigte sich, dass die Vertreter*innen der demokratischen Parteien zunehmend genervt sind von solchen Anträgen der AfD. Die SPD-Abgeordnete Maja Wallstein sprach von einer »Pseudodebatte, wie wir sie hier im Haus leider öfter erleben, wenn Anträge von der AfD kommen«. Auch eine Abgeordnete der CDU/CSU betonte, man brauche ja auf der einen Seite in gewisser Weise schon echt gute Nerven, »wenn man Ihren Antrag mit – wenn ich das so ausdrücken darf – so viel Unsinn wie dem, was Sie uns hier heute vorlegen, lesen muss«. Hier liegt die Gefahr: dass auch Vertreter*innen der demokratischen Parteien durch die Penetranz der immer wiederholten gleichen Diffamierungen nicht mehr genau hinschauen und die Verschiebung des Diskurses nach rechts, die längst begonnen hat, nicht mehr wahrnehmen.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben