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Anmerkungen zur grünen Standortsuche Wo Baerbock und Habeck sind, ist vorn

»Beide können mit Eloquenz und Augenmaß, Empathie und Visionen glänzen«. Ein Zauber liege in der Luft, wenn beide den politischen Paartanz auf die Berliner Politikbühne brächten, schrieb Nina Poelchau im Magazin stern (17/2019). Ließe die grüne Wahlkampfabteilung dies auf Plakate mit den hier gemeinten Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck drucken, sie gäbe sich der Lächerlichkeit preis. Nun wäre es müßig, an dieser Stelle über die Vielzahl an medialen ups and downs der Berichterstattung über die Grünen zu referieren: angefangen bei der Begeisterung für den Rechtsaußen-Öko Baldur Springmann, für den »Medienstar« Petra Kelly, die von Beobachtenden und Beobachtungsobjekt gleichermaßen spät entdeckte Medienliebe von und zu Joschka Fischer, weiter mit einem Blick auf Jürgen Trittin und Simone Peter, auf »Verbotspartei«, »Fünf Mark für einen Liter Benzin« oder den »Veggie-Day«. Dennoch, derzeit ist es ungewöhnlich mühevoll, auch nur ein wenig Sand im Getriebe auszumachen, hinter die alles überstrahlenden Führungsfiguren zu schauen oder auch nur danach zu fragen, wie die Grünen glauben, ihre Vision eines grünen Morgens zu erreichen gedenken.

Das einzige, was bei aller medialen Begeisterung für die einst Bündnisgrünen genannten konstant bleibt, ist, bei allem Schwebenden, die Frage nach dem Standort der Partei: Links? Bürgerlich? Irgendwas dazwischen? Etwas heruntergebrochen: Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Grün – wobei es ja, ausweislich der Umfragen, eigentlich Grün-Rot-Rot heißen müsste, oder, mit Blick in die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart, Grün-Schwarz! Bei der Beantwortung der Frage hilft der geradezu klassische Zugang, der lange Zeit Selbstbeschreibung der Grünen war und es wohl auch heute noch sein könnte: der »Blick zurück nach vorn«. Drei solcher, Gegenwart und nahe Zukunft womöglich beschreibbarer machende Rückblicke will ich hier anstellen: einen langen Blick zurück in die grüne Ideengeschichte, einen kürzeren auf den Wechsel der Parteiführungen der vergangenen Jahre und einen sehr zeitnahen auf die jüngsten Wahlergebnisse. Alle drei Blicke – Ideengeschichte, Parteiführung, Wählerschaft – sollten helfen, den derzeitigen Ort der Grünen im Parteiensystem, in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und, nicht zuletzt, in der Geschichte der Bundesrepublik beschreibbarer zu machen.

Nicht rechts, nicht links, sondern vorn, so lautete dereinst die Selbstbeschreibung der jungen Gründungsgrünen. Sie skizzierte den, in der Realität der Partei eigentlich nie zur Geltung gebrachten Anspruch der Grünen, sich nicht kategorisieren zu lassen, sich aber auch selbst nicht zu kategorisieren, sondern »ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei« quer zu anderen Parteien und Konfliktlinien zu liegen. Doch traten die Konfliktlinien vor allem innerhalb der Partei selbst zutage. Konservative Heimatschützer, Zerfallsprodukte der untergehenden »Neuen Linken« auf der Suche nach einem Rettungsboot, den Realismus als Politikformel entdeckende ehemalige Spontis, öko-libertäre Ökonomie-Ökologie-Versöhner, ideologisch Durchreisende. Der Ort der Grünen blieb umstritten, aber er blieb unterschwellig das, was er ideengeschichtlich im Kern schon immer war: ein Mischprodukt aus eher bürgerlich-konservativer Schöpfungsbewahrung und linker Weltverbesserung. Ideologische Landnahme, die Frage der Priorisierung und der Umsetzung, sie anverwandelte und überführte diese breite Melange schließlich in den die Grünen schon immer begleitenden »Fundi-Realo-Gegensatz«. Einer, der, je nach Zustand der Partei, mal als überwunden und hinderlich gilt, mal als prägend und identitätsstiftend.

Oder, in Mischform, als prägend und hinderlich. So in etwa dürften sich die Jahre vor den neuen Vorsitzenden Baerbock und Habeck zugespitzt beschreiben lassen. Auf Parteitagen, im Vorwahlkampf, ja selbst im Bundestagswahlkampf 2013 sowie in der Zeit darauf bekämpften sich die Flügel auf offener Bühne. Wo der Ort der Grünen sei, im erfolgreichen Baden-Württemberg oder in der (für die Erfolglosigkeit verantwortlichen?) Berliner Parteizentrale, ob in der Versöhnung von Ökonomie und Ökologie oder im Kampf gegen die Reichen und Superreichen, vieles blieb im Umfeld eines ohnehin desaströsen Wahlkampfes ungeklärt. Der mühevoll erzielte Zusammenhalt zwischen den Flügeln, er wurde konterkariert durch die Dominanz eines Jürgen Trittin, der die Dominanz eines Winfried Kretschmann bestritt. In der, gemessen am grünen Höhenflug nach 2010, krachenden Niederlage bei der Bundestagswahl 2013 zeigte sich dann die Brüchigkeit des ohnehin schwachen Burgfriedens in der Partei. »Erfolgreiche« Landespolitik vs. »erfolglose« Berliner Führung, historisch gewachsener Öko-Liberalismus vs. das letzte Gefecht der altgewordenen »Neuen Linken«. Die Niederlage 2013, sie steckte der Partei über Jahre in den Knochen. Hinter vorgehaltener Hand blieb die Frage, wer die Wahl verloren habe, wichtiger als jede programmatische Neuausrichtung. Der Versuch, die neue Spitze aus Cem Özdemir und Simone Peter flügelarithmetisch auszutarieren, scheiterte sodann auch krachend. Kein Geheimnis jedenfalls war es in Berlin, dass an der neuen Parteispitze Argwohn und Missgunst das Regiment führten.

Der eingangs zitierte Artikel im stern, er mag boulevardesk daherkommen und die nötige Distanz vermissen lassen, aber er trifft einen Kern: Er beschreibt beide Parteivorsitzenden als eine Einheit, mindestens als ein kongeniales Duo. So sehr sich die Politikwissenschaft heute für Analysen mit mehreren Variablen interessiert, so sehr übersieht sie bisweilen wesentliche Dinge: etwa die gemeinsame Führung des Parteibüros von Baerbock und Habeck. Die Schaffung einer Grundsatzabteilung. Die Tatsache, dass beide als Landespolitiker gelten dürfen, die von außen in die Berliner Parteiführung einstiegen. Dass sie, gemessen an der Vita ihrer Vorgänger, gerade nicht Gralshüter der grünen Parteiengeschichte sind. Und dass sie beide zwar als Realos gelten, dies aber erstens nicht als Monstranz vor sich hertragen und zweitens dennoch für die Parteibasis wählbar waren. Ob die Einsicht, dass der Flügelkampf zumindest in der Darstellung nach außen eher die Funktion einer Flügelbremse erfüllte – das entspricht sinnbildlich jener Mechanik, die bei nach außen zu öffnenden Fenstern das weite Aufschlagen bei einem Windstoß verhindert –, oder ob sich die Flügelarithmetik in Zeiten ständig wachsender Mitgliederzahlen ausschleift, ist dabei fast schon unwichtig. Die Jamaika-Sondierungsgespräche waren jedenfalls nicht nur eine letztlich an der FDP gescheiterte Paartherapie des bürgerlichen Lagers, sondern auch eine grüne Gruppentherapie. Dass die Realos die Grünen nicht an die CSU verkaufen würden, dass die linken Grünen eine Einigung nicht sabotierten und dass die Grünen selbst lagerübergreifende Überzeugungen und Ideenhaushalte besitzen, allen voran Ökologie und Klimaschutz, das ist ihnen von Trittin bis Kretschmann wohl auch wieder in den Sinn gekommen.

Klar zeigte sich jedenfalls, dass die stark gewachsene grüne Parteibasis – jenes, generellen Kenntnissen weitgehend entzogene, strukturlose, mäandernde und bisweilen unberechenbare Wesen – sich von den Flügelstreitigkeiten emanzipiert hat. Damit ist den neuen Vorsitzenden, die Ideen und Inhalte beider Lager einspeisen, Umwelt- und Sozialpolitik wieder stärker zusammendenken versuchen, endlich die Handlungsfreiheit gegeben, um die Partei wirklich in eine Rolle der Eigenständigkeit führen zu können. Dieses oftmals erklärte Ziel, es gewinnt unter den neuen Vorsitzenden, auch im Versuch ein neues Grundsatzprogramm zu schreiben, endlich den Ausdruck, der so lange eingefordert wird. Noch 2013 schrieb der grüne Vordenker und damalige Chef der Heinrich-Böll-Stiftung Ralf Fücks: »In jüngster Zeit ist wieder viel von grüner Eigenständigkeit die Rede. Es ist allerdings noch wenig gewonnen (…). Erfolgreich werden sie nur als politische Alternative sowohl zur Union wie zu SPD und Linkspartei sein. In den Gründerjahren hieß das: Nicht rechts, nicht links, sondern vorn. Für eine Partei, die Ökologie, Freiheit und soziale Teilhabe in einem neuen Politikentwurf kombiniert, stehen viele Türen offen.«

Dabei ist es nicht allein die Kombination aus Ökologie und sozialpolitischen Justierungen, welche die Grünen in neue Höhen aufschwingen ließ. So sehr sie an populären Debatten partizipieren, in Fragen des politisch virulenter werdenden Klimawandels oder in Fragen von Enteignungen, so sehr basiert der neue Aufschwung womöglich noch auf anderen Prämissen. Der Blick in die jüngsten Landtagswahlergebnisse zeigt jedenfalls eines deutlich: Über die Städte und die jüngeren Generationen wachsen den Grünen seit Jahren Wählerschaften zu. Und, über ihre klare Haltung gegenüber der AfD, für ihre klare, positive Haltung zur fundamentalliberalisierten Bundesrepublik, zum Grundgesetz und wider die populistische Versuchung, ist die Partei vor allem auch eines: Hüterin von Maß und Mitte. Ein Diktum Franz Walters aus dem Jahr 2011, damals noch als Invektive wahrgenommen, trägt die Grünen heute in neue Höhen. Nicht von ungefähr lautete der Titel der grünen Sommertour 2018 »Des Glückes Unterpfand«, eine Reise, so Robert Habeck, »zu den Wurzeln der liberalen Demokratie«.

Die Grünen sind also eine Art neue Sammlungspartei der Mitte, wertorientiert, auch ein Stück weit verbürgerlicht und scheinbar auch verwurzelt. Und sie tragen ein Themenfeld mit einer Mächtigkeit vor sich her, das die Konservativen in den 70er Jahren preisgegeben haben, die Ökologie, oder auf bürgerlich-konservativ: den Schutz und die Bewahrung der Natur, wenn man so will, auch der »Heimat«. Ein Thema, das nicht von der Agenda verschwinden wird. Und die Grünen, so zeigen es die Nachwahlbefragungen in aller Deutlichkeit, haben der CSU in Bayern und der CDU in Hessen etwas abgenommen, das zu ihrem unumstößlichen Markenkern gehört hat, bis Markus Söder, Horst Seehofer und Teile der CDU es im Kampf um die Mehrheit geopfert haben: die Verteidigung von elementaren Werten, das unumstößliche Bekenntnis zu Europa, den Erhalt von Grundrechten – ja, den Kernbestand jener fundamentalliberalisierten Bundesrepublik, den die CSU dröhnend aufgegeben hat, wobei die CDU hasenfüßig beiwohnte. So gaben bei der bayerischen Landtagswahl 56 % und bei den hessischen Landtagswahlen 65 % der Wählerinnen und Wähler an, die Grünen »verteidigen Werte, die mir wichtig sind«.

Wie geht das nun zusammen, die ideengeschichtlichen Orte der Grünen, das neue Führungsduo, die Wandlungen der Wählerschaft und der neue grüne Höhenflug? Auch hier hilft, vor dem Versuch einer Synthese, ein Blick zurück. Zurück ins Jahr 2010, also jenem ersten grünen Höhenflug jüngerer Zeit, noch einige Monate vor Fukushima. Schon 2010 wurde eine grüne Mitte ausgerufen, die die neubürgerlichen Eliten der Großstädte aufsauge, die Beamten und Angestellten. Grüne Politik schien sich schleichend über die Altbauviertel bis in die Vororte der deutschen Mittelschicht ausgebreitet zu haben. Was das Vorortbürgertum indes gereizt haben mag, war anno 2010 mehr ein romantisch verklärtes Bild grüner Visionen aus den Anfangszeiten der Friedens- und Umweltbewegung. Nicht die Anpassung der Grünen an die aktuelle Politik, sondern die Verortung der Grünen als Mystiker des entschleunigten Lebens jenseits von Wirtschafts-, Finanz- und Ökokrise entfaltete hier ihren Reiz für jene, die dem konservativen Regrounding entwachsen, dem liberalen Projekt entfremdet sind – die Zustimmung, sie war nur geborgt.

Ob das heute anders ist, muss sich erst noch erweisen. Eine wertgebundene Partei aber, die von links und rechts sammeln kann, der bei jeder Wahl überproportional viel junger Nachwuchs zuströmt, die ihre Gründungsjahrgänge zu halten vermag und die bei Hochgebildeten heute schon stärkste Kraft ist und deshalb im Angesicht steigender Bildungsabschlüsse weiterwachsen dürfte und die in den weiterwachsenden Städten womöglich bald ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen kann, eine solche Partei ist auf lange Sicht eine wirkliche Gefahr für die konservativen Gralshüter und für die SPD.

Eine solche Partei braucht womöglich wirklich keinen festen Platz im Parteiensystem, sie definiert über die Ökologie einen eigenen Ort, der über soziale und wertegebundene Fragen in alle Richtungen ausstrahlt. Man könnte das wohl auch »Mitte« nennen, linke und bürgerliche Mitte. Oder vorn.

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