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Sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Saudi-Arabien Wo bleibt die Moral?

Die Bundesregierung betrachtet Saudi-Arabien als strategischen Partner. Aus diesem Grund war die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Dezember 2016 in Riad, um die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern zu vertiefen. Zu fragen wäre, ob eine solche bilaterale Kooperation mit dem in Deutschland geltenden Wertesystem überhaupt vereinbar ist.

Saudi-Arabien ist ein sunnitisches Königreich, in dem mit der Glaubensrichtung des Wahabismus eine radikale bis extremistische Form des Islam praktiziert wird. Es gilt die Scharia. Für Diebstähle kann die Hand abgehackt werden, öffentliche Auspeitschungen und Hinrichtungen sind erlaubt und werden auch vollzogen. Laut dem Länderreport von Amnesty International 2016 werden die Menschenrechte in Saudi-Arabien weiterhin massiv verletzt.

So wurden im Jahr 2015 mehr als 150 Menschen durch Enthauptung oder Erhängen exekutiert. Allein am 2. Januar 2016 wurden 47 Menschen aufgrund von Terrorismus-Vorwürfen hingerichtet. Sie waren vom saudischen »Specialized Criminal Court« verurteilt worden, der 2008 für Taten mit terroristischem Hintergrund geschaffen wurde. Unter den Exekutierten war – aufgrund der Verurteilung wegen Volksverhetzung – auch der schiitische Geistliche Nimr Bāqir Amīn al-Nimr.

Frauen sind in Saudi-Arabien zudem nicht annähernd mit der männlichen Bevölkerung gleichgestellt, sogar das Autofahren ist ihnen nach wie vor verboten. Die schiitische Minderheit im Land wird unterdrückt und vom politischen Prozess weitgehend ausgegrenzt. Weltweit haben viele, manche Experten sagen sogar alle, schweren islamistischen Terroranschläge in den letzten Jahren letztlich ihre Wurzeln in den Wahabitenschulen Saudi-Arabiens.

Das Königreich strebt eine Führungsrolle in der Region an und ist jederzeit bereit, schiitischen Unabhängigkeitsbestrebungen oder auch Machtansprüchen mit militärischer Gewalt zu begegnen. So sind 2011 saudische Truppen in das benachbarte Bahrain einmarschiert, um König Hamad bin Isa Al Chalifa bei der Unterdrückung der schiitischen Minderheit zur Seite zu stehen. Seit dem Frühjahr 2015 führt Saudi-Arabien im Rahmen der Militäroperation Decisive Storm (»Sturm der Entschlossenheit«) mit massiver Unterstützung der USA eine Koalition im Kampf gegen die jemenitischen Huthi-Rebellen an, die nach einem Umsturz im Jahr 2014 die Regierung ins Exil nach Saudi-Arabien gezwungen hatten. Bei den saudischen Luftangriffen, die durch amerikanische Aufklärungsinformationen und US-Tankflugzeuge unterstützt werden, setzt Riad auch völkerrechtlich geächtete Streubomben ein. Nach Angaben der Vereinten Nationen hat der Krieg bereits 7.000 Menschen, vor allem Zivilisten, das Leben gekostet. 3 Millionen Jemeniten sind auf der Flucht im eigenen Land. Fast 15 Millionen der insgesamt 26 Millionen Einwohner haben nicht ausreichend Nahrung. Der ehemalige US-Außenminister John Kerry sprach im November 2016 von einer humanitären Katastrophe, und nach aktueller Einschätzung der Vereinten Nationen steht das Land kurz vor dem Zusammenbruch.

In Syrien unterstützt Saudi-Arabien die Opposition nicht nur finanziell, sondern auch mit Waffen und Munition. Dabei verfolgt Riad, ebenso wie die CIA, deren verdeckte Operation Timber Sycamore maßgeblich von Saudi-Arabien finanziert wird, nach wie vor das Ziel eines Regimewechsels in Damaskus, weil Präsident Baschar al-Assad Alawit ist und damit der schiitischen Glaubensrichtung des Islam nahesteht.

In den USA laufen derzeit Untersuchungen, ob Angehörige der saudischen Administration in die Anschläge vom 11. September 2001 verwickelt waren. Im Anschluss an die Terrorakte waren 19 Araber verhaftet worden, von den 15 einen saudischen Pass besaßen.

Wie bereits festgestellt, betrachtet Deutschland das Königreich am Golf als einen strategischen Partner in der Region. Obwohl es die deutsche Gesetzeslage verbietet, Waffen in Kriegs- und Krisengebiete zu liefern, werden auch nach Saudi-Arabien, das unter dem Gesichtspunkt des Rüstungsexports als sogenanntes »Drittland« eingestuft ist, nach wie vor Kriegswaffen geliefert.

In den »Leitlinien für die Genehmigung von Rüstungsexporten« heißt es im Abschnitt »Politische Grundsätze« unter anderem: »Die Beachtung der Menschenrechte ist für jede Exportentscheidung von hervorgehobener Bedeutung, unabhängig davon, um welches mögliche Empfängerland es sich handelt. So werden Rüstungsexporte grundsätzlich nicht genehmigt, wenn ›hinreichender Verdacht‹ besteht, dass das betreffende Rüstungsgut zur internen Repression oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht wird.«

Bezüglich des Rüstungsexportes in sogenannte Drittländer wird in den Leitlinien ausgeführt: »Der Export von Kriegswaffen wird nur ausnahmsweise genehmigt, wenn im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen Deutschlands für die Erteilung einer Genehmigung sprechen«. Hauptabnehmer deutscher Rüstungsgüter war 2012 mit insgesamt 1,24 Milliarden Euro Saudi-Arabien. Regierungssprecher Steffen Seibert stellte in diesem Zusammenhang fest: »Saudi-Arabien trägt zur Stabilität in der Region bei.«

Im Zwischenbericht über die Rüstungsexporte für das 1. Halbjahr 2016 des Bundeswirtschaftsministeriums ist Saudi-Arabien mit Exporten in Höhe von 483.899.154 Euro in der Reihenfolge der wichtigsten Empfängerländer, wie bereits 2015, die Nummer drei, dieses Mal hinter Algerien (!) und den USA. Konkret aufgeführt werden im Bericht: »Hubschrauber, Bodengeräte und Teile für Kampfflugzeuge, Flugzeuge, Hubschrauber, Luftbetankungsausrüstung, Bodengeräte«. Saudi-Arabien ist nach Indien der größte Waffenimporteur der Welt. Deutschland ist die Nummer fünf bei den Exporteuren.

Werteexport durch Ausbildung?

Am 7. Dezember 2016 begann Verteidigungsministerin von der Leyen eine Reise in die Nahmittelost-Region, die sie als erstes nach Saudi-Arabien führte. Bei ihren Gesprächen mit hohen Regierungsvertretern wurde vereinbart, dass saudische Offiziere zur Ausbildung nach Deutschland kommen sollen. Die Deutsche Botschaft in Riad erklärte dazu, das »Training mehrerer junger Offiziere und Mitglieder des saudi-arabischen Militärs« solle 2017 beginnen.

In einem Bericht des Bundesnachrichtendienstes zu Saudi-Arabien, den der BND im Dezember 2015 öffentlich machte, heißt es u. a.: Die traditionell vorsichtige diplomatische Außenpolitik Riads, die der älteren Führungsmitglieder der Königsfamilie, sei einer »impulsiven« und aggressiven Interventionspolitik gewichen. Dafür wird Mohammed bin Salman, der als unbeherrscht geltende zweite Kronprinz und Verteidigungsminister, verantwortlich gemacht. Dem Sohn des Königs wird ein übergroßer Ehrgeiz attestiert. Der neue König Salman und sein Sohn Mohammed wollten sich damit als Anführer der arabischen Welt profilieren. Die Machtkonzentration bei Salmans Sohn berge die Gefahr, dass er »den Unmut anderer Mitglieder des Königshauses und der Bevölkerung auf sich ziehe«.

Die Bundesregierung reagierte verärgert auf diese Warnung des BND vor einer destabilisierenden Rolle Saudi-Arabiens in der arabischen Welt und wies die Analyse zurück. Ein Regierungssprecher erklärte: »Die Bewertung spiegelt nicht die Haltung der Bundesregierung wider. Vielmehr betrachte man das Königreich als wichtigen Partner in einer von Krisen geschüttelten Region. Insbesondere auf dem Weg zu einem Frieden in Syrien kommt Saudi-Arabien große Bedeutung zu.« Wer bei der Lösung der Probleme in der Region vorankommen wolle, »braucht konstruktive Beziehungen« mit Riad. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, der BND spreche »sicher nicht für die deutsche Außenpolitik, schon gar nicht über Dritte«.

Die Zeit des Wegschauens ist vorbei

Die offizielle Stellungnahme der Bundesregierung wurde kurz darauf vom damaligen Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel in einem Interview mit der Bild am Sonntag entscheidend relativiert. Darin forderte er ein hartes Vorgehen gegen radikale Moscheen in Deutschland und warnte Riad davor, religiösen Extremismus in Deutschland zu unterstützen. Gabriel wörtlich: »Aus Saudi-Arabien werden überall in der Welt wahabitische Moscheen finanziert. Aus diesen Gemeinden kommen in Deutschland viele islamistische Gefährder.« Man sei zur Lösung der regionalen Konflikte zwar auf Saudi-Arabien angewiesen, deshalb helfe es nicht, »das Land jeden Tag irgendwie an den Pranger zu stellen. Wir müssen den Saudis aber zugleich klarmachen, dass die Zeit des Wegschauens vorbei ist.«

Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warnte vor der Ausbreitung des Wahabismus in Deutschland. Mit Blick auf eine mögliche Finanzierung von Moscheen durch Saudi-Arabien sagte er der Welt am Sonntag, er halte »eine genaue Beobachtung dieser Bestrebungen durch den Verfassungsschutz« für notwendig. Der Wahabismus liefere unter anderem die »komplette Ideologie« für die Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) und trage auch in anderen Ländern zur Radikalisierung moderater Muslime bei.

Aus meiner Sicht verbieten unsere Gesetze zweifelsfrei einen Waffenexport in Länder wie Saudi-Arabien. Wenn darüber hinaus die Aktivitäten des Landes, in dem der Wahabismus Staatsreligion ist und Menschenrechtsverstöße an der Tagesordnung sind, in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet werden, ist jede bilaterale sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Riad nicht nur widersinnig, sondern letztlich auch unmoralisch.

Verspricht sich Frau von der Leyen von einer Ausbildung saudischer Offiziere in Deutschland einen Export des Bundeswehr-Konzepts der Inneren Führung oder des Prinzips vom »Staatsbürger in Uniform«? Das wird sicherlich nicht passieren, weil die Offiziere des Königreiches ein wesentlicher Teil des völlig archaischen und zutiefst undemokratischen saudischen Systems sind. Natürlich hat Gabriel recht, dass es nicht sinnvoll ist, »das Land jeden Tag irgendwie an den Pranger zu stellen«. Aber neben einem täglichem Anprangern und einem Verzicht auf bilaterale sicherheitspolitische Zusammenarbeit gibt es eine Reihe weiterer Optionen.

Saudi-Arabien ist eine Autokratie, deren Wertesystem sich fundamental von dem Deutschlands unterscheidet und darüber hinaus ein destabilisierender Faktor in der Region. Deshalb ist jeglicher Waffenexport sofort einzustellen und die Idee, saudische Offiziere in Deutschland auszubilden, als unvereinbar mit den Grundsätzen der Bundeswehr zu den Akten zu legen. Die aktuelle Entwicklung auf der Arabischen Halbinsel unterstreicht diese Forderung nachdrücklich. Die von Riad mit der Begründung, Katar sei der Hauptunterstützer des internationalen Terrorismus, initiierte Isolierung des Emirats, ist lediglich ein Vorwand, um den Iran, zu dem das Emirat ein unaufgeregtes Verhältnis hat und der aktuell Katar mit Lebensmitteln versorgt, international erneut zu diskreditieren und von den eigenen Aktionen abzulenken. Bei vielen Anschlägen der Vergangenheit führten nämlich die Spuren nach Saudi-Arabien.

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