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Gesellschaftlicher Zusammenhalt benötigt Räume Wohnen und Integration

Soziale Spannungen, Pluralisierung der Lebensstile, Globalisierung sowie der Wandel der Arbeitswelt sind Prozesse, die die Frage aufwerfen, wie dennoch Zusammenhalt, also Gemeinschaft, erhalten bzw. hergestellt werden kann. Wie kann Gesellschaft so gestaltet werden, dass jenseits von Echoräumen und Filterblasen Kontakträume angeboten werden, damit sich Begegnungsmöglichkeiten eröffnen? Integration und Zusammenhalt, das ist die zentrale These, braucht ganz konkret Räume; besonders Wohnräume.

Kürzlich ließ Detlef Scheele aufhorchen: »Wir brauchen 400.000 Zuwanderer pro Jahr« proklamierte der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit. In einer dramatischen Schilderung des Mangels an potenziellen Arbeitskräften in den nächsten Jahren (»die Demografie ist viel kritischer als die Transformation«) plädiert er dringlich dafür, sich dieses Themas anzunehmen. Ob das passiert oder nicht, die Beschäftigung mit Zuwanderung in der deutschen Einwanderungsgesellschaft impliziert immer die Frage nach dem Wie der Integration.

Generell hat das Thema Integration einen weiteren Referenzrahmen: Es geht um Konzepte und Strukturen, wie neu zuwandernde Menschen Teil dieser Gesellschaft werden können. Der Begriff Integration beinhaltet die Frage nach der Ausbildung einer Wertegemeinsamkeit unter Einbezug von Gruppierungen, die zunächst oder neuerdings andere Werthaltungen vertreten. Integration beschreibt einen dynamischen, lange andauernden und sehr differenzierten Prozess des Zusammenfügens und Zusammenwachsens von Menschen unterschiedlicher Herkunft.

Aber auch Individualisierung, Wandel der Arbeitswelt und Pluralisierung der Lebensstile fokussieren die Frage nach Integration und Zusammenhalt neu, denn damit verbunden ist die neue Wahrnehmung von Einsamkeit als massivem sozialen Problem. In Deutschland wird das Thema immer stärker von Politik, Wissenschaft und Medien aufgenommen. So entscheidend, dass im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD 2018 festgelegt wurde, dass angesichts einer zunehmend individualisierten, mobilen und digitalen Gesellschaft Strategien und Konzepte entwickelt werden sollten, die Einsamkeit in allen Altersgruppen vorbeugen und Vereinsamung bekämpfen würden.

Generell wird für den inneren Zustand der deutschen Gesellschaft nicht nur Einsamkeit und Singularisierung diagnostiziert. Grundsätzlich gibt es einen Mangel an Begegnungen zwischen den unterschiedlichen Gruppen, Filterblasen in sozialen Netzwerken, Segregation in (Groß-)Städten, Verlust von Begegnungsmöglichkeiten mit »Fremden« in politischen und sozialen Institutionen und ein Schrumpfen von öffentlichen Räumen, in denen sich verschiedene Individuen als Bürger*innen begegnen können.

Letztendlich ist nicht nur die Zunahme von Singularisierung und Einsamkeit das Argument für die Notwenigkeit neuer gemeinschaftlicher Wohnformen. Generell lautet die Frage, wie soziale Spaltung, Pluralisierung, Globalisierung, Digitalisierung etc. in Einklang gebracht werden können mit dem Wunsch nach Zusammenhalt, also nach Gemeinschaft. Es geht im weitesten Sinn um Heimat bzw. um Beheimatung. Welche Möglichkeiten gibt es Kontakträume herzustellen, Begegnungsmöglichkeiten zu eröffnen? Denn, dass es nötig ist, Räume zu schaffen, damit Zusammenhalt entsteht in Gesellschaften, deren einzelne Teile auseinanderdriften, ist allgemeiner Konsens.

Dies diagnostiziert als einer von vielen auch der Soziologe Andreas Reckwitz mit seiner These von der »Gesellschaft der Singularitäten«. Reckwitz schildert den sozialen Wandel der postmodernen Gesellschaft und die damit einhergehenden Veränderungen in der Arbeitswelt und der Lebensführung vor allem als Diagnose der neu entstehenden Gräben zwischen einer auf Sicherheit bedachten und industriell geprägten alten Mittelklasse und einer kulturell und global orientierten urbanen (neuen) Mittelklasse der postindustriellen Wissensgesellschaften.

Das Zusammenleben wird erschwert

Doch wie können die Gräben gerade zwischen verschiedenen Milieus überbrückt werden? Eine wichtige Antwort dazu lässt sich in der Stadt- und Wohnforschung finden: Da die skizzierten postmodernen Transformationen die traditionellen Integrationsmotoren wie den Arbeitsmarkt, die Familie oder religiöse Bindungen entfunktionalisieren, stellt sich die Frage nach sozialen Beziehungen neu.

Gerade in Zeiten massiver Migrationsprozesse und zunehmend prekärer Arbeitsverhältnisse kann nicht mehr von der Integrationskraft »Werkbank« ausgegangen werden. Gerade zuwandernde Menschen landen häufig in Arbeitsverhältnissen, die als prekär bezeichnet werden müssen. Auch zeigen relevante Langzeitforschungen etwa des Projekts »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« (Wilhelm Heitmeyer), dass ein möglichst angstfreies Zusammenleben von Individuen und Gruppen unterschiedlicher ethnischer, religiöser, kultureller oder sozialer Herkunft mitsamt ihrer alltäglichen Lebenspraxis immer schwieriger zu realisieren ist.

Damit rücken in einer längerfristigen Perspektive immer deutlicher Fragen der sozialen und räumlichen Integration zuwandernder Menschen in der direkten Wohnpraxis in den Mittelpunkt, vor allem vor dem Hintergrund gleichzeitiger zunehmender Singularisierung der Menschen in der Ankunftsgesellschaft. Beide Aspekte, die Orientierung auf einsamkeitsreduzierende Wohnformen und die Integration der Zugewanderten sind ausgesprochen bedeutsam für den sozialen Zusammenhalt in einer städtisch geprägten Gesellschaft.

Wohnen gehört zu den elementaren Unentbehrlichkeiten des Menschen, hier geht es um die existenziellen Grundbedürfnisse wie Sicherheit, Schutz, Geborgenheit, Kontakt, Kommunikation und Selbstdarstellung. Für die meisten Menschen ist, unabhängig vom persönlichkeitsprägenden Kulturkreis eine Wohnung (bzw. ein Haus) der sozialräumliche Lebensmittelpunkt. Wohnen beeinflusst den Alltag von Individuen ebenso wie von Familien, die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten, die Sozialisationschancen von Kindern, Gesundheit und Wohlbefinden. Die Wohnsituation bestimmt, wie Intimität und Privatsphäre geschützt werden und wie gesellschaftliche Teilhabe realisiert werden kann.

Im Zuge der sogenannten Flüchtlingswelle von 2015 wurde durch die Wohnforschung und die Wohnpraxis ein Wohnkonzept entwickelt, dass auf alle Fragen nach dem Zusammenhalt eine vielversprechende Antwort gibt: »Integrative Wohnprojekte«. Das sogenannte »integrative Wohnen« basiert auf einem interkulturellen, moderierten und freiwilligen Zusammenwohnen von sozialen Gruppen und Personen unterschiedlicher geografischer Herkunft.

In einem Forschungsprojekt wurden bundesweit existierende oder konkret geplante integrative Wohnprojekte recherchiert. Von den 36 recherchierten Projekten wurden sechs für vertiefende Fallstudien ausgewählt und auf dieser Basis Merkmale herausgearbeitet, die ein Gelingen erst ermöglichen.

Die Ergebnisse sind in der Publikation »Zusammenhalt braucht Räume: Wohnen integriert« veröffentlicht. Für das interdisziplinäre Forschungsprojekt wurde die Methode des Case Mapping entwickelt. Sie besteht aus einer Fallanalyse (Case) und dem Zeichnen alltäglicher Wege, Treffpunkte und Raumbewegungen (Narrative Mapping) im Kontext eines Interviews. Die Kommunikation mit den Bewohnerinnen und Bewohnern aus heterogenen, interkulturellen Kontexten sollte niedrigschwellig sein. Dafür wurden nonverbale Untersuchungsinstrumente wie das Erläutern und Zeichnen in und anhand von Grundrissen und Stadtplänen eingesetzt.

Die genauer untersuchten sechs Wohnprojekte zeigen in ihrer unterschiedlichen Spezifik wichtige Merkmale, die zum Gelingen eines integrativen Wohnprojektes entscheidend beitragen. Sie unterscheiden sich in folgenden Aspekten:

  • Gebäudetyp und Architektur: Diese reichten vom ehemaligen Kloster bis zum Neubau sowie vom Einzelgebäude bis zum Quartier mit 23 Gebäuden.
  • Lage: Es gibt Projekte am Stadtrand wie auch in der Innenstadt.
  • Bewohn- und Haushaltsstruktur: Einpersonenhaushalte mit Rentnern waren ebenso dabei wie eine studentische Wohngemeinschaft und Familienwohnen.
  • Soziales Konzept: Das Zusammenwohnen war meist extern moderiert, aber es gibt auch selbstverwaltete Projekte.

Integrative Wohnprojekte zeichnen sich durch Lösungsansätze aus, die den Zusammenhalt im Gemeinwesen stärken und durch besondere architektonische Ansätze einen positiven Einfluss auf Integration haben können. Ziel dieser integrativen Wohnprojekte ist es, den Zusammenhalt in Wohngebieten zu stärken und soziale Integration auf mehreren Ebenen für Neuzugewanderte und für Ortsansässige zu schaffen.

Diese bereits in verschiedenen Kommunen entstandenen bzw. entstehenden Wohnprojekte sollen beispielgebend für andere Städte und Gemeinden sein. Statt die Konkurrenzsituation der Wohnungssuchenden zu verschärfen, entwickeln diese Lösungsansätze, um die Kohäsion im Gemeinwesen zu stärken. Anhand dieser Projekte sollen Strategien aufgezeigt werden, wie der soziale Zusammenhalt in Wohngebieten gestärkt und wie die Krise des Wohnungsmarktes produktiv überwunden werden kann.

Hierbei kommt den Integrationsleistungen von Wohnprojekten als erste Instanz der sozialräumlichen Verortung ein besonderer Stellenwert zu. Die Aktivierung sozialer und finanzieller Ressourcen zur Unterbringung von zuwandernden Menschen sowie die hohe Bereitschaft bürgerschaftlicher Initiativen, Migrant/innen bei der Integration zu unterstützen, um damit das Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft zu gestalten, zeigt, dass in der krisenhaften Umbruchsituation Potenziale für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Teilhabe gerade auch durch Wohnprojekte entwickelt worden sind. Es besteht zudem die Chance, nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, sondern auch soziale Konkurrenzen der Wohnungssuchenden durch integrative Wohnangebote abzufedern.

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