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Rechtsextremismus und Sprachkritik Wort und Totschlag

Attentate wie in Halle und Hanau, der Prozess gegen den NSU, die Rhetorik von Pegida und der AfD und nicht zuletzt auch der Mord an Walter Lübcke und die Ermittlungen wegen rechtsradikaler Tendenzen bei Polizei und KSK der Bundeswehr lassen tief in ein Milieu blicken, das in vielerlei Hinsicht vernetzt ist, doch durch seine öffentliche wie klandestine Präsenz auch monomanische Einzeltäter aufhetzt und inspiriert. Dabei wird auch die Sprache zum Schlachtfeld.

Während der Filmemacher Dirk Laabs (Der NSU-Komplex) in seinem Buch Staatsfeinde in Uniform den Marsch militanter Rechter durch die Institutionen der bewaffneten Staatsgewalt beschreibt, analysiert Martin Steinhagen in Rechter Terror dessen Strategie anhand des Mordes an Walter Lübcke. Rechtsterrorismus, so der Autor, drohe »längst nicht mehr nur aus der militanten Neonazi-Szene«, sondern entspringe »einem viel breiteren und unübersichtlichen Milieu«. Ohne solche Militanz zu unterschätzen, bleibt aber festzuhalten, dass antidemokratische Herrschaften auch aus demokratischen Wahlen hervorgehen. Während Laabs sein Buch mit einem Szenario für den ominösen »Tag X« einleitet, an dem der durch eine Katastrophe ausgelöste Zusammenbruch der staatlichen Ordnung einer verschworenen »Gruppe von Polizisten, Behördenmitarbeitern und Soldaten« die Möglichkeit zur gewaltsamen Machtergreifung bieten könnte, analysiert Martin Kraske in Tatworte die Rhetorik der Rechten und kommt zum Ergebnis: »Wir dürfen Rassismus, Häme, Hass und Ermächtigungsfantasien inklusive Gewaltandrohungen nicht mehr als Provokation abtun, sondern sollten den naheliegenden Schluss ziehen: Die meinen, was sie sagen.«

Hate Speech, die ihre Adressaten etwa in Form von Drohmails eines Absenders »NSU 2.0« auch direkt erreichte, bedroht Menschen wie die Kabarettistin Idil Baydar oder die heutige Co-Vorsitzende der Linken, Janine Wissler. Und schon der eigentliche NSU »führte lange Listen, darauf Kasernen und Waffenläden, wo man für den Tag X Waffen und Munition erbeuten konnte. Außerdem hatte die rechte Terrorgruppe Listen aufgestellt, darauf Hunderte politische Feinde und Gegner. Mit denen wollte man am Tag X – und danach – abrechnen«.

Polizei und Justiz haben sich bei der Verfolgung von Hate Speech bislang eher schwergetan. Zum einen, so Laabs, waren die Adressen der Bedrohten zuvor »auf Polizeirevieren in Wiesbaden, Berlin und Hamburg abgerufen« worden. Zum anderen hat sich die Erkenntnis noch nicht durchgesetzt, dass böse Worte mehr als bloße Beleidigungen und üble Nachrede seien (was immerhin Zivilklagen ermöglicht), sondern auch schwerste gesundheitliche Schäden verursachen können. Während Kraske die »Tatworte« in Hinblick auf die Schäden untersucht, die sie der politischen Kultur zufügen, sind Krankenkassen schon weiter. So hat die Barmer auf ihrer Internetseite ein Interview mit Anna-Lena von Hodenberg veröffentlicht, der Gründerin von »Hate Aid«, einer Organisation, die Opfern von Hassrede hilft, die Täter vor Gericht zu bringen. Zudem widmet sie dem Thema einen ausführlichen Artikel samt Ratschlägen bei der Konfrontation mit Hate Speech.

»Digitale Gewalt«, sagt die Interviewte, »hat für Betroffene ganz reale Folgen, die wir jeden Tag in der Beratung sehen: Schlafstörungen, Panikattacken, Depressionen bis hin zu Suizid«. Man kann das wohl, je nach Ausmaß, als vorsätzliche, ja im Extremfall als besonders schwere oder gefährliche Körperverletzung interpretieren, mithin als Verbrechen, die – anders als Beleidigung, Bedrohung oder Verleumdung – nicht allein zivilrechtlich, sondern strafrechtlich zu verfolgen und zu ahnden wären.

Dafür, wie die gewaltbereite Rechte sogar Äußerungen umdeutet, ist der Mordfall Lübcke ein erschreckendes Beispiel. Der Kasseler Regierungspräsident war während einer Veranstaltung zur Asylpolitik ins Visier seines späteren Mörders geraten. Auf einer Bürgerversammlung zur Flüchtlingskrise sagte er, es »lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist, das ist die Freiheit eines jeden Deutschen«. Schon bald sei davon ein Videoausschnitt ins Netz gestellt worden mit dem Kommentar: »Deutscher Politiker ›wer die Werte des Grundgesetzes nicht vertreten will, kann Deutschland verlassen‹. Er meint aber, wem es nicht passt, dass illegale Einwanderer angesiedelt werden, kann Deutschland verlassen.« Aus Lübckes von Martin Steinhagen ausführlich wiedergegebenem Plädoyer für das Asylrecht, worin er sich ausdrücklich gegen illegale Einwanderung ausgesprochen hatte, sei durch diese Verkürzung und Interpretation ein Beleg für die rechte »Umvolkungs«-These gemacht worden.

Dass ein Appell, für die Werte der Demokratie einzutreten und Toleranz und Nächstenliebe zu praktizieren, so umgedeutet werden konnte, setzt ein erhebliches Grundmisstrauen in Politik und Verwaltung der Bundesrepublik voraus. Um etwa den Modeausdruck »Framing« zu erläutern und zu zeigen, wie die Rechte ihre Verschwörungsfantasien vom »großen Bevölkerungsaustausch« damit unters Volk bringe, führt Kraske aus: »Der Begriff ›Flüchtlingswelle‹ weckt beispielsweise das apokalyptische Bild einer Naturkatastrophe und entmenschlicht Individuen. Menschen werden zu einer amorphen, bedrohlichen Masse degradiert.« Die konkrete Flüchtlings-»welle« aber, um die es hier wohl geht, wurde weder durch ein göttliches Strafgericht noch durch eine Naturkatastrophe ausgelöst, sondern durch den Syrienkrieg, der Millionen von Menschen tatsächlich und nicht nur bildlich »entmenschlicht«.

Indem Kraskes gut gemeinte Sprachkritik das Bild einer Flüchtlingswelle als »Framing« der Rechten zu entlarven sucht, wendet sie aber auch den Blick von der schrecklichen Wirklichkeit dahinter ab. Und es geht auch nicht allein nur um Begriffe wie das »rassistische N-Wort«, sondern immer auch um das, was man mit ihnen anstellt.

Ein polnisches Gegenstück zur rechten Demagogie bei uns beschreibt die Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum in ihrem Buch Die Verlockung des Autoritären: Sie, Korrespondentin großer englischsprachiger Zeitungen, und ihr Mann, zeitweiliger polnischer Außenminister, hatten zu einer Sylvesterparty zur Jahrtausendwende vor allem konservative und antikommunistische Kollegen und Freunde versammelt, die man damals als »Rechte«, aber auch als »Liberale« hätte bezeichnen können. Damals habe man sich bestens verstanden. »Gut zwei Jahrzehnte später würde ich die Straßenseite wechseln, um einigen der Gäste unserer damaligen Silvesterparty aus dem Weg zu gehen.« Wo damals Aufgeschlossenheit geherrscht habe, regierten heute Homophobie, Antisemitismus, Opportunismus und die Verachtung von Recht und Demokratie. Polen ist keine Ausnahme, wie die Beispiele Ungarns und teils sogar die britischen Brexiteers zeigen. Applebaums Buch lädt dazu ein, dies mit deutschen oder dänischen Erfahrungen zu vergleichen.

Andererseits hat es bei einigen Reizthemen wie deutsche Militäreinsätze, Gleichberechtigung, Abtreibung, Homosexualität, Atomkraft, Zuwanderung hierzulande Entwicklungen gegeben, die Konservativen der 60er Jahre als linke Hirngespinste erschienen wären und die auch Linke nicht für möglich gehalten hätten. Nicht etwa, weil Linke und Grüne seitdem so enorm an Zuspruch gewonnen hätten, sondern weil viele Konservative schon aufgrund wachsender Mobilität und Akademisierung erfolgreiche Lernprozesse durchgemacht und die normative Kraft des Faktischen anerkannt haben. Man kann hier eher von pragmatischer Liberalität oder von einer Tolerierung zur Konfliktvermeidung als von einem wirklichen Wandel der inneren Einstellungen sprechen. Noch einfacher gesagt: Der viel beschworene gesellschaftliche Konsens beruht auf einer Reihe von Kompromissen, die an gewisse Erfolgserlebnisse und positive Lerneffekte gekoppelt, aber keineswegs in Stein gemeißelt sind. So habe die EU zwar auch konservativen Briten Vorteile gebracht, aber am Ende waren es nicht die, die sie mit »ihrem« England verbanden.

Als in den 90er Jahren immer mehr Dänen merkten, dass es, wie ein durchaus welterfahrener Unternehmer damals sagte, »bei uns Viertel gibt, wo gar kein Dänisch mehr gesprochen wird«, erodierte die altvertraute dänische Liberalität zusehends. Autoritäre Kräfte in der EU und den USA haben gezeigt, dass es an geeigneten Sanktionsmitteln fehlt, wenn Staatsführungen sich nicht an die demokratischen »Spielregeln« halten. Liberalität und Toleranz beruhen noch immer auf einem sehr labilen Konsens. Und gerade die Beispiele von politischem Sprachmissbrauch und gewollten Missverständnissen zeigen, dass Politik und Sprache auch einer gewissen Mehrheitssensibilität bedürfen, um diesen Konsens zu bewahren und zu stabilisieren.

Anne Applebaum: Die Verlockung des Autoritären. Warum antidemokratische Herrschaft so populär geworden ist. Siedler, München 2021, 208 S., 22 €. – Michael Kraske: Tatworte. Denn AfD & Co. meinen, was sie sagen. Ullstein, Berlin 2021, 160 S., 14 €. – Dirk Laabs: Staatsfeinde in Uniform: Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern. Econ, Berlin 2021, 448 S., 24 €. – Martin Steinhagen: Rechter Terror. Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt. Rowohlt, Hamburg 2021, 240 S., 18 €.

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