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© picture alliance / Zoonar | Alexander Limbach

Wie Künstliche Intelligenz die Arbeitswelt verändertZeit für einen Wandel

Künstliche Intelligenz (KI) ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Wir entsperren unsere Smartphones per Gesichtserkennung, nutzen Sprachdienste wie Alexa und Siri für unser Smart Home, bestellen Waren in hochgradig vernetzten Onlineshops, nutzen Navigationsdienste für die Fahrt in den Urlaub, Saug- und Mähroboter helfen im Haushalt und Garten.

An vielen Stellen entsteht einerseits durch moderne KI-Anwendungen ein Zugewinn an Komfort und Geschwindigkeit, andererseits deuten sich die (negativen) Effekte für die Arbeitswelt bereits an. Die Befürchtung besteht, dass Beschäftigte nahezu aller Branchen und diverser Tätigkeitsprofile in naher Zukunft um ihre Jobs bangen müssen. An Hiobsbotschaften mangelt es jedenfalls nicht. Aufsehen erregte vor allem die Studie von Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne aus dem Jahr 2013 (The Future of Employment: How susceptible are Jobs to Computerisation) sowie der Forschungsbericht der Bundesregierung von 2015, welcher die Erkenntnisse auf Deutschland übertrug.

Es gibt bis dato keine einheitliche Definition Künstlicher Intelligenz, was vor allem damit zu tun hat, dass es sich weniger um eine einzelne Technologie, sondern um unterschiedliche Bündel technologischer Anwendungen handelt, wie zum Beispiel Sensorik, maschinelles Lernen und nicht zuletzt Big Data. Außerdem ist zwar der Begriff nicht neu (John McCarthy prägte ihn 1956) und auch die wissenschaftliche Beschäftigung damit begann vor vielen Jahrzehnten – vor allem in der Mathematik und Informatik. Dass wir es aber mit komplexen Systemen zu tun haben, zu denen man per se einen interdisziplinären Zugang benötigt, wurde erst spät erkannt und strukturell abgebildet. KI bleibt vorerst ein eher wirtschaftlich geprägtes Thema, dabei existieren auch im Jahr 2022 erst wenige Lehrstühle an deutschen (Fach-)Hochschulen.

Eine praktikable und vor allem verständliche Definition könnte so lauten: »Künstliche Intelligenz ist die Automatisierung von Tätigkeiten, die zuvor nur Menschen ausüben konnten.« Nicht mehr und nicht weniger beabsichtigen die entwickelnden Organisationen von KI. Täglich erscheinen neue Lösungen im Softwarebereich, die im weiteren Sinne Künstliche Intelligenz einsetzen.

Sprachassistenzen wie die bereits erwähnten Alexa (Amazon Echo), Siri (Apple), Cortana (Microsoft), Google Assistant (Alphabet) und viele mehr setzen natürliche Spracherkennung ein und sind darin inzwischen durchweg erfolgreicher als Menschen – und schneller und günstiger. Ob ich als Anwender:in meine Musikanlage damit steuere oder einen Tisch im Restaurant reserviere, macht aus meiner Perspektive keinen Unterschied; aus der des Restaurantbetreibers schon.

Es ist unübersehbar, wie sehr die Marktmacht der großen, US-amerikanischen und chinesischen Konzerne die globale KI-Landschaft prägen. Von Apple, Amazon und Alphabet (Google) über IBM, Intel und Microsoft zu Alibaba, Tencent und JD.COM wurden in der letzten Dekade jährlich erheblich mehr Investitionen in KI getätigt als vom Großteil der DAX-Konzerne zusammen, was sich auch in der Unternehmensbewertung widerspiegelt. Grundlagenforschung aus Europa ist zwar nach wie vor stark ausgeprägt, die Monetarisierung der Technologien geschieht jedoch in anderen Teilen der Welt – schön für die User, desaströs für die Wertschöpfung und den Fiskus.

Andere Anwendungen der Sprach- und vor allem Stimmenanalyse zielen auf den Gesundheitsbereich. So können einige Smartphone-Apps beispielsweise am Husten einer Person erkennen, ob es sich um eine Erkältung, eine Bronchitis oder eine COVID-Infektion handelt. Der Hausarzt steckt im Smartphone! Und blicken wir auf eine der wohl bekanntesten KI-Anwendungen, die selbstfahrenden Fahrzeuge, werden wir auch hier feststellen: Es handelt sich um ein Zusammenspiel aus Sensorik (Kameras, Radar, Lidar [optische Abstands- und Geschwindigkeitsmessung] u. v. m.) und einem sehr schnellen Computer, der wiederum Lenkrad, Gaspedal, Bremse, Blinker und dergleichen steuert.

Das Prinzip ist immer vergleichbar: Realität wird in Daten übersetzt, aus welchen Computersysteme dann Muster erkennen sollen, die wiederholt auftreten. Natürlich finden die Computer das nicht allein heraus, sondern werden von Data Scientists und anderen Berufsbildern schrittweise darauf trainiert.

Spätestens an diesem Punkt sollte deutlich geworden sein, dass der Begriff »Künstliche Intelligenz« irreführend ist. Auch wenn die maschinellen Automatisierungsprozesse faszinierend sind – intelligent sind sie nicht, zumindest nicht im Vergleich mit biologischen Lebewesen. Hinzu kommt, dass sie weniger künstlich sind, als allgemein angenommen wird. Bevor ein KI-System funktioniert, müssen sich zahlreiche intelligente Menschen damit befassen, Regeln definieren und den Datenfluss gewährleisten. Entsprechend besteht schon heute ein riesiger Fachkräftemangel in der KI-Entwicklung.

Aktuelle KI-Anwendungen

Auch wenn KI also nicht intelligent ist, so ist sie doch in einigen Tätigkeiten besser als der Mensch. Das Besondere an der laufenden digitalen Revolution ist, dass dieses Mal – anders als etwa bei der Einführung von Dampfmaschinen, Webstühlen oder Fließbändern – nicht ausschließlich die körperlichen Tätigkeiten der Menschen automatisiert werden, sondern auch intellektuelle beziehungsweise kognitive Prozesse. Kaum eine Branche verzichtet gänzlich darauf, potenzielle KI-Anwendungen zu erforschen oder bereits anzuwenden; auch gängige Computerprogramme für Büroumgebungen arbeiten in Teilen mit KI.

Die großen Hebel für einen Beschäftigungseffekt liegen aber auf anderen Gebieten, beispielsweise der Medizin. Da künstliche Intelligenz insbesondere für die schnelle Auswertung großer Datenmengen geeignet ist, haben Forschende schon vor rund zehn Jahren erste Prototypen entwickelt, um automatisiert bildgebende Verfahren in der Radiologie (Röntgen, MRT, CT und dergleichen) effizienter zu gestalten. Seit 2014 sind erste Programme zur medizinischen Diagnoseunterstützung verfügbar.

Gleichzeitig gibt es Smartphone-Apps zur allgemeinen Anamnese oder spezieller Untersuchungen wie beispielsweise zur Hautanalyse auf Hautkrebs. Diese können zwar keine abschließenden Empfehlungen geben, jedoch die Spreu vom Weizen trennen, das bedeutet einen Hautkrebsbefund von einem gewöhnlichen Leberfleck unterscheiden und auf diese Weise Arztbesuche und Ängste reduzieren. Durch Text- und Spracherkennung wachsen darüber hinaus die Möglichkeiten, den Dokumentationspflichten sowohl im Gesundheitsbereich als auch auf anderen Berufsfeldern, wie etwa der Justiz, effizienter nachzukommen.

Andere Anwendungen der Textverarbeitung kommen etwa in Redaktionen zum Einsatz. Große Medienhäuser setzen längst Systeme ein, um strukturierte Daten, wie Wetter- oder Sportberichte, automatisiert erzeugen zu lassen. Mithilfe des Open-KI-Projekts »GPT« lassen sich Texte beliebiger Länge erzeugen, was sogar die Kreativbranche beunruhigt – Songtexte, Romane, Drehbücher, aber auch Hausarbeiten von Studierenden wurden so bereits erstellt. Die Filmindustrie geht noch weiter und erprobt den Einsatz von KI-Software wie StarGAN, um realitätsgetreue Produktionen zu automatisieren: ohne Set, ohne Schauspieler:innen oder Maske.

Und last but not least kommt KI auch in der produzierenden und verarbeitenden Industrie verstärkt zum Einsatz. Weitgehend autonome Roboter ergänzen oder ersetzen hier inzwischen auch komplexe Abläufe, setzen Bestandteile zusammen, prüfen die Materialqualität, befördern Waren und Güter über das Werksgelände (Intralogistik). An vielen Stellen handelt es sich um kollaborative Systeme, sogenannte Cobots, die (noch) auf die Zuarbeit von oder Kontrolle durch menschliche Beschäftigte angewiesen sind.

Anpassung an die neue Realität

Es zeichnet sich bereits heute ab, dass sowohl Software- als auch Robotersysteme in den nächsten Jahren weiter und umfassender zum Einsatz kommen werden. Wann genau autonome Fahrzeuge auf den Straßen Menschen und Waren befördern, ist dabei nicht die zentrale Frage. Wichtiger ist, Beschäftigte und Organisationssysteme frühzeitig darauf vorzubereiten.

Die deutsche Wirtschaft hat mit dem Mittelstand ein starkes Fundament. Der glänzt zwar durch hohe Qualität und Stabilität, ist jedoch nicht für seine Wendigkeit oder Geschwindigkeit in der Anpassung an externe Faktoren bekannt. Die erste Phase der Digitalisierung wurde bis heute weitgehend verschlafen, mit der Folge, dass die Früchte der Plattformökonomie in anderen Teilen der Welt geerntet wurden. Die aktuelle Phase der Digitalisierung ist vor allem durch das Internet der Dinge geprägt, durch Industrie 4.0 und eine bessere Regulierung im Web, um einerseits Cyberkriminalität jedweder Form konsequenter strafrechtlich verfolgen zu können und andererseits hohe Datenschutzstandards zu gewährleisten.

Zu lange herrschte Unklarheit sowohl über technologische Möglichkeiten als auch rechtliche Hürden beim Einsatz von KI. Inzwischen sind die wichtigsten Anwendungsfälle bekannt und teilweise auf dem Markt verfügbar und auch die Rechtsprechung gibt einen klaren Rahmen vor, wenn Arbeitgeber beispielsweise KI-Anwendungen im Personalwesen einsetzen wollen oder Predictive Policing einsetzen möchten, um mögliche kriminelle Handlungen ihrer Beschäftigten vorzeitig erkennen und verhindern zu können. Inzwischen ist auch die Bevölkerung offener für eine Nutzung von künstlicher Intelligenz in relevanten Bereichen – selbst um den Preis, dass dadurch einige Tätigkeiten wegfallen. Es werden neue hinzukommen, so viel steht fest.

Angesichts des demografischen Wandels, der in den meisten Ländern des globalen Nordens den Fachkräftemangel einiger Branchen längst zu einem allgemeinen Arbeitskräftemangel forciert hat, müssen Arbeitsmärkte auf Automatisierung setzen. Selbstverständlich müssen die Beschäftigten bei einschneidenden Transformationen über die jeweiligen Mitbestimmungsstrukturen (wie Betriebsrat und Gewerkschaft) eingebunden werden.

Aus Sicht der Zukunftsforschung ist es aber wenig ratsam, den Wandel grundsätzlich zu blockieren; damit zögert man den Prozess der schöpferischen Zerstörung (Joseph Schumpeter) nur hinaus und blockiert die Innovationskraft, wie es am Beispiel der E-Mobilität im Automobilsektor gerade schmerzlich geschieht. Es ist vielmehr an der Zeit, umfangreiche Fortbildungs- und Umschulungsprogramme auf den Weg zu bringen. Hierzu existieren bereits vom Bund geförderte Kompetenzzentren sowie regionale Zusammenschlüsse von Kammern, Innungen, Bildungsträgern und Arbeitsagenturen.

Künstliche Intelligenz birgt das Potenzial, umfangreich und flächendeckend Arbeitsplätze zu ersetzen; in anderen Bereichen der Wirtschaft entstehen jedoch zahlreiche neue Stellen. Diese Transformation kann nur gelingen, wenn Arbeitgeber, Beschäftigte und (Weiter-)Bildungsträger zusammenarbeiten und sich mit den »neuen« Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Durch reine Ablehnung wird sich das Problem sicher nicht in Luft auflösen. Hier ausschließlich von der Politik kreative Lösungsansätze zu erwarten, greift aber zu kurz: Die Fördermittel stehen bereit, müssen jedoch von der Gesellschaft und der Wirtschaft sinnvoll eingesetzt werden.

Ja, der Arbeitswelt stehen turbulente Zeiten bevor. Nicht alle Beschäftigten werden diese Transformation begrüßen, viele Unternehmen werden sie nicht überleben. Es droht ein Massensterben der Betriebe, die mit der multiplen Transformation (Demografie, Digitalisierung, Klimakrise) überfordert sind. Angesichts der Vielzahl globaler Krisen steht nicht »nur« der Arbeitsmarkt unter Druck, sondern ein gesamtes Wirtschafts- und Finanzsystem wird infrage gestellt. Mit den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen ist zwar die Vision formuliert, doch der Weg dahin muss von allen beschritten werden. Die Ideen für eine Neugestaltung der Wirtschaft reichen von Ansätzen der Kreislaufwirtschaft bis zur sogenannten Donut-Ökonomie, die alles wirtschaftliche Handeln und Planen auf menschliches Wohl und planetare Grenzen fokussiert. Für die Übergangsphase ist mit einer regelrechten Umschulungsrevolution zu rechnen, die bereits 2020 vom Weltwirtschaftsforum angeregt wurde und wohl oder übel von staatlichen Institutionen finanziert werden dürfte.

Wir sollten häufiger über potenzielle Zukunftsbilder, zukünftige Entwicklungen oder Visionen sprechen. Denn nur wer die (wahrscheinlichen) Entwicklungen antizipiert, wird einen Teil der Zukunft gestalten können, ohne von Umbrüchen überrascht zu werden.

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