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Zum politischen Beuys

100. Geburtstag und 35. Todestag. Zum Joseph-Beuys Jahr 2021 interviewte Klaus-Jürgen Scherer Klaus Staeck, den ehemaligen Präsidenten der Berliner Akademie der Künste, Plakatkünstler, Grafiker und Verleger, der zwei Jahrzehnte mit Beuys gearbeitet hat.

NG FH: Lieber Klaus Staeck, lass uns einen Blick auf den politischen Beuys werfen. Eine bedeutende Losung von ihm lautete »Kunst gleich Kapital«. Das ist doch kapitalismuskritisch gemeint? Kann man sagen, dass es ihm um Gesellschaftsveränderung durch Kunst ging?

Klaus Staeck: Ja, auf jeden Fall, wenn man den Kunstbegriff nicht auf das Malen von Ölbildern begrenzt. Beuys wollte im weiten Sinne eine andere Politik. Das Wort Selbstbestimmung spielte in seinem Sprachschatz eine große Rolle: Er nutzte die Kunst für die Verbreitung seiner Ideen. Multiples – also seriell hergestellte Objekte, Plakate, Postkarten waren für ihn Transportmittel, weniger Produkte für Sammler und Kunstmarkt. Ich habe ja viele Postkarten mit seinen Texten verlegt. Es gibt eine mit dem Satz »Hiermit trete ich aus der Kunst aus«, womit er die traditionelle Kunst meinte. Wir wollten den Kunstbetrieb verändern. So planten wir mit Heinrich Böll die Gründung einer Freien Schule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung. Ich habe mich der gleichen Idee verschrieben, mit Kunst die Menschen sensibel zu machen für die gesellschaftlichen und damit ihre eigenen Probleme.

NG FH: So wollte Beuys die Kunst von ihrem elitären Sockel holen und verstand seine Aktionskunst eben sehr politisch, als soziale Praxis. Was hieße das, heute kulturell in seinem Geiste weiterzumachen?

Staeck: Ich würde seine ökologischen Aktionen nennen, gerade wenn ich an die in dieser Richtung aktiven jungen Leute denke. Zum Beispiel die 7.000 Eichen, die er im Stadtgebiet von Kassel, beginnend auf der documenta 1982, gepflanzt hat und dann fortsetzend hat pflanzen lassen. Das ist eine klassische Beuys-Aktion, die nun alles andere als elitär ist. Das ist ein praktischer Beitrag zur Verbesserung der Umwelt und nicht nur Gerede. Dann hat er in Hamburg in einer Aktion die Bepflanzung der völlig verseuchten Rieselfelder angeregt und so weiter. Es ging Beuys immer um Öffentlichkeit, er hat stets den Weg zu den Menschen gesucht. Insoweit war er ein unermüdlicher Übersetzer. Er hat Kunst selber nie als elitären Begriff zelebriert, sondern die Aktionen waren auf das Publikum gerichtet – und dienten deshalb nicht nur als Wandschmuck, um es etwas salopp zu formulieren. Sondern Kunst als Lebenselixier, als eine Möglichkeit, auch eigene Kreativität einzubringen, ohne dass man gleich zum Künstler werden muss.

NG FH: Aber heute findet sich doch auch Manches in Museen wie dem Hamburger Bahnhof in Berlin...

Staeck: Ja, es gibt in den Museen viele Utensilien seiner Aktionen. Aber vor allem auch wunderbare frühe Zeichnungen, die ihre Lebendigkeit behalten haben, wie es kaum andere Werke schaffen. Er war ja auch Lehrer an der Kunstakademie Düsseldorf, bis er, weil er alle aufnehmen wollte, – auch von den Kollegen im Stich gelassen – schließlich entlassen wurde. Für mich war er ein Universalkünstler. Er war jemand, der auf die Menschen zuging. So hat er 1972 während der documenta 5 ein Büro eröffnet, war die ganzen 100 Tage anwesend und hat mit den Besuchern diskutiert. Wer setzt sich sonst dem so aus? Wir haben 1974 die erste gemeinsame Reise durch Amerika gemacht. An Akademien in New York, Chicago und Minneapolis hielt er Vorlesungen, während er nur auf großen Tafeln seine Weltanschauung vermittelte.

NG FH: Apropos Weltanschauung, die Partei Die Grünen versuchen den ökologischen Schamanen Beuys für sich zu vereinnahmen. Ist das berechtigt?

Staeck: Er war Ökologe, bevor es die Grünen überhaupt gab und setzte deshalb zunächst seine ganze Hoffnung auf die Partei Die Grünen, war auch ihr Mitglied. Kurz vor seinem Tod gab er der Kölner Boulevardzeitung Express ein interessantes Interview. Dort sagt er, die Grünen sind doch eine stinknormale Partei geworden, mit denen bin ich fertig. Sie hätten eine Bewegung bleiben sollen. Die Überschrift damals: »Vor Austritt bei den Grünen? Joseph Beuys.« Das wird die Grünen aber sicher nicht hindern, ihn heute als ihren großen Ahnen zu betrachten – ich sage einmal: frech, wie sie sind. Für mich war seine Distanzierung wichtig, weil ich als alter Sozialdemokrat nicht bereit war, ihm zuliebe seinerzeit zu den Grünen zu wechseln. Deshalb kam es zwischen uns zu einem großen Streit, weil er derart intensiv auf die Aktivitäten der grünen Partei gehofft hatte. Als aber die Grünen zum ersten Mal für den Bundestag kandidierten, wurde er bei der Aufstellung der Kandidatenlisten während einer Delegiertenkonferenz auf einen aussichtslosen Platz gewählt. Das hat ihn tief verletzt. In dem Film von Andres Veiel wird anschaulich gezeigt, wie er auf dem Grünen-Parteitag »wie ein Hase« in einer Ecke sitzt. Er war einfach maßlos enttäuscht, was aus den Grünen geworden war. In einer Düsseldorfer Stadtzeitung war zu lesen: »Der Beuys war gut für den Anfang, um Aufmerksamkeit für die Grünen zu schaffen. Aber jetzt, wo sie in den Bundestag wollen, ist er eher störend«.

NG FH: Dabei war Beuys doch ein so freundlicher und offener Mensch.

Staeck: Das war er zweifellos. Was für mich wichtig war, ich habe mit keinem Menschen so viel gelacht wie mit ihm. Er passte auch nicht in das Klischee des doktrinären Weltverbesserers, sondern er wollte, dass die Menschen lachen; aber nicht im Sinne von Auslachen, sondern über die Verhältnisse und diese dabei verändern. Das Verändern war für ihn ganz wichtig, deshalb ist er ja auch einst von der Akademie entlassen worden.

So treibt ja das Umweltthema auch mich seit 50 Jahren um. Die Probleme sind nur zu lösen durch Solidarität nicht nur unter den Menschen, sondern auch mit der Natur, mit den Tieren, die unter uns leiden, mit den Wäldern – da war Beuys nicht nur Theoretiker, sondern einer, der in seiner Kunst ganz praktisch dachte und handelte.

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