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Zur Globalisierung von Anti-Gender-Politiken

Öffnet man auf dem Computer ein beliebiges soziales Medium oder liest einen beliebigen Zeitungsartikel, der das Wort »Gender« im Titel trägt, so wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Kommentare stoßen, die von Spott über heftige Wut bis hin zu strafrechtlich relevanten Äußerungen das Kontinuum aller denkbaren negativen Reaktionen auf das Reizwort Gender repräsentieren. Auch das Feuilleton ist voll von Texten, die darüber debattieren, ob es zu wenig, zu viel, gar keinen Feminismus gäbe oder ob »alte weiße Männer« die Krone der Schöpfung oder eine gesellschaftlich-diskursive Bürde darstellen. Politisch wird dieser Diskurs nicht nur, aber insbesondere durch die AfD in die Parlamente getragen.

Deutlich wird jedenfalls eines: Um den Begriff und die Bedeutung von »Gender« ist ein heftiger politischer Kampf entbrannt. Weniger sichtbar sind hingegen die diskursiven Voraussetzungen dieses Kampfes. Während es einerseits so aussieht, als würden sich auch Akteure aus der »Mitte der Gesellschaft« und abseits der Extreme der »Genderkritik« widmen, lassen sich andererseits politische Akteure der neuen und alten Rechten sowie des christlichen Fundamentalismus beobachten, die eine klar umrissene kommunikationspolitische Agenda verfolgen. Es handelt sich also um eine Gleichzeitigkeit von spontaner und strategischer Kommunikation, was es nicht leichter macht, den Sachverhalt zu analysieren. Die Akteure, die Gender gezielt als Thema von Gesellschaftskritik in öffentliche Arenen lancieren – blickt man zum Beispiel auf die Anschlussfähigkeit von Genderkritik bis in progressive Milieus hinein – scheinen jedenfalls recht erfolgreich zu sein. Es ist sogar genau diese Anschlussfähigkeit an die sogenannte »Mitte« der Gesellschaft, die das Thema der Genderkritik für die Politik der Populisten und der Neuen Rechten so interessant macht. Mehr noch: Mit Genderkritik »bekommt man sie scheinbar alle«. Es lassen sich liberale, konservative, christliche – aber auch rechtsextreme und völkische Milieus ansprechen, was es auch einer Perspektive politischer Kommunikation so attraktiv macht, gerade dieses und nicht andere Themen stark zu machen, um die »Mitte« für fundamentalistische und rechte Politiken zu desensibilisieren.

Folgerichtig agitiert die rechtspopulistische AfD seit einigen Jahren gegen »den Genderwahn«. Im Laufe ihrer Geschichte ist die Partei dabei immer mehr ins Fahrwasser fundamentalistisch-christlicher Argumentation geraten, die in ihrer reaktionären Gestalt weit über das hinaus geht, was sich konservative Positionen der letzten Jahrzehnte familien- und geschlechterpolitisch wünschten. Während die junge AfD nach ihrer Gründung noch ein liberal-konservatives Familien- und Geschlechterbild propagierte, findet sich inzwischen in der Programmatik eine eindeutig reaktionäre Sicht auf Politiken, die Geschlecht und Gender betreffen.

Ab dem Jahre 2011 wurde der »Kampf gegen den Gender-Wahn« in Social-Media-Kampagnen der AfD aufgegriffen, stellte aber noch keinen programmatischen Konsens dar. Mit jedem Führungswechsel wurde das Thema stärker in der Organisation verstetigt. Im Programm zur Bundestagswahl 2017 wird schließlich das Bild eines aussterbenden (»bio«-)deutschen Volkes gezeichnet. Dahinter steht das Schreckensbild einer heterogenen Gesellschaft, in der Nicht-Deutschstämmige mehr Kinder bekommen als ethnisch »eindeutige« Deutsche: »Die dramatische Zunahme der Ehe- und Kinderlosigkeit und das Verschwinden normaler mittelgroßer Familien – von den etablierten Parteien längst als alternativlos hingenommen – sorgen für eine Schrumpfung unserer angestammten Bevölkerung um mehr als 250.000 Personen pro Jahr, mit stark steigender Tendenz. Die AfD stemmt sich gegen diesen Trend zur Selbstabschaffung und will Deutschlands Gesellschaft von Grund auf familien- und kinderfreundlicher gestalten.«

Folgerichtig wünscht sich die AfD daher, das Ziel »Erhalt des Staatsvolkes« in das Grundgesetz aufzunehmen. Aber auch Themen wie Abtreibung, Homo-Ehe und Aufklärungsunterricht in der Schule sind Themen, die im Bundestagswahlkampf eine Rolle spielten. Die Partei fordert im Kampf gegen die »Gender-Ideologie« auch das Aus für Forschung in diesem Bereich: »Die Gender-Ideologie marginalisiert naturgegebene Unterschiede zwischen den Geschlechtern und stellt geschlechtliche Identität in Frage. Sie will die klassische Familie als Lebensmodell und Rollenbild abschaffen.«

Des Weiteren müsse die »Steuerverschwendung durch die Genderforschung« beendet werden: »Die ›Gender-Forschung‹ ist keine seriöse Wissenschaft, sondern folgt der ideologischen Vorgabe, dass das natürliche Geschlecht (Sex) und das soziale Geschlecht (Gender) voneinander völlig unabhängig seien. Ziel ist letztlich die Abschaffung der natürlichen Geschlechterpolarität. Bund und Länder dürfen keine Mittel für die ›Gender-Forschung‹ mehr bereitstellen und keine ›Gender-Professuren‹ mehr besetzen.«

Was hier beschrieben wird, geht über ein konservatives Familienbild weit hinaus, insbesondere da völkische Argumentationen und Familienpolitik miteinander verquickt werden. Dabei wird eine kulturelle Gegnerschaft aus Gender-Forschung, feministischer Politik und Sozialismus entworfen, die für den schlimmen Zustand der deutschen Gesellschaft verantwortlich zu machen wären. Nicht materielle Gründe, nicht der Kapitalismus oder auch der Individualismus wären verantwortlich für den »Niedergang der deutschen Familie«, sondern spezifische Gruppen, die mit einem Masterplan der Liberalisierung der Sexualität und der Familie Politik betrieben. Um dieses Bild zu plausibilisieren ist es notwendig, Gegner wie die (im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Feldern winzigen) Gender Studies besonders machtvoll darzustellen und ihren politischen Einfluss maßlos zu übertreiben.

Blickt man nun über den nationalen Rahmen hinaus, so finden sich die Argumentationen der AfD 1:1 in Papieren der »Agenda Europe« wieder, einem nicht-öffentlich operierenden Netzwerk von Pro-Life-Aktivist/innen und Strategieberater/innen. Ziel dieses Netzwerkes ist die Ausarbeitung »erreichbarer Ziele« von »Pro-Life-Strategien« zum Beispiel zur Erreichung von Anti-Abtreibungsgesetzgebung. Bereits erzielte Erfolge in Nationalstaaten werden analysiert und hinsichtlich ihrer möglichen Übertragbarkeit auf andere Staaten diskutiert. Die Struktur der Agenda Europe bilden jährliche Treffen von ca. 100–150 Organisationen und Gruppen, ein Blog und ein Manifest unter dem Titel Restoring the Natural Order. An Agenda for Europe.

Die Treffen finden unter der Bedingung der Verschwiegenheit statt und wurden erst 2017 bekannt, als ein Whistleblower dort verwendete Dokumente an den Fernsehsender Arte weitergab. In den Papieren der Agenda Europe finden sich alle bereits im Programm der AfD diskutierten Punkte, es geht aber noch weiter. Homosexualität soll bekämpft werden, Pädophilie und Homosexualität werden als Konsequenz von Verhütungsmitteln diskutiert. Verhütung wird zudem als grundsätzlich verwerflich diskutiert, sie sei nur im Falle von Prostitution oder im Falle der Gefahr, in einem Krieg vergewaltigt zu werden, überhaupt zulässig.

Die Agenda Europe beschreibt religiöse Menschen als Opfer einer neuen Kulturrevolution und beschreibt subversive Strategien, dieser Revolution zu begegnen. Die Lektüre dieses Papiers ist deshalb so spannend, weil sich hieraus erklären lässt, dass die AfD auch mit für den deutschen Raum sehr abwegigen politischen Vorstößen – wie einer Abschaffung der Schulpflicht oder der Pflicht deutscher Frauen zum Gebären von Kindern – auf sich aufmerksam machte. Es geht hierbei eben nicht darum, Mehrheiten zu generieren, sondern darum, eine fundamentalistisch-christliche Klientel anzusprechen und deren finanzkräftige wie auch strategisch gut aufgestellte Unterstützungsnetzwerke zu aktivieren.

Ein Blick auf die internationale Situation, der hier mit dem Beispiel der Agenda Europe eingeführt werden sollte, ist deshalb so wichtig, weil radikale Christen in Deutschland nur selten als politisch potente und strategisch kluge Gruppierung ernst genommen werden. Das Manifest der Agenda Europe zeigt, dass auch solche Gruppierungen politische Strategien entwickeln und mit Erfolg durchsetzen können. Wir haben es mit nicht weniger als einer »Anti-Choice-Internationalen« zu tun, die weitestgehend aus der Anonymität heraus und finanziell sehr gut aufgestellt operiert. Zu den Finanziers gehören Gruppierungen innerhalb der katholischen Kirche, russische Oligarchen und Aristokraten.

Die Verwobenheit von nationalen politischen Akteuren und internationalem Anti-Choice-Aktivismus macht deutlich, dass die internationale Anti-Choice-Bewegung mit Erfolg ihre Themen in nationale Publika einbringen kann. Anti-Gender-Politiken finden nicht im nationalen Raum statt sondern auf dem Parkett einer Weltgesellschaft. So rückwärtsgewandt die Ziele der Anti-Choice-Aktivist/innen klingen mögen: In ihrer Herangehensweise an politische Kommunikation sind sie Kinder des 21. Jahrhunderts. Sie analysieren nationale Politiken und beraten »ihre« nationalen Vertreter/innen dahingehend, welches Vorgehen in einer spezifischen politischen Situation sinnvoll und gangbar ist, sammeln Ideen für Kampagnen und finanzieren diese. Im deutschen Sprachraum scheint es vor allem die Einführung von Gender als Reizbegriff kulturkritischer Debatten – und das auch weit abseits der Rechten – zu sein, die sich diese Bewegung auf die Fahnen schreiben kann. Mit dem Lustigmachen und Echauffieren über den Pappkameraden »Gender« werden neue Publika erschlossen. Dass es dabei eben nicht nur um Gender geht wird daran deutlich, dass Gender dabei mit weiteren Themen wie zum Beispiel Migration, Erziehung und Religion verquickt wird. Insbesondere populistische Akteure sind sehr gut darin, diese Verquickung herzustellen und zu kommunizieren. Dementsprechend unerlässlich sind journalistische Recherchen aber auch politische Interventionen, welche die komplexen Verwobenheiten und Strategien der Anti-Choice-Internationalen herausarbeiten und so aufbereiten, dass sie einem breiteren Publikum zugänglich werden.

Jasmin Siri: Kampfzone Gender. Nicolai Publishing, Berlin 2018, 88 S., 20 €.

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