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Die Vorgeschichte des Weimarer Bauhauses Zur rechten Zeit am richtigen Ort

Am 23. Dezember 1918 schrieb Walter Gropius an den Freund, Mäzen und Gründer des Museum Folkwang in Hagen, Karl Ernst Osthaus, dass er nach Berlin gefahren sei, »um an den Umwälzungen teilzunehmen. Es ist eine hochgespannte Stimmung hier, und wir Künstler müssen in dieser Zeit das Eisen schmieden, so lange es heiß ist. Im Arbeitsrat für Kunst, in den ich eintrat, ist vorläufig eine sympathisch radikale Stimmung und fruchtbringende Ideen werden vorgebracht.« Und Gropius schmiedete das Eisen: Nur vier Monate später gründete er Anfang April 1919 in Weimar das Bauhaus, jene einzigartige »Werkstatt der Moderne«, die nicht nur den Jahren der Weimarer Republik bestand, sondern mit ihren Ideen bis heute wirkt. Der 35-jährige Architekt und Formgestalter erkannte die historische, vielleicht einmalige Chance, die Utopien von einer neuen Gesellschaftsform, vom »Neuen Bauen, Leben und Menschen« in die Realität einer neuartigen »Schul- und Ausbildungsstätte« zu überführen.

War doch in Deutschland unmittelbar nach der ungeheuren Katastrophe des Ersten Weltkriegs in den realen und geistigen Trümmern, in den Schützengräben, Gasattacken und Materialschlachten, mit dem Kaiserreich auch das »Volk der Dichter und Denker« versunken. Der richtige Zeitpunkt in diesem Sturm der revolutionären Um- und Aufbrüche war aber nur die eine Seite für den Erfolg des Vorhabens, das wusste Gropius sehr genau. Die thüringische Kleinstadt Weimar, einstmals strahlendes Symbol deutscher Kulturtradition, war für ihn auch der richtige Ort, hatte er hier doch bereits seit Längerem »einen Fuß in der Tür«. Zudem war Weimar gerade in aller Munde: Wegen der schweren politischen Unruhen in Berlin tagte die Nationalversammlung – 423 Abgeordnete, darunter (erstmals) 37 Frauen – vom 6. Februar 1919 an über ein Jahr lang im Nationaltheater von Weimar, dessen Namen die erste deutsche Republik fortan auch tragen sollte. Mehr als jede andere Stadt sei der »Klassik-Hort« dazu berufen, hatten im Übrigen die Professoren der Weimarer Kunstakademie gefordert, getrieben von der Angst vor der revolutionären Räterepublik, mit der auch der 1918 gegründete »Arbeitsrat für Kunst« sympathisierte.

Walter Gropius und Henry van de Velde

Was immer Gropius hier also auch tun würde, Aufmerksamkeit war ihm sicher. Er war ein strategischer Denker, gewiefter Taktiker und brillanter Organisator, auf einnehmende Art auch ein Hasardeur, bestens vernetzt. Gleichwohl hatte ihm das Leben bis dahin nichts geschenkt. Aus großbürgerlichen Verhältnissen und einer berühmten Architektendynastie stammend, schien die Berufswahl zwangsläufig. Ab 1903 studierte er in München und später Berlin Architektur, ohne Abschluss, er konnte nicht zeichnen. Osthaus vermittelte ihn 1908 an den bekannten Architekten Peter Behrens, bei dem er das Baugewerbe »von der Pike auf« erlernte und seine Begabungen entwickelte, die ihn dann später als Leiter des Bauhauses auszeichneten. Auch das Interesse am Industriebau und -design wurde in den zwei Lehrjahren geweckt und führte zum ersten Auftrag, dem 1911/12 mit seinem langjährigen Partner Adolf Meyer erbauten Fagus-Werk für die Herstellung von Schuhleisten in Alfeld, das richtungsweisend für moderne Industriearchitektur wurde und seinen Schöpfer bekannt machte. So kam er zum Werkbund, jener 1907 gegründeten, progressiven Vereinigung von Architekten und Künstlern mit Handwerkern und Industriellen, um die neuen Formgedanken umzusetzen und das Kunstgewerbe zu reformieren. Bald gehörte Gropius zum Führungskreis. Für die große, ab Mai 1914 in Köln veranstaltete Werkbundausstellung entwarf er ein viel beachtetes Musterbürogebäude und lernte Henry van de Velde kennen, dessen monumentaler Theaterbau zweifellos den Höhepunkt der von ihm auch eröffneten Ausstellung bildete. Gropius verehrte den berühmten Architekten, Künstler, Gestalter und Reformer, der seit einem guten Jahrzehnt in Weimar als Leiter der von ihm gebauten Kunstgewerbeschule wirkte. 1902 war der Belgier von Großherzog Wilhelm Ernst in die Residenz des Fürstentums Sachsen-Weimar-Eisenach berufen worden, um Gewerbe und Kunstgewerbe zu fördern. Sein Freund Harry Graf Kessler hatte ihm mit Elisabeth Förster-Nietzsche, der Schwester des kultisch verehrten Philosophen, die Anstellung verschafft. Als Direktor des Großherzoglichen Museums hatte der weltläufige Graf nicht nur die europäische Moderne in über 30 Ausstellungen gezeigt, sondern auch mit einem Kreis von Dichtern und Künstlern, zu dem auch van de Velde gehörte, sein Projekt eines »Neuen Weimar« als Vorreiterin einer kulturellen Wiedergeburt Deutschlands vorangetrieben, bis ein inszenierter Skandal 1906 das Experiment beendet hatte.

Van de Velde hatte in Weimar zunächst ein »Kunstgewerbliches Seminar« gegründet. Daraus war die Idee entstanden, Lehrwerkstätten einzurichten und schließlich die Schule, die ab 1905 gegenüber der ebenfalls von ihm gleichzeitig erbauten Kunstakademie entstand. Beide Gebäude des neuen Schulensembles waren als Gesamtkunstwerk gestaltet und bildeten ein harmonisches Ganzes.

Der seit Längerem schwelende Richtungsstreit im Werkbund führte 1914 in Köln zum offenen Konflikt, bei dem es vor allem um die Stellung des Künstlers in der industriellen Produktion ging. Sollte er zum bloßen Zulieferer und Typenentwickler degradiert werden oder gleichberechtigt schöpferischer Formgestalter sein, wie von einer Oppositionsgruppe, zu der auch Gropius und van de Velde gehörten, gefordert wurde?

In Weimar stand der Schulleiter wegen des wachsenden Nationalismus sehr unter Druck, schon seit Längerem wurde der »Ausländer« angefeindet und der Großherzog betrieb seit 1913 seine Entlassung, heimlich suchte man nach einem neuen Direktor. Zermürbt und gedemütigt von den Machenschaften legte van de Velde im Juli 1914, unmittelbar vor Kriegsbeginn, die Leitung der Schule nieder, sein Vertrag endete am 1. Oktober 1915. Er kontaktierte Gropius und schlug ihn der Regierung als Nachfolger vor – was nicht verwundert, verbanden die beiden doch gemeinsame Ideen –, obwohl er keine Schulerfahrung hatte. Erst Ende 1915 kam es dann zum Kontakt mit dem Staatsministerium, da existierte allerdings die Schule als Institution bereits seit Oktober nicht mehr, ihr Bestand war aufgelöst, van de Velde im eigenen Haus interniert und Gropius als Leutnant an der Front. Er fuhr nach Weimar und bekundete in Gesprächen sein Interesse, lehnte aber eine untergeordnete Anstellung an der Kunsthochschule, wie sie der Direktor vorschlug, strikt ab, nur eine selbstständige Institution kam für ihn infrage. Er formulierte seine »Vorschläge zur Gründung einer Lehranstalt als künstlerische Beratungsstelle für Industrie, Gewerbe und Handwerk« umgehend und schickte sie im Januar 1916 nach Weimar. Die hier in enger Anlehnung an van de Veldes Forderungen zur gleichberechtigten Stellung der Künstler in Handwerk und Industrie formulierten Vorstellungen nahmen im Grunde die dann 1919 unter den grundlegend veränderten Verhältnissen weiter zugespitzte »Idee Bauhaus« vorweg. Ohne Henry van de Velde hätte es das Bauhaus nicht gegeben. Schon bei der Formentwicklung sollte der Künstler mitwirken, schrieb Gropius etwa, nur er könnte dem toten Massenprodukt »Seele einhauen«, denn es sei die Leistung des Künstlers, neue Lebensbedingungen neu zu gestalten. Eine Idee hat Gropius hier erstmals formuliert: In so einer »Lehranstalt« könnte eine Arbeitsgemeinschaft wieder entstehen wie in den alten »Bauhütten«, in denen Künstler, Architekten und Handwerker »aus einem gleichgearteten Geist heraus« zusammenarbeiteten.

Revolution und Gründung des Bauhauses

Die Handwerkskammer und das Ministerium lehnten 1916 Gropius’ Konzept als zu industriefreundlich ab, die Angelegenheit wurde nicht weiter verfolgt. Aber Gropius gab nicht auf und brachte sich nach dem Krieg erneut ins Spiel. Von Berlin aus schrieb er am 31. Januar 1919 nach Weimar. Er suchte eine feste Anstellung, die der »Arbeitsrat für Kunst« auf Dauer nicht bieten konnte. Die bereits Ende 1918 nach dem Vorbild der revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte gegründete Künstlervereinigung, in der er sich intensiv engagierte, wurde von den Architekten und ihren Bau-Utopien dominiert – neben Gropius waren das vor allem Bruno Taut und Adolf Behne. Für sie war die Architektur die »Mater Artium« und die Leitidee trug ihre Handschrift: »Kunst und Volk« müssten eine Einheit bilden mit dem Ziel eines Zusammenschlusses »der Künste unter den Flügeln einer großen Baukunst«. Die kristallin-expressiven Entwürfe für »das Haus der Zukunft«, wie Behne es nannte, erregten in mehreren Ausstellungen Aufsehen, Realität wurden sie nicht. Der von Gropius in dem Weimarer Brief wörtlich zitierte Leitgedanke, findet sich noch nicht in den zwei Jahre zuvor verfassten »Vorschlägen«, er gründete in den hochgespannten, revolutionären Hoffnungen, die nach dem Krieg so viele Künstler, Literaten und Intellektuelle einte. Dafür wirke er gerade in Berlin, schrieb Gropius weiter, und schon lange habe er Pläne für die »Neugestaltung eines künstlerischen Lebens in Weimar«. Dann ging alles sehr schnell. Anders als noch 1916 fand sein Konzept Zustimmung. Es traf sich zum einen mit Plänen des Professorenkollegiums, die Kunsthochschule zu reformieren, um die Gebiete Architektur und Kunstgewerbe zu erweitern und damit dem Zeitgeist entsprechend den Einheitsgedanken zu fördern. Sogar einen Architekten als Direktor akzeptierten sie. Zum anderen hatte die Revolution Kaiserreich und Herzogtümer hinweggefegt. Zwar war der neue Freistaat Sachsen-Weimar nur ein Provisorium, das weiterhin aus den drei alten Gebieten bestand. Erst die Vereinigung der Kleinstaaten zum Land Thüringen 1920, mit Weimar als Hauptstadt, beendete diese Zersplitterung. Die nach der Wahl vom 19. Januar 1919 von SPD und USPD gebildete Regierung unter August Baudert signalisierte ebenfalls Zustimmung. Die Professoren akzeptierten sogar Gropius’ Forderung nach einer Zusammenlegung ihrer Kunstakademie mit der gar nicht mehr bestehenden Kunstgewerbeschule unter einem gemeinsamen Namen. Am 12. April 1919 betrat das »Staatliche Bauhaus Weimar« mit ihm als Leiter die Bühne der jungen deutschen Republik. Der Untertitel »vereinigte ehemalige Großherzogliche Hochschule für bildende Kunst und ehemalige Großherzogliche Kunstgewerbeschule« erläuterte die neue Bezeichnung. Es war in vielerlei Hinsicht ein genialer Schachzug. Denn damit verband Gropius nicht nur die »freien Künste« programmatisch mit den Methoden und Gebieten der »angewandten Kunst« und wertete so diese Lehrstätten deutlich auf, sondern er stellte mit diesem Titel das Bauhaus auch öffentlich in die Traditionslinie der Kunstgewerbeschulen, die ja vor allem in Weimar durch die unmittelbare, von der durch Henry van de Velde aufgebaute Vorgängerschule eine bahnbrechende Reform erfahren hatten. In diesem Sinne war das Bauhaus auch eine Referenz an den verehrten »Alleskünstler«, der seinerzeit der Einheit von Kunst und Handwerk durch das harmonische Bauensemble der beiden Schulen eine sichtbare Gestalt verliehen hatte, die nun inhaltlich vollendet wurde. Gleichzeitig beendete Gropius mit seinem Coup die Eigenständigkeit und faktische Vormachtstellung der Hochschule und ihrer Professoren. Und nicht zuletzt verband er seinen eigenen Namen mit dem der neuen Institution: Er war der Gründer des Bauhauses.

Manifest und Programm

»Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!« Mit diesem programmatischen Satz, der die Leitidee des »Arbeitsrats« aufnahm, beginnt das von Gropius im April 1919 zur Eröffnung der Schule verfasste Bauhaus-Manifest. Nur durch eine neue Einheit und ein Mit- und Ineinanderwirken aller Werkleute und werkbildenden Künstler kann der »Neue Bau der Zukunft« gemeinsam erschaffen werden, schreibt Gropius. Architekten, Bildhauer, Maler müssten zum Handwerk, dem Ursprung des schöpferischen Gestaltens, zurück. Eine neue Struktur der Kunstschulausbildung wurde zwar im Zuge der gesellschaftlichen Umwälzungen vielfach gefordert, umgesetzt aber hat nur Gropius diese Ideen. Die Vereinigung von Kunst und Handwerk unter dem Dach der Architektur war so noch nie praktiziert worden und in der Tat revolutionär. Ließen sich doch damit Antworten auf die drängenden Zeitfragen finden: Wie wollen wir leben, wie soll unsere Umwelt aussehen, wie unsere Gemeinschaft gestaltet werden?

Gropius war Architekt und Formgestalter, wie auch die beiden Leiter Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe nach ihm. Für alle stand der Bau – vom Entwurf bis zur Einrichtung – als gemeinschaftliches Einheitskunstwerk im Mittelpunkt der Schule. Er selbst stellte sich, wie 1916 schon formuliert, Lehrende und Lernende als eine verschworene Gemeinschaft vor, als »Bauhütte wie im goldenen Zeitalter der Kathedralen«: modern »Bauhaus«; mittelalterlich »Meister, Gesellen, Lehrlinge«. Für diese idealistische Vorstellung steht wie ein Fanal auf der Titelseite des vierseitigen Prospekts neben dem Manifest die »Kathedrale des Sozialismus«, ein Holzschnitt von Lyonel Feininger, auf dem »der große Bau« in kristallinen Formen in den Sternenhimmel wächst. In dieser ersten der fünf Phasen des Bauhauses, den bis etwa 1922 andauernden »expressionistischen«, dem individuellen Handwerk verpflichteten Jahren, entwarf der Student Peter Röhl 1919 ein Signet. Er stellte in ihm einen Menschen mit Pyramide dar und verband ihn mit alten Steinmetzzeichen zum Bauhüttensymbol. »Nicht die Kunst ist das wichtigste, auch nicht das Werk, sondern der Mensch«, schrieb Gropius etwa zeitgleich für eine »Arbeitsrat«-Publikation. Bis zuletzt stand der neue Mensch im Zentrum der Schule.

Auch wenn das Manifest dem Anlass und dem Zeitgeist entsprechend von Pathos geradezu durchtränkt erscheint, war Gropius’ links-revolutionäre Haltung und Sympathie für die sozialistische Räterepublik keine bloß aufgesetzte Attitüde. Dafür spricht sein heute leider fast vergessenes Denkmal für die zehn unbewaffneten Menschen, die am 15. März 1920 bei einer Demonstration während des Kapp-Putsches in Weimar erschossen wurden. Die an die Kathedrale erinnernde abstrakt-expressive Kalksteinskulptur auf dem Hauptfriedhof zeigt nach Gropius Worten einen »Blitz-Strahl aus dem Grabesboden als Wahrzeichen des lebendigen Geistes!!«

Trotz aller dieser positiven Voraussetzungen blieb der Bestand des Bauhauses von Anfang an ein fragiles Experiment mit ungewissem Ausgang; sowohl in den drei Standorten Weimar, Dessau und Berlin, wie auch in den fünf höchst unterschiedlichen Werkphasen, den Temperamenten der drei Leiter, den über 20 bedeutenden Meistern und den Handwerkern in zehn Werkstätten, im berühmten Vorkurs, und nicht zuletzt in der internationalen Riege der jährlich etwa 150 Studierenden. Zweimal wurde die Schule vertrieben, zuletzt von den Nationalsozialisten geschlossen und jedes Mal erfand sie sich neu.

Das Bauhaus war keine Marke, kein Label, schon gar kein Stil: Das Bauhaus gab es nicht! Wohl aber die Gemeinschaft und einheitsstiftende Idee von einem neuen Bauen für ein neues Leben.

Wer die Sammlung im neuen, gerade eröffneten Bauhaus-Museum in Weimar besucht, wird aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, bietet sich doch in der Zusammenschau aller Künste und Handwerke eine schier unübersehbare Vielgestaltigkeit.

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