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Über die Zukunft des Kulturjournalismus Zurück zum Thema!

Aber Kultur ist doch so wichtig …

Lieben Sie Kultur auch so sehr? Ja? Wie beruhigend! Schließlich wissen wir doch alle: Kultur ist wichtig, oh ja. Ohne Kultur fehlt dem Leben der Horizont. Ohne Kultur wissen wir nicht, was für uns Bedeutung hat. Ohne Kultur verlieren wir die Orientierung. Und so weiter und so weiter.

Es gibt viele solcher faden Bekenntnisse. Sie klingen gut. Sie sind nicht völlig verkehrt. Und laden ein zu einer empörten Frage: Warum die Medien eigentlich so wenig über Kultur berichten. Genauer gefragt: Warum sie das immer weniger tun. Gibt es denn nichts mehr zu berichten?

Aus den Tageszeitungen verschwinden klassische Rezensionen – oder ganze Kulturseiten. Kulturmagazine haben im öffentlich-rechtlichen Fernsehen einen schweren Stand. In Kulturradios werden Fachmagazine gestrichen. Verzicht auf Kultur allerorten. Oder etwa nicht?

Wohin steuert die Kulturberichterstattung? Meine Überlegungen zu dieser Frage klammern das Wirtschaftliche aus: Umsatzeinbußen, erforderliche Einsparungen. Den Kampf der Medien ums Überleben. Das klingt bequem, ist es aber nicht. Denn das Problem sitzt an anderer Stelle. Und ist noch dramatischer.

Kurz gesagt: Weder Medien noch Nutzer verfügen über ein Bild, wie Kulturberichterstattung dauerhaft funktionieren könnte. Sie sehen nur eines: So wie es jetzt läuft, wird es auf Dauer nicht gehen. Aber wie dann? Antworten wird nur finden, wer das Thema versteht. Wer begreift, was Kulturgeschehen eigentlich ist. Und was uns daran wirklich fesselt.

Das Knäckebrot des Kulturbetriebs

Was wir haben, ist der Kulturbetrieb. Der läuft – und zwar unermüdlich. Theater inszenieren. Orchester spielen. Opernhäuser führen auf. Museen stellen aus. Verlage veröffentlichen. Und die Kulturberichterstatter berichten. Rezensieren, schildern, wer angesagt ist in den Kulturinstitutionen. Wer die Strippen zieht. Wer die Ideen hat. Wer die großen Werke schafft.

Der Kulturbetrieb ist das Knäckebrot der Kulturberichterstattung. Noch immer bedeutet Berichten vor allem: Sagen, was im Betrieb läuft. Kultur ist, was in den Häusern der Kultur stattfindet. Was neu erscheint, ausgestellt, inszeniert, gespielt und aufgeführt wird. Kulturberichterstattung ist auf fatale Weise fixiert auf ihre Institutionen.

Zwar haben Feuilletons immer auch die freie Reflexion gepflegt, haben gesellschaftliche Debatten angestoßen und begleitet. Doch den Alltag diktiert der Veranstaltungskalender. In der Tageszeitung lesen wir die Rezension über die neue Inszenierung im Stadttheater. Im Kulturradio hören wir den Bericht über ein neuerschienenes Musikalbum. Im Fernsehmagazin läuft das Interview mit einer berühmten Schriftstellerin über ihren neuerschienenen Roman.

»Die Berichterstattung über den Kulturbetrieb ist nicht selten sehr, sehr langweilig.«

Um Missverständnisse zu vermeiden: Das alles hat Berechtigung. Es hat unbestrittenen Informationswert. Doch zur Wahrheit gehört auch: Die Berichterstattung über den Kulturbetrieb hat lange schon selbst Betriebscharakter angenommen. Sie ist auf ermüdende Weise ritualisiert. Sie ist nicht selten sehr, sehr langweilig.

Lange war das kein Problem. Denn lange hat die Kulturberichterstattung auch ihr Publikum sozialisiert. Immer konnte sie sich auf eine gemeinsame Überzeugung verlassen: dass kulturelles Interesse identisch damit sei, den Alltag der Kulturinstitutionen zu verfolgen. Lange ruhte auf dieser Überzeugung das klassische Bündnis zwischen Medien, den Kulturinstitutionen und den kulturinteressierten Nutzern. Dieses Bündnis jedoch beginnt fragil zu werden.

Ein Generationenkonflikt?

Was ist heute anders? Zwei Faktoren sind wesentlich: Zum einen verliert das klassisch sozialisierte Publikum an Einfluss. Ältere, die Rezensionen und Periodika lesen, im Fernsehen Kulturmagazine anschauen, im Kulturradio Spezialmagazine hören. Ihre Gruppe wird kleiner. Ihr trainiertes Medienverhalten verliert an Relevanz: Sich vor allem über den Kulturbetrieb informieren zu wollen. Und dafür die verfügbaren Spezialangebote der Medien zu nutzen.

Entsprechend allergisch reagieren diese Kulturbeflissenen auf den zweiten großen Trend: die Digitalisierung. Medienangebote zur Kultur sind nicht mehr notwendig Teil einer Tageszeitung oder eines Sendeschemas in Radio und Fernsehen. Im Netz stehen sie jederzeit zur Verfügung.

Jüngere warten nicht mehr darauf, dass die Zeitung erscheint oder eine Sendung läuft.

Jüngere warten längst nicht mehr darauf, dass die Zeitung erscheint oder eine Sendung läuft. Was sie kulturell interessiert, erfahren sie aus den sozialen Netzwerken, bei TikTok, Instagram oder gelegentlich Twitter/»X«. Form und Inhalt der Themen sind meistens deutlich andere als in der klassischen Kulturberichterstattung.

Ist also ein Generationenkonflikt im Gange? Sind Bildungsinteressen auf dem absteigenden Ast? Beginnt der Trash aus dem Internet zu regieren, wo gestern noch über Theaterpremieren und neue Romane diskutiert wurde? Ältere sehen das gerne so. Sie gleichen ihre Bildungsideale mit TikTok-Trends und Twitter/»X«-Hashtags ab. Und finden dabei kaum Berührungspunkte.

Wie von selbst nimmt hier der zentrale Vorwurf gegen die Medien Gestalt an. Denn sind sie nicht dabei, sich einem elitenfeindlichen Zeitgeist anzupassen, vor dem Verfall die Waffen zu strecken? Wäre nicht mehr Kultur – statt weniger – die richtige Antwort? So fragen recht einhellig Kulturschaffende, Kulturinstitutionen und Rundfunkräte.

Gegen mehr Kultur ließe sich schwerlich argumentieren. Leider jedoch verstehen deren Verteidiger darunter meist mehr von dem Gleichen, das sie so lange schon gewohnt sind: Die Begleitmusik zum Veranstaltungskalender des Kulturbetriebs. Rezensionen, Periodika und Spezialsendungen. Konservierung scheint das Gebot der Stunde. Reflexartig befürchtet man Kulturverfall, sobald Änderungspläne der Medien auch nur diskutiert werden.

Diese Reflexe werden nicht weiterhelfen. Denn das Bild vom Generationenkonflikt ist falsch. Nicht die unterschiedliche Erwartung von Jung und Alt wird auf Dauer die digitale Gegenwart prägen, sondern stärker als früher das simple Gesetz der Aufmerksamkeitsökonomie: Das spannende Thema siegt über die Grautöne der Langeweile. Das gilt auch für Kulturthemen. Und auch Kulturinteressierte sollten dieses Gesetz zu schätzen wissen.

Bitte immer schön aufmerksam!

Die Brutalität des Internets besteht nicht darin, dass im Traffic ein gehobenes Niveau notwendig dem Massengeschmack weichen muss. Platz gibt es für alle Interessen, auch für die der Kulturinteressierten. Nein, das Internet ist erbarmungslos, weil es die Gatekeeper institutionalisierter Diskurse entmachtet.

Das gilt auch für den Kulturbetrieb und seine kommunikativen Zirkel. Nicht nur zwischen Kulturmedien und ihrem Publikum bestand lange eine Symbiose der Interessen. Die gab und gibt es auch zwischen Medienvertretern und den Kulturinstitutionen selbst. Oft ist sie sogar enger als in anderen Themenbereichen.

Was in der Kulturszene angesagt ist, ließ sich lange im Zusammenspiel wichtiger Akteure definieren, einflussreicher Feuilletons, Verlage, Filmproduzenten, Festivals und Bühnen. Weiterhin sind solche Netzwerke einflussreich. Sie können jedoch der disruptiven Kraft des Internets nicht mehr ausweichen. Der Diskurs über kulturelle Signifikanz öffnet sich für immer neue Influencer. Wer Reichweiten erzielt, kann jederzeit einen neuen Kulturtrend erschaffen.

»Kultur ist nicht per se, was der Kulturbetrieb hervorbringt.«

Ein Streetart-Künstler wie Banksy ist auf diese Weise weltbekannt geworden. Ähnliches gilt für die Schriftstellerin Sally Rooney oder den Trend, ikonische Motive aus Wes-Anderson-Filmen zu posten. Aktivistische Bewegungen wie Fridays-for-Future oder Letzte Generation sind immer auch Formen der Selbstdeutung. Das mindert nicht die Deutungskraft etablierter Kulturinstitutionen. Doch der Wettbewerb um Aufmerksamkeit hat sich erheblich verschärft.

Längst nicht alles, was der Kulturbetrieb hervorbringt, kann diesem Wettbewerb standhalten. Im Gegenteil, vieles wirkt belanglos. Daran ändert die symbiotische Nähe zu Medien wenig. Noch weniger eine Kulturberichterstattung, die sich auf betuliches Abbilden beschränkt.

Für Kulturberichterstattung bedeutet das, sich neu orientieren zu müssen. Kultur ist nicht per se, was der Kulturbetrieb hervorbringt. Erforderlich scheint eine Rückbesinnung auf die große Frage schlechthin: Was Kultur überhaupt ist.

Zum Thema, Schätzchen

Kultur, wo bist du? Hier beginnt die gegenwärtige Ohnmacht der Medien. Man jagt und sammelt im Themenwald. Redaktionen diskutieren Kulturbegriffe. Gehört Kulinarik zur Kultur, ja oder nein? Man beugt sich über gesellschaftliche Typologien. Wer interessiert sich wofür – und warum? Was mag es heute heißen, kulturinteressiert zu sein?

Auf solche Fragen gibt es keine verbindlichen Antworten. Der Grund dafür ist einfach: Alles kann Kultur werden. Alles kann Gegenstand der Selbstdeutung sein. Früher nannte man es Geistesleben – oder simpel: Reflexion. Was begegnet mir im Alltag? Was sagt es über mich aus? Was sagt es über die Zeit, in der ich lebe? Kultur sind Gedanken der Selbstdeutung, ihre Entäußerung im Alltag, in Kunst, Literatur und freier Rede.

Das war immer so – und wird immer so bleiben. Mit einem Unterschied: Der Gedanke ist im digitalen Zeitalter schneller unterwegs. Er braucht etablierte Institutionen nicht länger zwingend als Vehikel. Reflexion findet statt, wo sie Resonanz findet. Sie wartet nicht länger im Vorzimmer mit der Bitte, eine Bühne zu erhalten.

Für Medien bedeutet das: Fade Bekenntnisse zur Kultur werden ihnen nicht helfen. Keine gesellschaftlichen Typologien. Auch nicht die Fleißarbeit am Kulturbegriff. Medien stehen vor der Herausforderung, aus dem Kulturbetrieb radikal zu den Themen zurückzukehren.

Über Kultur wird nicht erfolgreich berichten, wer glaubt, Text lediglich durch bunte Videos ersetzen zu müssen. Erfolgreich wird sein, wer hinter einem Trend die Reflexion bemerkt. Wer frühzeitig das Thema erkennt, das nachdenkliche Menschen bewegt. Nicht immer wird sich dieses Thema in den Netzwerken des Kulturbetriebs finden. Es zu entdecken, erfordert vor allem Intelligenz, Bildung und Liebe zur Reflexion. Ist das nicht sehr ermutigend?

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