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Die Debatte um die »Klimamigration« Zwischen Anpassungsstrategie und Flüchtlingskatastrophe

Vergleicht man die wissenschaftliche Auseinandersetzung über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration mit dem politischen und medialen Blick auf dieses Thema, so scheint es, als hätte man es mit vollkommen unterschiedlichen Realitäten, Annahmen und Erwartungen zu tun. In den Medien und in Teilen der Politik herrscht ein beinahe unverhohlener Alarmismus. Da begegnen einem immer häufiger Schlagzeilen wie »Zwei Milliarden Klimaflüchtlinge bis 2100?«, die die Ängste im globalen Norden vor einer ungeahnten Fluchtbewegung aus dem Süden schüren. In der Wissenschaft ist hingegen seit einiger Zeit von Migration als einer (potenziellen) Anpassungsstrategie an den Klimawandel die Rede. Womit müssen wir also bei den migrationsbezogenen Folgen des Klimawandels rechnen? Und wie sollte die Politik mit dem Thema »Klimamigration« umgehen?

Auch der frühere wissenschaftliche Diskurs zum Thema »Klimamigration« brachte einige alarmistische Prognosen hervor. Die bekannteste ist sicherlich die des britischen Biodiversitätsforschers Norman Myers, der bereits Mitte der 90er Jahre davon ausging, dass es bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts etwa 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben werde. Eine geradezu atemberaubende Zahl, die zwar heute als wissenschaftlich eher unseriös gilt, aber von zahlreichen NGOs und Politikern immer noch gerne verwendet wird. In dieser Frühzeit der wissenschaftlichen Analyse der Wechselwirkungen zwischen Ökologie und Migration bildeten sich rasch zwei Lager heraus: Auf der einen Seite stand die von Klima- und anderen Naturwissenschaftlern gebildete Fraktion der sogenannten »Alarmisten«, die allerdings Widerstand von zahlreichen Sozialwissenschaftlern und Migrationsforschern erfuhr. Diese bald als »Skeptiker« bezeichnete Gruppe wiederum wies auf der anderen Seite stets darauf hin, dass Migrationsentscheidungen sehr komplex seien und neben ökologischen auch wirtschaftliche, politische, kulturelle, demografische oder soziale Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Einen Migrationsprozess als simple Gleichung aus einem Reiz (etwa einem negativen Umweltereignis) und einer daraus entstehenden Reaktion (also einer Migrationsentscheidung) zu interpretieren, wie es die Alarmisten zumeist taten, lehnten die Skeptiker als unangemessen ab.

Die Forschung seit Mitte der Nullerjahre gab der skeptischen Fraktion dabei durchaus recht: Mehrere groß angelegte Forschungsprojekte der letzten zehn bis 15 Jahre zum Zusammenhang zwischen Umweltwandel und Migration, z. B. der Vereinten Nationen oder im Auftrag der britischen Regierung, kamen zu dem Ergebnis, dass ökologischer Druck nicht einfach linear zu mehr Migration führt. Die Hauptbetroffenen des Klimawandels und der Verschlechterung der ökologischen Grundlagen sind ärmere Bevölkerungsgruppen im globalen Süden: städtische Arme, Kleinbauern, Fischer, Viehhirten. Sehr häufig hängt deren Existenzgrundlage unmittelbar von der Nutzung natürlicher Ressourcen ab, weshalb sie oft gar nicht über die notwendigen (finanziellen) Mittel verfügen, um überhaupt migrieren zu können. Migration ist nämlich immer auch mit Kosten (für Transport, Unterkunft usw.) verbunden, die die genannten Bevölkerungsgruppen eben häufig nicht tragen können. Viele Menschen zählen somit zu den sogenannten »trapped populations« und werden meist viel härter von den Auswirkungen des ökologischen Wandels – wie Vegetationsverluste oder Ernteeinbußen – getroffen als diejenigen, die mobil sind. Und diejenigen, die mobil sein können, migrieren nicht einfach »nur«, weil der durch Klimawandel oder Verschlechterung der ökologischen Grundlagen verursachte »Leidensdruck« wächst. Vielmehr spielen in diesen Kontexten individuelle Motive der Lebens- oder Bildungsplanung oder die (Un-)Möglichkeit des Zugangs zu Arbeitsplätzen, z. B. durch die Vermittlung von Migrantennetzwerken, eine wichtige Rolle. Migrationsentscheidungen bleiben auch in Zeiten des Klimawandels höchst komplex. Gleiches gilt für bewaffnete Konflikte, die der Hauptauslöser der globalen Fluchtbewegungen der letzten Jahre waren. Auch diese werden nicht so einfach durch den Klimawandel oder die Umweltzerstörung bedingt oder massiv angefeuert – hier hat man es meist mit sehr komplexen Ursachen zu tun.

Die erwähnten Studien kommen auch zu dem Ergebnis, dass wenn Menschen im Kontext eines klimatischen Wandels migrieren, sie dies dann eher zeitlich begrenzt tun und meist innerhalb der Grenzen des eigenen Herkunftslandes oder der eigenen Heimatregion. Auch machen sich eher Individuen auf den Weg, während ihre Familien normalerweise am Herkunftsort zurückbleiben. Von dem Geld, das die Migranten verdienen und teilweise an ihre Familien schicken, können Ernte- oder Viehverluste der Familie kompensiert werden. Nicht ohne Grund ist daher in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit umwelt- und klimawandelbezogener Mobilität von Migration als Anpassungsstrategie die Rede. Allerdings leben und arbeiten Migranten sehr oft unter äußerst harten Bedingungen. Rechtsunsicherheit, Ausbeutung und prekäre Lebensbedingungen sind leider an der Tagesordnung.

Auch wenn die Furcht in Europa oder Nordamerika vor einer gewaltigen »Klimaflüchtlingswelle« bis auf Weiteres einer realistischen Grundlage entbehrt, so wird aber in einigen von Klimawandel oder Umweltzerstörung besonders stark betroffenen Ländern die Unbewohnbarkeit von Gebieten zu einem immer schwerwiegenderen Thema. Zu diesen Ländern zählen zum Beispiel Teile Bangladeschs oder einige der pazifischen Inselstaaten wie Tuvalu, welche vom ansteigenden Meeresspiegel als erste bedroht sind. Für eine stetig steigende Zahl von Menschen wird der dauerhafte Wegzug (bzw. Umsiedlungsmaßnahmen) aus ihren Heimatregionen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten also leider unvermeidbar sein. Deshalb sollte man sich tunlichst davor hüten, Migration pauschal als eine Anpassungsstrategie zu betrachten. Die Menschen, die einen dauerhaften Verlust der Heimat befürchten müssen, leiden nicht nur unter materiellen Verlustängsten, sondern auch unter dem drohenden Verlust von kultureller Identität und Lebensstilen. Die Verantwortung dafür tragen vor allem die Industrieländer im globalen Norden.

Wie gehen politische Entscheidungsträger weltweit nun mit dem schwierigen und sehr komplexen Phänomen »Klimamigration« um und wie sollten sie damit umgehen? Um hier wichtige Impulse zu setzen, trat im Mai 2017 erstmals die unter dem Dach der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) eingerichtete »Task Force on Displacement« zusammen. Allerdings ist diese in erster Linie damit beschäftigt, sich dem Thema ganz vorsichtig und grundsätzlich anzunähern. Das ist symptomatisch, denn auch bei der 23. Weltklimakonferenz in Bonn (COP 23) im vergangenen November zeigte sich deutlich, dass Migration im Kontext des Klimawandels – gerade wenn von Migration als Anpassungsstrategie die Rede ist – ein sehr sensibles Thema ist. Viele (klima-)politische Akteure unterscheiden kaum zwischen verschiedenen Migrationsformen und scheuen das Thema.

Dabei sollte es nun darum gehen, für die von den Folgen der Erderwärmung besonders betroffenen Menschen Wahlmöglichkeiten zu schaffen, die es ihnen entweder ermöglichen, sich vor Ort besser an diese Folgen anzupassen oder unter würdevollen Bedingungen – also ohne die Gefahren von Diskriminierung, Ausbeutung oder unter übermäßigen materiellen und immateriellen Verlusten zu leiden – migrieren zu können. Dies gilt für alle Migrationsformen, einschließlich Umsiedlungsmaßnahmen. Dafür bedarf es verbindlicher Standards, die in den betroffenen Ländern und Regionen konsequent in die Tat umgesetzt werden können. Dies ist offenkundig mit gewaltigen Herausforderungen verbunden, die sicherlich nicht von nur einer Organisation wie den Vereinten Nationen bewältigt werden können.

Wichtige Impulse und Anknüpfungspunkte um diese Herausforderung breiter und effektiver angehen zu können, kommen von zwei derzeit verhandelten, internationalen Rahmenwerken: dem »Global Compact on Refugees« und dem »Global Compact on Migration«. Der Ausgang beider Verhandlungsprozesse ist momentan noch offen – nicht zuletzt weil sich die USA zurückgezogen haben. Beide Prozesse haben aber durchaus das Potenzial, die globale Migrationspolitik komplett neu zu ordnen. Das heißt, dass der Schutz von Flüchtlingen und Migranten in wichtigen Teilbereichen verbessert werden könnte. Dies ist auch im Sinne des übergeordneten Ziels einer »sicheren, regulären und geordneten Migration« ein wichtiger Bestandteil der UN-Nachhaltigkeitsziele. Um aber gerade »Klimamigranten« besser unterstützen zu können, muss es einen besseren Austausch zwischen den beiden Sphären der internationalen Politik im Bereich Klima und im Bereich Migration geben. Leider findet dies bis heute noch nicht wirklich statt.

Damit ein solcher Austausch wirklich Früchte tragen kann, ist die globale Ebene nicht ausreichend. Da Migrationsprozesse vor allem innerhalb von Ländern und Weltregionen stattfinden, müssen sie dementsprechend auf nationaler und regionaler Ebene gestaltet werden. Aber leider sind viele Entscheidungsträger nach wie vor der Meinung, dass Migration etwas ist, das nicht gestaltet, sondern in allererster Linie unterbunden werden muss. Ein entsprechender Bewusstseinswandel ist daher unerlässlich, wenn die Bemühungen um einen angemessenen politischen Umgang mit den Herausforderungen der »Klimamigration« von Erfolg gekrönt sein sollen.

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