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Medien im Spannungsfeld des Krieges Zwischen Berichterstattung und Propaganda

Was die meisten heutigen Bewohner der westlichen Welt über aktuelle Kriege wissen, das wissen sie, so könnte man in Anlehnung an Niklas Luhmann formulieren, durch die Medien. Sie verdanken dieses Wissen – glücklicherweise – nicht eigenen Erfahrungen, sondern der Kriegsberichterstattung in Rede, Schrift und Bild, die durch die (alten) Massenmedien Hörfunk, Fernsehen, Print, aber zunehmend auch, insbesondere im Fall des noch immer wütenden Syrienkrieges, durch die »sozialen« Medien geleistet wird. Dank des medientechnischen Fortschritts erreichen die Nachrichten vom Krieg ihre Adressaten immer schneller. Heute können sie den gesamten Globus gegebenenfalls in Echtzeit umrunden und besitzen damit eine zeitliche Unmittelbarkeit, die ein hohes Maß an Objektivität suggeriert.

Ein weiterer Gemeinplatz über den Krieg lautet jedoch, dass dessen erstes Opfer die Wahrheit sei. Tatsächlich verhindert schon die hochgradige Aktualität der gegenwärtigen Kriegsberichterstattung bisweilen jene intellektuelle Distanz, die für die kritische Einordnung einzelner Ereignisse nötig ist. Das gilt gerade auch deshalb, weil Kriege immer schon chaotisch und unübersichtlich waren und es heute angesichts ihrer grassierenden Deregulierung mehr denn je sind. Auch steht die Neutralität des Berichts infrage, wenn dieser nicht mehr durch unbeteiligte Journalisten, sondern durch in das Kriegsgeschehen als Täter oder Opfer involvierte Soldaten und Zivilisten erstattet wird, die durch eigene Smartphone-Videos und Internet-Blogs von niemandem überprüfte Informationen verbreiten. Dabei werden Objektivität und Neutralität nicht nur durch versehentliche Fehler und Irrtümer, sondern auch durch bewusste Parteinahmen untergraben.

Das muss nicht unbedingt verwerflich sein, können Journalisten doch gegen den Krieg und für den Frieden Partei ergreifen, indem sie einzelne Kriegsverbrechen oder sogar die allgemeine – körperliche, psychische und ökologische – Destruktivität, Obszönität und Absurdität kriegerischer Gewalt aufzeigen. Man denke etwa an Mathew B. Bradys und Timothy O'Sullivans schonungslose Fotografien verwundeter und getöteter Soldaten im Amerikanischen Bürgerkrieg oder auch an diverse mittlerweile ikonische Aufnahmen aus dem Vietnamkrieg, wie Eddie Adams' Bild von der Hinrichtung eines vermeintlichen Vietcong auf offener Straße, Ronald Haeberles Fotografien des Massakers von My Lai und Nick Uts Aufnahmen weinender vietnamesischer Kinder, die auf einer Landstraße aus ihrem in Flammen stehenden Dorf fliehen. Diese Bilder sind durchaus repräsentativ für die amerikanischen Vietnamkriegsreportagen aus der Zeit nach der Tet-Offensive 1968, welche die durch die Waffengewalt angerichteten Schrecken und Schäden deutlich vermittelten.

Doch haben diverse politisch rechts stehende Politiker und Autoren diese Art der Berichterstattung auch für die militärische Niederlage der USA in Vietnam verantwortlich gemacht. Und tatsächlich trug sie nicht unwesentlich dazu bei, dass sich die öffentliche Meinung in den USA seinerzeit vom militärischen Engagement in Südostasien zu distanzieren begann. Denn mehr noch als ein prinzipieller pazifistischer Einspruch gegen militärische Gewalt überhaupt lässt sich aus den damaligen Darstellungen des Vietnamkriegs in den amerikanischen Massenmedien eine spezifische Kritik an der Brutalität der amerikanischen und südvietnamesischen Truppen und Sympathien für deren Opfer ablesen.

So wie hier ergreift die Kriegsberichterstattung meist nicht für oder gegen den Krieg an sich, sondern für bestimmte und gegen andere Kriegsteilnehmer Partei. Damit wird sie aber zur Kriegspropaganda, bei der die Medien nicht mehr von außen auf die militärischen Handlungen referieren, sondern für diese selbst instrumentalisiert werden. Propagandistische Mediennutzungen wenden zwar selbst keine Waffengewalt an, dienen aber einer kognitiven und affektiven Einwirkung auf verschiedene Zielgruppen, die mehr oder weniger stark an der Gewaltanwendung beteiligt sind. Auf diese Weise tritt an die Stelle einer bloßen Dokumentation des Geschehens der Versuch, dieses durch eine Manipulation der an ihm Beteiligten zugunsten einer bestimmten Seite zu beeinflussen. Kriegspropaganda ist deshalb ein Teil der Kriegsführung selbst, und zwar ein Teil, dessen große Bedeutung sich bereits daraus ergibt, dass er oft noch vor dem Einsetzen der physischen Gewaltausübung beginnt. Nicht umsonst spricht man hier auch von »psychologischer Kriegsführung« oder von »Info-War«.

Diese Form von Kriegsführung beschränkt sich nicht auf jene Kriegspropaganda, welche die kriegführenden Parteien selbst produzieren und verbreiten, sondern umfasst auch deren Einwirkung auf die formal unabhängige Berichterstattung, die in der Geschichte immer mehr zugenommen hat, und spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts regulär zur Vorbereitung und Führung von Kriegen gehört. Zu denken ist hier natürlich zunächst an negative Zensureingriffe, die bis zu kompletten Nachrichtensperren reichen, aber keineswegs nur nachträglich, sondern – etwa durch die weiträumige Abschirmung von Kriegsschauplätzen – auch vorsorglich vorgenommen werden können. Sie tabuisieren mitunter bereits alle Kampfhandlungen, vor allem aber solche, die tödlich ausgehen oder denen die eigene Seite zum Opfer fällt; und sie sollen verhindern, dass sensible Informationen in die Hand des Gegners gelangen, oder Kritik an der eigenen Kriegsführung und eine Schwächung des eigenen Kampfeswillens unterdrücken. Die propagandistische Lenkung der Kriegsberichterstattung kann aber auch die positive Form eines Anreizes zur Verbreitung von Desinformationen, Illusionen und Mythen annehmen. Beispielsweise führte die US-Armee nicht erst im Irakkrieg von 2003 das Konzept des embedded journalism ein; vielmehr versorgte sie bereits im Zweiten Golfkrieg von 1990/91 wegen Saddam Husseins bekannter Informationsbeschaffung aus den westlichen Medien diese gezielt mit Fehlinformationen. Bei dauerhafter Anwendung können all diese Maßnahmen dazu führen, dass sie von den Journalisten verinnerlicht werden, die sich dann von vornherein an die ihnen entgegengebrachten Erwartungen anpassen.

Dass die amerikanischen Massenmedien in den späteren Jahren des Vietnamkriegs in kritischer Weise berichteten, lässt sich darauf zurückführen, dass die amerikanischen Regierungsstellen in diesem Krieg nur eine schwache Zensur ausübten. Zwar unternahmen die Öffentlichkeitsabteilung der Streitkräfte und die U.S. Information Agency durchaus diverse Manipulationsversuche. Wegen des Ausbleibens einer offiziellen Kriegserklärung wurde jedoch keine Zensurstelle eingerichtet. Vielmehr vergab man großzügig Akkreditierungen, gewährte freien Zugang zu allen Kriegsschauplätzen und ließ den Reportern sogar aktive Unterstützung zukommen. Freilich sollten die Journalisten, im Vertrauen darauf, dass diese aufgrund des Zweiten Weltkrieges ohnehin von der moralischen Legitimation der amerikanischen Militärintervention überzeugt waren, gerade durch diese Freiheiten zu Komplizen der US-Armee gemacht werden. Bis zur Tet-Offensive gelang dies auch auf hervorragende Weise, weil die amerikanische Kriegsführung durch die Ausblendung der von ihr ausgehendenden, teilweise exzessiven Gewalt als sauber und humanitär, der militärische Gegner dagegen als inhuman dargestellt wurde.

Darüber hinaus stellt die liberale Behandlung der amerikanischen Massenmedien während des Vietnamkriegs einen Sonderfall in der Geschichte der Kriegsberichterstattung dar. Denn niemals zuvor hatten sich dieser gegenüber kriegführende Staaten eine derartige Zurückhaltung auferlegt. Vielmehr beauftragte beispielsweise im Krimkrieg von 1853–56 die britische Königin Victoria Roger Fenton mit der Anfertigung von Fotografien, die kritische Artikel der Times über das Missmanagement in der britischen Armee widerlegen sollten. Tatsächlich zeigten die Aufnahmen, die Fenton von der Krim mitbrachte, nicht die verwesten Leichen, die er vor Ort gesehen hatte, sondern bestanden größtenteils aus Porträts im Stil seiner Atelieraufnahmen und geselligen Genreszenen, die den Krieg als Landpartie oder Sonntagsspaziergang erscheinen ließen. Und zu solchen Lenkungen des Kriegsjournalismus ist man nach dem Vietnamkrieg gerade deshalb, weil man sich die dortige Niederlage der USA mit dem Sinneswandel der Berichterstatter erklärte, weltweit rasch zurückgekehrt. Dabei mag auch das dezentrale Internet in den Kriegen der 90er Jahre noch als ein Mittel der alternativen Informationsverbreitung gedient haben, mit dem sich die militärische Zensur umgehen ließ; mittlerweile ist es aber längst selbst zu einem Verbreitungskanal staatlicher und nicht-staatlicher Kriegspropaganda, etwa von islamistischen Hasspredigten oder Hinrichtungsvideos, geworden.

Krieg für die mediale Öffentlichkeit

Besonders perfide wird der Zusammenhang zwischen dem Krieg und seiner journalistischen Darstellung dann, wenn Kriegsteilnehmer Gewaltakte verüben, bei denen die publizistische die militärische Zielsetzung verdrängt. Schon die von Adams im Bild festgehaltene Exekution eines mutmaßlichen Vietcong wurde für die vor Ort befindlichen Fotografen und Fernsehteams in Szene gesetzt, deren Präsenz sie möglicherweise sogar erst dazu veranlasste. Noch bedeutender ist diese Strategie indes für den Terrorismus als eine extreme Variante der asymmetrischen Kriegsführung, der es nicht auf die physischen sondern auf die psychischen Folgen der angewendeten Gewalt ankommt: Wie Herfried Münkler ausgeführt hat, sollen Terrorakte die Verwundbarkeit eines militärisch überlegenen Gegners demonstrieren, um bei diesem Furcht zu verbreiten und einen zu interessierenden Dritten zu mobilisieren. Zu diesem Zweck muss aber über die Aktualitätsmedien eine möglichst breite Öffentlichkeit erreicht werden. Dabei erklärt die heutige mediale Übersättigung die gegenwärtig zu beobachtende Gewalteskalation, welche erst jene spektakulären Bilder schafft, die eine Chance haben, von vielen angesehen zu werden. Das mustergültige Beispiel hierfür sind weiterhin die Anschläge vom 11. September 2001, die offenbar sogar in Hinblick auf die günstigsten Sendezeiten in den westlichen Demokratien choreografiert wurden. Und da die betroffenen Massenmedien weltweit agieren, tragen sie auch zum Bestreben des internationalen Terrorismus bei, den postkolonialen Krieg zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden zu globalisieren.

Wird kriegerische Gewalt hier durch die Medienberichterstattung unmittelbar begünstigt, wenn nicht sogar bedingt, so haben neben Waffen- und Transport- auch Medientechnologien immer schon handfeste praktische Aufgaben bei der Kriegsführung selbst erfüllt und dabei im Laufe der Zeit immer stärker über den Ausgang militärischer Konflikte entschieden. Das gilt allein schon für Beobachtungs- und Speichermedien wie Fernrohre und Infrarotkameras, Luftaufklärungs- und Satellitenfotografien oder Sonar und Radar, von denen letzterer maßgeblich zum Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg beitrug. Seit einiger Zeit werden die von solchen Medien gelieferten Informationen – insbesondere dann, wenn es sich um anschauliche und daher scheinbar intuitiv verständliche Bilder handelt – ihrerseits zu propagandistischen Zwecken in die Kriegsberichterstattung eingespeist. Um etwa die Überlegenheit der eigenen Waffen zu demonstrieren, deren angebliche Präzision »Kollateralschäden« minimieren soll, veröffentlicht die israelische Armee von ihren Drohnen aufgenommene Videos ebenso wie die amerikanische solche aus den Zielkameras ihrer lasergelenkten Bomben. Aber auch die Medientechnologien selbst haben regelmäßig ihren Weg vom militärischen in den zivilen Bereich gefunden, weil zahllose heute allgemein verbreitete Medien einst Kriegen entsprungen sind oder von ihnen zumindest kräftige Entwicklungsschübe erhielten. Was wäre beispielsweise das Radio ohne den Ersten, das Fernsehen ohne den Zweiten Weltkrieg?

Die Grenzen zwischen medialer Kriegsberichterstattung, -propaganda und -führung sind also höchst durchlässig. Dafür ist auch die notorische Mehrdeutigkeit des immer dominanter werdenden Mediums des Bildes verantwortlich: Dieselbe Fotografie einer verstümmelten Leiche kann je nach situativem oder auch verbalem Kontext der Identifizierung eines gesuchten Terroristenführers dienen, die eigene Schlagkraft demonstrieren, die Grausamkeit des Gegners beweisen, das gezeigte Leid kommerziell ausbeuten, zur Gewöhnung an kriegerische Gewalt beitragen, den Tod des betreffenden Individuums in würdige Erinnerung rufen oder die Unmenschlichkeit des Krieges beklagen. Ungeachtet dieser Vielzahl an Bedeutungen und Wirkungen schafft jedoch eine im demokratischen Rahmen freie und plurale Diskursproduktion über den Krieg immer noch die besten Voraussetzungen dafür, dass an die Stelle der Kriegs- eine Friedenspropaganda treten könnte.

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