Was heute unter politischem Engagement verstanden wird, unterscheidet sich spürbar von dem, was noch vor einer Generation als politisch galt. Parteienbindungen, programmatisches Denken oder institutionalisierte Mitbestimmung verlieren an Relevanz. Nicht aus Desinteresse, sondern weil sie für viele junge Menschen nicht mehr zu den Herausforderungen und Lebensrealitäten der Gegenwart passen. Stattdessen rücken Themen wie Nachhaltigkeit, soziale Teilhabe, Diskriminierung, psychische Gesundheit, Erinnerungskultur oder globale Krisen in den Vordergrund.
Das politische Interesse Jugendlicher und die Bereitschaft zum Engagement sind gestiegen.
Die Shell-Jugendstudie 2024 zeigt: Das politische Interesse Jugendlicher ist in Deutschland in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Über 55 Prozent der Befragten im Alter von zwölf bis 25 Jahren bezeichnen sich selbst als politisch interessiert. Auch die Bereitschaft zum Engagement ist langfristig gewachsen – von 22 Prozent im Jahr 2002 auf 37 Prozent. Gleichzeitig zeigen Studien, etwa der Bertelsmann Stiftung (2023), dass sich junge Menschen zunehmend projektbezogen und themenorientiert engagieren – vor allem im Umwelt-, Bildungs- oder Antidiskriminierungsbereich, häufig jenseits formeller Strukturen wie Parteien oder Verbänden.
In vielen Städten – und gerade an Schulen – entstehen neue Formen politischer Beteiligung. Dort, wo Schüler:innen Freiräume erhalten, wächst ein politisches Bewusstsein, das nicht ideologisch aufgeladen, sondern wertebasiert und dialogorientiert ist. Eine dieser Initiativen ist die Interessengemeinschaft (IG) Friedenstaube am Otto-Nagel-Gymnasium in Berlin-Marzahn: Ein engagiertes Team aus Schüler:innen, Studierenden, Bundesfreiwilligen und Ehemaligen, das beispielhaft für eine Generation steht, die sich nicht über Organisationen definiert, sondern über gemeinsame Anliegen, konkrete Projekte – und einen klaren wertebasierten Kompass.
Gegründet wurde die IG vor etwa zehn Jahren von Jugendlichen, die sich jenseits des Unterrichts mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen wollten. Aus einer ersten Projektidee entwickelte sich über die Jahre eine vielfach ausgezeichnete Initiative – etwa als Good-Practice-Beispiel der Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder zuletzt mit dem Margot-Friedländer-Schulpreis 2024. Innerhalb des Ganztagsangebotes erarbeitet das Team unter dem Leitspruch »Soziale Schule. Humane Welt« eigenständig Projekte zu Demokratiebildung, Menschenrechten, Antidiskriminierung und Nachhaltigkeit, die im Rahmen der Regelunterrichtszeit durchgeführt werden und fest im Schulcurriculum verankert sind. Werte wie Menschlichkeit, Toleranz, Respekt, Demokratie und Zusammenhalt prägen sowohl das Schulklima als auch die Arbeit der IG. Bemerkenswert ist dabei: Sie agiert unabhängig von Lehrkräften – ohne Noten, ohne Bewertungen. Sie ist ein Raum für Eigenverantwortung. Und genau das macht ihn politisch.
»Je mehr Freiräume junge Menschen für Mitgestaltung erhalten, desto höher ist ihre Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.«
Denn Engagement ist längst nicht mehr nur laut oder aktivistisch. Viele Jugendliche entwickeln ihr Interesse eher leise. Zum Beispiel im Nachdenken über ihre Umgebung, über Alltagswidersprüche, über das, was sie als ungerecht empfinden. Diverse Studien zeigen: Je mehr Freiräume junge Menschen für Mitgestaltung erhalten, desto höher ist ihre Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Und doch ergab eine Erhebung der Universität Bielefeld 2022, dass über 60 Prozent der Schüler:innen im Schulalltag keine echte Mitbestimmung erleben. Eine Diskrepanz, die Initiativen wie die IG Friedenstaube bewusst zu überwinden versuchen.
Schule ist nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, sondern ein Lebensraum, in dem
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