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Über einen liberal-konservativen Blick auf »die Linke« Zwischenruf: Einspruch, Herr Kellerhoff!

Unter der Überschrift »Linke Überheblichkeit« hat der Welt-Redakteur Sven Felix Kellerhoff mit Blick auf die Krawalle in Hamburg während des G20-Gipfels auf der Online-Debattenseite der Zeitung den »linken Flügel der Gesellschaft« attackiert. Obwohl naturgemäß kein elaborierter Aufsatz, lohnt die Beschäftigung damit, weil darin ein unter liberal-konservativen Journalisten weit verbreiteter Standpunkt markiert wird.

Halten wir uns nicht lange bei der Frage auf, ob das bekannte, hier etwas abgewandelte, unterschiedlichen Urhebern zugesprochene Diktum, »Wer mit 20 nicht links sei, habe kein Herz; wer aber mit 40 immer noch links sei, habe kein Hirn«, mit dem der Autor seinen Artikel einleitet, nicht seinerseits ein Ausdruck von Überheblichkeit (und Zynismus) ist.

Wenden wir uns vielmehr dem konkreten Anliegen Kellerhoffs zu: Er empört sich über die auf die Hamburger Ereignisse zielende Äußerung von Martin Schulz in einem ZDF-Interview: »Links und Gewaltanwendung schließt [sic!] sich gegenseitig aus.« Natürlich ist dieser Satz zu apodiktisch formuliert. Dazu muss man nicht nur auf die europäischen Revolutionen und emanzipatorischen Massenbewegungen seit 1789 verweisen, die naturgemäß nicht immer gewaltlos vor sich gingen. Selbst unter einer modernen liberal-demokratischen Staatsverfassung kann es Situationen geben, in denen ein Gewaltlosigkeitsdogma nicht hilft, das Problem zu verstehen: Auch Streikposten können eine (zumindest passive) »Gewalt« ausüben; auch das Durchbrechen einer Polizeikette beim Versuch, einen Atommülltransport zu blockieren, wäre »Gewalt«. Ob das ein sich als links Verstehender im betreffenden Fall billigen würde oder nicht, er würde dem sicherlich ein höheres Maß an Legitimität (nicht unbedingt den Anspruch auf Straffreiheit) zubilligen als blindwütiger Zerstörungswut und gezielten Angriffen auf Personen, um diese zu verletzen oder gar zu töten.

Wie auch immer: Schulz wollte doch offenbar ausdrücken, dass sein Verständnis von »links« die Gewaltlosigkeit in der politischen Auseinandersetzung und die Respektierung verbindlicher, allgemein gültiger Regeln im demokratischen Rechtsstaat einschließt. Das wollte Kellerhoff nicht hinnehmen, denn: »Jeder linken Weltanschauung wohnt zwangsläufig der Hang zur Gewalt inne.« Der Kern linker Überzeugungen sei dadurch definiert, dass »Gerechtigkeitsdefizite durch staatlich angeordnete, notfalls erzwungene Umverteilung zu beseitigen« seien. Dass Sozialdemokraten das, jedenfalls unter demokratischen Bedingungen, auf legalem, gesetzlichem Weg bewirken wollen, spielt offenbar keine entscheidende Rolle. Für die »Spielarten des Kommunismus« sei es darüber hinaus typisch, dass die soziale Ungleichheit als solche aufgehoben werden solle. Nach diesem Kriterium wäre die gesamte klassische Sozialdemokratie, die bekanntlich seit dem 19. Jahrhundert ganz wesentlich zur Demokratisierung des Wahlrechts und zur Parlamentarisierung der Regierungsweise in den Staaten Europas beigetragen hat, bis in die letzte Nachkriegszeit in Wirklichkeit kommunistisch orientiert gewesen, der Streit mit dem Bolschewismus und dann verschärft mit dem Stalinismus eine rein taktische Angelegenheit.

Nationalkonservative sind ihrerseits verständlicherweise bemüht, eine Nähe zum Faschismus zu bestreiten – zum Teil durch die Behauptung, die NSDAP sei wegen ihres »volksgemeinschaftlichen« Pseudosozialismus eigentlich keine rechte, sondern eher eine linke Partei gewesen. Das ist zwar Unfug, aber den Unterschied von rechts (im Rahmen der gegebenen Verfassungsordnung) und rechtsextrem gilt es immerhin zu beachten. Alle politischen Formationen und Strömungen müssen damit leben, dass sich unterschiedliche, ja gegensätzliche Auffassungen und Interessen artikulieren. Ist es nicht gerade die Einengung des Meinungsspektrums, jedenfalls des als legitim angesehenen, die ein Phänomen wie die AfD begünstigt? Um mit Kurt Schumacher zu sprechen: »Der Todfeind der Demokratie sind nicht die polaren gegensätzlichen Prinzipien, der Todfeind der Demokratie ist ihre Passivität, ihr Nichtkämpfenwollen, ihr Gleitenlassen.«

Es ist keineswegs so, dass das Grundgesetz tiefe, substanzielle Eingriffe in die Wirtschafts- und Sozialordnung ausschlösse; sonst hätte es 1949 niemals die Zustimmung der SPD gefunden. Warum dürfen Sozialdemokraten (und auch demokratische Linkssozialisten) nicht darauf bestehen, dass ihre Überzeugungen, die sie nicht grundlos als »links« – gewiss stets ein vager und relativer Terminus wie auch der Gegenbegriff »rechts« – begreifen, mit dem Irrsinn einer bewaffneten Stadtguerilla à la Rote Armee Fraktion (RAF) ebenso wenig vereinbar sind wie mit der aggressiven Konfrontationsstrategie von »Autonomen« – und allemal mit Gewaltherrschaft und Staatsterror in Minderheitsdiktaturen?

Für Kellerhoff ist eine prinzipielle Abgrenzung der SPD von Gewalt und Terror offenbar nur dann glaubwürdig und akzeptabel, wenn »ihre Funktionäre die linken Überzeugungen bremsten und pragmatisch die jeweils anstehenden Herausforderungen angingen«; soll heißen, wenn die Partei jeden Anspruch aufgäbe eine über den sozialen Status quo hinausweisende solidarische Gesellschaft der Freien und Gleichen zu errichten. Also müsse der »alte Irrweg des ›demokratischen Sozialismus‹ verlassen werden. Denn ›Sozialismus‹ kann niemals ›demokratisch‹ sein« – in welcher Ausprägung auch immer –, weil es ihm aufgrund der egalisierenden Zielsetzung unmöglich sei, andere Meinungen zu akzeptieren und Kompromisse zu schließen.

Man fragt sich, aufgrund welcher Tatsachen der Autor zu dieser Einschätzung kommt. Bestimmt nicht durch die Anschauung der SPD-Politik der letzten Jahrzehnte (in Deutschland). In der ersten deutschen Republik, der von Weimar, ging die Partei aus demokratischer Staatsräson manchmal bis an die Grenze der programmatisch-politischen Selbstaufgabe – und in der Endphase, als sie fast allein die feste Stütze der demokratischen Republik bildete, vielleicht darüber hinaus. Auch dieser Vorwurf Kellerhoffs geht sachlich vollkommen ins Leere. Genauso wie die vage Assoziation mit Staatsterroristen wie Josef Stalin und Pol Pot sowie den extremistischen Amokläufern der RAF – soll er eine gesellschaftspolitische Grundorientierung diskreditieren, ihr letztlich die demokratische Legitimität absprechen.

PS: Bei Kellerhoff kann man übrigens auch lesen, der RAF-Terror der 70er und 80er Jahre sei nur möglich gewesen, »weil es in der Bundesrepublik ein breites linkes Unterstützermilieu gab« – auch das eine beliebte Unterstellung, fast gleichrangig mit derjenigen, »die Linke« habe als Ganze oder mehrheitlich mit dem Ostblock-System sympathisiert. Ja, es gab zweifellos Unterstützer der Terrorgruppen, aber von einem »breiten Milieu« habe ich als aufmerksamer Zeitzeuge nichts bemerkt, vielmehr in »der Linken«, auch der radikalen, eine ganz überwiegende, allerdings unterschiedlich scharfe und unterschiedlich begründete Ablehnung, registriert.

Kommentare (1)

  • Stephan Fuchs
    Stephan Fuchs
    am 20.06.2020
    "Denn ›Sozialismus‹ kann niemals ›demokratisch‹ sein« – in welcher Ausprägung auch immer –, weil es ihm aufgrund der egalisierenden Zielsetzung unmöglich sei, andere Meinungen zu akzeptieren und Kompromisse zu schließen.

    Man fragt sich, aufgrund welcher Tatsachen der Autor zu dieser Einschätzung kommt?"

    Weil bis jetzt vielleicht auf dieser Welt eben kein sozialistischer Staat existierte, das demokratisch war?! Pluralismus und Meinungsfreiheit eingeschlossen!
    Welches denn?
    Cuba, Sowjetunion, DDR, China, Nordkorea, Venezuela, etc......

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