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Zwischenruf II: Brief an die Jüngeren

Liebe Junge,

Ihr tut mir leid! Ich weiß, das klingt blöd und ein bisschen von oben herab, doch mir ist es ernst. Ich bedauere Euch wirklich. Die Folgen der Pandemie, der Ukrainekrieg, die Klimakatastrophe schlagen uns zwar allen aufs Gemüt – aber Euch haben die Krisen kalt erwischt. In einem Alter, in dem es um Aufbruch geht, den Spaß am Leben und die Suche nach dem eigenen Platz wurde Euch der Boden unter den Füßen weggerissen. Nicht umsonst sagt der Sozialforscher Klaus Hurrelmann über Eure Generation: »Es gibt ein hohes Maß an mentaler Unsicherheit und Leid.«

Niemand hat Euch darauf vorbereitet, dass es eine weltweite Seuche geben könnte oder wieder Krieg in Europa. Wie auch? Die allermeisten von uns wurden von den Ereignissen brutal überrascht. Beim Klimawandel liegen die Dinge zwar anders, aber da haben wir Älteren ja alles dafür getan, den drohenden Gau herunterzuspielen, statt den Planeten zu retten.

Inzwischen wisst Ihr also sehr gut, was Bedrohung bedeutet. Kein Wunder dass Euch Sicherheit und Stabilität besonders wichtig sind. Ich finde Sicherheitsdenken zwar ziemlich spießig, aber das muss Euch nicht kümmern.

Wobei – wenn Ihr mit Sicherheit meint, dass es eine Perspektive auf eine lebenswerte Zukunft und eine intakte Umwelt geben muss, bin ich ganz bei Euch. Zumal Ihr bei der Frage, was lebenswert ist, Eure eigenen Maßstäbe setzt. Zum Beispiel indem Ihr die kapitalistische Logik gelassen unterlauft und die Systemfrage zwar nicht radikal aber auf Eure Art stellt. So wie eine junge Journalistin im Spiegel, die schreibt: »Wir brauchen keine Statussymbole, keine fetten Autos und Vorstadtvillen.«

Der Wirtschaft läuft es dabei kalt den Rücken runter. Und auch woanders im Land finden sich jede Menge Miesmacher. Ihr Vorwurf: Die Generation Z, worunter meist die zwischen 1996 und 2009 Geborenen verstanden werden, bevorzugt bei ihrer Work-Life-Balance deutlich die Freizeit, legt kaum Wert auf Leistung, stellt zu viele Forderungen bei zu wenig Einsatz und ist nicht wirklich belastbar.

»Junge Menschen wollen sich nicht ausbeuten lassen und ziehen selbstbewusst Grenzen.«

Ich halte das für kompletten Quatsch! Sowohl die Volontär:innen in der Zeitungsredaktion, mit denen ich gearbeitet habe, als auch meine Studierenden an der Uni habe ich so gut wie immer als hochmotiviert erlebt. Allerdings musste das, was sie tun, für sie auch Sinn machen. Klaus Hurrelmann formuliert es so: »Junge Menschen wollen Erfüllung, Spaß und Freude im Beruf haben.« Sie wollen sich nicht ausbeuten lassen und ziehen selbstbewusst Grenzen.

Es ist genau diese Haltung, auf die Arbeitgeber und die sogenannten Leistungsträger vergrätzt reagieren. Wenn Ihr deren Werte hinterfragt, wenn Ihr Euch nicht krumm arbeiten wollt, um Wohlstand zu maximieren, seid Ihr als Arbeitnehmer nicht mehr so leicht erpressbar. Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel spielen Euch dabei in die Hände. Ihr müsst nicht mehr um den Job betteln, die Unternehmen müssen Euch etwas anbieten. Vielleicht wird so endlich umgesetzt, wovon seit Jahrzehnten die Rede ist: dass die Arbeitswelt menschen- und familienfreundlicher wird.

Und wenn Euer Bedürfnis nach Sicherheit darüberhinaus dazu führt, dass Ihr jeden Freitag die Schule oder die Vorlesung schwänzt um Euren Protest gegen die unzureichende Klimapolitik auf die Straße zu tragen, gehe ich gern mit. Ihr habt doch recht: Alle bisherigen Generationen haben sich einen Dreck oder zumindest zu wenig darum gekümmert, dass die Erde nicht kollabiert und Ihr auf diesem Planeten noch alles vorfindet, was die Menschheit braucht.

»Wie in Beton gegossen kommen oft auch bei Euch die Rollen von Müttern und Vätern daher.«

Selbst wenn Ihr Euch auf die Straße klebt, um zu demonstrieren, dass jetzt Matthäi am Letzten ist – auch gut. Diese Form des zivilen Ungehorsams, der gezielten Regelverletzung, ist nicht nur legitim, dieser Druck ist offenbar auch notwendig. Ich erspare es mir und Euch, all die Politiker:innen zu zitieren, die noch immer behaupten, es sei jetzt mal genug mit dem Katastrophengeschrei, schließlich gäbe es Wichtigeres als die Klimakrise. Und das, während vor unseren Augen anhaltende Dürren und sintflutartige Überschwemmungen ganze Regionen verwüsten und viele Menschen töten oder in die Flucht treiben.

Scheint also, als hätte ich an Euch wenig zu meckern. Stimmt aber nicht. Denn es gibt einige Punkte, die mich richtig ärgern, irritieren oder ratlos machen.

Das eine: Eure Rollenmodelle. Klar, die meisten von Euch akzeptieren gender­fluide Geschlechterbilder ebenso selbstverständlich wie alle möglichen Formen von Familie. Doch wie in Beton gegossen kommen oft auch bei Euch die Rollen von Müttern und Vätern daher. In Mittelschichtsgroßstadtkreisen gibt man sich cool als partnerschaftlich. Doch kaum zieht Ihr als Paar zusammen, plant eine Familie zu gründen oder seid schon mittendrin, ist Eure gelebte Realität alles andere als cool. Eher gestrig. Und eigentlich mega out!

Die Daten des Bundesfamilienministeriums untermauern, was Ihr nicht gerne hören wollt. Dass sich viele junge Männer auch Eurer Generation verhalten wie schon ihre Väter und Großväter. Zwar räumt Ihr der Familie einen sehr hohen Stellenwert ein. Und beteuert laut, dass ihr ein partnerschaftliches Modell bevorzugt. Zudem meinen nur noch wenige von Euch, dass Mütter den Hauptteil der Kinderbetreuung und Hausarbeit übernehmen sollen.

Doch kaum geht’s um die Umsetzung, stellt sich heraus: Der Wunsch nach Gleichberechtigung ist nur vorgespiegelt, ein Fake. In der Praxis übernehmen viele von Euch sehr viel weniger Haushalts- und Familienarbeit als behauptet. »Verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre«, hat der Soziologe Ulrich Beck das genannt. Nach diesem Muster leben viele von Euch genau so unverfroren, wie die Männergenerationen vor Euch.

Und ist es nicht erbärmlich, dass Ihr finanzielle Anreize braucht, damit Ihr Euch um die Kinder kümmert? Erst seit der Staat Elterngeld zahlt, bequemen sich gut 40 Prozent der deutschen Väter überhaupt, kurz im Beruf auszusteigen. Dreiviertel von ihnen tut das aber nur für zwei Monate. Wieviele Eurer Generation sind wohl auf dem gleichen Trip? Wollen, sobald sie Vater werden, maximal acht Wochen zu Hause bleiben oder haben es bereits so gehandhabt?

Und Ihr jungen Frauen? Übernehmt dann häufig und auch noch bereitwillig die Hauptverantwortung für Haushalt und Kinder. Warum eigentlich? Wie selbstverständlich lasst Ihr es Eurem Partner durchgehen, dass er sich einen schlanken Fuß macht, so wie Ihr es von den meisten Eurer Mütter kennt. Dafür reduziert Ihr Eure Erwerbsarbeit oder – wenn ihr mehrere Kinder wollt – plant sogar, einige Jahre ganz aus dem Beruf auszusteigen. Mit all den üblen Langzeitfolgen, die das im späteren Leben für Euch hat.

Die Bundesfamilienministerin stellt fest: »Mit der Geburt des ersten Kindes fallen die meisten Paare in traditionelle Geschlechterrollen und Aufgabenverteilungen zurück.« Was soll diese stinkige Tradition und Rückwärtsgewandtheit noch bei Euch Jungen? Wo bleibt da die Geschlechtergerechtigkeit, die doch das einzige Modell ist, das für die Zukunft taugt?

Ängstlichkeit undf Zukunftspessimismus

So weit, so unerfreulich. Mein nächster Punkt ist weniger ein Ärgernis als etwas, das mich bedrückt und irritiert. Ich spreche von Eurer Ängstlichkeit und Eurem Zukunftspessimismus. Motto: Die Welt geht unter, was also soll das Ganze noch?

Selbstverständlich habt Ihr Grund genug, nicht optimistelnd durch die Gegend zu laufen. Für den Optimisten ist das Glas immer halb voll, egal welch stinkende Brühe sich darin befindet. Und zur Zeit stinkt es zweifellos gewaltig. Aber: Wo wollt Ihr den Mut und die Energie hernehmen, etwas anzugehen und zu verändern, wenn Ihr nur schwarz seht? Wie wollt ihr die Welt lebenswerter machen, wenn Ihr nicht daran glaubt, dass dies auch möglich ist?

»Als begründete Zuversicht ist Hoffnung auch in Krisenzeiten absolut nötig.«

Was ich Euch wünsche ist Hoffnung – gerade weil uns das Wasser bis zum Halse steht. Denn Hoffnung ist als begründete Zuversicht auch in Krisenzeiten absolut nötig. Hoffnung kann politische Triebfeder sein und ist selbst medizinisch im Blick auf die Abwehrkräfte des Körpers relevant. (Ich denke da auch an die psychische Belastung, der sich viele von Euch ausgesetzt fühlen.)

Der britische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton hat es wunderbar auf den Punkt gebracht. »Hoffnung ist ein aktives Bekenntnis zur Wünschbarkeit und Realisierbarkeit eines bestimmten Ziels.« Daran ist der Verstand in hohem Maße beteiligt, denn anders als der Optimist braucht der Hoffende erkennbare Gründe, um zuversichtlich zu sein.

Doch wo soll sie herkommen, die Hoffnung, in solch hoffnungsarmen Zeiten?

Aus der Erkenntnis der Lage. Indem Ihr versucht zu ändern, was Ihr als falsch ausgemacht habt. Durch Arbeit an der Zukunft. Und die muss sofort beginnen, damit Ihr tatsächlich eine Zukunft habt.

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