Die Welt ist ein patriarchaler Misthaufen. Historische Forschungen gehen davon aus, dass die soziale Diskriminierung von Mädchen und Frauen ein relativ junges Phänomen ist und erst vor etwa 12.000 Jahren erfunden wurde. Männer etablierten ein perfides Gewaltsystem, das sich – unterstützt von einer Ideologie der Ungleichheit – durch beachtliche Beharrungskräfte auszeichnet. Bis heute. Ob Afghanistan, Iran, Indien oder Mexiko, ob arabische oder afrikanische Länder... die Liste der Gesellschaften, in denen Mädchen und Frauen teils schlechter behandelt werden als Vieh, ist lang und hässlich. So weit, so übel.
Und da sind dann noch die anderen, meist westlichen Staaten, in denen das Patriarchat zumindest zurückgedrängt ist und nur noch verhohlen daherkommt – als sogenannte männerdominierte Gesellschaft. Da dürfen Frauen, wie hier in Deutschland, auf dem Papier alles. Alles, was Männer dürfen. Dennoch ist die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern auch hierzulande nach wie vor krass.
In allen Fragen der Teilhabe sieht es blöd aus für den weiblichen Teil der Gesellschaft. Wer dominiert in der Wirtschaft? Wer in der Politik? Und wer dominiert die privaten Beziehungen? Deutschland ist in Sachen weiblicher Emanzipation finsteres Entwicklungsgebiet. Männer haben die Macht, das Geld und die Aufmerksamkeit. Zweifellos hat sich das gesellschaftliche Bewusstsein in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt, zweifellos auch die Realität an diversen Stellen – aber die Entwicklung kommt nur in Trippelschritten und viel zu langsam voran.
Wir Frauen haben in diesem Land wenig zu melden. Das lassen wir nicht nur zu, sondern geben uns kleinlaut zufrieden. Viel zu oft, immer noch. Wie kann es sein, dass wir uns unsere Rechte nicht einfach nehmen? Wieso beugen wir uns auch dort, wo wir frei entscheiden können, männlichen Vorstellungen und übernehmen freiwillig ranzig riechende Weiblichkeitsrollen? Warum stützen wir ein System, das uns abwertet?
»Die Verhältnisse machen es Mädchen und Frauen nicht leicht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.«
Klar, die Verhältnisse machen es Mädchen und Frauen nicht leicht, ein selbstbestimmtes, eigenständiges Leben zu führen. Ob Mutter- oder Männlichkeitsbilder, ob Ehegattensplitting, frauenfeindliche Arbeitswelten, fehlende Kinderbetreuung oder gender pay gap – gesellschaftliche Leitbilder im Verein mit politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen schaffen nur für erzkonservative Lebensentwürfe ein gutes Umfeld. Hinzu kommt die tief ins kollektive Gedächtnis eingegrabene Erfahrung der permanenten Abwertung und Bedrohung durch Alltagssexismus und Gewalt, die das weibliche Selbstbewusstsein stetig verletzen.
Es ist zweifellos eine toxische Mischung, die Frauen ins patriarchal designte Gehege drängt und lockt, die sie hineingleiten lässt in Rollen, die sehr viele schon sehr lange nicht mehr wollen. Und doch schlägt ein Großteil irgendwann diesen Weg ein und landet in der Falle. Und ist da keineswegs nur immer hineingestolpert.
Soweit es die strukturellen Faktoren betrifft, sind Frauen großartig darin, all die Hindernisse zu benennen und zu analysieren, die ihrem selbstbestimmten Leben im Wege stehen. Doch es gibt auch die andere Seite der Medaille, und die blenden sie gern aus. Denn wenn es um das eigene Zutun geht, darum, was Frauen dazu beitragen, dass die Verhältnisse sind wie sie sind, ist es mit der Analysefähigkeit nicht weit her. Wie entlastend ist es doch, die Verantwortung für die eigenen Lebensumstände, die frau sich womöglich anders vorgestellt hat, ausschließlich auf äußere Bedingungen zu schieben.
»Warum übernehmen Frauen patriarchale Vorgaben?«
Doch blinde Flecken können wir uns keineswegs leisten. Das Private ist politisch – aber das Politische ist auch privat. Was zahllose Frauen tagtäglich im Nahbereich entscheiden, hat enormen Einfluss auf das gesellschaftliche Bewusstsein und die politische Praxis. Schon deshalb müssen wir neben den objektiven Rahmenbedingungen auch die subjektiven Faktoren in den Blick nehmen, die Mechanismen und ihre Wechselwirkung verstehen. Müssen uns mit der unangenehmen Frage beschäftigen, warum Frauen patriarchale Vorgaben übernehmen. Müssen erkennen, wo wir uns zu Komplizinnen des Systems machen, statt ihm konsequent die rote Karte zu zeigen.
Sicher, auch im Privaten, dort, wo es um persönliche Entscheidungen geht, spielen überindividuelle Muster und Prägungen eine Rolle und beeinflussen unser Leben. Dennoch ist es zweifellos ein Bereich, in dem wir an sehr vielen Stellen die Wahl haben. Die Freiheit ist da.
Wer zwingt uns denn, einen Beruf zu wählen, in dem wir wenig Verdienst und kaum Ansehen haben? Wer zwingt uns, einen Mann zu lieben, der die gleichberechtigte Aufgabenteilung bei Beruf und Familie für einen schlechten Witz hält? Wer zwingt uns, trotz gravierender Nachteile den größten Teil unseres Berufslebens in Teilzeit zu arbeiten? Und wer zwingt uns, die Versorgung von Haus, Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen zum allergrößten Teil allein zu schultern? Nur die Strukturen? Wohl kaum.
Tatort Familie
Seit vielen Jahren zeigen Umfragen unter jungen, gut ausgebildeten Frauen, dass sie ein selbstbestimmtes Leben führen und alles gerecht mit ihrem Partner teilen wollen – die Berufs- und auch die Familienarbeit. Doch wie sehr sich dann die meisten von ihren Wünschen entfernen und sich sprichwörtlich zum Obst machen lassen, zeigt exemplarisch der Tatort Familie.
Wer sich jenseits ökonomischer Fragen den Zustand der deutschen Familie anschaut, wird auf zwei Dinge stoßen. Zum einen hat sich das Bild von Familie in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gewandelt. Zum anderen wird das familiäre Zusammenleben von üblen Beharrungskräften bestimmt.
Verändert hat sich vor allem der Begriff von Familie und ihre gelebten Formen. Da gibt es längst eine bunte, gesellschaftlich akzeptierte Vielfalt. Doch so bunt das äußere Bild erscheint, so grau sieht es im Innerfamiliären aus. Wie in Beton gegossen sind die Rollen von Mutter und Vater verteilt, seit Jahrzehnten kaum aufgebrochen. In Mittelschichtsgroßstadtkreisen gibt man sich cool als partnerschaftlich, doch die gelebte Realität in den meisten Familien quer durchs Land ist alles andere als cool. Eher vorvorgestrig.
»Der deutsche Vater ist ein Versager – und die Mütter lassen es zu, dass er sich drückt.«
Das Familienbarometer 2023, herausgegeben vom Bundesfamilienministerium, belegt, was niemand laut ausspricht. Der deutsche Vater ist ein Versager – und die Mütter lassen es zu, dass er sich drückt. Zwar räumen Männer der Familie den höchsten Stellenwert in ihrer Prioritätenliste ein. Und sie beteuern, dass sie ein partnerschaftliches Modell bevorzugen, bei dem die Erwerbs- und Familienarbeit gerecht geteilt wird. Auch finden es zwei Drittel der Eltern wichtig, dass beide Partner gute berufliche Perspektiven haben und finanziell unabhängig sind.
Doch kaum geht’s um die praktische Umsetzung, stellt sich heraus: Der Wunsch nach Gleichberechtigung ist nur vorgespiegelt, die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Frauen übernehmen die Hauptverantwortung für Haushalt, Kinder und pflegebedürftige Angehörige, reduzieren dafür ihre Erwerbsarbeit oder steigen ganz aus dem Beruf aus.
Patriarchale Trampelpfade
Dabei kursiert im öffentlichen Diskurs noch immer die Vorstellung, das liege zuallererst am besseren Gehalt des männlichen Partners. Eine Chimäre. Denn nur relativ wenige Paare geben an, dass sie eine andere Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit gewählt hätten, wenn die Frau mehr verdienen würde. Es ist also nicht wirklich das Geld, es sind die patriarchalen Trampelpfade, denen Mütter und Väter folgen. So stellt selbst die Bundesfamilienministerin fest: »Mit der Geburt des ersten Kindes fallen die meisten Paare in traditionelle Geschlechterrollen und Aufgabenverteilungen zurück.«
Denn der Familienmann kneift. Und sorgt dafür, dass er in weiten Teilen sein Leben leben kann wie schon sein Vater, Großvater, Urgroßvater... »Verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre«, hat der Soziologe Ulrich Beck dem deutschen Mann einst attestiert. Ist es nicht unendlich peinlich, dass dieser Befund aus den 90er Jahren noch immer gilt? Auch für junge Männer – und von jungen Frauen akzeptiert wird?
Und ist es nicht erbärmlich, dass Väter finanzielle Anreize brauchen, damit sie sich um die Kinder kümmern? Erst seit der Staat Elterngeld zahlt, bequemen sich gut 40 Prozent der Väter, kurz im Beruf auszusteigen. Sehr kurz. Dreiviertel nur für zwei Monate. Als Grund wird der übliche Kram genannt: zu wenig Geld, zu groß die Gefahr, im Job abzuschmieren. Doch gilt nicht genau dasselbe für die Mütter?
»Wenn Mann, Kinder und Haushalt rufen, kommt die Achtsamkeit für sich selbst zu kurz, und damit auch die psychische und physische Gesundheit.«
Männer ziehen ihr Ding durch, während Frauen auf vieles zugunsten der Familie verzichten – und dabei nicht wirklich glücklich sind. Denn die traditionelle Aufgabenteilung hat erhebliche Folgen für alle anderen Lebensbereiche. Die Zeit und Energie, die Frauen im Haus lassen, fehlt ihnen anderswo. Zum Beispiel für die Erwerbsarbeit. Woran Altersvorsorge und finanzielle Unabhängigkeit bei einer Trennung hängen. Zum Beispiel beim politischen Engagement. Auch weil Frauen zeitlich enger getaktet sind als Männer, können sie politisch weniger mitmischen. Zum Beispiel für die eigenen Bedürfnisse. Wenn Mann, Kinder und Haushalt rufen, kommt die Achtsamkeit für sich selbst zu kurz, und damit auch die psychische und physische Gesundheit.
Wer sich nicht anpassen will, braucht Mut
Warum lassen sich Frauen dennoch in Geiselhaft nehmen? Wohl, weil ihnen die reaktionäre Rolle nicht nur missfällt, sondern auch etwas bringt. Zwar keineswegs ein selbstbestimmtes Leben, doch eines ohne tiefgehende, existenzielle Anfragen und Konflikte. Konflikte mit allen, die traditionelle Unterordnung fordern – der Partner, Familienmitglieder, Freundinnen, die selbst so leben, große Teile des gesellschaftlichen und beruflichen Umfelds.
»Rollenkonformität erscheint oft genug als kleineres Übel.«
Es ist anstrengend für sich selbst einzustehen. Auch heutzutage und hierzulande. Wer sich nicht anpassen will, braucht Mut und muss bereit sein zu streiten. Die Angst vor Liebesverlust, vor Abweisung, Alleinsein und emotionalem Stress kommen hinzu und lassen die Rollenkonformität oft genug als kleineres Übel erscheinen. Dabei ist sie das Gegenteil, nämlich freiwillige Unterwerfung. Denn andere Möglichkeiten sind doch da. Schließlich leben wir nicht unter den Taliban in Afghanistan. Und – wir Frauen sind viele. Wir brauchen nur ein Pfund Mut statt einer Tonne Ausreden, um das Patriarchat zu seinem Ursprung zurückzukatapultieren.
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