Menü

Dokument des Westfälischen Friedensvertrages 1648 © picture alliance / Ulrich Baumgarten | Ulrich Baumgarten

Europäische Erfahrungen aus den vergangenen Jahrhunderten Zwischenruf: Kriege beenden – aber wie?

Wenn Kriege nicht diplomatisch oder durch Handlungszwänge wie volkswirtschaftliche Probleme oder innere Unruhen beendet werden, führt meist erst eine militärische Niederlage einer Seite zum Kriegsende; sicherlich das deutlichste Szenario. Ab einem gewissen Punkt des Krieges wird dieses für alle Beteiligten zum bevorzugten Szenario, denn je länger ein Krieg dauert, je mehr Menschenleben er kostet, je mehr er an materiellen Werten vernichtet, Wohlstand und Wiederaufbau verhindert, umso mehr gewinnt die Einstellung die Oberhand, dass der Krieg nicht vergebens gewesen sein darf.

Je länger ein Krieg dauert, je mehr Menschenleben er kostet: »Er darf nicht vergebens gewesen sein«.

Der Gerechtigkeit soll genüge getan und eventuell Rache am Gegner genommen werden. Wenn dann noch die Hoffnung hinzukommt, mit der nächsten Offensive, mit der nächsten militärtechnischen Innovation, mit dem Einstieg des nächsten Verbündeten das Blatt zum eigenen Vorteil wenden zu können, führt das zu einer Verlängerung des Krieges. Für gewöhnlich entwickelt sich diese Mentalität bei allen Kriegsbeteiligten.

Beispiel Erster Weltkrieg

Das einprägsamste Beispiel hierfür ist der Erste Weltkrieg. Mit jeder Offensive, jedem weiteren teilnehmenden Staat, jedem (Miss-)Erfolg wuchsen die Erwartungen und der Wunsch eines militärischen Sieges der eigenen Seite. Es hätte immer wieder Möglichkeiten gegeben, den Krieg diplomatisch zu beenden, aber eine Seite war für eine gewisse Zeit immer überzeugt, länger durchhalten, den Gegner doch noch niederringen und damit alles Verlorene rechtfertigen zu können. Problematisch ist dabei, dass die Kriegsparteien ihre Chancenverteilung in der Regel subjektiv einschätzen.

Waffenstillstände sind immer temporär

Von verschiedenen Akteuren und Beobachtern wird auch immer wieder der Waffenstillstand als Möglichkeit des Kriegendes vorgeschlagen. Diese Option führt aber zu einer Reihe an Fragen beziehungsweise Problemen: Waffenstillstände können Kriege bekannterweise nur temporär beenden. Offen bleiben die Fragen, wozu das zeitweilige Schweigen der Waffen genutzt wird und wie die realpolitischen Perspektiven für die Zukunft aussehen. Weiteres Blutvergießen wird zunächst verhindert. Das bleibt human, solange keine machtpolitische Option auf dem Tisch liegt, um mithilfe eines Waffenstillstandes einen Krieg ganz zu beenden. Aber das Blutvergießen kann danach weitergehen.

Die Koalitions- und Napoleonischen Kriege von 1792 bis 1815 sahen beispielsweise so viele Wechsel von Frieden, Krieg und Waffenstillständen, wie in Europa seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr. Der Blick in die Geschichte zeigt zudem, dass Waffenstillstände militärisch risikoreich sein können. Waffenstillstandsverhandlungen und -bedingungen können einer Kriegspartei weiterhin Kriegshandlungen ermöglichen, so etwa im Preußisch-Österreichischen Krieg 1866, als die Kriegsparteien weiterhin verteidigungsfähig gegen ein eventuelles Eingreifen Frankreichs oder Russlands sein wollten. Waffenstillstandsverhandlungen und -bedingungen können aber auch das genaue Gegenteil bedeuten. So nahmen die Waffenstillstände 1918 den Mittelmächten fast jede Möglichkeit, den Alliierten bei einer eventuellen Neuaufnahme der Kämpfe etwas entgegensetzen zu können.

Brüchig und riskant: das »Einfrieren«

Wer Waffenstillstände für nicht machbar hält, schlägt gerne das »Einfrieren« eines Konfliktes vor. Eine Befriedung entsteht damit aber selten und das Ergebnis unterscheidet sich kaum von einem Waffenstillstand. Der Unterschied liegt darin, dass es weniger Kompromisse als bei einem regulären Waffenstillstand gibt. Umso brüchiger und riskanter ist also ein »Einfrieren«. Eindrucksvoll beobachtet werden kann das etwa im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. 1918 durch die Niederlage der Imperien entstanden und durch sowjetische Gewalt erstmals 1923 »eingefroren«, bricht er bis heute immer wieder von Neuem auf. Nach der Eroberung der armenischen Enklave Bergkarabach durch Aserbaidschan im Herbst 2023 kann die Gefahr weiterer Eskalation wieder reifen.

Es gibt noch einige Unter- und Mischformen, wie ein Weg aus einem Krieg aussehen könnte, aber die drei genannten sind die wesentlichen Grundmuster. In welche Richtung sich etwa der Krieg in der Ukraine entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Momentan ist nach fast zwei Jahren eine Pattsituation eingetreten, die einem »Einfrieren« ähnelt. Eine finale Lösung ist damit noch lange nicht in Sicht.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben