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Zwischenruf: Reden wir vom Fußabdruck!

Man sollte meinen, es hätte einen Aufschrei der Empörung gegeben, als die Entwicklungsorganisation Oxfam anlässlich der Weltklimakonferenz COP26 eine Studie veröffentlichte, die vorrechnete, wie sich die bisherigen Zusagen der Regierungen auf den CO2-Fußabdruck der reicheren und ärmeren Teile der Weltbevölkerung auswirken werden.

Auch 2030 werden danach die Pro-Kopf-Emissionen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung weit unter einem mit der 1,5-Grad-Grenze verträglichen Wert bleiben; die reichsten zehn Prozent werden diesen Wert dagegen um das Neunfache überschreiten und damit deutlich mehr emittieren als mit der 1,5-Grad-Grenze verträglich ist; die Pro-Kopf-Emissionen des reichsten einen Prozent werden gar 30-fach darüber liegen. Damit wird diese Gruppe für 16 Prozent der globalen Gesamtemissionen verantwortlich sein. Da ist zum Beispiel die steigende Nutzung von Privatflugzeugen. Milliardäre leisten sich auch private Weltraumflüge. Und es gibt Superyachten, die zuletzt immerhin mal durch die Beschlagnahmungen im Rahmen der westlichen Sanktionen gegen russische Vermögenswerte mediale Aufmerksamkeit erhielten.

Einige Medien berichteten von der Studie, aber der Sturm der Empörung blieb aus. Weder gab es Fridays-for-Future-Demonstrationen, noch klebten sich Aktivisten der Letzten Generation auf Ein- und Ausfahrten zu den edlen Yachthäfen der Reichen und Schönen fest, noch ketteten sie sich an die Reling, um ein Auslaufen zu verhindern.

Ein exzentrisches Randphänomen, das vielleicht im Privatfernsehen die Sehnsucht nach einem sorgenfreien Leben bedient, das aber eigentlich nicht weiter interessiert? Gibt es Belangloseres als Superyachten? Auch der französische Soziologe und Politikwissenschaftler Grégory Salle stellt in einem Essay diese rhetorische Frage. Auf den ersten Blick sieht man ein peripheres Luxusphänomen einer winzigen Gruppe. Die Superyacht Times schätzt weltweit rund 600 Exemplare, die mehr als 50 Meter Länge und 120 Exemplare, die mehr als 80 Meter messen.

Dass es sich eben gerade nicht um eine Marginalie handelt, erfahren wir bei Salle. Wer etwas über Ökonomie und Soziologie der globalen Gegenwart wissen wolle, dem gäben sie Hinweise: »Man zieht am dünnen Faden der Superyachten, und das ganze Knäuel des fossilen Kapitalismus wickelt sich ab«. Und mit ihm das wesentliche Merkmal unserer Zeit: die rasante Zunahme wirtschaftlicher Ungleichheit bei Beschleunigung der ökologischen Katastrophe.

Eine durchschnittliche Superyacht emittiert jährlich 7.020 Tonnen CO2 – und damit mehr als 1.400 Menschen zusammen. Die 300 größten Superyachten emittieren mehr CO2 als die über zehn Millionen Einwohner Burundis. Sie dienen dem demonstrativen Luxuskonsum einiger Weniger, der für die Umwelt, und also für die Menschheit, immens zerstörerisch ist.

Es geht da nicht nur um die nicht zu rechtfertigende Existenz eines schwindelerregenden Reichtums und die damit verbundene obszöne Ungleichheit. Sondern auch um ökologische Ungleichheiten: in welchem Maße Menschen schädlichen Einflüssen (Lärm, Risiken) ausgesetzt sind und Zugang zu Gütern (Ressourcen, Naturschätze) haben, und andererseits um den ökologischen Fußabdruck der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppen, die Schäden die sie anrichten. Die einen feiern das Leben, die anderen leiden darunter.

Es geht um Gerechtigkeit, nicht um Neid

Die ökologischen Kosten werden abgewälzt auf andere gesellschaftliche Gruppen, darunter die Ärmsten. Und die öffentlich diskutierte Verantwortung liegt, simsalabim, nicht etwa (zumindest in weit überproportionalem Maße) bei der sozioökonomisch klar umrissenen, sehr kleinen Gruppe der besonders dreisten Umweltzerstörer. Sondern sie wird in der politischen Tagesdebatte immer nur – sozusagen egalitär – festgemacht bei jedem Einzelnen: bei Raumtemperatur, Nutzung eines Privatwagens auf dem Weg zur Arbeit, Rasensprengen, Duschhäufigkeit.

Ja, die Klimadebatte hat manchmal Schlagseite, bei den meisten sicher unfreiwillig. Es muss um die Anstrengung aller gehen. Aber lasst uns auch mehr und intensiver über die Fußabdrücke reden. Jedenfalls dort, wo sie offenbar bislang niemanden interessieren. Wo die extrem unterschiedliche Reichtumsverteilung einfach so hingenommen wird, als sei sie sogar fürs Klima egal. Wo weggeschaut wird. Das ist dann nicht Neidkomplex, es ist das Gerechtigkeitsprinzip.

Es geht nicht um private Flugzeuge, Schiffe, Nobelkarossen an sich. Es geht um die Ignoranz in einer von demokratischen Debatten ziemlich abgeschotteten selbstgerechten Welt des ganz großen Geldes. Darauf weit mehr zu schauen als bisher ist die Klimapolitik allen schuldig, in deren bisherige Lebensgewohnheiten sie mit guten Argumenten eingreift. In den Worten von Salle formuliert: Sehen könne man dort »einen sehr kleinen Zipfel, aber immerhin einen Zipfel. Irgendwo muss ja mal anfangen, etwas Konkretes greifen, besonders wenn die Zeit drängt«.

Grégory Salle: Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän. Edition suhrkamp, 3. Aufl. 2023, 170 S., 16 €.

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