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Veranstaltung, 17. Sept 2025

Jahresdebatte 2025

Welcher Staat - Unsere Antwort auf die Populisten

– unter dem Titel von Heft 9/25 “Welcher Staat - Unsere Antwort auf die Populisten” lud die Redaktion der Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte am 17. September 2025 ein zu ihrer großen Jahresdebatte mit internationalen Inputs aus Frankreich und den USA in den voll besetzten, großen Saal der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Berliner Hiroshimastraße.

Es ging nicht nur um »unsere Antwort auf die Populisten«, die die demokratischen Institutionen angreifen, einen anderen Staat wollen, so Chefredakteur Richard Meng. Der Staat selbst rückt vielfältig ins Zentrum der Debatte. Er muss stärker und widerstandsfähiger werden, innergesellschaftliche Spaltungen und Bedrohungen von außen haben zugenommen. Und er muss, um glaubwürdig zu sein, funktionieren. Nicht nur zur Verteidigung, auch zur Erneuerung der Infrastruktur und im Behördenalltag.

Martin Schulz, Mitherausgeber der NG|FH, eröffnete mit dem eindringlichen Appell, gegenüber den Rechtspopulisten mehr Selbstbewusstsein zu zeigen. Er verwies besonders auf fehlende Verteilungsgerechtigkeit. Mehr denn ja gelte: Ungleichheit bringt Diktatur mit sich. Gerade wer nicht reich ist, brauche den funktionsfähigen Staat. In der Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus seien zwei Dinge entscheidend: dass die Diskurshegemonie des Neoliberalismus aufhört und es gelingt, die europäische Zivilisation mit ihren individuellen Grundrechten zu verteidigen.

In seinem Impuls schärfte zunächst der französische Journalist Pascal Thibaut (Radio France International) den europäischen Blick. Im Nachbarland haben Staat und Industriepolitik zentralere Bedeutung, werden aber auch heftiger abgelehnt und bekämpft. Der zweite Input durch den US-amerikanischen Journalisten Chris Reiter (Bloomberg News) fiel kritisch auch gegenüber der deutschen Debatte aus: gegen die verbreitete Selbstverachtung in Deutschland, anders als die Selbstverliebtheit in den USA. Und es gebe zu viele Regeln und zu große Erwartungen an den Staat. Er plädierte für eine positive nationale Identität – nicht im Sinne des Nationalismus, sondern als zivile Identität, als German Dream, als Vision, wie Deutschland aussehen soll, wenn es dem Einzelnen spürbar besser gehen wird.

Bilderreihe

Mitherausgeber NG|FH Martin Schulz.
Mitherausgeber NG|FH Martin Schulz.
Journalist (Radio France International) Pascal Thibaut.
Journalist (Radio France International) Pascal Thibaut.
US-Journalist Chris Reiter.
US-Journalist (Bloomberg News) Chris Reiter.
Maike Weißpflug (Bundesamt für nukleare Entsorgung) und Henning Meyer (Professor).
Maike Weißpflug (Bundesamt für nukleare Entsorgung) und Henning Meyer (Professor, stellv. Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission).
Chefredakteur Richard Meng und Laura-Kristine Krause (Leiterin der Unterabteilung Modernes Deutschland im Bundesfinanzministerium).
Chefredakteur Richard Meng und Laura-Kristine Krause (Leiterin der Unterabteilung Modernes Deutschland im Bundesfinanzministerium).
Richard Meng und Politikwissenschaftlerin (FU Berlin) Julia Reuschenbach.
Richard Meng und Politikwissenschaftlerin (FU Berlin) Julia Reuschenbach.

Einige Aspekte aus der Diskussion:

Maike Weißpflug vom Bundesamt für nukleare Entsorgung (BASE) sprach sich für die Stärkung der formellen Bürgerbeteiligung aus, obwohl sie etwas gegen Alibi-Bürgerräte hat. Sie unterstrich, dass wer Teilhabe erfährt, sich eher mit der Gemeinschaft identifiziert. Es komme nicht nur auf die besseren Problemlösungsprogramme an, sondern auch auf die Persönlichkeiten, die diese überzeugend repräsentieren. Mit dem ehrlichen und offenen Gespräch über die eigentlichen Probleme sei schon viel gewonnen.

Henning Meyer (Professor, stellv. Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission) erläuterte, wie intern an einem neuen Staatsverständnis der SPD, das Infrastruktur und Teilhabe miteinander verbindet, gearbeitet wird. Zur Förderung der Demokratie als gelebter Praxis komme es gerade auf die soziale Infrastruktur, auf analoge Räume an. Es müsse ein neues Wir geben, damit die sozialen Milieus nicht ihre Bindekraft verlieren. Es gehe auf der Basis der eigenen Werte um ein gemeinsames Zukunftsversprechen der Sicherheit und Stabilität für Deutschland und Europa, das der rechtspopulistischen Transformation entgegengesetzt werden kann.

Laura-Kristine Krause (Leiterin der Unterabteilung Modernes Deutschland im Bundesfinanzministerium), gewissermaßen aus dem »Maschinenraum« der Politik - sozusagen dem »Vizekanzleramt« – sprach von Bürokratierückbau, von der Antwort eines »neuen Staates« auf die Unzufriedenheit im Land - damit die Politik jetzt »liefert«. Sagen, was ist und trotzdem nicht schlechtreden – nicht einfach, aber die entscheidende Voraussetzung für die notwendige Staatsmodernisierung. Sie will einen bewahrenden Staat, einen Staat der Menschen, einen mutigen Staat. 

Julia Reuschenbach (Politikwissenschaftlerin, FU Berlin) hält die Lage angesichts des auch wissenschaftlich bewiesenen, grassierenden Vertrauensverlustes der Politik für äußerst ernst. Sie warnt besonders davor, dass die Selbstwirksamkeitsgefühle der AfD-Wähler (»Wir lösen doch tatsächlich etwas aus, bewirken etwas.«) den Rechtspopulisten weiteren Auftrieb geben. Sie plädiert für stärker an wissenschaftlichen Szenarien orientierte Politik, zweifelt daran, dass selbst mit dem neuen Grundgefühl einer funktionierenden Demokratie die rechten Milieus noch erreicht werden können. Ihr ist wichtig, den Demokratie-Diskurs nicht nur auf Progressive zu beschränken, sondern gerade auch Liberal-Konservative einzubeziehen.

In seinem Resümee hielt Richard Meng fest, die spannende Debatte habe gezeigt, welchen Gesprächsbedarf es auch im progressiven Lager gebe. Festzuhalten sei einerseits die Bringschuld eines wieder besser funktionierenden Staates – aber auch jene der Bürgerinnen und Bürger wie der Parteien als Teil der Gesellschaft. Der erste Schritt – noch längst nicht ausreichend getan – müsse immer sein, zu verstehen, was in der Gesellschaft eigentlich passiert. Ohne die Probleme kleinzureden: Trotz schlimmer 13 Prozent AfD-Stimmen bei der Kommunalwahl in NRW hätten dort immer noch 87 Prozent der Abstimmenden demokratisch gewählt. Daran gelte es anzuknüpfen, deren demokratisches Engagement zu stärken. Die Zeitschrift Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte sehe sich weiter als Debattenforum für diese Themen, als ein Ort der offenen demokratischen Selbstverständigung.

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